Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Großen Anfrage, Drs. 18/6971, Kenntnis genommen hat.
Wir kommen zu den Punkten 46, 47 und Punkt 5 der Tagesordnung. Anträge der SPD-Fraktion, Drs. 18/7240: Besserer Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf und Drs. 18/7241: Ausbildung auch für "Altbewerber" sowie die Große Anfrage der GAL-Fraktion, Drs. 18/6917: Keine Chance auf Ausbildung – Welche Hilfestellung bietet Hamburg?
[Antrag der Fraktion der SPD: Besserer Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf - Drs. 18/7240 -]
[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Keine Chance auf Ausbildung – Welche Hilfestellung bietet Hamburg? - Drs. 18/6917 -]
Die Drs. 7240 möchte die CDU-Fraktion federführend an den Schulausschuss und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss überweisen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr ergreift das Land ein seltsames Ritual, wenn sich im Frühjahr Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber über die Zahl der Ausbildungsplätze streiten und ob sie nun ausreichen oder nicht. Um von vornherein einem Missverständnis vorzubeugen, ist es natürlich eine gesellschaftspolitische Debatte. Für Hamburg bedeutet das, dass wir uns darum streiten, ob nun 8.000 oder 10.000 Auszubildende das richtige Niveau ist. Aber diese Debatte blendet leider viele Tausende aus, die überhaupt nicht gezählt werden, weil sie von der Bundesagentur nur als Rat suchend in das System eingetragen werden oder weil sie Altbewerber sind. In dieser Debatte geht es darum, den Blick auf diese zu schärfen und, wenn man sich die Zahlen anguckt, schockiert und sprachlos zu sein, wie es geschehen kann, dass über viele Jahre das, was da unter der Oberfläche geschieht, so zugelassen wird. Es gibt sehr viele Klischees und stereotype Erklärungen, die helfen, die Situation zu akzeptieren. Da wird für Hamburg gesagt, dass zu viele Auszubildende aus dem Ausland kommen, das mache die Konkurrenzsituation so stark oder die Auszubildenden sind zu teuer. Wenn man die Argumente auf ihre Stichhaltigkeit abklopft, bleibt davon nicht viel übrig. Vor allem lenken sie immer von dem einen wirklichen Skandal ab, dass wir 27.000 unter 25-jährige Erwerbsfähige haben, von denen vermutlich ungefähr die Hälfte keinen Hauptschulabschluss hat. Erlauben Sie mir den kurzen Exkurs, ohne
Sie jetzt mit zu langen statistischen Zeitreihen zu erschrecken und zu überfordern. Sie feiern sich angesichts der guten Wirtschaftslage für die Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt. Nebenbei bemerkt, wenn Sie sich die Zeitreihen angucken, exzellent sind Ihre Ergebnisse in dieser guten Zeit noch lange nicht. Aber schauen Sie einmal ganz genau hin, wie viele erwerbsfähige Hilfsbedürftige Sie in Hamburg über die letzten Jahre hatten. Sie werden sehen, dass die Zahl bei 143.000/144.000 stagniert. Obwohl unsere Arbeitslosenquoten zum Teil sinken, hat es hier keine Veränderung gegeben. Die Erklärung ist relativ einfach, auch wenn sie sich statistisch nicht sofort in den Texten erschließt, weil wir jedes Jahr Tausende von jüngeren Menschen erneut in die Statistik hineinschieben, ohne dass wir sie als Arbeitslose zählen würden, weil sie nie gearbeitet haben. Heute ist Arbeitsmarktpolitik letztendlich Reparaturbetrieb eines eklatanten Schulversagens. Jedes Jahr verlassen 1.700 Schüler die Schule ohne Hauptschulabschluss und sie sind die Ersten, die mit den Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt konfrontiert werden und dort keinen Fuß fassen. Das ist Schulversagen ersten Ranges.
Herr Dees, entschuldigen Sie die Störung, aber ich glaube, die vielen Debattierclubs, die sich hier gebildet haben, diskutieren sicher nicht alle zeitgleich über die Rede von Herrn Dees. Deshalb bitte ich Sie, diese Gespräche draußen weiterzuführen. Herr Dees hat das Wort.
Angesichts der vielen tausend Betroffenen, wäre es vielleicht gar nicht schlecht, wenn alle darüber diskutieren würden, aber das ist leider nicht der Fall.
Ein weiteres Klischee ist, dass die, die keinen Abschluss haben, nichts können und deswegen nicht ausbildungsfähig sind. Das Hamburger Hauptschulmodell hat uns jedoch gelehrt, dass Abschlüsse oder eben keine Abschlüsse, überhaupt Notenspiegel oder schlechte Noten keine Aussagekraft mehr haben, wie integrationsfähig ein junger Mensch ist und welche Möglichkeiten, Chancen und Potenziale er mitbringt, um sich im Arbeitsleben zu integrieren. Wir haben inzwischen sogar völlig widersinnige und seltsame Entwicklungen, dass die Integrationschancen von jungen Menschen einfach davon abhängen, in welche Förderschiene sie geraten sind. So haben junge Menschen, die vormals in die Förderschule gerutscht sind und dort als Förderschüler stigmatisiert waren, wenn sie in die richtigen Maßnahmen der Bundesagentur kommen, teilweise höhere Integrationschancen und werden besser gefördert als die anderen und können sich anschließend eher in den Arbeitsmarkt integrieren. Eigentlich eine völlige Verkehrung der Welt. Die Erklärung ist relativ einfach. Es gibt inzwischen Unmengen von Studien im Ausland und auch bei uns Pilotprojekte - das Hamburger Hauptschulmodell zählt dazu -, die ganz klar zeigen, was die Kernkriterien sind, um die Integrationschancen zu verbessern. Das ist die systematische und frühe Kompetenzfeststellung, das ist die intensive und praxisorientierte Beratung und Begleitung in der Praxis und das ist überhaupt eine dauerhafte Begleitung während der Zeit der Erwerbslosigkeit. All das ist nicht neu und in Flächenländern vielleicht entsprechend schwer zu organisieren. Viele dieser Pilotprojekte bleiben dann stehen, weil sie eine Berufsorientierung in der
Schule in der achten oder neunten Klasse ermöglichen und darüber hinaus nicht fortgesetzt werden. Aber hier in der Stadt, würde man denken, sind die Chancen eigentlich unendlich groß, all diese Akteure an einen Tisch zu bekommen und das einmal in einem geschlossenen ganzheitlichen Konzept anzugehen. Doch gucken wir uns die Landschaft hier an, dann sehen wir dort eher eine Wüste. Wir haben eine Bundesagentur, die separat agiert, die Behörde für Schule, die BWA, die ARGE, die BSF. Die Möglichkeiten, die wir haben, verpuffen am engstirnigen Ressortdenken und führen eine völlig chaotische Situation herbei. Ich glaube, die Beamten müssen wirklich ernsthaft daran leiden. Die leiden derart, dass sie irgendwann versucht haben, sich zu behelfen und eine Arbeitsgruppe gegründet haben. Diese Arbeitsgruppe nennt sich Zusammenarbeit und trifft sich alle zwei Monate, um die Zusammenarbeit dieser genannten verschiedenen Akteure zu besprechen. Ich finde, die Namensgebung zeigt schon die Schmerzen, die die Betreffenden haben, um genau jene Zusammenarbeit zu organisieren. Dann saßen die wohl zusammen und ihre Schmerzen wurden noch größer, weil es ihnen offensichtlich sehr schwerfiel, durch diesen Wust an Einzelmaßnahmen überhaupt durchzusteigen. Dann gründeten sie eine Internetseite, die sie www.ichblickdurch.de nannten und die letztlich ihre eigene Mühe zeigte, überhaupt durch diesen Wust durchzuschauen. Dass Sie mich richtig verstehen, jeder Schritt für sich ist wichtig, aber es ist nur ein einzelner Schritt und es fehlt eben der ganzheitliche Ansatz. Wenn Sie mit den Trägern sprechen, dann werden Sie erfahren, dass Doppelarbeit gang und gäbe ist. Wir haben Maßnahmenabbrüche ohne Ende, unzählige Beispiele, wo einmal eine Eingliederungsvereinbarung gemacht wird, dann ein Entwicklungsgutachten und dann wiederum ein Fallmanager eingesetzt wird, der komplett noch einmal neu in der ARGE die Betreuung von jemandem aufrollt. Immer wieder hat ein junger Mensch neue Ansprechpartner, meist junge Menschen, die sowieso in ihrer Jugend unter konstanten Beziehungsabbrüchen gelitten haben. Die werden jetzt in diesem für sie undurchschaubaren System durchgeschleust und erfahren wieder einen Kontakt neben dem anderen und einen Abbruch neben dem anderen. Dass da keine Verbindlichkeit entstehen kann, ist kein Wunder und das ist für mich Politik des fröhlichen Durchwurstelns und alle zwei Monate trifft man sich zum Kaffeetrinken. Damit werden wir eines der gravierendsten Probleme, unsere strukturelle Arbeitslosigkeit wirklich anzugreifen, nicht lösen können.
Der Grund ist letztlich einfach. Es ist eine falsche politische Schwerpunktsetzung, die dieses Problem nicht in seiner Ganzheit erkannt hat, aber eigentlich ist es überhaupt gar keine Schwerpunktsetzung. Entsprechend fehlt eine in sich schlüssige Strategie. Der traurige Gipfel dafür ist, dass Senator Uldall 70 Millionen Euro aus den Arbeitsmarktmitteln gekürzt hat und in vielerlei Töpfe umgeschichtet hat. Wir können sicherlich auch immer wieder noch einmal neu über die frühere Effizienz der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen streiten. Da hat es Fehlentwicklungen gegeben und vieles, was umgelenkt wurde, war auch richtig, weil es im Prinzip anders und effizienter ausgegeben wird. Aber Sie haben 70 Millionen Euro gekürzt und in Ihrem eigenen Haus verwurstet. Sie haben dann am Ende Mühe gehabt, die richtigen Töpfe dafür zu finden, sodass kaskadierend Arbeitsmarktmittel am Ende über mehrere Stufen bis hin in die Reparatur
der Alsterbarkassen geflossen ist, was sicherlich ganz putzig ist, aber bestenfalls als symbolisches Durchwursteln durchgehen kann. Es fehlt bei den drängendsten Problemen auf dem Arbeitsmarkt ein schlüssiges Konzept. Wir bieten Ihnen heute an, über die Punkte, die wir zusammengetragen haben, zu diskutieren und das als Grundstein zu nehmen, hier einen Durchbruch zu erzielen.
Bevor ich Herrn von Frankenberg das Wort erteile, galt mein Hinweis mit den Debattierclubs auch für Altona-, Finkenwerder-, Volksdorfer-Gespräche. Auch die sollten draußen weitergeführt werden.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Tat ist das ein ganz wichtiges Thema. Schließlich geht es bei dem Thema Ausbildung um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, unserer Stadt. Insofern kann ich auch nur unterstreichen, dass das ganz wichtig ist und es sich auch lohnt, darüber zu reden.
Ich möchte Ihnen aber auch ein faires Angebot machen. Ich habe das Gefühl, dass sich die Außenwirkung unserer Debatte mittlerweile sehr in Grenzen hält. Die letzten Besucher sind gegangen und Presse ist auch keine mehr da. Ich hätte fast gesagt, nach meinem Zettel macht Frau Köncke das Licht aus.
Daher möchte ich Ihnen ein faires Angebot machen. Wir sind der Meinung, dass wir bei der Drs. 18/7241 "Altbewerber" schon ein bisschen weiter sind. Deswegen werden wir die ablehnen. Die Große Anfrage nehmen wir zur Kenntnis und die Drs. 18/7240 würden wir gerne federführend an den Schulausschuss und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss überweisen. Da haben wir dann auch die Möglichkeit - Sie hatten eben auch das Angebot gemacht -, dass wir noch einmal in einen konstruktiven Dialog treten. Da würde ich Ihnen vorschlagen, dass wir dann in diesen eintreten. Sie verzichten dafür auf die nachfolgenden vier Redner - eine Fraktion muss natürlich auch noch etwas sagen können -, aber dass Sie hier nicht noch einmal breitgestaffelt reden, sondern das machen wir dann im Ausschuss.
Ich habe alternativ etwas ähnlich Umfangreiches vorbereitet wie Herr Dees. Das bewegt sich auch in der Länge. Ich verzichte dafür auf den Vortrag, den ich vorbereitet habe und Sie verzichten dann natürlich auf unnötige Schärfe.
Das können Sie sich dann für den Ausschuss aufheben, das ist ja nicht verloren, sondern wir machen dann weiter. Ansonsten habe ich für Sie positive Zahlen aufbereitet. Mit Hamburg geht es aufwärts, die Wirtschaft brummt, der Arbeitsmarkt ist gut. Das ist der Tenor meiner Rede, die ich vorbereitet habe, aber Probleme will ich dennoch nicht
ausgrenzen, weil es sicherlich auch Sachen gibt, über die es sich lohnt nachzudenken und das sollten wir dann im Ausschuss machen. - Schönen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das hatte ich natürlich gerade nicht vor. Ich wollte eigentlich den Scheinwerfer anmachen und nicht das Licht aus. Vor allen Dingen weiß ich natürlich, dass Herr Uldall schon in den Startlöchern sitzt und darauf wartet, die großen Erfolge in Hamburg darzustellen.
Das nehme ich in weiser Voraussicht schon einmal vorweg und versuche, noch einmal ein paar kleine Schlaglichter zu der Situation in Hamburg darzustellen. Das zeichnet Sie aus, liebe CDU, das ist ein großer Fortschritt, den Sie gemacht haben, dass Sie diskussionsbereit sind. Ich möchte mich schon einmal dafür bedanken, dass Sie zumindest deutlich machen, dass wir nicht nur mehr Lehrstellen haben, sondern dass wir natürlich das Problem haben, das Herr Dees sehr ausführlich beschrieben hat, nämlich dass wir darüber diskutieren müssen, dass wir da tatsächlich etwas verändern müssen.
Ich möchte in die Richtung der SPD sagen: Ja, ich glaube, dass wir tatsächlich mehr koordinieren müssen, wir müssen mehr bündeln, wir müssen die ARGE auch besser installieren, dass hier tatsächlich gerade für Jugendliche Hilfe stattfindet. Aber ich glaube, dass es damit nicht getan ist. Ich glaube, dass wir tatsächlich - was Frau Ernst in der letzten Diskussion schon ausgeführt hat - diesen strukturellen Wandel in Hamburg haben. Wir haben diesen strukturellen Wandel im Hinblick auf unsere Jugendlichen. Wenn wir die Situation der Jugendlichen berücksichtigen, dann wissen wir, dass wir tatsächlich immer weniger Jugendliche haben, die in Ausbildung einmünden. Da sagen die CDU und Herr Uldall: Ach, das ist ein Großstadtproblem, das ist in anderen Großstädten auch so. Nein, meine Damen und Herren, wir sind damit in Hamburg das absolute Schlusslicht. Wir haben die schlechteste Einmündungsquote in der Bundesrepublik überhaupt. Dass das auch ein soziales Problem ist, will ich gerne zugeben.