Protokoll der Sitzung vom 28.11.2012

Wird das Wort gewünscht? – Herr Abaci, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die vorliegenden Verträge zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und den islamischen Religionsgemeinschaften DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, dem Verband der Islamischen Kulturzentren und der Alevitischen Gemeinde wurde am 13. November 2012 unterzeichnet. Diese Verträge regeln das Verhältnis zwischen der Stadt Hamburg auf der einen und den Religionsgemeinschaften auf der anderen Seite.

Immer, wenn in Politik und Gesellschaft Abläufe neu geregelt werden, melden sich auch kritische Stimmen, das ist gute demokratische Übung. Themen wie Glaube und Religionsausübung sind allemal geeignet, Kritik zu wecken und Stimmung zu polarisieren. Vor diesem Hintergrund möchte ich unsere Einschätzung der Situation verdeutlichen.

Diese zwei Verträge sind das Ergebnis eines langjährigen, sorgfältigen und respektvollen Prozesses. Wie Sie wissen, hat der damalige CDU-Bürgermeister Ole von Beust im Jahr 2006 mit einer Rede in der Zentralmoschee in St. Georg die Gespräche eingeleitet. Die Vorgängersenate und der heutige Senat haben diese Verhandlungen mit dem klaren Ziel einer schriftlichen Vereinbarung weitergeführt. Ich sage das, um von vornherein klarzustellen, dass wir hier nicht über Parteipolitik sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Bei diesen Verträgen geht es um politische Kontinuität und gesamtgesellschaftliche Verantwortung für unsere Stadt. Wir haben mit ihnen Geschichte geschrieben, die weit über Hamburg hinausreicht.

Unser Bürgermeister Olaf Scholz

(Katharina Wolff CDU: Der ist noch nicht mal da!)

hat bei der Unterzeichnung der Verträge – wie ich finde, sehr zutreffend – von einer Stärkung des gesamtgesellschaftlichen Fundaments unserer Stadt gesprochen und gesagt: Wir alle sind Hamburg. Ja, wir alle sind Hamburg, und wir sind stolz, Hamburgerinnen und Hamburger zu sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Was wir gemeinsam erreichen wollen, ist zunächst einmal die Bestätigung der Freiheit der Religionsausübung in unserer pluralistischen und wertoffenen Gesellschaft, auch für Bürgerinnen und Bürger islamischen oder alevitischen Glaubens. Die vorliegenden Verträge sollen weder zu unkritischem Denken und Verhalten einladen, noch sollen sie einen gesetzesfreien Raum schaffen. Natürlich stellt dieser Vertrag mehr als eine lockere Absichtserklärung dar. Er bedeutet eine konkrete und für beide Seiten geltende Verpflichtung.

Kommen wir zu einzelnen Vertragsinhalten. Artikel 1 sagt eindeutig:

"Die Vertragsparteien stimmen darin überein, dass die Achtung des religiösen Bekenntnisses untrennbar mit der Achtung und Toleranz gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen […] verbunden ist."

Hier wird also an zentraler Stelle bereits genau das festgeschrieben, was manches Mal in Zweifel gezogen wird: die Achtung und Toleranz des Islam gegenüber allen anderen Religionen. In Artikel 2 bekennen sich die islamischen Religionsgemeinschaften wie auch die Alevitische Gemeinde zu den gemeinsamen Wertgrundlagen der grundgesetzlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Hinzu kommt die Ächtung von Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, des Glaubens sowie religiöser oder politischer Anschauungen. Weiter unten folgt das Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Geschlechter sowie der vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen am gesellschaftlichen und politischen sowie am schulischen und beruflichen Leben.

Nun mag manch einer sagen, diese Inhalte seien Selbstverständlichkeiten. Andererseits weiß man aber, dass in Teilen unserer Gesellschaft noch immer das Vorurteil verwurzelt ist, genau diese Werte seien den Muslimen und Aleviten nicht selbstverständlich. Ich möchte darauf hinweisen, welche Bedeutung allein schon in diesen Vertragsbestandteilen liegt. Zunächst einmal verschafft dieses vertraglich besiegelte Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zu den Werten des Grundgesetzes den islamischen Religionsgemeinschaften wie auch den Aleviten die Möglichkeit, sich ausdrücklich und aktiv von Anhängern extremistischer Gruppierungen abzugrenzen. Zugleich schaffen die Verträge die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen und können so aktiv gegen Argwohn oder gar Ängste der Hamburger Bürgerinnen und Bürger wirken. Die Verträge bieten die Chance, dass wir in Hamburg weniger übereinander, sondern mehr miteinander reden.

(Beifall bei der SPD)

Ich wünsche mir von der Hamburger Öffentlichkeit die gleiche Kooperationsbereitschaft mit Muslimen

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

und Aleviten, die der Hamburger Senat mit diesen Verträgen schon heute dokumentiert, und möchte mich an dieser Stelle für die Unterstützung und Begleitung der Vertragsverhandlungen durch die Jüdische Gemeinde in Hamburg, die Türkische Gemeinde Hamburg, die evangelische und die katholische Kirche ausdrücklich bedanken.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Zusammenfassend kann man eines sagen: Diese Verträge schaffen keine neue Rechtsgrundlage. Sie gewähren auch keine Privilegien, sondern bestätigen bestehende Rechte und Pflichten, die auch andere Religionsgemeinschaften haben. Grundlage der Vereinbarungen sind die bereits bestehenden Gesetze und das Grundgesetz.

Dazu kurz ein paar Beispiele: Als muslimische Lehrerin ein Kopftusch im Unterricht tragen? Es gibt kein Gesetz, welches das verbietet. Gäbe es ein solches, müsste es vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit in Deutschland vermutlich auch das Tragen eines Kreuzes oder einer Kippa verbieten. Der Vertrag bestätigt lediglich das Recht muslimischer Frauen und Mädchen, nicht wegen einer ihrer religiösen Überzeugung entsprechenden Bekleidung in ihrer Berufsausübung ungerechtfertigt beschränkt zu werden.

Ein anderes Beispiel: Die Erteilung eines besonderen – beispielsweise islamischen – Religionsunterrichts. Das Recht dazu ist bereits in Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes verankert. Die Intention der Verträge geht aber in eine ganz andere Richtung. Angestrebt werden ein Religionsunterricht in gemischtkonfessionellen Klassenverbänden und Lerngruppen sowie die gleichberechtigte Beteiligung aller Religionsgemeinschaften am dialogisch orientierten Religionsunterricht, der einen Überblick über die verschiedenen Glaubensrichtungen verschaffen soll.

Der Bau von Moscheen ist genau wie der islamische Gebetsruf nicht verboten. Einzelheiten regelt bei Ersterem das Baurecht und bei Letzterem der Artikel 4 des Grundgesetzes.

Einschränkungen der Religionsfreiheit können sich lediglich aus kollidierenden Grundrechten Dritter ergeben. Was letztlich zählt, ist, wie so oft, die konkrete Ausgestaltung und Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dafür und für die Erhaltung eines friedlichen, sowohl kulturell als auch religiös vielfältigen Gemeinwesens legen die Verträge eine sehr solide Basis.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg, Antje Möller und Dr. Anjes Tjarks, alle GRÜNE)

Ich hoffe auf eine breite Zustimmung zu den Verträgen in diesem Hause und freue mich auf die kommenden ausführlichen parlamentarischen Be

ratungen. Weil wir im zuständigen Ausschuss auch eine Sachverständigenanhörung durchführen möchten, bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zu einer Überweisung an den Verfassungsausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Wersich.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit mehr als 50 Jahren leben und arbeiten Menschen islamischen und alevitischen Glaubens in unserer Stadt. Jeden Tag werden Hamburgerinnen und Hamburger geboren, die in ihren Familien ganz selbstverständlich mit dem islamischen oder alevitischen Glauben aufwachsen. Ich glaube, es ist richtig, dass wir alle anerkennen, dass diese Menschen zum Wohlergehen unserer Stadt beitragen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wir sollten auch nicht glauben, dass sich das ändern wird. Im Gegenteil, das gilt nicht nur für unsere Stadt, das gilt für die ganze Welt. Gerade Hamburg ist bekannt dafür und hat seinen Wohlstand dadurch erworben, im Handel mit der ganzen Welt zu stehen. Die Globalisierung wird dazu führen, dass in Zukunft auch in Städten und Ländern, wo es heute noch undenkbar scheint, Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Religion miteinander leben. Wir wollen, dass sie friedlich miteinander leben, und wir in Hamburg wollen zeigen, dass das geht.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Deshalb gehört es für uns auch dazu, in unserer Gesellschaft alle diejenigen zu unterstützen, die in Deutschland und Europa einen demokratischen Islam mit Respekt vor den Werten des Grundgesetzes entwickeln wollen. Das bedeutet gleichzeitig, dass wir entschieden und entschlossen gegen Extremisten, Hassprediger, Salafisten und andere, die Religion dazu missbrauchen, um Menschen auseinanderzutreiben, vorgehen.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Mathias Pe- tersen SPD)

Religion gehört mit zu den heikelsten Themen. Integration beginnt nicht mit Religion, sondern mit ganz konkreten Schritten. Deswegen möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, was wir in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich geschafft haben. Los ging es mit der Gründung des Integrationsbeirats, dass wir nicht über Migranten reden, sondern miteinander.

(Kazim Abaci)

(Mehmet Yildiz DIE LINKE: Sie haben aber den Ausländerbeauftragten abgeschafft!)

Genau, dafür haben wir den Ausländerbeauftragten abgeschafft. Das ist auch richtig so, weil ein Ausländerbeauftragter ein rückwärtsgewandtes Zeichen ist

(Beifall bei der CDU)

und es heute darum geht, dass wir miteinander reden und Integration zu einem gemeinsamen Anliegen machen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben ganz konkrete Dinge entwickelt. Wir haben die Sprachstandserhebung eingeführt, damit die Kinder, wenn erforderlich, dank Sprachförderung bei Schuleintritt die deutsche Sprache beherrschen und ihre Bildungschancen nutzen können. Wir haben das fortgesetzt mit Sprachkursen für Ältere, Frauen und Berufseinsteiger. Natürlich ist es ein verheerendes Signal, dass dieser Senat – der heute übrigens nicht besonders stark vertreten ist bei dem Thema – ausgerechnet in diesem Bereich die Mittel für Sprachförderung und Integration dieser Menschen kürzt. Das passt nicht zu dem, was heute vorgelegt wird.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben mit unserer Bundesregierung dafür gesorgt, dass Berufsabschlüsse besser anerkannt werden. Wir haben in Hamburg dafür gesorgt, dass mehr Migranten in den öffentlichen Dienst kommen, und wir haben – Seite an Seite mit den religiösen Gemeinschaften übrigens – gegen Ehrenmorde und Zwangsheirat gekämpft. Auch das gehört hierher, auch das ist eine Leistung, die wir in Hamburg gemeinsam vollbracht haben.

(Beifall bei der CDU)

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es ausgerechnet die CDU war, die nicht nur sehr praktische Integration betrieben hat, sondern dass es die CDU war, die gesagt hat, wir wollen auch mit den Religionsgemeinschaften reden. Denn gerade die CDU lebt von den Werten, die auch etwas mit Religion zu tun haben. Gerade wir stehen für den Respekt der Religionen untereinander, und wir stehen dafür, dass Religion auch im öffentlichen Leben einer Stadt eine Rolle zu spielen hat und nicht verschämt in den Hinterhöfen ausgeübt wird.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb haben wir 2005, 2006 und 2007 mit der evangelischen Kirche, mit der katholischen Kirche und auch mit der Jüdischen Gemeinde Verträge abgeschlossen, und deshalb war die Frage berechtigt, was mit den Muslimen ist.

Wir sind damals gemeinsam darauf eingegangen und haben hier im Haus einstimmig – bei Enthaltung der GRÜNEN, wenn ich mich recht erinnere –