Protokoll der Sitzung vom 14.12.2011

Herr Scholz, Ihr Konzept täuscht die Bürger über die finanziellen Risiken für die Stadt.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Bürgerinnen erkennen das von selbst! – Gegenruf von Dr. Monika Schaal SPD: Frauen sind immer schlauer als Männer!)

Frau Sudmann, die Bürgerinnen erkennen das selbst, da bin ich Ihrer Auffassung. Das ist einer der seltenen Fälle, wo wir einer Meinung sind.

Das Konzept täuscht die Bürger und Bürgerinnen über die finanziellen Risiken für die Stadt, es täuscht die Bürger und Bürgerinnen über die angeblich mit Vattenfall und E.ON Hanse ausgehandelten Investitionen und es täuscht über die angeblichen Einflussmöglichkeiten auf die Netzbetreiber. Herr Bürgermeister – das hätte ich, wenn Sie da wären, bei allem Respekt gesagt –, Sie täuschen die Bürger mit diesem Konzept.

(Beifall bei der FDP)

Herr Scholz, auch der Umgang von Senat und Mehrheitsfraktion mit dem Parlament, den Bürgern und Bürgerinnen und der Volksinitiative lässt, zurückhaltend formuliert, mehr als zu wünschen übrig. Warum? Die BSU startet noch am 18. November das Erörterungsverfahren mit den etwa 4600 Einwendern, die sich gegen die Fernwärme

(Anja Hajduk)

trasse von Moorburg nach Altona aussprechen, und dies wenige Tage bevor der Bürgermeister auf seiner Pressekonferenz das Aus des Projekts verkündet. Und Frau Senatorin Blankau, während der Pressekonferenz nach dieser Merkwürdigkeit befragt, fällt nichts Besseres ein, als zu antworten – Zitat –:

"Könnte ja sein, dass die Volksinitiative gewinnt und die Trasse doch noch kommt, dann war die Anhörung wenigstens nicht vergebens."

Überzeugendes und konzeptionelles Regieren sieht anders aus.

(Beifall bei der FDP)

Wenn ich Gegner der Trasse wäre, was ich nicht bin, dann würde ich den Kooperationsvertrag zwischen dem Senat und Vattenfall sehr aufmerksam lesen, insbesondere Ziffer III.5, denn wenn Sie das sorgfältig lesen, werden Sie feststellen, dass die Trasse aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist.

Ich komme zu einem anderen Punkt, er betrifft auch die Umgehensweise mit uns hier. Da werden dem Parlament Gutachten nicht, verspätet oder nur teilweise vorgelegt. Da werden Schriftliche Kleine Anfragen unvollständig, ausweichend oder fragwürdig beantwortet und da befragt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Dressel, allen Ernstes die Vertreter der Volksinitiative in der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 18. November zu den langfristigen Finanzierungs- und Zinsrisiken einer Verstaatlichung der Netze, wohl wissend – das unterstelle ich jetzt einmal –, dass der Erste Bürgermeister wenige Tage später ein Konzept vorstellen wird, für das diese Fragen natürlich in gleicher Weise gelten.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! So geht man nicht mit dem Parlament um, nicht mit den Bürgern und Bürgerinnen und auch nicht mit der Volksinitiative.

Aber zurück zu den drei großen Legenden des Senatskonzepts, nämlich erstens der angeblichen haushaltsneutralen Finanzierung des Anteilserwerbs, zweitens den angeblich stimulierten Investitionen und drittens der angeblichen Einflussnahme auf die Geschäftspolitik von Vattenfall und E.ON.

Zunächst zum Märchen von der haushaltsneutralen Finanzierung des Anteilserwerbs:

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

Fakt ist, die Stadt zahlt für die Minderheitenbeteiligung an den drei Netzbetriebsgesellschaften 463 Millionen Euro an Vattenfall und 80 Millionen Euro an E.ON Hanse, zusammen also 543 Millionen Euro. Ich habe mir den aktuellen Beteiligungsbericht der HGV angesehen. Aus dem Vermögen der HGV ist das nicht zu stemmen, also muss die

Stadt zunächst einmal einen neuen Kredit aufnehmen. Wie aber werden die Zinsen für diesen Kredit finanziert? Die Erläuterungen im Senatskonzept sind dürr, sie finden sich unter Ziffer 4 d – Zitat –:

"Der Finanzierungsaufwand für den Anteilserwerb kann aus den vereinbarten jährlichen festen Ausgleichszahlungen (sog. Garantie- dividende) gemäß § 304 Aktiengesetz abgedeckt werden.

Meine Damen und Herren! Sebastian Schröer vom HWWI hat es uns vorgerechnet. Zurzeit zahlt die Stadt für zehnjährige Anleihen 2,5 Prozent Zinsen. Der Stadt bleiben also von der Garantiedividende nach Abzug der Refinanzierungskosten gerade einmal magere 1,7 Prozent beziehungsweise 2 Prozent für die Tilgung des Kredits und zur Abdeckung des unternehmerischen Risikos. Und selbst das ist gegenwärtig keineswegs sicher, weil der Kaufpreis für die Strom- und Gasnetze erst Mitte 2012 und für das Fernwärmenetz erst Ende 2012 fällig wird. Da aber die Garantiedividende fixiert ist, trägt die Stadt ganz allein das Risiko für bis dahin steigende Zinsen. Da kann man dem Finanzsenator, Herrn Tschentscher, eigentlich nur empfehlen, sich mit den Finanzmarktprognosen eines anderen städtischen Beteiligungsunternehmens auseinanderzusetzen, nämlich der HSH Nordbank, die in ihren aktuellen Marktberichten von deutlich steigenden Zinsen für städtische Anleihen ausgeht. Ohnehin steht die Höhe der Garantiedividende nur für einen befristeten Zeitraum fest. Wenn es also bei einer langfristigen Beteiligung bleibt, wenn nämlich die Volksinitiative scheitern sollte und die Netze wieder an die bisherigen Konzessionäre vergeben werden, muss die Garantiedividende neu verhandelt werden und sie kann dann nach Paragraf 304 Aktiengesetz auch bei Null liegen. Das ist, um dieses ganz deutlich zu sagen, bei einer Konzessionsdauer von 20 Jahren ein erhebliches unternehmerisches Risiko.

Schließlich gibt es ein weiteres Haushaltsrisiko, das bislang auch noch nicht zur Sprache gekommen ist. Lesen Sie die Senatsdrucksache genau. Die geplanten Investitionen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro leisten nicht Vattenfall oder E.ON Hanse, sondern die drei Netzbetriebsgesellschaften. Da ist Hamburg zukünftig mit 25 Prozent mit im Boot. Und es wäre höchst ungewöhnlich, wenn die Kreditgeber der Netzbetriebsgesellschaften, also die Banken, die Gewährung von Darlehen nicht auch in diesem Fall daran knüpfen würden, dass die Gesellschafter, also auch die Stadt, entsprechende Sicherheiten stellen, etwa Bürgschaften oder Konzerngarantien. Ich habe jedoch in der Senatsdrucksache bislang keinen Hinweis darauf gefunden, dass die Stadt bereits heute von solchen Bürgschaften oder Sicherheitsleistungen freigestellt ist.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Der Netzbetrieb ist, entgegen anderslautenden Auffassungen und Meinungen, keineswegs eine Eier legende Wollmilchsau, sondern stellt für die Stadt ein beträchtliches unternehmerisches und damit ein erhebliches wirtschaftliches Risiko dar. Das können Sie sogar in dem Gutachten der Wirtschaftsprüfer nachlesen, das die Volksinitiative selbst am 15. November der Öffentlichkeit präsentiert hat – ich zitiere –:

"Durch die Einführung der Anreizregulierung hat sich die Komplexität einer Netzübernahme noch einmal erhöht."

Und das entspricht auch dem, was unter anderem Herr Dressel bei der Anhörung des Haushaltsausschusses am 18. November oder Herr Bark im Wirtschaftsausschuss am 1. Dezember erklärt haben. Sie sind bislang nur die Antwort schuldig geblieben, warum das bei einer 100-prozentigen Netzübernahme zutreffen soll, bei einer 25-prozentigen Netzübernahme aber nicht.

(Beifall bei der FDP)

Nun zu dem Märchen von den angeblich stimulierten Investitionen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Um nicht missverstanden zu werden, wir begrüßen die Investition von 1,6 Milliarden Euro. Das ist gut für unsere Handwerksbetriebe und das ist gut für den Wirtschaftsstandort Hamburg. Nur hat der Bürgermeister diese Investition nicht stimuliert und er hat sie erst recht nicht ausgehandelt. Er hat sie auf seiner Pressekonferenz vom 29. November nur dazu genutzt, sein im Übrigen unschlüssiges Beteiligungskonzept zu dekorieren.

(Beifall bei der FDP)

Zu den Fakten: Nicht Vattenfall, sondern die aus Vattenfall und der Stadt bestehenden Netzbetriebsgesellschaften haben sich verpflichtet, im Bereich Fernwärme zusammen 460 bis 550 Millionen Euro und für die Unterhaltung und den Ausbau des Stromnetzes in den kommenden Jahren jeweils 160 Millionen Euro pro Jahr zu investieren. Das klingt nur dann nach viel, wenn man nicht weiß, dass die Investitionsplanung von Vattenfall für den Zeitraum 2011 bis 2015 ohnehin Investitionen in die Stromnetze in Höhe von 2,16 Milliarden Euro und für die Wärmenetze in Höhe von 720 Millionen Euro vorsieht. Diese Zahlen ergeben sich jedenfalls aus Präsentationen von Vattenfall. Und wenn ich das auf die Hamburger Strom- und Fernwärmenetze herunterbreche, dann habe ich schon den Verdacht, dass es sich bei dem angeblich ausgehandelten Investitionsvolumen in Wahrheit nur um die Maßnahmen handelt, die Vattenfall ohnehin im Budget vorgesehen hatte, nur dass sich jetzt die Stadt mit 25 Prozent an der Finanzierung beteiligt.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Da muss die Frage gestattet sein, wer eigentlich der Gewinner und wer der Verlierer der Beteiligung ist. Wir haben Herrn Wasmuth von Vattenfall gefragt, ob im Bereich der Fernwärme die ausgewiesenen Mehrinvestitionen von 460 bis 550 Millionen Euro bereits um die Minderinvestitionen von circa 250 Millionen für die Fernwärmetrasse Moorburg-Altona bereinigt sind. Die Antwort von Herrn Wasmuth: nein. Das bedeutet mit anderen Worten, die Mehrinvestitionen im Bereich der Fernwärme belaufen sich im Saldo tatsächlich nur auf 210 bis 300 Millionen Euro.

(Finn-Ole Ritter FDP: Aber es ist ja niemand mehr da, den das interessiert!)

Vattenfall verabschiedet sich damit aus dem alleinigen wirtschaftlichen Risiko für die Fernwärmetrasse und auch für den Ersatz für das Kraftwerk Wedel, dessen Betriebsgenehmigung im Jahr 2017 abläuft. Vattenfall holt stattdessen die Stadt als Mitgesellschafter und damit als Risikopartner mit in das Boot der Netzbetriebsgesellschaft, die das GuD-Kraftwerk finanziert. Das ist nicht nur ordnungspolitisch bedenklich, sondern vor allem nicht gemeinwohlorientiert. Es stellt sich daher erneut die Frage, wer der Gewinner und wer der Verlierer der Beteiligung ist.

(Beifall bei der FDP)

Wie sieht es nun bei E.ON Hanse aus? Nach der Kooperationsvereinbarung verpflichtet sich E.ON Hanse zu Investitionen in Höhe von insgesamt 80 Millionen Euro. Wir haben die Vorstände von E.ON Hanse, Herrn Tiessen und Herrn Bottländer, gefragt, auf welchen Zeitraum sich die Investitionen verteilen. Die Antwort war, auf sechs bis acht Jahre. Wir reden also über Investitionen von E.ON in Höhe von gerade einmal 10 bis 12 Millionen Euro pro Jahr für die Gas- und Wärmenetze. Das ist angesichts von 1,2 Milliarden Euro, die der E.ON-Hanse-Konzern im Jahr 2010 in Zentraleuropa – das ist das Geschäftsgebiet ohne Großbritannien und ohne Skandinavien – in neue Netze investiert, nicht gerade viel. Es bedarf also auch hier nicht viel Fantasie, davon auszugehen, dass die 10 bis 12 Millionen Euro die Größenordnung sind, die ohnehin in eine Modernisierung der Gas- und Wärmenetze geflossen wären, uns aber jetzt als Verhandlungserfolg des Senats und des Bürgermeisters präsentiert werden. Herr Scholz, das ist nichts anderes als eine Mogelpackung Ihrer Presseabteilung.

(Beifall bei der FDP)

Wie steht es nun mit dem städtischen Einfluss auf den Netzbetrieb? Mit 25,1 Prozent können Sie vielleicht verhindern, dass die Netzbetreiber ihre Gesellschaftsverträge ändern, das operative Geschäft bestimmen Sie damit nicht. Entscheidungen gegen die Stadt bleiben weiterhin möglich, mit Ausnahme vielleicht der Entscheidung über den Brennstoffein

satz bei neuen Wärmeerzeugungsanlagen. 543 Millionen Euro sind ein zu hoher Preis für so wenig Einfluss.

(Beifall bei der FDP)

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Stadt bei den Netzgesellschaften künftig jeweils vier von zwölf Aufsichtsräten stellen wird. Weitergehende Sonderrechte der Stadt als Minderheitengesellschafter gehen aus der Senatsvorlage nicht hervor. Geradezu grotesk wird es bei den Informationspflichten von Vattenfall und E.ON. Diese gewähren – ich zitiere aus der Senatsvorlage –:

"[…] nach Maßgabe des Gesellschaftsrechts (s. § 51a GmbHG) […] umfangreiche Einsichts- und Kontrollrechte im Hinblick auf die jeweiligen Gesellschaften".

Meine Damen und Herren! Das ist kein Verhandlungserfolg, sondern das ist ein ohnehin bestehendes gesetzliches Minderheitenrecht auf Auskunft und Einsicht. Dazu bedarf es keiner Beteiligung von 25 Prozent, dazu hätte 1 Prozent ausgereicht.

(Beifall bei der FDP)

Und wie steht es mit der Berichtspflicht gegenüber dem Parlament, hier also dem Ausschuss für öffentliche Unternehmen? Auch darüber steht in der Senatsdrucksache nichts. Asklepios lässt, was die Berichtspflicht betrifft, grüßen.

Schließlich sind Sie als Netzbetreiber – wir haben darauf in mehreren Debatten hingewiesen – ohnehin verpflichtet, jeden Strom diskriminierungsfrei durch die Netze zu leiten, auch Atomstrom aus Frankreich oder Tschechien. Das haben sogar die Initiatoren der Volksinitiative auf meine Frage bei der Anhörung vor dem Haushaltsausschuss eingeräumt.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie es nicht gemerkt haben sollten, Paragraf 20 Energiewirtschaftsgesetz gilt auch in Hamburg. Eine Beteiligung an den Netzbetriebsgesellschaften für Strom und Gas bringt daher gar nichts, sondern ist schlicht sinnfrei.

(Beifall bei der FDP – Glocke)

Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Herr Abgeordneter, ich weise darauf hin, dass Ihre Fraktion nur noch zwei Minuten Redezeit hat. – Bitte.