Protokoll der Sitzung vom 29.11.2012

Die Hamburger Sozialdemokratie hat heute die Gelegenheit zu beweisen, dass es sich dabei nicht um leere Worthülsen handelt. Sie haben eine gute Gelegenheit darzustellen, welche Bedeutung die europäische Rechtsgemeinschaft für Sie wirklich hat, oder ob Sie sehenden Auges ein Vertragsverletzungsverfahren in Kauf nehmen wollen.

Nach der sogenannten Informationsrichtlinie der EU müssen wir unser Spielhallengesetz notifizieren, und es darf erst nach erfolgter Notifizierung sowie nach Ablauf von weiteren drei Monaten in Kraft gesetzt werden. Ein Verstoß dieser Genehmigungspflicht stellt einen groben Formfehler dar, der die Ungültigkeit des Gesetzes und seine Unanwendbarkeit zur Folge hat. Liebe Mitglieder der SPD-Fraktion, wenn Sie dieses Gesetz heute verabschieden, dann verabschieden Sie sich auch von jeglicher Europafreundlichkeit.

(Dr. Andreas Dressel SPD: So ein Schwach- sinn!)

Wenn Sie dieses Gesetz heute verabschieden, dann laden Sie zudem geradezu dazu ein, dass gegen die Stadt Hamburg der Rechtsweg eingeschlagen wird, und uns droht eine Klagewelle.

(Dirk Kienscherf SPD: Ja, ist doch gut! – Jan Quast SPD: Sind Sie nun dafür oder dage- gen?)

Damit blamieren Sie sich, dieses Haus und die Stadt Hamburg bis auf die Knochen. Und ganz am Rande verstoßen Sie gegen die Bundestreue, aber das ist Ihnen wahrscheinlich egal.

(Beifall bei der CDU – Jan Quast SPD: Das ist hier doch keine juristische Vorlesung!)

Und nicht zuletzt, wenn Sie dieses Gesetz heute verabschieden, dann verabschieden Sie sich auch vom Spielerschutz. Dann werden weiterhin Großspielhallen genehmigt, wie es der SPD-geführte Bezirk Hamburg-Mitte derzeit in Billstedt vormacht. Und genau das wollen wir doch eigentlich verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Nutzen Sie Ihre Chance und retten Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf. Und – Frau Domres ist darauf leider nicht eingegangen – nutzen Sie auch die Möglichkeit, das Zugangsalter für Spieler von 18 auf 21 Jahre hochzusetzen, wie wir vorschlagen.

(Dirk Kienscherf SPD: Und nicht über 80!)

Das wäre eine vernünftige Lösung.

Aber wie ernst es der SPD mit dem Spielerschutz ist, sehen wir auch an ihren Haushaltsplanungen im Suchtbereich: Überzogene Streichungen bei der Suchtselbsthilfe und beim Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters zeigen deutlich, dass Sie auf dem Holzweg sind. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Dr. Schinnenburg.

(Dirk Kienscherf SPD: Jetzt kommt noch mal dasselbe Geleier!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Spielsucht ist eine große Belastung für die Betroffenen, für die Angehörigen und auch für die Gesellschaft. Spielsucht zerstört Familien und Freundschaften. Spielsucht verursacht Beschaffungskriminalität bis hin zu Banküberfällen. Es ist keine Frage: Da muss die Gesellschaft, da muss der Staat etwas tun.

(Beifall bei der FDP)

Aber dieses Gesetz wirkt in keiner Weise gegen die Spielsucht.

(Dirk Kienscherf SPD: Was?)

Zunächst hat Herr Stemmann recht mit seinen Ausführungen – ich hatte es gestern auch schon gesagt –: Die Vorgehensweise der SPD bedeutet eine Aushöhlung der Rechte des Parlaments nach der Hamburger Verfassung

(Dirk Kienscherf SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

(Hjalmar Stemmann)

und ist eine Brüskierung der EU. Da verweise ich auf Herrn Stemmann, das brauche ich nicht zu wiederholen. Aber unabhängig von dieser Frage ist das Gesetz geradezu ungeeignet gegen Spielsucht.

Wir haben, das wurde schon erwähnt, am 27. April 2012 eine Anhörung veranstaltet. Und ich habe es selten erlebt, dass eine Anhörung zu einem Gesetzentwurf so desaströs für den Gesetzentwurf ausging. Sie können das alle im Wortprotokoll nachlesen, lassen Sie mich einige Punkte nennen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wo waren Sie denn?)

Ich war da, Herr Dressel, Sie offenbar nicht.

Erster Punkt: Die Grundidee Ihres Gesetzes ist eine Reduzierung der Verfügbarkeit. Sie können auf Seite 53 im Wortprotokoll nachlesen, Herr Dressel, dass die Experten gesagt haben, es sei außerordentlich fraglich, ob eine Verknappung des Angebots oder der Verfügbarkeit wirklich zu einer Reduzierung der Spielsucht führt.

Zweiter Punkt: Spielhallen sind nicht der einzige oder auch nur der Hauptgrund für Spielsucht. Die Schweiz und Norwegen haben beispielsweise keine Spielhallen, und dennoch ist der Anteil der pathologischen Spieler in der Schweiz und in Norwegen nicht um ein bisschen geringer als in Deutschland. Auch das können Sie auf Seite 13 im Wortprotokoll nachlesen.

Dritter Punkt: Die Abstandsregelung von 500 Metern, die hier schon erwähnt wurde, bringt zunächst einmal gar nichts. Was aber viel schlimmer ist: Sie haben sie geradezu absurd geregelt, denn an der Reeperbahn und am Steindamm gelten nicht 500 Meter, da gelten 100 Meter. Nun frage ich Sie: Wenn an der Reeperbahn und am Steindamm 100 Meter ausreichen, wieso müssen es dann an anderer Stelle 500 Meter sein? Entweder brauchen wir 100 Meter zum ausreichenden Schutz vor Spielsucht, dann reichen die überall, oder wir brauchen 500 Meter, dann müssen es an der Reeperbahn aber auch 500 Meter sein. Das ist widersprüchlich und verfassungsrechtlich bedenklich.

(Beifall bei der FDP)

Vierter Punkt: Wieso wollen Sie das auf acht Geräte beschränken und auf eines pro 12 Quadratmeter? Auch das ist willkürlich. Ich habe in der Expertenanhörung ausdrücklich gefragt, ob es belastbare Erkenntnisse gibt, dass das in irgendeiner Weise dem Spielerschutz dient. Die Antwort war Nein, es gibt keine belastbaren Erkenntnisse. Das ist eine rein willkürliche, über den Daumen gepeilte Regelung, die nichts für den Spielerschutz bewirkt.

Fünfter Punkt: Bei den längeren Sperrzeiten gibt es das gleiche Problem wie beim Abstand. Sie sehen landesweit eine Sperrzeit von sieben Stunden vor, an der Reeperbahn und am Steindamm

drei Stunden. Entweder brauchen wir – genau wie oben – überall sieben Stunden, dann erklären Sie uns, wieso an der Reeperbahn drei Stunden reichen. Oder, was eher zu vermuten ist, Sie meinen, an der Reeperbahn reichen drei Stunden Sperrzeit für den Spielerschutz, dann reicht das auch landesweit. Das ist widersprüchlich und verfassungsrechtlich bedenklich.

(Beifall bei der FDP)

Sechster Punkt: Es ist sehr fraglich, ob die Länder – und damit auch Hamburg – überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für das Abstandsgebot haben. Nach Meinung des führenden juristischen Experten bei der Anhörung – nachzulesen, Herr Dressel, auf Seite 50 im Wortprotokoll – ist es nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 18 Grundgesetz zur Bodennutzung höchstwahrscheinlich nicht so, dass Hamburg da die Kompetenz hätte. Ihr Gesetz ist auch rein formal verfassungswidrig.

Siebter Punkt: Wie auf Seite 52 im Wortprotokoll nachzulesen ist, sind die Übergangsfristen, die Sie einräumen, höchstwahrscheinlich zu kurz. Es handelt sich um eine Enteignung, die mit Artikel 14 Grundgesetz so nicht vereinbar ist.

Achter Punkt und das ist vielleicht der wichtigste: Wenn Sie das Angebot in den Spielhallen reduzieren, sind die Spielsüchtigen damit nicht weg. Was werden sie machen? Wir haben es gehört – Seite 86 im Wortprotokoll, Herr Dressel –, nach Meinung der Experten ist damit zu rechnen, dass diese Personen ins Internet ausweichen. Und im Internet gibt es keinerlei Kontrolle. In Spielhallen – was auch nicht optimal läuft – gibt es Menschen, die aufpassen können, die man auch verpflichten kann aufzupassen und rechtzeitig Menschen darauf hinzuweisen: Achtung, bei dir besteht die Gefahr einer Spielsucht. Das gibt es im Internet nicht. Aus einem vergleichsweise gut überwachten Bereich werden potenziell Spielsüchtige ins Internet, in den nicht überwachten Bereich abgedrängt – ein klassisches Beispiel für ein Eigentor, wenn man sich ernsthaft um Spielerschutz kümmern will.

(Beifall bei der FDP)

Zusammengefasst: Aus der Anhörung ergaben sich nicht weniger als acht schwere Mängel in Ihrem Gesetzentwurf. Sie haben in einem halben Jahr Beratungspause, vom 14. Mai bis 1. November, keinen einzigen davon beseitigt. Herr Schäfer, der heute nicht da ist, sagte am 1. November in der letzten Ausschusssitzung: Die Maßnahmen sind doch auch nur Krücken.

Meine Damen und Herren! Wer das selber einsieht, der sollte bitte schön seinen Gesetzentwurf zurückstellen und nicht nur wegen der Europarechtsfrage noch einmal gründlich darüber nachdenken. Dieser Weg, den Sie einschlagen, ist falsch.

(Beifall bei der FDP)

Ich werde immer wieder gefragt, wie es denn sein kann, dass die SPD dermaßen verbohrt Äußerungen von mehreren hochkompetenten Experten nicht zur Kenntnis nimmt. Mir sind nur zwei Gründe eingefallen. Sie können sich überlegen, welcher der richtige ist.

Die erste Möglichkeit: Es ist eine ähnliche Verbohrtheit wie bei Hapag-Lloyd und da sehen wir die Folgen schon. Oder – zweite Möglichkeit, die ich auch sehr gut für möglich halte – die SPD und der Senat möchten Konkurrenz beseitigen. Die staatlichen Spielbanken haben natürlich starke Konkurrenz durch die privaten Spielhallen.

(Gabi Dobusch SPD: Was sind das denn für Verschwörungstheorien?)

Der Staat ist hier nicht neutral, sondern er ist selber Marktteilnehmer. Und er will seinen eigenen finanziellen Interessen dadurch nachkommen, dass er Konkurrenz ausschaltet.

Meine Damen und Herren! Das Gesetz hat also keinerlei oder nur minimale Wirkungen gegen die Spielsucht, es hat aber drastische und schwerwiegende Folgen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Jetzt kommt der Lobbyanwalt für die Spielhallen!)

Herr Dressel, Sie müssen sich endlich einmal angewöhnen, nicht gleich jede Meinung, die Ihnen nicht gefällt und die Ihrem sozialdemokratisch verbohrten Weltbild nicht entspricht, als Lobbyarbeit zu bezeichnen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ihre Fraktion hatte sich geweigert, sich mit diesen acht Punkten auch nur auseinanderzusetzen. Wenn dann jemand kommt, der Sie mit der Nase auf Ihren Unfug stößt, dann müssen Sie nicht in dieser primitiven Art und Weise dagegen vorgehen. Das passt überhaupt nicht dazu, schon gar nicht zu einer Regierungspartei.