Aber die einzelnen Maßnahmen des Staates allein reichen nicht. Wir alle, alle Hamburgerinnen und Hamburger, müssen an der Stärkung der Zivilgesellschaft mitarbeiten und dem Rechtsextremismus entschieden entgegentreten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Haus hat über den Komplex NSU schon viele Debatten geführt, hitzige und aufgeregte Debatten, bei denen wir uns lange darüber gestritten haben, in welcher Phase der Aufarbeitung und in welcher Phase der Vorverurteilung wir uns eigentlich befinden. Meine Fraktion hat immer sehr deutlich gemacht, dass wir uns vor jeder Art von Vorverurteilung hüten müssen, wenn es darum geht, die Strukturen unseres Staates und unserer Sicherheitsorgane zu beurteilen. Wir brauchen das, was die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern gemacht haben, wir brauchen auch die Betrachtung dessen, was wir in
In der Tat, und da gebe ich Herrn Abaci vollkommen recht, haben wir bei all den Erkenntnissen auch übergreifend festzustellen, dass es individuelles Fehlverhalten und individuelle Fehleinschätzungen gegeben hat, die zu diesen erschreckenden Ergebnissen geführt haben, auch wenn wir immer wieder deutlich sagen müssen, dass dies alles aus der Betrachtung heraus geschieht, die wir heute ex post machen können. Es ist viel, viel schwieriger, bei alldem eine richtige Beurteilung zu finden, wenn man mitten in einer solchen Ermittlung steht. Nichtsdestotrotz haben wir festzustellen, dass Fehler gemacht worden sind. Die entscheidende Frage aber, die wir zu klären hatten, war doch vor allem, ob dies strukturelle Fehler waren. Wir haben bei all den Debatten, die wir geführt haben, mehr als einmal den zum Teil ausgesprochenen, zum Teil latent vorhandenen Vorwurf gehört, wir hätten rechtsradikale Strukturen in unseren Sicherheitsbehörden, die genau ein solches Verhalten begünstigen oder ermöglichen würden. Und das ist für mich genau die Frage, über die wir uns haben Gedanken machen müssen. Sind Strukturen so angelegt worden, dass genau ein solches Ergebnis herauskommen musste, dass nichts anderes passieren konnte, oder war es wirklich in diesem Fall das Fehlverhalten als Verkettung vieler subjektiver Fehleinschätzungen?
Und da ist, das sage ich ganz offen, für mich jetzt die Einschätzung, nachdem wir die PUAs in den Ländern und im Bundestag erlebt haben und nachdem wir uns hier mit einem sehr langen und sehr aufwendigen und, wie ich zugeben muss, zum Teil sehr kompliziert zu lesenden Bericht im Innenausschuss beschäftigt haben, sehr deutlich: Wir haben zu keinem einzigen Zeitpunkt Ansätze dafür gefunden, dass wir ein strukturelles Versagen der Sicherheitsbehörden in diesem Land haben. Das finde ich eine wichtige Erkenntnis, denn die Aufgabe, die wir als Parlament haben, ist nicht die Aufarbeitung eines einzelnen Falls. Dazu ist die Justiz berufen, und das tut sie zurzeit auf allen Ebenen, wo sie es kann. Unsere Aufgabe ist es festzustellen, wo die Strukturen nicht stimmen und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen. Es gibt in der Tat einige Maßnahmen, die auch in der Drucksache stehen, die der Senat beschlossen hat und die der Innenausschuss dann auch zur Kenntnis genommen hat, die richtig gut sind. Aber strukturelle Fehler, das sage ich noch einmal, oder gar der Vorwurf, dass in unseren Behörden bewusst ein solches Gedankengut gefördert wurde, hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben, weder in den PUAs in den Ländern noch hier in Hamburg. Und erst recht können wir für Hamburg sagen, dass wir nicht den geringsten Anlass haben, dies für unsere Sicherheitsbehörden anzunehmen.
Wir werden diesen Prozess weiterhin begleiten müssen; es gibt Dinge, die wir noch gemeinsam aufarbeiten müssen. Ich finde den Satz von Herrn Abaci, der die Stärke des Rechtsstaats noch einmal schön herausgestellt hat, sehr gut. Das war ein schöner Satz, Herr Abaci, der gefällt mir sehr gut. Wir sind in diesem Staat nicht fehlerlos, auch in einem Rechtsstaat passieren Fehler. Unsere Stärke erweist sich in dem Moment, wenn wir darangehen müssen, diese Fehler zu beseitigen, und zwar im Rahmen unseres Systems. Und ich finde die Art und Weise, wie dies ernsthaft, mit Zeit und mit Augenmaß in den letzten Monaten geschehen ist, sehr bemerkenswert. Und das, was wir gemeinsam an Konsequenzen daraus ziehen werden, was wir in der guten Diskussion im Innenausschuss gesehen haben, ist der richtige Weg. Das sollte auch Beispiel sein für viele andere Diskussionen über kritische Bereiche in diesem Lande. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Werte Kollegen, Herr van Vormizeele, natürlich gibt es strukturelles Versagen.
Natürlich gibt es strukturelles Versagen, wenn sich in dieser Republik nicht eine einzige Behörde, nicht ein Bundesland erfolgreich bei dieser Mordserie hervorgetan hat. Das kann man doch nicht alles Einzelversagen von Personen nennen, die mit den Fällen bei der Polizei oder beim Landesamt für Verfassungsschutz beschäftigt waren. Das hat etwas mit der Struktur zu tun, der Aufklärungsstruktur der Landeskriminalämter, aber auch mit der Struktur des Verfassungsschutzes.
Es gab in dieser Republik eine nie dagewesene Mordserie, es gab eine Zufalls-Aufklärungsmöglichkeit durch den Tod der Täter und damit der Beweissicherung; Herr Abaci hat das gesagt. Und dann kommen wir an den Punkt, wo die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungsausschüsse dazu führen, dass es in keinem einzigen Bundesland in irgendeiner Form eine erfolgreiche Ermittlung oder überhaupt auch nur eine erfolgreiche Erkennung der Strukturen gab, die hinter dieser Mordserie standen. Und das ist Struktur und kein individueller Fehler.
Hamburg ist um keinen Deut besser. Hamburg hat, wenn man so will, vielleicht Glück, weil Hamburg nicht die Hochburg dieses Thüringer Heimatschutzes, der Rechtsextremen, die in dem Umfeld arbeiten, gewesen ist. Aber deswegen hat Hamburg es keinen Deut besser gemacht.
Der Senat hat auf viele Schriftliche Kleine Anfragen und auf viele Anträge im Innenausschuss reagiert, und der Ausschuss hat sich mit dem Thema in einer Selbstbefassung beschäftigt. Das Signal, dass sich offensive Aufklärung und offensive Fehleranalyse innerhalb der Polizei genauso wie im Landesamt für Verfassungsschutz vollzieht, hat uns gefehlt. Wir haben uns immerhin fast zwei Jahre mit dem Thema beschäftigt, bis der Bericht vorgelegt wurde. Wenn man sich diesen Bericht anschaut, dann hat er schlicht und einfach eine völlig unzureichende Qualität, um die Fehler, die in den Hamburger Behörden gemacht worden sind, auch nur ansatzweise zu erkennen. Ich will ein paar Beispiele nennen.
Es gibt zum Beispiel bei der Darstellung der Verfahrensweise des LKA nach dem Mord in Altona Formulierungen wie, da habe man sich die Geldströme angesehen und man habe einzelne Hinweise verfolgt. Ich glaube, Sie waren auch bei allen Innenausschusssitzungen dabei. Man kann es im Bericht lesen, wir haben das nachgefragt. Die Begründung, warum Geldströme verfolgt wurden oder welche Hinweise denn verfolgt worden seien, konnte uns nicht gegeben werden. Das heißt also, wir können nicht aufklären, wo das möglicherweise individuelle, aber vor allem strukturelle Problem liegt.
Dann gibt es wieder die Beispiele, dass sich die Kommissionen auf Bundesebene auf andere Dinge konzentriert haben als Hamburg, also das Thema Verdacht auf Organisierte Kriminalität. Auch da gibt es keine Erklärung, die in irgendeiner Weise schlüssig ist, warum Hamburg diesem Ansatz nicht gefolgt ist. Hinzu kommt aber, dass wir es durch diese langwierige, sehr wichtige Befassung im Ausschuss an keiner Stelle zu weiterer Aufklärung gebracht haben. Der vom Senat vorgelegte Bericht war im Grunde genommen schon so etwas wie ein Abschlussbericht, den wir zur Kenntnis nehmen sollten. Es gibt – ich habe es eben in ein paar Details erklärt – viele ungelöste Fragen und auch viele Unklarheiten, bezogen auf das Behördenhandeln.
Dieser Bericht arbeitet sehr akribisch das ab, was die Bund-Länder-Kommission – auch als Ergebnis aus dem Bundestags-PUA – beschlossen hat. Hamburg schert da nicht aus, Hamburg macht das, was alle Bundesländer auch tun. Hauptziel dieser Maßnahmen aber ist es, das Ansehen der Behörden und hier vor allem das Ansehen der Landesämter für Verfassungsschutz wieder ins rechte Licht zu rücken – ich meine das nicht ironisch –,
ins gute Licht zu rücken und den Vertrauensverlust, den diese Behörden erleben mussten, wieder zurechtzurücken. Es geht mitnichten an einer Stelle um eine strukturelle Veränderung der Arbeit, weder beim Landesamt für Verfassungsschutz noch bei der Polizei. Und das ist aus unserer Sicht völlig unzureichend.
Wenn man dann aber sieht, was sich im Laufe dieses Prozesses an neuen Details ergibt, was die Anwältinnen der Nebenklage, das gesamte große Kollektiv der Anwälte und der Prozessbegleiter eigentlich herausfinden, dann werden die Fragen, die sich Hamburg stellen muss, immer konkreter. Und das sind Fragen, die etwas mit der rechten Szene zwischen 2000 und 2007, auf jeden Fall um die Jahrtausendwende herum, in Hamburg zu tun haben. Und es stellen sich viele Fragen zu Verstrickungen zwischen den damals und teilweise auch heute noch aktiven Akteuren und dem thüringischen Heimatschutz. Wir haben an der Stelle Fragen gestellt und dort auch keine Antworten bekommen. Das will ich im Übrigen auch, ohne dass ich das im Detail schildern kann, aus meiner Sicht, bezogen auf den PKA, deutlich sagen. Auch da gibt es viele Fragen, die gestellt werden, und Antworten, die dringend notwendig sind.
Es gibt aktuelle Entwicklungen, die müssen aufgegriffen werden. Und aus Sicht des Senats – jedenfalls hat er das an keiner Stelle anders dargestellt – ist dies ein Bericht, der sich abschließend damit auseinandersetzt, was in Hamburg gemacht werden soll und was als Erklärung aus Sicht des Senats ausreichend ist, um die strukturellen Fehler – ich sage es noch einmal – zu erklären.
Ich sage auch noch einmal, dass es völlig unzureichend ist. Es gibt immer noch neue Erkenntnisse, und wir brauchen ein Instrument, ein Gremium, eine Möglichkeit – das wird das Thema der nächsten Legislaturperiode sein –, um diese neuen Erkenntnisse zu hinterfragen und dann tatsächlich auch zu wirklichen strukturellen Veränderungen zu kommen. Man muss ganz deutlich sagen, wer immer sich die Mühe macht, diesen Bericht zu lesen oder vielleicht auch nur das, was sich zusammenfassend als Bericht aus unseren Innenausschusssitzungen ergibt, der findet keine konkrete Aufarbeitung und keine konkrete Darstellung dessen, was sich in der Arbeit des LKA ebenso wie der Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz ändert. Und wenn alle Behörden in dieser Republik, die beteiligt sind – im Endeffekt weiß man, welche beteiligt sind –, nicht in der Lage waren, auch nur ansatzweise zu erkennen, was hinter diesen Morden steckt, und zu erkennen, dass sie zusammengehören, dann hat das etwas mit dem Ansatz zu tun, mit dem vor allem die Landesämter für Verfassungsschutz arbeiten. Das kann nicht auf einzelnes Fehlverhalten zurückgeführt werden.
Das Gleiche muss meiner Meinung nach auch für die Polizei gelten. Es wäre fatal, wenn es so viele nicht fähige Ermittler und Ermittlerinnen bei der Polizei gäbe. Deswegen auch hier: Es geht um Strukturen. Wir hatten ab und an Hinweise, man würde sich bemühen, das Landesamt für Verfassungsschutz etwas interkultureller in Bezug auf die Personen, die dort arbeiten, zu besetzen. Bei der Polizei würde man das auch tun, und man würde diese Kompetenz mit hineinnehmen in die Ermittlungen. Ein kleiner Nebensatz macht mich aber stutzig, den ich im Protokoll gefunden habe. Der Senator sagt an der Stelle, wo er dies beschreibt, es gäbe im Übrigen auch rechten Ausländerextremismus, beispielsweise die Grauen Wölfe. Da sind wir wieder an dem Punkt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wo ich starke Zweifel habe, dass wir uns wirklich mit diesem Bericht und diesem Ergebnis des Senats zufrieden geben können.
Was wir brauchen, ist ein grundlegend anderer Ansatz mit Blick auf Straftaten, mit Blick auf Morde in dieser Gesellschaft. Dieser Blick muss sich lösen von einer Sichtweise, die besagt, was man bisher nicht kannte aus dem rechten Spektrum, das kann auch nicht vorkommen. Ich glaube, dass das eine Zitat, das man immer mal wieder hört, dass es viel mehr gibt, was real passiert, als man es sich vorher vorstellen kann, das entscheidende Thema ist, das wir bei solchen Fällen nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Fazit: Es gibt aus unserer Sicht einen Bericht mit vielen Unklarheiten, mit vielen Fragen und vor allem mit fehlender Empathie gegenüber den Opfern. Sie haben recht, es hat Gespräche mit Verbänden gegeben, es gibt aber nichts, was die Menschen aus ihrer Rolle herausbringen könnte, dass sie die Minderheit seien und wir die Mehrheit. Und das ist ein weiteres Grundproblem bei diesen Fragen, die sich noch stellen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Berichte der Untersuchungsausschüsse zum NSU-Skandal und deren Auswertung für Hamburg haben den Innenausschuss viele Stunden beschäftigt. Die Causa NSU war, so kann man das wohl sagen, der quantitative Arbeitsschwerpunkt dieses Innenausschusses in der laufenden Legislaturperiode. Sofern man in dieser gesamten Angelegenheit überhaupt von etwas Erfreulichem sprechen kann, ist es die Tatsache, dass auch die Berichte der PUAs keine strukturellen Fehler oder Fehlleistungen in der Zuständigkeit Hamburgs ergeben haben.
Wir danken dem Senat für die sehr ausführliche und valide Drucksache, die uns interessante Lektüre geboten hat und uns viele Stunden wenig ergiebiger Befragung ersparte. Liebe Frau Möller, auch ich bin der Meinung, dass das Thema sicherlich nicht endgültig erledigt ist und uns immer wieder im Innenausschuss beschäftigen wird. Aber ich glaube, der Schwerpunkt unserer Betrachtung im Innenausschuss war zu jeder Zeit, inwieweit es in Hamburg gehandhabt worden ist. Dort haben wir sehr viele Befragungen von Ihren Kollegen erlebt und wirklich keinerlei Indizien gefunden, inwieweit Hamburg dort verstrickt war.
In der Drucksache, wie schon in den zugrundeliegenden PUA-Berichten, wurden vielerlei Handlungsbedarfe bei der Sicherheitsarchitektur, der Ausrichtung und Arbeit der Sicherheitsbehörden in Hamburg und in den deutschen Ländern aufgezeigt. Erfreulich war – und das möchte ich hier noch einmal feststellen –, dass die festgestellten Defizite Hamburg eher wenig betrafen, da das hiesige Landesamt für Verfassungsschutz vergleichsweise gut und fortschrittlich aufgestellt zu sein scheint.
Eine neue Entwicklung hat aus unserer Sicht allerdings das Thema des Trennungsgebots zwischen Polizeiarbeit und Nachrichtendiensten in den letzten Wochen bekommen. Die Senatsvertreter beriefen sich in den letzten Jahren bei der Aufarbeitung der NSU-Kriminalfälle nachvollziehbar auf eine sehr strikte Beachtung des Trennungsgebots aufseiten der beteiligten Behördenmitarbeiter. Daran haben wir keinerlei Kritik zu üben. Irritierend erscheint uns aber, dass man vor dem Hintergrund der jüngst bekannt gewordenen Vorgänge und Ermittlungen im Bereich der Roten Flora durch die Ermittlerin Iris Schneider scheinbar hiervon abgewichen ist. Diese Angelegenheit wird im Laufe der nächsten Monate sicher noch im Detail aufzuarbeiten sein.
Irritierend erscheint in Sachen des NSU jedoch, dass bei der Arbeit im Bereich von Extremismus und politisch motivierter Kriminalität im linken Spektrum offenbar extrem nachlässig mit dem Trennungsgebot umgegangen wurde, während man im gleichen Zeitraum das Trennungsgebot für das rechte Spektrum fast zum Mantra erhoben hat. Das passt aus unserer Sicht nicht schlüssig zusammen und leistet leider auch vielen Verschwörungstheorien Vorschub, die in Sachen NSU bereits geäußert wurden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich anmerken, dass das Trennungsgebot an sich von uns Liberalen weiter befürwortet wird. Obwohl es nach dem NSU-Skandal auch einzelne Gegenstimmen gab, sehen wir im Trennungsgebot einen weiterhin wichtigen Grundsatz, von dem man nur im Einzelfall mit Augenmaß abweichen sollte.
fung von militantem Extremismus und Kriminalität mit politisch/religiösem Hintergrund hat unter dem Strich eines gezeigt: Es nützt langfristig wenig, auf spektakuläre Vorfälle und erkannte Defizite temporär mit Aktionismus in einem Bereich zu reagieren und andere Felder kurzfristig zu vernachlässigen, um dann nach dem nächsten Vorfall wieder umzusteuern. Nachhaltig wirksame Arbeit können weder Nachrichtendienste noch Kriminalpolizei leisten, wenn sie im hektischen Wechsel von einem Schwerpunkt zum anderen gejagt werden, je nach aktueller medialer Agenda. – Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Vor gut drei Jahren, im November 2011, wurde für die Migrantinnen und Migranten in diesem Land zur Gewissheit, dass die bis dahin unaufgeklärte Mordserie gegen acht türkische und einen griechischen Kleinunternehmer, dass die blutigen Anschläge gegen Orte migrantischen Lebens wie die Kölner Keupstraße ihnen gegolten hatte, dass sie gemeint waren, sie als die vermeintlich anderen. Den Schlachtruf von NDPKadern – ich zitiere – "Wir Deutsche oder die Fremden" setzte der sogenannte "Nationalsozialistische Untergrund" blutig in die Tat um. Durch Terror Furcht zu säen und die migrantische Bevölkerung einzuschüchtern und zu vertreiben, das war das Ziel. Er mordete dort, wo ihm die Gesellschaft am meisten verhasst war, in den Großstädten mit ihrem vielfältigen Leben, auch in Hamburg.
Sieben Untersuchungsausschüsse wurden seither eingerichtet beziehungsweise beschlossen oder angekündigt: im Bund, in Thüringen, Sachsen, Bayern, Hessen, NRW und Baden-Württemberg – nicht in Mecklenburg-Vorpommern und nicht in Hamburg. Vier von ihnen haben inzwischen ihre Arbeit beendet. Sie haben vieles zutage gefördert: die völlige Unterschätzung und Verharmlosung der neonazistischen und rechtsextremen Gefahr, nicht zuletzt durch die Inlandsgeheimdienste, das totale Versagen der Sicherheitsbehörden, die, wie es im Thüringer Abschlussbericht heißt, mögliche gezielte Sabotage und das bewusste Hintertreiben des Auffindens der Zwickauer Zelle, das V-Leute-Unwesen, das katastrophale Versagen der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der Verbrechen des NSU, die systematisch in die falsche Richtung ermittelten und oft über Jahre die Opfer und Angehörigen verdächtigten, die die Hinweise auf einen rassistischen, rechtsextremen Hintergrund systematisch negierten und sich stark von Vorurteilen leiten ließen. Ich erinnere an die Äußerung des Hamburger Ermittlungsleiters, der den in Hamburg ermordeten Süleyman Tasköprü vor dem Untersu
chungsausschuss im Bundestag als einen – ich zitiere – "ganz normalen türkischen Mann" bezeichnete: leidenschaftlich, sehr energisch, dominant und nennenswert auch polizeilich in Erscheinung getreten.
Nicht nur DIE LINKE, auch die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, auch die Türkische Gemeinde und viele andere kritisieren im Zusammenhang dieser polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen institutionellen beziehungsweise strukturellen Rassismus. Allen, die bei dieser Kritik aufschreien – und da habe ich viele Aufschreie gehört –, empfehle ich die Lektüre des Buches von Barbara John: "Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen". Darin beschreiben Angehörige der NSUMordopfer, was ihnen selbst widerfahren ist, wie mit ihnen von Staats wegen umgegangen wurde. Sie haben erneut erfahren, dass sie nicht wirklich dazugehören, sie wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Gerade der Opfer und ihrer Angehörigen wegen ist die rückhaltlose Aufarbeitung der gesamten Problematik unverzichtbar.
Die Untersuchungsausschüsse haben also vieles zutage gefördert, noch mehr aber nicht. Sie wurden in ihrer Aufklärungsarbeit noch und noch behindert. Ständig tauchen neue Ungeheuerlichkeiten auf, immer wieder neue V-Leute im Umfeld der Zwickauer Zelle. Es gibt alte CDs mit NSU-Bezug, bei denen sich dann herausstellt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz sie seit vielen Jahren kannte. Das kann ich hier gar nicht alles ausführen.
Nicht nur meine Kollegin Petra Pau von der Bundestagsfraktion der LINKEN sagt, dass die Fragezeichen nicht weniger, sondern mehr geworden sind. Auch die Integrationsbeauftragte des Bundes, Frau Staatsministerin Özoguz, sieht, so sagte sie im Juni in Hamburg, heute mehr Fragen als Antworten. Was dabei immer deutlicher wird: Der NSU war nicht auf die Zwickauer Zelle und einige wenige Unterstützer beschränkt. Beim NSU handelt es sich vielmehr um ein Nazi-Netzwerk von Tätern, Helfern und Helfershelfern, von Unterstützern und Mitwissern.