Protokoll der Sitzung vom 28.02.2013

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das sehe ich nicht. Dann ist dieses Thema damit beendet.

Uns bleiben noch gut zehn Minuten der Aktuellen Stunde. Wird der Aufruf des fünften Themas seitens der anmeldenden GRÜNEN Fraktion gewünscht? – Das ist der Fall.

Lasst beide Herzen schlagen: Bundesratsmehrheit nutzen – Optionspflicht abschaffen!

Dann haben Sie das Wort, Frau Demirel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In 2013 greift erstmals die Optionspflicht. 3300 junge Menschen sind davon betroffen. Ab 2018 steigt die Zahl der Optionspflichtigen steil auf über 40 000 im Jahr an. In Hamburg hat jedes zweite Schulkind einen Migrationshintergrund. Sowohl für die jungen Menschen als auch für die Verwaltung bedeutet das eine große Herausforderung. Allein in den ersten Januarwochen wurden mindestens 16 in Deutschland geborene Optionspflichtige ausgebürgert. Rund 800 Personen haben noch keine Entscheidung getroffen und sind deshalb vom Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft bedroht. Was für ein politischer Irrsinn, in Deutschland geborenen Kindern die deutsche Staatsangehörigkeit nur unter Vorbehalt zu gewähren und sie als junge Erwachsene vor eine Zwangswahl zu stellen. Treffen sie diese Entscheidung nicht, werden sie zwangsausgebürgert und damit zu Ausländern im eigenen Land gemacht.

Weltweit ist Deutschland das einzige Land mit einem solchen Optionszwang. Dieser Zwang muss abgeschafft werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Junge Menschen, die hier geboren sind, gehören auch hierher. Sie sind hier zu Hause.

(Glocke)

Verzeihung, Frau Demirel. – Möglicherweise mag das ein Thema sein, zu dem Sie auch untereinander gern Argumente austauschen, aber ich fände es höflich, wenn wir zunächst Frau Demirel zu Ende zuhören würden.

Sie haben das Wort. Bitte fahren Sie fort.

– Danke schön.

Junge Menschen verstehen es zu Recht nicht, warum sie sich für die eine und gegen die andere Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Diese Entscheidung fällt ihnen schwer. Nicht, weil sie sich beispielsweise mehr mit der Türkei identifizieren als mit Deutschland, sondern weil sie in zwei Kulturen aufwachsen.

Sie können nicht die kulturelle Vielfalt als eine Bereicherung für diese Gesellschaft betrachten, aber die dazugehörende Staatsbürgerschaft ablehnen. Das passt nicht zusammen. Das ist kein gesundes Demokratieverständnis, sondern war eine eintönige Gesellschaftsidee der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat.

Zudem haben die jungen Menschen in dieser Lebensphase völlig andere Probleme. Sie sollen sich Gedanken über ihre Ausbildung und ihren Lebensweg machen und nicht über eine Staatsangehörigkeit, die sie mit der Geburt bekommen haben und die ihnen zum 23. Lebensjahr wieder entzogen werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD und der LINKEN)

Wir wollen, dass sich alle Menschen, ganz gleich, welche Herkunft sie haben, als mündige Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft entwickeln können. Dazu gehört die Einbürgerung. Sie ist nicht Endstation der Integration, sondern ein wichtiger Schritt dorthin. Politik hat die Aufgabe, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in dieser Gesellschaft erleichtert wird. Es ist diskriminierend und integrationsschädlich, einbürgerungswilligen Menschen die doppelte Staatsangehörigkeit zu verweigern. Dies gilt insbesondere für die jungen Menschen, die hier geboren und aufgewachsen und von Geburt an Deutsche sind. Ihnen darf die Staatsangehörigkeit nicht nachträglich entzogen werden. Zudem ist Mehrstaatigkeit in Deutschland schon lange keine Ausnahme mehr, sondern längst Praxis. Fast drei Millionen Spätaussiedler mit doppelter Staatsangehörigkeit leben hier, und über zwei Millionen in Deutschland lebende Men

(Hjalmar Stemmann)

schen aus den EU-Ländern haben ein Recht auf doppelte Staatsangehörigkeit. Deshalb kann ich es nicht nachvollziehen, welche Probleme die CDU mit der generellen Hinnahme der Mehrstaatigkeit hat. Die Optionspflicht war ein großer Fehler und die Bundesregierung ist noch nicht bereit, diesen Fehler zu korrigieren. Viele Institutionen, Stiftungen und Einrichtungen in Deutschland fordern schon seit Jahren, dass diese Optionspflicht abgeschafft wird.

Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt die Möglichkeit, diesem Unsinn ein Ende zu bereiten. Daher fordern wir den Senat auf, die Mehrheit im Bundesrat zu nutzen und eine Initiative zur Abschaffung der Optionspflicht im Staatsbürgerschaftsrecht auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lasst beide Herzen schlagen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat nun Herr Senator Neumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach der schlimmen Anti-Doppelpass-Kampagne, die Roland Koch vor 14 Jahren den Sieg bei den Landtagswahlen in Hessen einbrachte und zu einer schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat führte, war die Optionsregelung der politische Preis, der für die überfällige Einführung des Geburtserwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit von Kindern ausländischer Eltern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht in Deutschland von unserer Gesellschaft und der Politik auf Forderung der CDU gezahlt werden musste. Es stehen nun die ersten Fälle an, bei denen den Betroffenen droht, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu verlieren, weil sie die Beibehaltung ihrer deutschen neben einer weiteren Staatsangehörigkeit nicht rechtzeitig beantragt haben oder die Aufgabe ihrer weiteren Staatsangehörigkeit nicht rechtzeitig nachweisen können. Die Optionsregelung erweist sich in der Praxis als ein bürokratisches Monster, das trotz intensiver behördlicher Aufklärungsanstrengung viele Betroffene überfordert, das die Gefahr des unfreiwilligen Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit in sich birgt und damit aus meiner Sicht insgesamt integrationsfeindlich ist.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Ich freue mich, dass wir uns in Hamburg schon seit langem sowohl fraktionsübergreifend als auch zwischen Senat und Bürgerschaft darüber einig sind, dass die Optionspflicht in Deutschland endlich abzuschaffen ist. Der Senat hat sich immer wieder für

eine Abschaffung der Optionspflicht eingesetzt und das zuletzt auch mit einer Bundesratsinitiative im Jahr 2011 vorangetrieben. Nach den inzwischen veränderten Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat werden wir im kommenden Quartal gemeinsam mit anderen Ländern einen erneuten Vorstoß in diese Richtung unternehmen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Den Mitgliedern der Bürgerschaft, die sich den Fraktionen von CDU und FDP zugehörig fühlen, wäre ich sehr dankbar, wenn sie bei ihren Parteikollegen in Berlin für diesen Vorstoß aus Hamburg werben würden und auf ein Umdenken hinwirken könnten, damit es eben nicht erst nach dem Regierungswechsel im September zu einer Abschaffung der Optionspflicht kommt, sondern schon vorher. Gestatten Sie mir dazu die persönliche Anmerkung, dass die CDU im Moment derartig schnell in der Räumung ihrer ehemaligen Grundüberzeugungen ist, dass Sie sich vielleicht auch beim Thema Optionspflicht den Schubs geben könnten, endlich in der Realität anzukommen

(Beifall bei Dr. Till Steffen GRÜNE)

und dafür zu sorgen, dass Menschen sich wirklich heimisch in Deutschland fühlen und Ja zu Deutschland und zu Hamburg sagen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Nun haben nach Paragraf 22 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung noch einmal alle Fraktionen die Gelegenheit, das Wort zu ergreifen. Zunächst Herr Haufler.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es passt gut, dass Herr Neumann gerade gesprochen hat.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, der ist zu- ständig!)

Vor zwei Wochen erlebte ich einen sehr bewegenden Besuch bei einem Verein, der von jungen Offizieren der Bundeswehr in Hamburg gegründet wurde. Diese Offiziere waren wie alle anderen Soldaten auch, sie hatten einen Eid geschworen, unser Land auch unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Eines aber war an ihnen besonders: Keiner von ihnen konnte von sich sagen, dass seine Eltern beide in Deutschland geboren sind. Die meisten von ihnen haben lediglich die deutsche Staatsbürgerschaft. Diese jungen Menschen haben ihrem Verein den Namen Deutscher.Soldat e.V. gegeben. Dort setzen sie sich ehrenamtlich für die Integration von Kindern und Jugendlichen in unserer Stadt ein.

(Phyliss Demirel)

Sehr geehrte Kollegen von den GRÜNEN! Ich fordere Sie auf, mit diesen jungen Menschen zu sprechen, bevor Sie die Zuwanderer in unserer Stadt wieder einmal als Opfer von Diskriminierung darstellen, wie Sie das so gerne tun. Mir fällt auf, dass Sie als Überschrift dieser Diskussion "Lasst beide Herzen schlagen" gewählt haben. Mit dieser Wortwahl gestehen Sie ein, dass ein Mensch seine Heimat im Herzen trägt. Dies ist eine Selbstverständlichkeit für so gut wie alle Parteien in so gut wie allen Ländern dieser Welt, für mich aber ein geradezu revolutionäres Eingeständnis seitens Ihrer Partei und des linken Flügels dieses Landes,

(Zurufe von den GRÜNEN)

und ich beglückwünsche Sie zu dieser Erkenntnis. Oder liege ich im Unrecht, wenn ich an die vielen Diskussionen über den Patriotismus in unserem Land denken muss, in denen ich die schlimmsten Vorwürfe gegen Menschen gehört zu haben glaube, die ihr Land lieben, seine Flagge lieben, die Nationalhymne ihres Landes lieben, ob sie in diesem Land geboren sind oder nicht? Und erinnere ich mich falsch, wenn ich den Eindruck habe, dass diese Vorwürfe allesamt aus dem linken Flügel gekommen sind?

(Antje Möller GRÜNE: Vielleicht sollten Sie beim Thema bleiben?)

Für viele Menschen ist das aber ein Thema.

Sie sagen, man könne sich nicht mit diesem Land identifizieren, wenn man nicht zwei Pässe haben dürfe. Ich sage Ihnen, man kann sich sehr wohl mit einem Land identifizieren, wenn man das Gefühl hat, dass die Menschen und auch die Politiker ihr Land lieben und einem einen Anlass geben, sich mit diesem Land zu identifizieren. Darüber sollten Sie nachdenken.

(Beifall bei der CDU)

Verehrte Kollegen vom linken Flügel, ist Ihnen bewusst, dass Sie eine Debatte über Gesetze führen, deren Auswirkungen 60, 70 oder weit über 100 Jahre nachwirken werden, wenn die Enkelkinder der jungen Menschen, über die wir sprechen, zu wählen haben werden, in welchem Land sie leben wollen? Es gibt wohl kaum Gesetze, die länger Gültigkeit haben als diese Materie. Deshalb möchte ich Sie bitten, eine ernsthafte Debatte zu führen und nicht so zu tun, als läge die Entscheidung auf der Hand und als wüssten nur Sie, was für diese Menschen gut ist.

(Zuruf von Christiane Schneider DIE LINKE)

Wenn wir gemeinsam mit jungen Menschen – ob in Deutschland oder in anderen Ländern geboren – ein Land aufbauen wollen, in dem man sich heimisch fühlt und das man liebt, dann ist es nicht hilfreich, wenn Sie immer wieder davon sprechen, dass Gesetzesvorhaben, die eine Entscheidung herbeiführen, diese jungen Menschen diskriminie

ren. Ich glaube, die jungen Menschen von Deutscher.Soldat e.V. und viele, viele andere geben Ihnen da nicht recht. Besuchen Sie sie, dann sprechen wir noch einmal. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)