Protokoll der Sitzung vom 11.12.2006

(Dr. Andreas Dressel SPD: Darauf ist er auch noch stolz!)

Darauf ist er auch noch stolz, dass er so ein bisschen herumtändelt.

Die größte Öffentlichkeitsarbeit genießt ja nicht die Arbeit in der eigenen Behörde, sondern die Bundesratsinitiativen, die dann immer abgefeiert werden – jede Bundesratsinitiative dreimal –, wenn man sie sich ausgedacht hat, wenn man sie eingebracht hat, wenn sogar einmal darüber geredet worden ist – darüber gibt es dann eine besondere Pressemitteilung –, wenn dann noch einmal darüber geredet worden ist und dann, wenn sie in die Arbeitsgruppe gegangen ist. Da gibt es fünf Pressemitteilungen zur gleichen Bundesratsinitiative.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Neid, nur Neid! – Dr. Andreas Dressel SPD: Die lauten immer gleich!)

Diese sind immer genau gleich, es sind immer die gleichen Argumente.

Dieser besondere Schwerpunkt auf den Bundesratsinitiativen erinnert sehr an den späten Kusch. Der durfte ja auch irgendwann nichts anderes mehr machen, als die Fraktion ihn an die Kette gelegt hatte. Dann hat er sich auf die Bundesratsinitiativen verlegt. Da waren Sie ganz schön schnell, Herr Lüdemann.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Kürzlich hat Herr Lüdemann sich auch ein bisschen gelangweilt. Er wird ja oftmals zu Interviews eingeladen und da muss man immer etwas sagen. Er war bei Hamburg 1 und sollte zu einem Thema etwas sagen. Es ging um sexuellen Missbrauch von Kindern. Da hat er ganz locker, flockig, weil ihm wohl ein bisschen langweilig war, ein bisschen Richterschelte betrieben und hat gesagt, er hätte sich zwar mit den Entscheidungen im Einzelnen nicht auseinandergesetzt, aber irgendwie kämen sie ihm zu lasch vor.

Nun ist der Justizsenator hier im Raume so ziemlich der Einzige, der auch die Gelegenheit hat, sich mit diesen ganzen Strafverfahren im Einzelnen auseinanderzusetzen. Er hätte die Möglichkeit, sich von der Staatsanwaltschaft berichten zu lassen. Das könnte er machen. Er könnte sich im Einzelnen mit solchen Verfahren auseinandersetzen. Es kommt durchaus vor, dass Senatoren oder Minister das machen – sich berichten lassen. Dann hätte er auch die Gelegenheit, das qualifiziert zu kommentieren. Aber dieser Senator zieht es vor, einmal so allgemein aus seiner Bauchlage heraus den Richtern zu sagen, das wäre irgendwie zu lasch. Da kann man nur sagen: Diese Arbeit ist zu lasch und so geht es nicht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Man kann darüber streiten und man kann unterschiedliche Meinungen darüber haben, ob es richtig ist, dass Justizsenatoren und Justizminister in Deutschland von ihrer europaweit einmaligen Möglichkeit Gebrauch machen, die Staatsanwaltschaft zum Beispiel anzuweisen, Rechtsmittel einzulegen.

(Dr. A. W. Heinrich Langhein CDU: Was hat das mit dem Haushalt zu tun?)

Derartige Sachen sind in anderen Ländern nicht möglich. Dort ist die Staatsanwaltschaft unabhängig. In Deutschland gibt es die Möglichkeit, dass ein Justizsenator Anweisungen erteilt.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Was soll er denn nun machen?)

Meine politische Auffassung ist, dass ein Justizsenator sich aus diesen Fragen heraushalten sollte.

Aber dann soll er es auch tun. Dann soll er entweder konkret von seinen Möglichkeiten Gebrauch machen oder zu diesen Fragen den Mund halten aber nicht so allgemein daherreden.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das ist besonders ärgerlich,

(Zuruf von Senator Carsten-Ludwig Lüdemann)

weil Sie durch solch unqualifiziertes Dahergerede genau das gefährden, Herr Lüdemann, was man Ihnen in der Justiz allgemein zugute hält.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Was haben Sie eigentlich für ein Problem? An wem wollen Sie sich abarbeiten?)

Sie gefährden genau das, was man Ihnen in der Justiz zugute hält, nämlich dass Sie eine angenehme Gesprächsatmosphäre geschaffen hätten. Das ist sicherlich eine Verbesserung, wenn auch keine Leistung.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Aber ich glaube, Sie sollten diese Anerkennung, die Sie durch diesen angenehmen Umgangsstil gefunden haben, nicht dadurch aufs Spiel setzen, dass Sie so vorgehen und sich so über die Rechtsprechung äußern.

Wir sehen, dass der Senator in Bereichen, in denen er eigentlich gar keine eigenen Aufgaben hat, umhertändelt. Aber in den Bereichen, in denen Handlungsbedarf ist, er selber zuständig ist, nur er handeln kann und handeln muss, herrscht regelmäßig Fehlanzeige. Wenn wir das bilanzieren, was dieser Senator in den Bereichen, in denen wirklich Handlungsbedarf besteht, getan hat, muss man sagen: Dieser Senator übt sich in Arbeitsverweigerung.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Besonders bezeichnend war dabei, dass der Senator es sogar vorzog, in den Urlaub zu fahren, statt die Haushaltsberatungen über seinen eigenen Einzelplan durchzuführen. Das ist besonders bezeichnend für die Haltung, die der Senator an den Tag legt.

Ich will drei konkrete Punkte nennen.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Jetzt wird es aber Zeit!)

Erster Themenbereich: Jugendvollzug. Das Bundesverfassungsgericht hat am 31. Mai 2006 ein sehr wichtiges Urteil gefällt. Es hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob es zulässig ist, dass – was seit Jahrzehnten der Fall ist – wir keine gesetzliche Grundlage für die Freiheitseinschränkung im Jugendvollzug oder Jugendstrafvollzug – die Begrifflichkeit ist etwas unterschiedlich – haben. Das Bundesverfassungsgericht hat sich sehr eingehend mit der Realität im Vollzug und mit den rechtlichen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, auseinandergesetzt. Es hat zwei wichtige Forderungen gestellt.

Es hat erstens gesagt: Die Länder müssen bis spätestens Ende 2007 ein Gesetz für den Jugendstrafvollzug schaffen. Zweitens hat es gesagt: Bis dahin – bis dahin darf man eben nicht die Hände in den Schoß legen – dürfen die Länder nur noch diejenigen Einschränkungen im Jugendvollzug vornehmen, die unbedingt erforderlich sind, um einen ordnungsgemäßen Betrieb dieser Haftanstalten zu gewährleisten.

Das hat das Bundesverfassungsgericht nicht ohne Grund gesagt. Diese Forderung ist natürlich sofort umzusetzen. Deswegen will ich sie mir als Erstes ansehen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht ohne Grund aufgeschrieben, dass hier auch schon vor Ende 2007 Handlungspflichten bestehen, weil es nämlich bei der Betrachtung der Realität im Jugendvollzug gesehen hat, dass es eine ganze Reihe von Einschränkungen gibt, die über das zwingend notwendige Maß hinausgehen. Diese Einschränkungen sind deswegen auch bis zum Erlass eines solchen Gesetzes überhaupt nicht zulässig.

Wenn man ein solches Urteil ins Stammbuch geschrieben bekommt, dann muss man doch eigentlich sagen: Mensch, wir müssen sofort alles überprüfen. Wir müssen sofort überprüfen, wo etwaige Grundrechtseinschränkungen sind, die nicht unbedingt notwendig sind. – Und was macht dieser Senat? Der hat seit dieser Entscheidung an keinem der Punkte, die das Bundesverfassungsgericht als so wichtig gekennzeichnet hat, im Jugendvollzug in

Hamburg Veränderungen vorgenommen. Dieses Urteil wird in diesem Punkt komplett ignoriert.

Dann der zweite Punkt. Man hat ein bisschen länger Zeit, ein Gesetz auf den Tisch zu legen, aber es muss ja schon bis 31. Dezember 2007 in Kraft getreten sein. Deswegen verwundert es schon, dass Hamburg sich damit zufrieden gibt, das vorletzte Bundesland zu sein, was noch gar keinen Entwurf auf den Tisch gelegt hat. In fast allen anderen Bundesländern – in 14 Bundesländern – ist die Diskussion schon in vollem Gange, wo über Referentenentwürfe eifrig diskutiert, die Diskussion mit den Fachverbänden geführt wird und konkurrierende Entwürfe auf dem Tisch liegen – in 14 von 16 Bundesländern. Nur Hamburg meint, wir hätten doch Zeit. Es reicht doch, wenn wir zum 30. November 2007 einen Entwurf auf den Tisch legen. So lange sollten Sie sich in der Tat nicht Zeit lassen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wenn man es schon doof findet, dass das Bundesverfassungsgericht auch einmal konkrete Forderungen aufschreibt, dann sollte man sich wenigstens von dem Vorfall beeindrucken lassen, den wir vor einigen Wochen zur Kenntnis nehmen mussten, dass ein Jugendlicher in einer Jugendhaftanstalt in Siegburg …

(Viviane Spethmann CDU: In einer überbelegten Anstalt!)

in einer Jugendhaftanstalt – ich glaube man übertreibt nicht, wenn man sagt – zu Tode gefoltert wurde.

(Viviane Spethmann CDU: Die haben Überbele- gung! Wir haben Unterbelegung!)

Wir haben eine Situation, in der alle gesagt haben: Dieser Situation wird man nur Herr werden und nur wirksam entgegentreten können, wenn wir mehr Personal im Jugendvollzug zur Verfügung stellen, weil wir es nur so schaffen können, diese gefährlichen Subkulturen aufzubrechen, die es im Jugendvollzug gibt.

(Viviane Spethmann CDU: Da ist doch kein Ver- gleich möglich! Das ist Unsinn, was Sie da ma- chen!)

Und was macht dieser Senat? Er kürzt das Personal im Jugendvollzug. Seit 2004 ist 6 Prozent des Personals bei gleichbleibender Belegung im Jugendvollzug abgezogen worden. Die Belegungszahlen im Jugendvollzug bleiben in etwa gleich und das Personal wird um 6 Prozent gekürzt. Das finde ich unverantwortlich.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir brauchen stattdessen eine Aufstockung des Personals im Jugendvollzug und das gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Hamburger Jugendvollzug in einer Reihe von Punkten sicherlich besser dasteht als andere Haftanstalten. Zu nennen ist etwa der Vollzug in Wohngruppen, der in Hamburg sehr stark ausgeprägt ist. Aber wir brauchen mehr Personal, wenn wir verhindern wollen, dass es zu solchen überraschenden Taten kommt, und wenn wir es schaffen wollen, dass die Bediensteten im Jugendvollzug wirklich mit den Insassen arbeiten.

(Viviane Spethmann CDU: Das ist Panikmache, was Sie da machen!)

Zweiter Problempunkt: Überkapazitäten im Strafvollzug. Frau Spethmann, Sie haben das so harmlos dargestellt

und haben gesagt: Jetzt haben wir endlich einmal keine Doppelbelegung und so weiter. Das ist aber eine schöne Untertreibung für den Zustand, dass wir gegenwärtig über 640 freie Haftplätze haben. Über 20 Prozent der Haftplätze in Hamburg sind frei. In keinem Bereich, über den wir hier in den nächsten drei Tagen diskutieren werden, gibt es eine Situation, in der 20 Prozent der Kapazitäten frei sind. Das sollte einen Senator wirklich zum Handeln veranlassen. Aber was sehen wir hier?

Der Senator kündigt vage an, man wolle einmal prüfen, ob vielleicht andere Bundesländer diese Haftplätze mieten wollen. Diese Idee ist schon mehrfach geprüft worden. Sie ist auch unrealistisch, weil die anderen Bundesländer natürlich nicht bereit wären, die Preise zu zahlen, für die es sich für Hamburg lohnen würde, diese Plätze vorzuhalten. Da werden andere Bundesländer eher an ihrer Überbelegung festhalten, als Hamburg genau die Kosten zu ersetzen, die durch den Betrieb dieser Anstalten entstehen.