Protokoll der Sitzung vom 10.11.2010

Was macht Hamburg? Trotz anders zusammengesetzter Koalition wird kein Wort über diese Ungerechtigkeiten verloren. In seinem Bericht zum Bundesrat stellt der Senat nur lapidar fest, es seien Entlastungen bei den Leistungen für Arbeitsuchende vorgesehen und es gäbe auch Elterngeld. Kein Wort über die ungerechte Kürzungspolitik des Bun

(Senator Ian Karan)

des, kein Wort dazu, was dies langfristig für Hamburg bedeutet. Es regiert ein Senat, der sich wenig mutig – das zutreffende Wort darf ich hier nicht sagen – wegdrückt und die Folgen für die eigene Politik nicht bedenkt, weder den Fachkräftemangel noch die Gefährdung des sozialen Friedens in der Stadt.

Ist denn Hamburg im Konzert der Bundesländer so kleinlaut, dass nicht einmal ein kritisches Wort, geschweige denn eine kraftvolle Gegenwehr erlaubt ist? Wo werden denn noch die Interessen Hamburgs vertreten?

(Beifall bei der SPD)

Seit Wochen nun verhandelt die Arbeitsverwaltung, also team.arbeit.hamburg, in seiner Trägerversammlung, aber auch gemeinsam mit den unterschiedlichen Akteuren aus der sogenannten Szene der Bildungs- und Arbeitsmarktträger und mit den Koalitionsvertretern darüber, wie diese Misere am besten zu verkraften ist. Mehr Kürzungen bei den erfolgreicheren, aber teureren Bildungsmaßnahmen oder doch eher bei den günstigeren Arbeitsgelegenheiten? Diese hat man sich nun zuerst ausgesucht, denn sie werden kurzfristiger vergeben und können auch kurzfristiger gestrichen werden. Dies sollte aber nach Willen der ARGE zu einer völlig unverhältnismäßigen Kürzung in diesem Bereich führen. Nun würde Herr Joithe-von Krosigk sagen: Gut so, Hartz-IV gehört abgeschafft und die Arbeitsgelegenheiten allemal.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Der redet gleich noch!)

Aber die Koalition hat sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag zu der Sinnhaftigkeit von Arbeitsgelegenheiten bekannt und auch den Wert für die Quartiersarbeit betont und – ich will keine Zahlen nennen, weil dieses Ziel eh' nicht erreicht wird – eine sehr hohe Anzahl von Arbeitsgelegenheiten bei der Quartiersarbeit benannt. Daher hat auch die Koalition erst einmal mit der ARGE gerungen, aber letzte Woche leider auch nicht viel erreicht. Zwar fällt im ersten Schritt die Kürzung der sogenannten Ein-Euro-Jobs geringer aus, doch soll schon nach einem halben Jahr in einem Ausschreibungsverfahren die volle Wucht der Sparbeschlüsse durchschlagen und eine verstärkte Kürzung stattfinden. Diese bringt aber nicht nur quantitative Einbußen mit sich – die Arbeitsgelegenheiten werden von 9 000 auf 6 000 gekürzt –, sondern es wird auch qualitativ erheblich an der Schraube gedreht. Qualifizierungen während laufender Arbeitsgelegenheitsprozesse finden nicht mehr statt und Prämien für die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt sollen entfallen. Wie aber soll ein Träger noch das Interesse haben, seine Klienten in einen festen Arbeitsplatz zu vermitteln? Warum soll er seine eigene Maßnahme, die ihm Geld bringt, wenn diese Prämien entfallen, verkürzen? Dies ist eine völlig kurzsichtige und orientierungslose Politik.

(Beifall bei der SPD)

Es gilt vielmehr, sich nicht länger in die Tasche zu lügen. Seit Antritt der CDU im Senat und nicht erst seit den Hartz-Reformen im Jahr 2005 finden massive Einsparungen im Arbeitsmarktbereich in Hamburg statt. Von den 100 Millionen Euro im Etat der Arbeitsmarktpolitik im Jahr 2001 sind im Jahr 2010 noch 38 Millionen Euro übrig geblieben. Darin enthalten ist auch noch der Verwaltungsanteil für die ARGE in Höhe von 8,5 Millionen Euro, den es im Jahr 2001 überhaupt noch nicht gab. Das bedeutet eine Kürzung von fast zwei Dritteln.

Hätten wir hingegen die Verantwortlichkeit für den Arbeitsmarkt und die dahinterstehende Sozialpolitik beibehalten, hätten wir heute nicht das Dilemma, dass Strukturen in den Stadtteilen nicht nur gefährdet sind, sondern unweigerlich zusammenbrechen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Künftig fast keine Koop-Stellen mehr. Was sich hinter dieser Ansage verbirgt, ist die Gefährdung so wichtiger Projekte wie Schulkantinen, Obdachlosenbetreuung, Stadtteilversorgung mit Anlaufstellen für Versorgung und Beratung und vieles mehr. Allein im Stadtteil Jenfeld werden vier Schulkantinen mit Essen versorgt, das fast ausschließlich unter Mithilfe von Ein-Euro-Kräften hergestellt wird, die nicht weiterhin bewilligt werden sollen. Das CAFÉE mit Herz in Sankt Pauli ist eine bundesweit einmalige Einrichtung, in der Obdachlose Frühstück und eine warme Mahlzeit erhalten, aber auch anderweitige Angebote nutzen können. Ohne AGHs steht es vor dem Aus.

Sehr geehrte Damen und Herren der Koalition! Sie haben in der Vergangenheit allein darauf gebaut, dass der Bund diese Verknüpfung von Arbeitsmarkt und Sozialpolitik finanziert. Aber selbst bei den sogenannten flankierenden Beratungsmaßnahmen, die eindeutig kommunal zu finanzieren sind, ist Hamburg sehr sparsam geblieben. Am besten, der Bund zahlt alles. Jetzt, wo er nicht mehr zahlen will, ist die Misere groß.

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

Es zeigt sich, dass keine eigenständige Strategie entwickelt wurde, wie in Hamburg die große soziale Herausforderung bewältigt werden soll, wie diejenigen Menschen, die sehr arbeitsmarktfern sind, mit einer verlässlichen Aufgabe ihren Platz in unserer Gesellschaft finden können und wie die staatlich unterfinanzierten Bereiche in den Stadtteilen weiter existieren können, wenn die Finanzierung über Arbeitsmarktmittel nicht mehr funktioniert.

Dies alles kann die Koalition bisher nicht beantworten. Hamburg braucht aber diese Antworten. Wir

haben unseren Antrag gestellt, damit Sie Ihrer Verantwortung gerecht werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Stemmann.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir mit der SPD auf einmal wieder einen so engagierten Mitstreiter bei der Arbeitsmarktpolitik haben. Das war in der jüngsten Vergangenheit nicht immer der Fall. Um ehrlich zu sein, so ein Engagement hätte ich mir schon vor einigen Wochen und Monaten bei der Entscheidung über Hamburg als Optionskommune gewünscht,

(Andy Grote SPD: Das haben Sie doch ver- pennt!)

von der wir uns versprochen hatten, stärkeren Einfluss auf die Arbeitsmarktpolitik in Hamburg zu bekommen.

(Beifall bei der CDU)

Das wäre aber nur gegangen, wenn wir in der Bürgerschaft eine Zweidrittelmehrheit hätten erreichen können. Aber da, liebe SPD, haben Sie nicht mitgespielt und Hamburg arbeitsmarktpolitisch im Regen stehen lassen. Das ist ein Verhalten, das ich nicht gerade für verantwortlich halte. Typisch SPD: Wenn es um Entscheidungen geht, kneifen sie, aber wenn es um Fordern geht, sind sie ganz vorne mit dabei. Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus. Wir handeln erst und reden dann.

Darum haben wir auch, liebe Frau Badde, als Sie diesen Antrag der SPD formuliert haben,

(Zurufe von der SPD)

als Koalition schon längst zusammengesessen und sind tätig geworden, um Lösungen zu erarbeiten. Dazu hat Senator Karan mit seiner faktischen Eröffnung dieses Debattenpunktes bereits einiges gesagt. Wir haben tatsächlich, wie Frau Badde eben ausführte, in Gesprächen mit der Arbeitsagentur, mit team.arbeit.hamburg, mit den Behörden und den Trägern ein vernünftiges Ergebnis erarbeitet. Fakt ist, dass die Mittel für die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen seitens des Bundes von rund 187 Millionen auf 131 Millionen herabgesetzt werden. Daran sind aber weder der Senat noch die BWA oder die team.arbeit.hamburg schuld und schon gar nicht die schwarz-grüne Fraktion hier in Hamburg.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Schwarz- grüne Fraktion – das wird ja immer schöner!)

Diese Vorwürfe werden doch gemacht.

Wir werden die Arbeitsmarktpolitik auf der Grundlage dieser Absenkung neu ausrichten, und zwar im Einvernehmen mit unserem Koalitionspartner und entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrages. Fakt ist, dass die Sparvorgaben nicht nur einzelne, sondern alle Maßnahmen treffen werden. Den Regierungsfraktionen ist in diesem Zusammenhang aber sehr daran gelegen, dass einerseits Maßnahmen mit vergleichsweise hohen Integrations- und Erfolgsquoten wie das Hamburger Modell oder die arbeitsplatznahen Fort- und Weiterbildungen ausreichend finanziert sind und dass andererseits bei den Arbeitsgelegenheiten, den Ein-EuroJobs, nur unterproportional gekürzt wird.

Lesen Sie sich den Koalitionsvertrag einmal genau durch, Frau Badde, Sie haben es eben nicht zitieren wollen,

(Elke Badde SPD: Der ist nicht sehr lang!)

dann werden Sie sehen, dass wir an unseren Vereinbarungen festhalten. Im Bereich der Arbeitsgelegenheiten wird es im ersten Halbjahr einen durchschnittlichen Bestand von 7250 Stellen geben. Mit 2700 Stellen wird eine besondere Betonung auf die stadtteilbezogenen Projekte gelegt; im zweiten Halbjahr steigt diese Zahl noch einmal um 300 Stellen.

Wir haben uns auch über die Umsetzung in der Übergangsphase geeinigt. Alle Teilnehmer der bis zum 31. Dezember dieses Jahres bewilligten Maßnahmen können bis zum Ende ihrer persönlichen Höchstdauer auf den bisherigen Stellen verbleiben. Aber auch junge Leute lassen wir nicht im Regen stehen. Mit 1500 U25-Stellen halten wir den jetzigen Stand der besetzten Stellen stabil. Wir verfolgen damit weiterhin das vorrangige Ziel, arbeitslose Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und sie von Transferleistungen unabhängig zu machen. Wir setzen auf langfristige Maßnahmen, zum Beispiel in der Berufs- und Weiterbildung, und wir setzen die stadtteilorientierten Maßnahmen vertragsgemäß um.

Wir halten viel von Qualifizierungsmaßnahmen. Sie sind für ALG-II-Empfänger sehr wichtig, da mehr als die Hälfte der Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II über keinen Berufs- oder Schulabschluss verfügen. Aber nicht für jeden Arbeitslosen ist eine Qualifizierung das geeignete Instrument. Viele Arbeitslose müssen den Arbeits- und Lernalltag erst wieder üben und benötigen vorrangig Unterstützung zum Beispiel bei der Bewältigung psycho-sozialer Probleme. Hier soll in Zukunft nachgesteuert und gezielter ausgewählt werden, für welche Personen welche Maßnahmen am erfolgversprechendsten sind.

Meine Damen und Herren! Eine verlässliche Politik erfordert klare Zahlen und Daten. Diese liegen uns seitens des Bundes aber noch nicht endgültig vor. Erst mit Feststehen der zur Verfügung stehenden

(Elke Badde)

Bundesmittel kann die Maßnahmenplanung erstellt werden. Um aber den Trägern und Betroffenen so früh wie möglich Planungssicherheit zu verschaffen, haben wir die eben genannten Vereinbarungen getroffen. Und wir gewinnen dadurch Zeit, die Bundeskürzungen mit allen Beteiligten im Dialog zu einem sinnvollen Konzept zu verarbeiten, auch um zum Beispiel darüber zu sprechen, wie weitere Finanzierungsquellen für so wichtige Projekte wie die Schulküchen zu finden sind.

Erste Vorgespräche haben stattgefunden, für die nächsten Runden finden derzeit die Terminierungen statt. Mehr und genauer kann uns dann im Rahmen des jährlichen Durchführungsberichts zum SGB II, der der Bürgerschaft zugeleitet wird, Auskunft gegeben werden. Selbstverständlich werden wir Sie und alle Beteiligten über unsere weiteren Gesprächsergebnisse zur Arbeitsmarktpolitik informieren. Alles in allem ist Ihr Antrag daher abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker GAL)

Das Wort bekommt Frau Möller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Badde, ich teile inhaltlich – das wissen Sie aber auch – voll und ganz Ihre Einschätzung, dass die Entscheidungen, die jetzt auf Bundesebene getroffen worden sind, einerseits bezüglich des Regelsatzes, des ganzen Themas Hartz IV, aber auch in den arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen, sozialpolitisch völlig blind sind. Sie kümmern sich nicht um die langfristigen Auswirkungen.

(Glocke)

Entschuldigen Sie bitte, Frau Möller!

Meine Damen und Herren! Wir hatten eine Vereinbarung, dass wir das Parlament nicht stören durch Unterhaltung auf der Senatsbank. – Vielen Dank.

Frau Möller, Sie haben das Wort.

Ich teile auch die Einschätzung, dass wir auf Länderebene diese Kürzungen ausbaden müssen. Allerdings ist die Situation, in der wir uns jetzt befinden, nicht vom Himmel gefallen. Die Grünen müssen sich zum Beispiel auf Bundesebene sagen lassen, dass sie an der Entwicklung des ganzen Hartz-IV-Modells beteiligt waren. Die SPD aber muss sich sagen lassen, dass der damalige Arbeitsminister und jetzige Parteivorsitzende hier in Hamburg sehr viel an Vorlage zu der jetzigen Entwicklung der Arbeitsmarktförderung geleistet hat. Insofern können wir eigentlich nur alle gemeinsam dieses Problem lösen.

Man merkt wieder einmal, dass dieses Thema in der parlamentarischen Debatte nicht wirklich ein Renner ist. Es ist aber entscheidend, dass wir uns politisch damit auseinandersetzen. Da vermisse ich dann aber auch Ihre Lösungsvorschläge, Frau Badde.

Sie haben während der letzten zweieinhalb Jahre ständig kritisiert, dass wir im Koalitionsvertrag ein Umsteuern von einem Drittel der Arbeitsmarktmittel in die Quartiere vereinbart haben. Wir haben immer wieder inhaltlich begründet, warum wir das für notwendig halten. Jetzt scheint es so, als wenn Sie plötzlich an unserer Seite stehen und sagen, da gehen doch wertvolle und wichtige Projekte für die Quartiere zugrunde, wenn so massiv in den Eingliederungstitel und vor allem in den Titel für die Arbeitsgelegenheiten eingegriffen wird. Ich finde das etwas verwunderlich, aber begrüße das inhaltlich natürlich. Dann muss man sich aber auch die Frage stellen, wer denn eigentlich so massiv gerade in diesen Teil des Eingliederungstitels eingreifen will. Das ist eben nicht die ARGE, sondern es ist vor allem die BA, also wieder die Bundesebene, die hier ganz deutlich Zahlen vorgegeben hat, die auf dem hamburgischen Arbeitsmarkt tatsächlich äußerst zerstörerische Auswirkungen gehabt hätten. Diesen Effekt haben wir – Herr Stemmann hat das eben schon berichtet – verhindert. Uns allen – und Sie werden nicht darum herumkommen, sich zu beteiligen – obliegt die Aufgabe, uns den Hamburger Arbeitsmarkt mit seinen verschiedenen Maßnahmen, mit den verschiedenen Effekten der Maßnahmen, aber vor allem auch mit den verschiedenen Projekten, die dadurch finanziert werden, anzusehen und gemeinsam Lösungen zu finden, um dem langfristigen Konzept der Bundesagentur für Arbeit, das ein noch viel weiteres Absenken vor allem der AGHs, aber auch anderer Maßnahmen, die von Ihnen begrüßt worden sind, vorsieht, etwas entgegenzusetzen. Das bleibt schlicht und einfach unsere Aufgabe in Hamburg. Sie tragen aber nichts zur Lösung dieser Aufgabe bei, wenn Sie quasi eine Große Anfrage stellen, nämlich insgesamt fünf Fragen zu einem Antrag zusammenfassen, ohne dass Sie mit einem politischen Impuls oder von mir aus auch mit einem Auftrag an den Senat kommen, wie er denn der Situation etwas entgegensetzen soll. Ich vermisse den politischen Gegenvorschlag der SPD. Sie haben schlicht und einfach Fragen gestellt, auf die Sie auch in einer Großen oder vielleicht sogar in einer Kleinen Anfrage Antworten bekommen könnten; dafür brauchen wir keinen Antrag.

Was mich freut, ist die plötzliche Unterstützung für die Projekte und Maßnahmen in den Quartieren. Herr Stemmann hat schon gesagt, dass wir die Zahl, die im Koalitionsvertrag steht, nämlich 3000 AGHs im Sommer, dann zumindest auf dem Papier haben werden; Sie wissen auch, dass es