Protokoll der Sitzung vom 28.05.2008

Ich habe auch gelesen, dass Sie in Ihrer Fraktion Fachsprecher für einzelne Politikfelder benannt haben. Herr Schira, ich hatte den Eindruck, dabei war nicht entscheidend, wer wirklich der Beste ist, sondern wer am Glaubwürdigsten seine Überzeugungen verstecken kann. Das lässt mich jedenfalls für die Oppositionsarbeit auf Großes hoffen.

(Beifall bei der SPD – Frank Schira CDU: Na, wollen wir mal sehen!)

Die CDU – Herr Heinemann, ich nehme Sie da ausdrücklich aus, ich will Ihnen nicht ständig damit schaden, dass ich Sie nenne, damit Sie keinen Nachteil haben, aber in dem Fall muss ich Sie ausnehmen – muss einmal an dieser Stelle erklären, wieso sie den von der Enquete-Kommission erarbeiteten Weg eines breiten Konsenses verlassen hat. Wir haben diskutiert, wie wir die Benachteili

gung nach sozialer Herkunft und die viel zu große Zahl der Risikoschüler in unserem Schulsystem reduzieren können. Wir haben uns auf sehr konkrete Schritte geeinigt. Da haben sich alle bewegt, das fiel auch uns nicht leicht. Doch nun tun CDU und GAL genau das Gegenteil dessen, was dort erarbeitet worden ist.

(Zurufe von der GAL: Das ist doch Quatsch!)

Längeres gemeinsames Lernen ist gut, aber Ihr fauler Kompromiss ist nicht längeres gemeinsames Lernen, sondern noch frühere Selektion. Was lernen wir daraus? Wenn gegensätzliche politische Ideologien einen Kompromiss um der Macht willen erzwingen, dann ist das Ergebnis schlichtweg Murks.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen, Christa Goetsch, warten wir alle auf den Krisengipfel für das G-8-Gymnasium.

(Wilfried Buss SPD: Richtig!)

In eurem Koalitionsvertrag steht, dass die Gymnasien bei der Gestaltung des verkürzten Bildungsgangs wirksam unterstützt würden. Jetzt warten aber die Schulleiterinnen und Schulleiter, die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer und vor allem die Kinder darauf, was dort wirklich passiert, denn wir haben die Umsetzung des achtjährigen Gymnasiums, die Abschaffung der Grund- und Leistungskurse in der Oberstufe, die Schaffung neuer Stadtteilschulen, ein völlig neues und letztlich mindestens drei- bis viergliedriges Schulsystem. Das sind alles Bälle, die im laufenden Betrieb in der Luft gehalten werden und das Schlimmste ist, dass das alles mit dem Schicksal der Zukunft unserer Kinder geschieht.

(Beifall bei der SPD)

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten halte ich deshalb fest: Längeres gemeinsames Lernen bleibt trotz dieses faulen schwarz-grünen Kompromisses das richtige Ziel. Unsere Schulen brauchen Reformen, aber Kinder, Eltern und Lehrer brauchen auch und vor allem Sicherheit, Berechenbarkeit, Klarheit und Zeit. Darum hätte man sich in den nächsten Jahren auf die erfolgreiche Einführung der neuen Stadtteilschule konzentrieren müssen. Bildungspolitik darf sich nicht im Quartalsrhythmus ändern.

Deshalb die klare Ansage: Wir werden als Sozialdemokraten nicht tatenlos auf das Scheitern Ihrer Bildungspolitik warten. Wir werden ganz konkret für Verbesserungen kämpfen, wir werden mit guten Argumenten und Vorschlägen, mit parlamentarischem, aber vielleicht auch öffentlichem Druck bereits vor 2012 Verbesserungen durchsetzen

(Wolfgang Beuß CDU: Keine Drohungen!)

für besseren Unterricht – darüber steht übrigens nichts im Koalitionsvertrag –, gegen die frühe Se

lektion, für das Recht der Eltern und für größere Chancengerechtigkeit im Hamburger Schulsystem, denn nur so werden wir langfristig die soziale Spaltung unserer Stadt wirksam bekämpfen können.

(Beifall bei der SPD)

Obwohl die soziale Spaltung in unserer Stadt immer augenfälliger wird, setzt diese Koalition dieses Thema nicht oben auf die Agenda. Ihr schwarzgrüner Vertrag zeigt, dass das Ringen um Chancen für alle nicht im Mittelpunkt Ihrer Politik stehen wird. Kinder aus sozial schwachen Familien werden auch künftig keinen Ganztagskitaplatz bekommen, obwohl wir ganz genau wissen, dass davon abhängen kann, ob es gelingt, den Kreislauf aus Bildungsarmut und Arbeitslosigkeit in Familien endlich zu durchbrechen.

Kinder werden auch künftig kein Mittagessen bekommen, wenn ihre Eltern das Geld dafür nicht aufbringen können. Das ist beschämend für eine reiche Stadt wie Hamburg.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Sie behaupten immer gerne, auch aufgrund ihrer nächtlichen Exkursionen mit Baseballcap und Dienstwagen, Herr von Beust, es gebe keine Spaltung in unserer Stadt. Unsere Stadt ist aber gespalten und die Schullandschaft spiegelt das wider.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das Einzige, was gespalten ist, ist Ihre Fraktion!)

Ich fürchte, die schwarz-grüne Schulpolitik zementiert das. Nicht die Hälfte, sondern vier Fünftel aller Schüler ohne jeden Schulabschluss leben in der einen sozialen Hälfte unserer Stadt und der wirtschaftliche Aufschwung der letzten beiden Jahre erreichte nicht viele. Bildung war, ist und bleibt der Schlüssel für Chancengerechtigkeit und sozialen Aufstieg. Daher war die Einführung von Gebühren für den Besuch der Vorschule grundfalsch.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Die Gebühren für Schulbücher, für das Mittagessen in der Kita und auch für das Studium bleiben grundfalsch.

(Beifall bei der SPD)

Statt diese eklatanten Mängel in Angriff zu nehmen, verzetteln sich GAL und CDU in Strukturexperimenten. Bildung beginnt aber nicht erst in der Schule. Die frühkindliche und vorschulische Bildung muss gestärkt werden. Neben der Bereitstellung ausreichend vieler und aus unserer Sicht gebührenfreier Betreuungsplätze ist die Qualität der Kinderbetreuung entscheidend. Unsere Kitas müssen endlich in die Lage versetzt werden, dass Kinder in Kindergärten, Krippe und Hort gut betreut und erzogen werden, geborgen sind, Zuneigung

erfahren, interessante Dinge erleben und erfahren. Diesen Anspruch muss Kinderbetreuung in Hamburg erfüllen und das sehe ich bei Ihrem Politikansatz nirgendwo.

(Beifall bei der SPD)

Arbeitslosigkeit, Armut und die damit verbundenen sozialen und auch innenpolitischen Probleme konzentrieren sich in den benachteiligten Stadtteilen unserer Stadt. Wer kann, kehrt deshalb den betroffenen Quartieren oftmals den Rücken. In Nienstedten, Othmarschen, Lemsahl-Mellingstedt oder Wohldorf-Ohlstedt zahlen zwei Drittel der Eltern den Höchstbetrag der Kita, in anderen Stadtteilen sind es unter 2 Prozent. Hier sind die Mittelstandsfamilien und ihre Kinder praktisch nicht mehr vorhanden. Dies führt dazu, dass sich die dortige soziale Situation weiter verschärft. Um diese Stadtteile zu stabilisieren, müssten den Menschen aber Perspektiven geboten werden. Das Problem der sozialen Spaltung ist deshalb aus unserer Sicht von zwei zentralen Seiten wirksam zu bekämpfen. Wir müssen erstens über bessere Bildung den sozialen Aufstiegswillen wecken und Aufstiegschancen bieten und wir müssen zweitens – ich meine nicht sinnlose Beschäftigung, sondern wirklich Arbeit – sinnvolle Erwerbsarbeit und darüber gesellschaftliche Teilhabe bieten. Ihr Programm der Verzahnung von sozialer Stadtteilentwicklung und Arbeitsmarktpolitik verspricht dazu zwar Vieles, wir werden Sie aber an der Ergebnissen messen müssen – messen daran, was Sie endlich gegen das himmelschreiende Unrecht tun, dass Zehntausende von Menschen in unserer Stadt jede Woche 40 Stunden und mehr arbeiten und trotzdem nicht in der Lage sind, von ihrem Geld ihre Familie ordentlich über die Runden zu bringen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Treten Sie mit uns gemeinsam für den Mindestlohn ein. Oder wollen Sie weiterhin, dass skrupellose Arbeitgeber zulasten unserer Steuer- und Sozialkassen Menschen zu Hungerlöhnen beschäftigen? Streiten Sie mit uns gemeinsam für den Mindestlohn und dafür, dass anständige Arbeit in unserem Land endlich anständig bezahlt wird.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Wolf- gang Beuß CDU: Das ist doch kein Hambur- ger Thema!)

Natürlich ist das Problem der sozialen Spaltung unserer Stadt gewiss nicht allein in den letzten sechs oder sieben Jahren entstanden, aber es hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Die CDU und Herr von Beust bestreiten oftmals noch immer diese sichtbare Entwicklung. Selbst Herr Peiner, der Vater des Konzeptes der Wachsenden Stadt, hat eingeräumt, dass das Soziale in der Wachsenden Stadt zu kurz gekommen sei. Offensichtlich führt eine Mischung von Wachsender Stadt und Kreativer Stadt eben nicht zu einer ge

rechteren und sozialen Politik. Man hat zum Teil den Eindruck, dass es zum Gegenteil führt. Das ist fatal. Denn nicht das Leugnen der Probleme, sondern das Handeln und Angehen der Probleme ist nötig.

Verbesserungen für die Menschen erfordern dabei einen langen Atem und eine klare Orientierung. Die haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns mit dem Leitbild der Menschlichen Metropole gegeben. Dabei hat Abraham Lincoln einmal gesagt,

(Frank Schira CDU: Oh Gott!)

ich zitiere:

"Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem Ihr die Starken schwächt. [Und] Ihr werdet [mit] Sicherheit in Schwierigkeiten kommen, wenn Ihr mehr ausgebt, als Ihr verdient."

Zitat Ende.

Auch in dieser Einsicht unterscheiden wir Sozialdemokraten uns von der anderen Opposition in diesem Haus. Wir Sozialdemokraten werden uns nicht auf den Wettlauf einlassen, wer mehr Lehrerstellen oder mehr Betriebsprüfer oder höhere Regelsätze für Transferzahlungen fordert. Wir wollen die Potenziale unserer Stadt fördern und nutzen, um Wohlstand für alle zu schaffen. Denn nur eine ökonomisch erfolgreiche Stadt wird auch eine soziale Stadt sein. Denn nur wirtschaftlicher Erfolg schafft Arbeitsplätze, führt zu Steueraufkommen, finanziert Zukunftsinvestitionen, Sicherheit, Bildung, Lebensqualität und auch Hilfe für die, die sie brauchen.

Eine moderne Technologie und wissensbasierte Wirtschaftsstruktur braucht eine auf sozialen Ausgleich angelegte Gesellschaft, stabile Familien, beste Bildung, Mitbestimmung und das Vertrauen in die eigene Stärke unserer Stadt. All diese Elemente bedingen einander und eine gute Politik für Hamburg baut eine Brücke zwischen diesen Elementen. Die Vernachlässigung des Erfolgsfaktors sozialer Fortschritt gefährdet das Erfolgsmodell Hamburg. Ich sage aber auch ganz deutlich: Zügellose Enteignungs- oder Verstaatlichungsfantasien, verbohrte Reformunwilligkeit oder populistische Versprechungen höherer Transferzahlungen legen aus meiner Sicht nicht die Axt an die Wurzel des Problems, sondern langfristig legt dies die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands. Damit, sehr geehrte Frau Heyenn, lege ich an die Arbeit Ihrer Fraktion den gleichen Maßstab an wie an die eines schwarz-grünen Senats. Wir werden das, was gut und machbar ist, unterstützen und gut nennen.

(Wolfgang Beuß CDU: Auf gute Zusammen- arbeit!)

Wir werden aber auch das, was nur gut gemeint aber nicht machbar ist, glasklar als falsch bezeichnen.

(Beifall bei der SPD – Frank Schira CDU: Das glaubt Ihnen kein Mensch!)

Nun zu einem weiteren Schwachpunkt im Koalitionsvertrag. Es ist der nichtssagende Formelkompromiss zum von Vattenfall und Senat geplanten Steinkohlekraftwerk in Moorburg. Wochenlang wird über Moorburg verhandelt und heraus kommt die Weisheit – der Bürgermeister hat es fehlerfrei vorgelesen –, dass die Behörde rechtlich über die Genehmigung entscheidet. Hier wird die Öffentlichkeit aus meiner Sicht auch weiter an der Nase herumgeführt. Ich fordere den Senat, Herrn von Beust, die Senatorin, Frau Hajduk, und Sie, Herrn Maaß, auf: Machen Sie Schluss mit der Geheimpolitik in Moorburg, legen Sie die Karten auf den Tisch. Meine Fraktion wird aufgrund der Undurchsichtigkeiten des Genehmigungsverfahrens zum Kraftwerk Moorburg erneut die Aktenvorlage beantragen. Der CDU-Senat hatte uns damals die Akteneinsicht mit dem Hinweis "Staatsgeheimnis" verweigert. Der damalige GAL-Abgeordnete und jetzt zuständige Staatsrat Maaß sagte dazu hier an dieser Stelle am 7. Februar – Zitat:

"Neu ist jetzt, dass wir nicht nur über ein, wie ich finde, sehr falsches und klimapolitisch skandalöses Kraftwerk sprechen, sondern dass sich dazu auch noch ein einigermaßen skandalöses Verfahren gesellt hat, in dem der Senat der Bürgerschaft die verfassungsmäßigen Rechte verwehrt, nämlich unser Recht, den Senat zu kontrollieren, und das ist ein ziemlich gravierender Vorgang."

Zitat Ende.

(Beifall bei der SPD und bei Antje Möller und Jens Kerstan, beide GAL)

Das ist gut. Ich sehe, es gibt noch ein Bisschen bei Euch. Das finde ich gut.

Er nannte die Begründung des Senators schlichtweg anmaßend verwegen. Frau Hajduk, es ist relativ einfach. Wir geben Ihnen jetzt die Chance es besser zu machen als der CDU-Senat. Christian Maaß hat das alles, wie es seine eigene Art ist, schon damals in der Opposition rechtlich geprüft. Von daher gehe ich davon aus, dass wir die Akten dann in Kürze von Ihnen geliefert bekommen.