Der Senat duckt sich lieber weg und verweist auf einen Sozialbericht, in dem er behauptet, dass der Lebensstandard in Hamburg wachse und dass das Armutsgefährdungsrisiko weitgehend unverändert bleibe. Nach diesen Zahlen kann man eigentlich sehr deutlich sagen, dass alle Aussagen im Sozialbericht 2014 nicht zutreffen.
Ich frage mich, von welchem wachsenden Lebensstandard der Senat spricht. Immer mehr Leistungen müssen von Einzelnen getragen werden wie Zusatzversicherungen für die Rente und die Gesundheit, Brillen und Zähne müssen selbst bezahlt werden, steigende Mieten und Betriebskosten, stetig kletternde Preise für den öffentlichen Nahverkehr. Das sind lauter Faktoren, die Familien, Kinder, Alleinerziehende stark belasten und die Armut in der Stadt steigen lassen. Weil die Stadt vor einem wachsenden Problem steht, haben wir eine Expertenanhörung im Sozialausschuss durchgeführt, und alle Expertinnen und Experten waren sich einig: Die Armut in der Stadt muss bekämpft werden, sie darf nicht weiterhin verwaltet werden.
Ich möchte noch einmal einzelne Maßnahmen der Expertinnen und Experten vortragen, die ich sehr wichtig fand. Die DGB-Vorsitzende kritisierte zu Recht die wachsenden atypischen Beschäftigungsverhältnisse. Sie forderte zum Beispiel mehr Entlastung für Alleinerziehende auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege forderte mehr Sozialwohnungsbau. Ich weiß, Sie werden gleich wieder sagen, dass Sie bauen, aber Sie wissen auch ganz genau, dass im Jahr 2013 zum Beispiel 11 000 Wohnungen aus der Bindung gefallen sind. Deshalb ist es wichtig – eine weitere Forderung der AGFW – die Mietpreisentwicklung zu bremsen. Deshalb fordern wir seit Längerem mehr städtischen Wohnungsbau, damit die Mietpreisentwicklung von der Stadt kontrolliert werden kann.
Der Landesseniorenbeirat, aber auch die AGFW und andere Expertinnen und Experten haben sehr deutlich gemacht, wie wichtig es ist, umfassende niedrigschwellige und unabhängige Beratungsangebote zu haben und sie weiter auszubauen, und wie wichtig es ist, die soziale Infrastruktur der Stadt zu stärken und sie nicht kaputtzuschlagen.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen der Expertinnen und Experten sind wirklich sehr wichtig, und wir haben diese Anhörung nicht gemacht, um das alles wieder zu vergessen oder es der Öffentlichkeit mitzuteilen. Diese Maßnahmen müssen auch umgesetzt werden. Nur leider sagte der Senat, dass dies nichts Neues für ihn wäre und er schon ausreichende Maßnahmen ergriffen habe, um die Armut in der Stadt zu bekämpfen. Aber allein mit Bildung und Berufsqualifikation, das kann man hier deutlich sehen, kann man die Armut in der Stadt nicht bekämpfen. Deshalb, nehmen Sie die vorgeschlagenen Maßnahmen ernst und versuchen Sie, sie umzusetzen. Fangen Sie mit der Armutsbekämpfung wirklich heute an, und ducken Sie sich nicht weiter weg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Bilanz des Sozialberichts, das muss man hier festhalten, ist eine schwarz-grüne. Was wir in dieser Legislaturperiode bewegt haben, steht in anderen Papieren.
Es gibt eine soziale Spaltung in Deutschland, das hat das Statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung vom 19. November 2014 detailliert dargestellt, und niemand bestreitet das. Im Gegenteil, diese Spaltung zu überwinden, ist unser Anliegen.
Es ist richtig, das Armutsrisiko ist in Hamburg höher als in anderen Bundesländern. Das stellt das Statistische Bundesamt fest, ohne zu sagen, dass alle Länder grundsätzlich vergleichbar wären.
Deswegen haben ich beim Statistischen Bundesamt nachgefragt, wie es eigentlich im Vergleich mit den Großstädten aussieht, da Großstädte andere Herausforderungen zu stemmen haben als Flächenländer. Dann bekommt man von den Datenbanken desselben Statistischen Bundesamtes eine ganz andere Auskunft. Dann liegt Hamburg nicht hinten, sondern weit vorn zwischen München, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf mit ähnlich niedrigem Armutsrisiko.
Wir machen Politik, um das natürlich noch weiter zu verbessern, und zwar jeden Tag – nicht nur reden, sondern auch handeln und sich nicht ausruhen. Dafür haben wir zum Beispiel den Landesmindestlohn eingeführt, als noch gar nicht abzusehen war, dass es einen bundesweiten Mindestlohn geben würde.
Da das Armutsrisiko eng mit der Bildung der Menschen verbunden ist, haben wir die Kitas beitragsfrei gestaltet, die ganztägige Betreuung an Schulen ausgebaut und die Stadtteilschule gestärkt, die es allen Kindern ermöglicht, zum Abitur zu kommen. Wir haben Jugendberufsagenturen eingeführt, und wir haben die Studiengebühren abgeschafft, die eine Hürde zur Uni darstellen. Das sind wichtige Beiträge zur Vermeidung von Armut im weiteren Lebenslauf.
Weil die Entwicklung der Mieten in Hamburg zum Armutsrisiko geworden ist, haben wir unsere Wohnungsbauoffensive gestartet,
damit alle Hamburgerinnen und Hamburger bezahlbaren Wohnraum finden können. Ich freue mich, wenn ich im "Hamburger Abendblatt" lese, dass in den ersten Stadtteilen die Mieten sinken. Da sehe ich, dass wir auf einem richtigen Weg sind.
Frau Özdemir, wenn Sie sagen, dass für den Senat die Armutsbekämpfung kein Thema sei, dann frage ich mich, wo Sie in den vergangenen dreieinhalb Jahren waren. Auch im Sozialausschuss haben wir das diverse Male ausführlich diskutiert. Wir werden diesen Weg weitergehen.
Wir werden auch die Sozialberichterstattung weiterentwickeln, damit sie künftig statt mit alten mit aktuellen Zahlen arbeiten kann und unsere Politik damit auch messbar wird. Das ist nämlich richtig für Hamburg.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mich hat ein bisschen gewundert, wie mit der Armutsstatistik umgegangen wird, denn das ist ein sehr schwieriges Feld. Deshalb doch noch einmal ein Blick dahin. Mit Armut wird viel Stimmung gemacht, und man muss doch einmal schauen, wie die Armutsschwelle definiert wird. Es geht um das sogenannte Einkommen in der Mitte der Gesellschaft, also 50 Prozent verdienen mehr, 50 Prozent verdienen weniger. Die Mitte ist der Median, und wer weniger hat, gilt als armutsgefährdet.
Kurz gesagt, wenn sich dieser Median verändert, die mittleren Einkommen steigen, aber die unteren Einkommen gleich bleiben, dann steigt die Armutsgefährdungsquote. Damit steigt aber nicht die Armut. Es werden hier kurze Schlüsse gezogen, und das wollte ich doch einmal richtigstellen. Das sagt übrigens das Statistische Bundesamt selbst und warnt deshalb vor diesen kurzfristigen Betrachtungen. Es sagt aber sehr wohl, dass man sich einmal die längerfristigen Entwicklungen anschauen solle. Die geben dann schon einen wichtigen Trend wieder. Das haben wir auch getan. Wenn Sie sich die Zahlen der Armutsgefährdung in Hamburg seit 2005 anschauen, dann ergibt das ein interessantes Bild. Im Jahr 2005 regierte der CDU-Senat und kontinuierlich sank in dieser Zeit die Armutsgefährdung in Hamburg, und zwar sowohl gemessen am Bundesmedian als auch am Landesmedian.
Selbst als die Finanzkrise schon griff, sank die Armutsgefährdung. Und 2010, also immer noch zur Zeit der Finanzkrise, das wissen Sie, war die Armutsgefährdungsquote auf 17,4 Prozent gesunken. Seitdem aber – und nun sind wir bei der SPD – ist die Armutsgefährdungsquote in Hamburg kontinuierlich gestiegen auf den neuen Höchststand von – ich will nichts Falsches sagen – 18,7 Prozent. Das kann man nicht wegdiskutieren, und hier muss man handeln.
Sie, Frau Bekeris, verweisen natürlich auf Bildung und Ausbildung, Kita und Maßnahmen beim Wohnungsbau; das ist auch alles richtig, aber das sind lauter Maßnahmen, die längerfristig wirken.
Dann wundert es uns schon, dass Sie die Lage der Menschen, die heute arm sind, nicht nur nicht verbessern, sondern an vielen Stellen seit Jahren verschlechtern. Armut ist nicht nur eine Frage des Einkommens. Sie geht oft einher mit Einsamkeit, Krankheit, Sucht und Perspektivlosigkeit. In Ham
burg gibt es viele Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, der Suchthilfe, der Obdachlosenberatung, die versuchen, genau diesen Menschen zu helfen. Die Stadt aber zahlt für diese Einrichtungen real immer weniger, und deshalb können diese Einrichtungen mittlerweile die Tarifsteigerungen nicht mehr voll gegenfinanzieren.