Protokoll der Sitzung vom 04.03.2009

Ich bin kein Freund der Aussage, gute Politik solle sich immer nur an mehr Geld messen lassen. Es wäre für uns alle viel angenehmer, wenn wir keine Mittel mehr bereitstellen müssten für mittellose Menschen, für benachteiligte Kinder, Obdachlose, Behinderte, Kranke, Pflegebedürftige, Flüchtlinge oder Migranten, weil eben keine Hilfe mehr nötig ist. Aber so ist die Welt nicht, so war sie auch nicht vor dieser viel diskutierten Krise.

Man sieht schon an der Aufzählung, worum es bei uns in der Sozialpolitik geht, vielleicht noch mehr als in manch anderen Politikbereichen. Es geht um den Menschen in all seinen Lebensphasen und -lagen, wie unsere Lebensverhältnisse in der Kindheit sind, wie wir aufwachsen, wie wir gefördert werden, ob wir krank oder gesund sind, ob wir mit oder ohne Behinderung sind, ob wir einheimisch oder zugewandert sind, ob wir einen Zusammenhalt in der Stadt haben, in welchen Rahmenbedingungen junge Menschen eine Familie gründen können, wie wir Krisen wie Sucht oder Verschuldung im Leben meistern bis hin zu unserem Leben, Wohnen und vielleicht auch der Pflege im Alter. Alle und jeder sind unmittelbar betroffen davon, wie Sozialpolitik gestaltet wird.

(Wolfgang Joithe-von Krosigk)

Genau aus diesen Bereichen stellt sich auch der riesige Haushalt der Sozialbehörde zusammen. Es ist richtig, dass vieles davon für gesetzliche Leistungen vorgesehen ist. Wir leisten damit eine immense Umverteilung von Einkommen und Ressourcen für die Menschen, die keine eigenen haben oder Hilfe benötigen. Ich bin aber auch überzeugt davon, dass es nicht ausreicht, Ressourcen zur Umverteilung zur Verfügung zu stellen. Im falschen Maß kann staatliche Hilfe sogar zu einem Problem werden.

Ich spreche hier noch einmal das an, was Herr Kerstan gestern in der Debatte sagte. Die verfestigte Armut, die zweite und dritte Generation von Menschen, die in Bildungsarmut leben, das sind die Probleme, die wir nicht alleine mit Umverteilung lösen können.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Neben der unbestritten notwendigen Umverteilung ist es notwendig und weitaus effektiver, die Kompetenzen der Menschen und vor allem der jungen Leute zu fördern. Wer umverteilt, schafft nichts Neues. Wer ausbildet und fördert, der legt den Grundstein zur Entwicklung der Menschen und zu neuem Wachstum.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Deshalb ist die dauerhafte Aktivierung der eigenen Potenziale von Hilfsbedürftigen weitaus besser. Ich will jetzt nicht das berühmte chinesische Sprichwort mit dem Fisch und dem Fischen hier wiederholen.

(Thomas Böwer SPD: Der angelt schon?)

Das heißt auf Neudeutsch Empowerment. Wir wollen den Menschen ermöglichen, ihre Probleme zu überwinden. Genau deswegen – das wurde auch in den Debatten von Herrn von Frankenberg und Frau Güclü gesagt – haben wir die Schuldnerberatung aufgestockt. Deswegen verstärken wir die Wohnungslosenhilfe, deswegen verstärken wir die Hilfen in besonderen Lebenslagen wie zum Beispiel bei Suchterkrankung.

Das alles sind Beispiele, wie wir den Menschen, die gestürzt sind, helfen, wieder aufzustehen, anstatt hinzugehen, sie auf eine Trage zu legen und sie den Rest ihres Lebens zu versorgen. Das entmündigt die Menschen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Aber bei allem Ausbau wissen wir auch, dass die sozialen Hilfesysteme vielfältig und breit sind, manchmal auch zu breit und zu verästelt. Wir haben die Sozialgesetzbücher, die sich zum Teil überlappen. Wir haben aber auch Trägerstrukturen, die zum Teil ähnliche Angebote machen. Das geht sogar so weit, dass es zum Teil Konkurrenz um die Bedürftigen gibt. Deswegen ist es richtig, nicht ständig neue Prestige-Modellprojekte ins Le

ben zu rufen, sondern zu versuchen, diese Menschen in die Regelsysteme zu integrieren. Gerade Übersichtlichkeit und leichte Zugänge können eine größere Hilfe für die Menschen sein als spezifische Sondersysteme.

Das heißt für uns auch, so viel Normalität wie möglich, so viel im Stadtteil, so nah am Menschen wie möglich. Es ist ein zentraler Schwerpunkt unseres gemeinsamen Wirkens, die Angebote dort zu machen, wo die Menschen sie brauchen. Die Vernetzung zu fördern, die Zusammenarbeit zu fördern ist eine große Aufgabe. Ich nenne als Beispiel für den Normalisierungsprozess, dass wir sehr engagiert versuchen, behinderte Menschen aus den Heimen herauszulösen, in eigene Wohnungen und Wohngruppen zu bringen und damit auch ein Stück zu mehr Normalität im sozialpolitischen Bereich beitragen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das war jetzt ein wenig ordnungspolitisch. Im Fokus der Handlungen stehen natürlich die Menschen und ich will ganz deutlich sagen, dass kein Mensch und keine Gruppe von Menschen in Hamburg ausgegrenzt werden soll.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ich möchte das in ein Beispiel kleiden: Ein Zug mit vielen Waggons, bunt und vielfältig, manche sind besser ausgestattet, manche nicht so bequem, genauso, wie es in Hamburg unterschiedliche Viertel und Lebensbedingungen gibt, wie es weniger oder mehr begüterte Menschen in der Stadt gibt. Jetzt ist es unsere Aufgabe in der Sozialpolitik, dafür zu sorgen, dass die Unterschiede zwischen diesen Waggons unserer Stadt nicht zu groß werden und dass alle Zugteile eine würdige und vernünftige Lebensqualität bieten und keiner abgehängt wird.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Zu diesem Bild gehört auch, dass zwischen den Waggons Durchgänge sein müssen. Jeder muss die Chance haben, in die anderen Wagen zu kommen. Es kann nicht sein, dass die Platzkarte bereits mit der Geburt festlegt, wo man ist, sondern sie soll sich im Leben erarbeitet werden können und das heißt für uns Aufstieg durch Bildung.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Diese Chance soll jedes Kind, jeder Jugendliche und jeder Erwachsene haben, darum bemühen wir uns im gesamten Senat. Aber das Bemühen kommt auch im Haushaltsplan der Sozialbehörde mit sehr großem materiellem Einsatz zum Ausdruck.

Um in diesem Bild zu bleiben: Es ist wichtig, dass sich diese Waggons nicht gegenseitig abschotten, dass wir nicht hier ein Abteil für behinderte Menschen machen, dort eines für Migranten, dann eines für Senioren. Die Bereiche sollen sich nicht

(Senator Dietrich Wersich)

voneinander abgrenzen, das kann nicht funktionieren. Wir wollen gegenseitige Verständigung und Bereicherung, wir wollen, dass die Menschen zusammenkommen und sich auch füreinander verantwortlich fühlen. So kann jeder von den Kenntnissen des anderen profitieren.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Migration ist hier mehrfach angesprochen worden. Wenn heute etwa die Hälfte der Kinder in der Grundschule einen Migrationshintergrund hat, dann müssen wir sehr vorsichtig sein und dürfen dies nicht als Problem darstellen, denn mit einer Stigmatisierung helfen wir niemandem. Migrationshintergrund heißt nicht Problem, sondern bedeutet, dass wir uns in besonderer Weise darum kümmern müssen. Wir müssen bei den Menschen, die nicht von zu Hause aus Deutsch lernen, in besonderer Weise dafür sorgen, dass sie diese Sprache lernen können, um ihre Lebenschancen in der Stadt und der deutschen Gesellschaft voll zu entwickeln. Weil wir das verpasst haben, haben wir heute zum Teil eine Lethargie und Resignation gerade bei männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die teilweise umschlägt in dauerhafte soziale Probleme, Gewalt oder sogar Kriminalität. Auch hier hilft nur Motivation durch Aufstieg, durch Bildung.

Das heißt aber, dass wir diesen Migranten auch die Chancen geben müssen. Sie brauchen gute Jobs, gut qualifizierte Migranten müssen auch von den Hamburger Unternehmen angemessen bezahlte Arbeitsplätze bekommen. Wir können alle für Beispiele gelungener Integration sorgen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Es ist wohl mittlerweile allen klar, dass wir jeden Menschen in der Stadt brauchen. Frau Goetsch würde jetzt sagen, kein Talent darf verschwendet werden,

(Nebahat Güclü GAL: Ja, das stimmt!)

aber dies brauchen wir auch, weil sich die Gesellschaft verändert. Der demographische Wandel, die Finanzierung unserer Sozialsysteme mag man als bundespolitisches Problem begreifen, aber es wirkt sich natürlich auch auf Hamburg aus.

Das bedeutet, dass wir heute die Fragen stellen müssen, was uns diese Entwicklung auch für Hamburg bringen wird. Wie sieht ein seniorenfreundliches Hamburg aus? Wie können wir Altersarmut verhindern? Wer pflegt die alten Menschen, wenn die jungen Menschen weniger werden? Wie können wir das Zusammenleben der Generationen nicht nur verträglich, sondern vielleicht sogar sinnvoller gestalten als bisher?

Doch wir stellen nicht nur Fragen, sondern geben auch Antworten, auch in diesem Haushaltsplan. Es gibt 159 Millionen Euro jährlich für Hilfen zur Pflege. Wir richten Pflegestützpunkte ein, wir haben die Heimaufsicht verstärkt. Wir arbeiten an einem

modernen Hamburger Einrichtungsgesetz für mehr Mitbestimmung und Verbraucherschutz.

Aber wir werden auch Chancen durch den demografischen Wandel haben, denn wir werden mehr Arbeitskräfte im Sozial- und Gesundheitswesen brauchen. Schon heute sind in Hamburg mehr Menschen beschäftigt als je zuvor.

Es geht bei den Älteren aber nicht nur darum, die Versorgung zu sichern, sondern es geht auch um Zuwendung, um Dazugehörigkeit und Sich-einbringen-Können. Viele Ältere engagieren sich bereits ehrenamtlich, auch im sozialen Bereich. Aber auch hier hat die Koalitionsvereinbarung einen neuen Schwerpunkt gesetzt. Wir haben erstmals einen Haushaltstitel eingerichtet und 250 000 Euro zur Förderung des freiwilligen Engagements veranschlagt, um die neuen generationsübergreifenden Freiwilligendienste mit innovativen Formen bürgerschaftlichen Engagements zu fördern; ebenfalls ein wichtiger Paradigmenwechsel.

(Beifall bei der GAL)

Ehrenamt, Zivilgesellschaft, Nachbarschaftshilfe, Wahlfamilie, all das wird nach meiner Überzeugung im Sozialstaat der Zukunft eine wachsende Rolle spielen. Es wird trotzdem natürlich nicht ohne die Träger der sozialen Hilfen gehen. Ich möchte ausdrücklich die Verbände wie Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt einladen, mit uns zusammen partnerschaftlich mit Politik und Senat zusammenzuarbeiten und die Projekte zu gestalten. Wir haben dafür immer ein offenes Ohr. Wir erreichen so mehr, als wenn jede Institution für sich kämpft.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ich glaube, dass unser Zug, unser Gemeinwesen seinen Weg zuversichtlich fortsetzen kann. Natürlich kann keiner voraussehen, wie sich die Wirtschaftskrise letztendlich auch auf unsere heimischen Unternehmen auswirken wird, quasi unsere Lokomotive beeinträchtigen wird. Letztlich wird auch der Haushalt der Sozialbehörde davon beeinflusst werden, wie sich die Zahl der Arbeitslosen entwickelt, auch wenn das nicht in einem solchen Ausmaß ist, Herr Joithe, wie Sie sagten. Das kann ich Ihnen aber gerne später erläutern.

Ich glaube, dass wir es mit den Konjunkturprogrammen schaffen werden, dass sich möglichst bald die dunklen Wolken verziehen und die wirtschaftliche Erholung sichtbar wird. Ich begreife meine Aufgabe als Senator für Soziales, dafür zu sorgen, dass jeder, der in dieser Stadt lebt, dies unter würdigen und vernünftigen Umständen tun kann.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das gilt für Menschen, die mehr oder weniger begütert sind, für Kranke, Gesunde, Behinderte, Migranten, für alle Gruppen muss und soll in dieser

(Senator Dietrich Wersich)

Stadt Platz sein, nicht nebeneinander, sondern miteinander.

Mit diesem Ziel haben wir den Haushalt aufgestellt, mit finanzieller Weitsicht und sozialpolitischer Klarsicht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Kienscherf.