Protocol of the Session on April 19, 2007

Login to download PDF

Ich bin Ihnen dankbar, Herr Buss, dass Sie schon jetzt den geplanten Etikettenschwindel ankündigen, denn so wissen die Wähler wenigstens im Frühjahr 2008, wie sie sich entscheiden müssen: Wollen wir Stadtteilschulen und Gymnasien, müssen wir CDU wählen, kommt Rotgrün, werden die Gymnasien de facto abgeschafft, egal, ob man den Namen an irgendwelche Schulen noch dranhängt, oder nicht.

Herr Egloff, vielleicht sollte die gesamte SPD und auch Herr Naumann so ehrlich sein, das den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl zu sagen. Frau Boeddinghaus hat bereits kritisiert, dass den Hamburgern bisher nicht klar sei, welche Position die SPD in der Bildungspolitik vertrete. Frau Boeddinghaus hat vor wenigen Tagen gefordert, der Landesvorstand – also Sie, Herr Egloff – müsse das Thema jetzt auf die Tagesordnung setzen, damit auch im Wahlkampf klar wird, wofür die SPD steht. Richtig, Frau Boeddinghaus, die Wähler haben darauf einen Anspruch.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Ernst.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Bemerkungen vorweg: Herr Heinemann, in der Tat ist die SPD davon überzeugt, dass heterogene Gruppen, wenn sie sich gut miteinander austauschen, zu besseren Ergebnissen kommen als homogene Gruppen.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch und Jens Kerstan, beide GAL)

Das gilt für die Schulen gleichermaßen wie für die Politik.

Eine zweite Vorbemerkung: Herr Heinemann, Sie waren es, der darauf gedrungen hat, dass der Bericht der Enquete-Kommission mit rechtzeitigem Abstand zur nächsten Bürgerschaftswahl vorgelegt wird. Wenn man Ihre Rede heute hört, dann weiß man, warum. Sie wussten, dass Sie zehn Monate vor der Wahl keine andere Rede als eine Wahlkampfrede halten können und nicht mehr in der Lage sind, sich ernsthaft mit dem Bericht auseinander zu setzen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich möchte das aber tun. Wir werden im Wahlkampf genug Veranstaltungen haben, in denen wir uns auch in dieser Form austauschen können.

Ich möchte festhalten, dass wir in Hamburg ein Ergebnis zustande gebracht haben, mit dem viele nicht gerechnet haben. In Hamburg wird das dreigliedrige Schulsystem abgeschafft und alle sind dafür – SPD und Grüne, aber auch die CDU. Die Enquete-Kommission schlägt vor, dass Hauptschulzweige aufgelöst und mit anderen Schulformen zu Stadtteilschulen entwickelt werden. An allen Schulen – nicht nur an den Gymnasien – wird man in Hamburg künftig auf direktem Wege Abitur machen können. Es wird daher nicht mehr so schwer sein, den Lebensweg von Schülerinnen und Schülern zu korrigieren, die eine Haupt- und Realschule besucht und große Potenziale und Begabungen haben, sondern es wird leichter werden. Wir wissen von Hamburger Gesamtschulen, dass sie diese Arbeit in der Vergangenheit erfolgreich geleistet haben, und wir wissen, dass wir dieses Modell, diese Idee, jetzt auch in weiteren Schulen realisieren werden.

Sicherlich gibt es trotz dieses Ergebnisses Unterschiede zwischen den Parteien. Nicht ganz untypisch für eine konservative Partei, die das Bewahrende vorweg trägt, ist es natürlich, dass sie glaubt, das sei die letzte Schulreform, die in Hamburg stattfinden würde. Wir können uns etwas anderes vorstellen und meinen auch sehr deutlich, dass weitere Schritte der Integration möglich sind und dass wir am Horizont die Perspektive einer Schule für alle sehr wohl erkennen können.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch und Gudrun Köncke, beide GAL)

Andererseits haben unsere grünen Freundinnen und Freunde vielen Vorschlägen der Kommission nicht zugestimmt. Das haben wir auch nicht in jeder Hinsicht verstanden. Ich verstehe nicht, warum sie nicht den Weg der Stadtteilschule beschreiten, weil man als Realpolitiker nicht gegen die Ausstattung jeder Schule Hamburgs mit Gymnasiallehrkräften und die Eröffnung einer direkten Perspektive zum Abitur sein kann. Liebe Christa Goetsch, mir ist die Position neulich auf der Veranstaltung der "tageszeitung" nicht deutlicher geworden, die den bemerkenswerten Titel hatte "Eine Schule für alle - aber nicht für mein Kind". Dort haben Sie formuliert, dass es nicht Sinn einer Enquete-Kommission sei, einen Kompromiss zu formulieren, weil man das Koalitionen vorbehalten wollte. Ich habe Enquete-Kommissionen so verstanden, dass sie der Politik dort auf die Sprünge helfen sollen, wo sie stecken bleibt. Deshalb hätte ich mir diesen gemeinsamen Schritt von Herzen gewünscht.

Trotz allem ist das, was die Enquete-Kommission vorschlägt, kein kleiner Schritt, sondern ein großer Sprung. Ich wünsche mir sehr, dass es gelingt, in der Stadt dafür zu werben, dass Stadtteilschulen zu einem Erfolgsprojekt werden.

Herr Heinemann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie können sicher sein, dass wir jeden konkreten Schritt, den Sie in den für Sie letzten zehn Monaten in die Wege leiten, sehr genau beobachten werden, weil es davon abhängt, wie man es macht, um hier zu einem Erfolg zu kommen. Uns ist dieser Punkt sehr, sehr wichtig.

(Beifall bei der SPD)

Auf jeden Fall gilt, der Bericht der Enquete-Kommission wird über diesen Rest der Legislaturperiode hinaus Bestand haben. Er setzt Maßstäbe, die von keiner künftigen Regierung ignoriert werden können. Eine sehr bedeutende Leistung ist sicherlich, dass die hoch ideologisch aufgeladenen Prinzipiendebatten der deutschen Schulpolitik einer Verbesserung der Lage Hamburger Schülerinnen und Schüler nicht im Wege stehen werden. Das ist eine ganze Menge und ich will das an einem Szenario deutlich machen:

Wenn in Hamburg ab dem nächsten Jahr ein rot-grüner Senat die Haupt- und Realschulen zu Stadtteilschulen verwandelt und sicherstellt, dass alle Schülerinnen und Schüler diesen direkten Weg zum Abitur haben werden, dann kann die CDU-Opposition in dieser Stadt dies nicht mit einer ideologisch motivierten Kritik überziehen. Dafür bedanken wir uns.

(Beifall bei der SPD)

Das ist die Harmonie. Ich möchte aber auch ein paar kritische Anmerkungen zu den Diskussionen machen.

Manche der Reformen, die der Enquete-Bericht vorschlägt, sind eine schallende Ohrfeige für die Politik des Senats, weil er sich vorhalten lassen muss, in der fünfjährigen Amtszeit viele Probleme nicht angegangen zu haben. Ich möchte das schwerwiegendste Problem nennen.

(Lachen bei der CDU - Kai Voet van Vormizeele CDU: Es ist ein Stückchen dreist, das uns nach 40 Jahren noch vorzuwerfen!)

- Hören Sie zu, bevor Sie lachen.

Sie haben in fünf Jahren Regierungszeit nichts daran verändert, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die überhaupt keinen Abschluss haben, im Jahre 2006 bei skandalösen 12,3 Prozent liegen. Das ist die aktuelle Zahl, die wir uns in der Enquete-Kommission noch einmal haben geben lassen. Sie haben in den letzten Jahren den Mund ganz schön voll genommen, wenn es darum ging, hier zu einer Veränderung zu kommen. Sie haben faktisch fünf Jahre lang überhaupt nichts an dieser viel zu hohen Zahl, die auch im Jahre 2001 viel zu hoch war, verändert. Das ist ein skandalöses Ergebnis.

(Beifall bei der SPD - Kai Voet van Vormizeele CDU: Diese Schulpolitik haben Sie gemacht und werfen sie uns vor!)

Wir hatten gestern schon die Debatte zur Kriminalitätsstatistik. Es lohnt nicht, sich die Fakten schönzureden, es geht konkret um Jugendliche, denen man helfen sollte.

Einen weiteren Dissens hatten wir bei der Zahl der Schülerinnen und Schüler, die keinen Abschluss haben, die deutlich gesenkt werden muss. Wir haben gesagt, bis zum Jahre 2015 sollte diese Zahl auf 6 Prozent abgesenkt werden. Hier haben Sie wirklich geschwächelt. Sie trauen sich gerade einmal zu, diese Zahl bis zum Jahre 2015 auf 10 Prozent zu senken. Was Sie da abgeliefert haben, ist keine Politik, sondern Resignation.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben es versäumt, diesen Jugendlichen durch den Dschungel der schulischen und berufsschulischen Angebote, die Maßnahmen der Jugendberufshilfe und des Arbeitsamts zu helfen. Sie haben die sinnvolle Förderung abgelehnt, die Schulpflicht auf zehn Jahre zu verlängern. Statt Brücken zu bauen, haben Sie in der Vergangenheit neue Hürden aufgebaut wie zum Beispiel die neue Zugangsschwelle zu Berufsfachschulen, die für eine große Zahl von Hauptschülern eine Perspektive war. Dies ist wirklich ein Skandal.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Nach wie vor wird die Zeit vor der Schule nicht energisch genug als Bildungszeit begriffen. Die Zuständigkeit für die Kitas liegt nicht in der Schulbehörde. Sie haben in den letzten Jahren gerade die Kinder ausgegrenzt, die besondere Hilfe brauchen, indem Sie die Zahl der Kinder mit einem Ganztags-Kita-Platz in sozialen Brennpunkten um 30 Prozent gesenkt haben. Nun hat hier die EnqueteKommission einen guten Vorschlag gemacht – sogar auf Vorschlag von Herrn Heinemann –, nämlich die Zuständigkeit für Kitas und Schulen künftig zusammenzulegen und die Zuständigkeit mit Vorschulklassen in einer Bildungsbehörde zusammenzufassen. Das ist eine richtige Forderung, aber ein Kompliment für Ihre Sozialsenatorin ist das nicht, was dort auf Initiative der CDU eingebracht wurde.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie sind leider unserer Forderung nach einem beitragsfreien Jahr für alle Fünfjährigen nicht gefolgt und verpassen so die große Chance, endlich den Einstieg zu wagen, Bildung in Hamburg gebührenfrei zu machen.

Ich will zum Schluss einige Anmerkungen zu Ihrem Antrag machen. Die Empfehlungen der EnqueteKommission finden im Großen und Ganzen unsere Zustimmung. Das ist in dem Bericht dokumentiert. Daraus aber abzuleiten, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, dass die Empfehlungen der Enquete-Kommission 1 : 1 deutlich machen, wie toll der Senat in den letzten Jahren gehandelt hat, trifft in der Tat nicht unsere Zustimmung. Wir können vor allem deshalb Ihrem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Ich habe eben gezeigt, dass das Gegenteil richtig ist, dass zentrale Felder der Senatspolitik den Empfehlungen der Enquete-Kommission entgegenstehen. Deshalb haben wir einen eigenen Antrag formuliert, in dem noch einmal wichtige Punkte formuliert werden, die notwendig sind. Vielleicht können Sie unseren Punkten zustimmen.

Wichtig ist, die frühe Bildung endlich als beitragsfreie Bildung zu gestalten. Der zweite Punkt ist, keine Zeit zu verlieren. Wir müssen sofort mit einer regionalen Schulentwicklung beginnen, die alle Schulen und auch alle regionalen Akteure einbezieht. Die Hamburger Schulaufsicht darf nicht länger schulformbezogen, sondern sie muss regional zuständig sein. Wir wollen, dass diese Schulstruktur zum 1. August 2009 in Angriff genommen wird, die alle Schulen direkt zum Abitur führt. Deshalb unsere Forderung, die Schleife noch einmal zu unterlassen, Hauptschulklassen ab Klasse 7 einzuführen.

Stimmen Sie unserem Antrag zu und zeigen Sie damit, dass Sie es mit einer zügigen Umsetzung ernst meinen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich schließe mich heute gern dem Chor der positiven Stimmen zu den Ergebnissen der EnqueteKommission "Konsequenzen der neuen PISA-Studie für Hamburgs Schulentwicklung" an: Es hat die GAL einige Mühe gekostet, Sie alle dafür zu gewinnen, dass diese Enquete-Kommission eingesetzt wird. Wir sehen nun am Erfolg, dass sich diese Anstrengung gelohnt hat.

Bevor ich zu den Ergebnissen komme, möchte ich wie Herr Heinemann betonen, dass wir eine transparente Arbeitsstruktur hatten. Wir haben immer öffentlich getagt, was sich bewährt hat. Es gab zwar vor einem Jahr den Versuch der CDU, das Ganze mit einer bestellten Beraterrunde unter die Fuchtel der Schulsenatorin zu bringen, aber ich werte es jetzt als Erfolg, dass wir uns als Parlament durchgesetzt haben.

(Beifall bei der GAL und der SPD)