Protokoll der Sitzung vom 15.05.2013

Hierzu liegt Ihnen mit der Drucksache 20/7967 ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der GRÜNEN, der FDP und der LINKEN und mit der Drucksache

(Kai Voet van Vormizeele)

20/7970 ein gemeinsamer Antrag der SPD- und CDU-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktionen der GRÜNEN, der FDP und der LINKEN: Ernstgemeinte Resozialisierung statt Wegsperren in hoffnungsloser Verwahrung – Drs 20/7967 –]

[Antrag der SPD- und der CDU-Fraktion: Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Sicherungsverwahrung und zur Anpassung bzw. Änderung des Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes (HmbStVollzG), des Hamburgischen Jugendstrafvollzugsgesetzes (HmbJSt- VollzG) und des Hamburgischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes (HmbUVollzG) (20/6795) – Drs 20/7970 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Müller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über eine relativ kleine Gruppe von ehemaligen Straftätern, die nach Absitzen ihrer Strafe noch immer als so gefährlich eingeschätzt werden, dass wir sie weiter verwahren müssen. Das nennt man dann, wie wir in den letzten Jahren gelernt haben, Sicherungsverwahrung. In Hamburg haben wir mit dem Thema sehr gemischte Erfahrungen gemacht. Wir erinnern uns, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in dem die nachträgliche Sicherungsverwahrung aufgehoben wurde, weil sie grundrechtswidrig ist, in den letzten Jahren dazu geführt hat, dass einige Sicherungsverwahrte auf freien Fuß gesetzt und, wie wir auch alle wissen, relativ unvorbereitet in die Freiheit entlassen wurden. Die damit verbundenen Ängste haben natürlich viel mit der Gefährlichkeit der Straftaten zu tun, die diese Menschen einmal verübt haben, und deswegen haben wir in Hamburg vielleicht einen sensiblen, besonderen Blick darauf. Wir halten es daher für angemessen, dieses Thema noch zu debattieren, bevor wir darüber beschließen, und haben es heute angemeldet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, der sich nicht mit den bereits entlassenen Sicherungsverwahrten befasst, sondern mit den Sicherungsverwahrten, die noch nicht entlassen sind, und mit denjenigen, die zukünftig in die Sicherungsverwahrung kommen.

Warum liegt uns solch ein Gesetzentwurf vor? Der Senat hat es in seinem Entwurf dem Parlament erklärt, und ich will es jetzt noch einmal tun, weil nicht jede und jeder hier im Hause sich immer alles durchlesen kann. Wir hatten 2011 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches sämtliche Regelungen zur Sicherungsverwahrung in diesem

Land für verfassungswidrig erklärt hat. Es hat dem Gesetzgeber – einerseits dem Bund für das Strafvollzugsgesetz und andererseits den Ländern für den Sicherungsvollzug – aufgetragen, eine neue gesetzliche Basis, die nach den Maßgaben dieses Urteils dann eben verfassungsgemäß sein soll, auf den Weg zu bringen. Wir müssen uns beeilen, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil die Frist bis Ende dieses Monats läuft. Deswegen wird die Abstimmung von uns heute auch nicht verzögert, und deswegen ist es richtig, dass wir heute noch einmal darüber reden, bevor es Gesetz wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hamburgs Antwort auf das Karlsruher Urteil ist nun der vorliegende Gesetzentwurf. Wir haben im Justizausschuss dazu eine Expertenanhörung gemacht. Wir Abgeordnete haben uns im Justizausschuss den Gesetzentwurf sehr genau durchgelesen und uns auch Gesetzentwürfe von anderen Bundesländern angesehen.

Zumindest die Abgeordneten der LINKEN, der FDP und der GRÜNEN sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der vorliegende Entwurf des SPD-Senats nicht ausreichend den Vorgaben des Verfassungsgerichts entspricht, sondern uns allen eine Scheinresozialisierung vorgaukelt. Wir werden Ihnen nachher an einigen Beispielen deutlich machen, warum das so ist und warum wir diese Befürchtung haben. Wir glauben, dass dieses Vorgaukeln der Resozialisierung, die sich im Gesetzentwurf an vielen Punkten befindet, in der Praxis wieder zu dem sogenannten Wegsperren, wie wir das in den letzten Jahren in diesem Land getan haben und das nun verfassungswidrig ist, führen kann. Und genau das sollte nicht stattfinden, haben die Karlsruher Richter gesagt. Ich persönlich bin auch der Meinung, das sollte nicht sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wir haben uns nicht irgendetwas ausgedacht und wir werden auch keine Vergünstigungen vergeben. Es geht auch nicht um Nettigkeiten gegenüber den Sicherungsverwahrten, sondern was wir als GRÜNE, FDP und LINKE vorgelegt haben, sind Regelungen aus anderen Bundesländern, die es besser gemacht haben. Wir wollen Ihnen an ein paar wenigen Beispielen – meine Kollegen werden das noch ergänzen – deutlich machen, woran das liegt.

Ein ganz wichtiger Punkt, an dem man das erkennen kann, ist eine Klausel, mit der viele Vollzugsbedingungen in der Sicherungsverwahrung schnell außer Kraft gesetzt werden können, die Klausel der Ordnung der Anstalt. Wenn die aus Sicht des Vollzugs gefährdet ist, können diverse Rechte der Sicherungsverwahrten im Alltag außer Kraft gesetzt werden. Niedersachsen und Bremen, übrigens heute gerade dort beschlossen durch die Bremische Bürgerschaft, haben diese Ordnungs

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

klausel gestrichen, weil sie aus ihrer Sicht nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmt. Wir haben uns auch noch einmal die Mühe gemacht zu schauen, was Professor Kinzig, der Experte aus dem Justizausschuss, sehr deutlich zu diesem Vollzugsgesetz, das jetzt in den Ländern durchgeführt werden soll, gesagt hat:

"Dabei ist vor allem sicherzustellen, dass die genannten Anforderungen nicht durch Gewährung zu weiter Spielräume in der Praxis umgangen werden können und damit das Abstandsgebot [zum Strafvollzug] faktisch leer läuft. […] Ohne Wahrung dieses Abstandsgebots ist das Institut der Sicherungsverwahrung mit dem Freiheitsgrundrecht der Untergebrachten nicht vereinbar."

Meine Damen und Herren! Das ist sehr deutlich. Deswegen haben es die anderen Landtage auch nicht mehr drin. Hamburg hat auf diesen Zusatz nicht verzichtet. Schleswig-Holstein, soweit wir das inzwischen beurteilen können, hat es so im parlamentarischen Verfahren geregelt, dass keine Verstöße mehr wegen einfacher Ordnungsgefährdung vorliegen müssen, sondern schwerwiegende Gründe. Das ist ein kleiner Schritt. Wir hätten am liebsten den niedersächsischen Gesetzentwurf hier eingebracht. Wir haben uns dennoch entschlossen, an dem hamburgischen Entwurf Verbesserungen vorzunehmen, natürlich auch in der Hoffnung, dass die SPD doch noch in einigen Punkten folgt. Das ist im vorliegenden Antrag zum Teil auch der Fall.

Summa summarum, und ich überlasse den Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN gern ein paar andere Beispiele, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass dieser Gesetzentwirf in der Addition, der mehr nach Strafvollzugleid schreit als nach Freiheitsorientierung und Therapieorientierung, so, wie er heute verabschiedet wird, stark unter der Fuchtel der Karlsruher Richter stehen wird. Wir haben die Befürchtung, dass er in der Addition der Maßnahmen nicht verfassungsgemäß ist. Wir würden gern diesen Makel von diesem Parlament fernhalten und bitten die SPD, sich noch einmal unseren Antrag anzuschauen. Es sind keine Regelungen, die einfach aus der Luft gegriffen sind, es sind Regelungen, die andere Bundesländer bereits gemacht haben.

Wir würden uns wünschen, dass die SPD unseren Befürchtungen und auch unseren Vorschlägen folgt. Es ist im Interesse der Stadt und auch im Interesse eines demokratischen Rechtsstaats, dass einfaches Wegsperren in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr sein darf. – Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Das Wort bekommt Herr Tabbert.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, insbesondere von den GRÜNEN, der FDP und der LINKEN! Nachdem ich die Presseerklärung zu Ihrem heutigen Last-Minute-Zusatzantrag gelesen habe, habe ich mich gefragt…

(Christiane Schneider DIE LINKE: Der war eher da als Ihrer!)

Unseren haben Sie schon vor über zwei Wochen zugeschickt bekommen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das Ihre Pressestelle vorenthalten hat, aber wir haben es auch an die Pressestelle der LINKEN geschickt, Frau Schneider. Sie müssen dort noch einmal nachfragen. Ihren haben wir jedenfalls definitiv erst gestern bekommen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Gut Ding will Weile haben!)

Ich habe nämlich Ende letzter Woche noch einmal nachgefragt.

(Anja Hajduk GRÜNE: Dafür ist er besser!)

Das mag sein, Frau Hajduk, aber wenn Ihr Kollege Müller davon spricht, wir hätten da etwas von Ihnen übernommen, wo Sie und Ihre Pressestelle doch unseren Antrag auch schon vor zwei Wochen hatten, dann ist es wohl eher umgekehrt gewesen. Aber das kann ich eigentlich nur begrüßen.

Ich habe mich gefragt, wenn Sie wirklich etwas bewegen wollen, warum Sie dann zuerst die Presse informieren und danach erst das Parlament.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Wir haben doch im Ausschuss gekämpft wie die Lö- wen!)

Aber mit Ihren Vorschlägen sind Sie tatsächlich erst gestern herausgerückt. Sie fordern eine ernst gemeinte Resozialisierung, also genau das, was wir mit dem heutigen Entwurf umsetzen wollen. Aber allein die Kurzfristigkeit Ihres Antrags lässt doch starke Zweifel daran aufkommen, dass wir es mit ernst gemeinter Oppositionsarbeit zu tun haben.

(Beifall bei der SPD – Finn-Ole Ritter FDP: Das ist alles im Ausschuss diskutiert wor- den!)

Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2011 – das hatte Herr Müller schon gesagt – die geltenden Regelungen für verfassungswidrig erklärt hat, hatten wir, auch das wurde eben angesprochen, nur eine Frist bis zum 31. Mai 2013 gesetzt bekommen. Gleichzeitig mussten wir dabei natürlich abwarten, wie der Bundesgesetzgeber, der die entsprechenden Regelungen des Strafgesetzbuches zu ändern hatte, darauf reagiert.

(Farid Müller)

Herr Tabbert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?

Herr Tabbert, ich finde Ihre Einlassung zur Kurzfristigkeit nicht fair. Wir hatten uns darauf verständigt, wegen der Kurzfristigkeit und der heutigen Verabschiedung, dass die Fraktionen ihre Änderungsanträge ins Plenum geben. Wir hatten die Fraktionssitzung erst gestern, das wissen Sie auch, auf der es dann beschlossen werden konnte. Wenn es bei Ihnen andere Fraktionssitzungszeiten gibt, ist das gut. Aber bei unseren drei Fraktionen waren die Fraktionssitzungen erst gestern nach den Maiferien. Das war ein verabredetes Verfahren. Ich finde es nicht fair, wenn Sie uns jetzt deswegen Unseriosität unterstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Anja Hajduk GRÜNE, Christiane Schneider DIE LINKE und Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Da hat er recht!)

Herr Müller, es bleibt doch dabei, dass wir es zwei Wochen vor Ihnen geschafft haben. Das will ich an dieser Stelle festhalten. Es ist durchaus hilfreich, wenn man noch ein paar Tage Zeit hat, wenn man ein nicht ganz unwesentliches Gesetz verabschiedet, um sich noch einmal in Ruhe darüber zu beraten. Wenn ich aber letztlich nicht einmal 24 Stunden Zeit habe, um Ihr mehrseitiges Konvolut durchzugehen, dann sind die Erfolgschancen, dass das umgesetzt wird – das müssen Sie doch selbst sehen – nicht besonders groß. Aber ich habe mir trotzdem die Mühe gemacht.

Ich würde jetzt gern, Herr Müller, in meiner Rede fortfahren.

(Jens Kerstan GRÜNE: Sagen Sie mal was zur Sache!)

Ich wollte nur noch einmal darauf hinweisen, dass wir erst seit Dezember die Möglichkeit hatten zu schauen, mit was wir es im Bund zu tun hatten. Herr Müller hat es angesprochen, es geht letzten Endes darum, das Abstandsgebot stärker zu realisieren, als es bisher in der Praxis schon teilweise der Fall war. Genau das tun wir heute mit dem Zusatzantrag, den wir auch von CDU- und SPD-Seite vorgelegt haben.

Ergebnis der Expertenanhörung im Justizausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft war, dass der vom Senat vorgelegte Gesetzentwurf den verfassungsrechtlichen Anforderungen im Gegensatz zu dem, was Sie gerade dargestellt haben, gerecht wird und auch praxistauglich ist.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Bei wel- cher Anhörung waren Sie denn?)

Mich wundert daher sehr, dass von GRÜNEN, FDP und LINKEN nun der Eindruck erweckt wird, als sei dem nicht so. Einzig der Experte, den Sie benannt hatten, Frau Schneider, mag das anders gesehen haben, aber der sagte auch ganz offen, dass er Sicherungsverwahrung als solche sowieso generell ablehne.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE – Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Das hat unser Experte auch gesagt! Hören Sie eigentlich zu?)