Protokoll der Sitzung vom 22.08.2018

Mit unserem Antrag heute bringen wir die notwendige historische Aufarbeitung der Berufsverbote in Hamburg auf den Weg. Andere Bundesländer, es sind allerdings bisher nur Niedersachsen und Bremen, haben diesen Schritt bereits vollzogen. Mit dem Antrag erkennen wir an, dass viele der von hamburgischen Maßnahmen betroffenen Menschen durch Gesinnungsanhörung, Berufsverbote, langwierige Gerichtsverfahren, Diskriminierung oder durch Arbeitslosigkeit Leid erleben mussten. Wir erkennen an, dass die Umsetzung des Radikalenerlasses ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Hamburgs darstellt, das wir ausdrücklich bedauern. Wir sprechen den aus heutiger Sicht zu Unrecht betroffenen Bürgerinnen und Bürgern – aus heutiger Sicht deswegen, weil damals die Sache auch juristisch in den vielen Fällen eben anders bewertet wurde, als wir das heute tun – unseren Respekt aus. Vor diesem Hintergrund wollen wir eine gehaltvolle Aufarbeitung der Berufsverbote, die dem Schicksal der Betroffenen gerecht wird und einen umfassenden Einblick erlaubt in die Folgen des Radikalenerlasses. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Tabbert. – Als Nächster erhält das Wort, wenn er sich meldet, Herr Ovens. Das tut er jetzt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sicherlich sind wir uns alle einig, dass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte von grundlegender Bedeutung für den Zusammenhalt und für das Funktionieren unserer Demokratie ist, denn wir müssen aus den Fehlern unserer Vergangenheit stets lernen, um sie in Zukunft nicht zu wiederholen. Da sind wir auch als CDU bei Ihnen; da sind wir uns hier gemeinsam sicherlich einig.

(Beifall bei der CDU)

(Antje Möller)

Ein bisschen stutzig wurde ich, als ich den Zusatzantrag der LINKEN gelesen habe, die hier den Radikalenerlass mit dem Erfordernis der Verfassungstreue irgendwie in einen Topf zu werfen scheint. Das liest sich zumindest so, wenn man den Antrag einmal in Ruhe studiert. Das mutet mir etwas merkwürdig an, denn gerade im Staatsdienst sollte die Verfassungstreue doch das allerhehrste Gebot sein; anders kann ein Staat nicht funktionieren.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der AfD)

Kollege Tabbert hat gerade festgestellt, was das eigentliche Ziel des Radikalenerlasses war, hat auch festgestellt, dass er sicherlich in Teilen seine Wirkung erfüllt hat, hat aber auch deutlich gemacht, was an Unrecht offenbar auch geschehen ist. Nun ist das geschehen in einer Zeit, bevor ich überhaupt auf der Welt war, von daher kann ich es höchstens aus den Erzählungen hier oder aus Geschichtsbüchern lesen und lernen.

Die Anträge selbst lassen leider wenig Raum, um tatsächlich ein bisschen mehr ins Detail zu gehen, was denn schon wissenschaftlich aufgearbeitet wurde, wo wir weitergehende Informationen finden, was tatsächlich an Leid passiert ist, aber gleichzeitig auch, wo die Radikalenerlasse und das ständige Gebot der Verfassungstreue eben auch grundlegende Notwendigkeit waren, um unseren Staat in einer sehr schwierigen Zeit stabil und überhaupt funktionsfähig zu halten. Und das gehört dazu. Wenn man sich den Schatten anschaut, der offenkundig entstanden ist, muss man sich auch anschauen, warum es überhaupt notwendig war, und das geht in beiden Anträgen, insbesondere dem der LINKEN, leider vollständig verloren.

Nun ist es wichtig, dass wir feststellen, und das geht aus dem Petitum ja auch hervor, wer zu Unrecht betroffen war. Selbstverständlich sind wir uns einig, dass wir zu Unrecht betroffenen Menschen mindestens Respekt, aber eben auch eine Entschuldigung zollen müssen. Aber gleichzeitig fordert der Antrag, wenn auch ohne einen einzigen Euro an Budget dafür zur Verfügung zu stellen – was mich ein bisschen wundert –, ohne irgendwie deutlich zu machen, in welcher Form etwas wissenschaftlich aufgearbeitet werden soll … Man könnte fast – gestern im Wissenschaftsausschuss hätten wir es getan – darüber diskutieren, inwieweit wir als Parlament überhaupt gezielt der Wissenschaft vorschreiben sollen, was denn jetzt ergründet werden soll. Das Stichwort "Freiheit von Wissenschaft und Forschung" wird ja gern gerade von SPD und GRÜNEN bemüht, sodass wir uns schon fragen: Was ist eigentlich an diesem Antrag nicht ganz vollständig? Einerseits werden klare Feststellungen gemacht, auf der anderen Seite spricht man aber von der Notwendigkeit einer ausführlichen Aufarbeitung. Ich finde, das ist nicht

ganz rund. Deswegen tun wir uns als CDU mit diesem Antrag auch ein Stück weit schwer.

Man könnte das Ganze jetzt weiter im Wissenschaftsausschuss diskutieren. Ich vermute, daran haben Sie kein Interesse. Von daher werden wir uns an dieser Stelle enthalten, weil der Antrag eben leider unvollständig ist und viele Fragen offenlässt. Wir sind nicht gegen eine wissenschaftliche Aufarbeitung, aber dann nennen Sie bitte Ross und Reiter und sagen Sie konkret, wer das machen soll, mit welchen Budgets, in welchem Zeitraum das passieren soll. Und treffen Sie nicht vorher schon klare Schlussfolgerungen, was aus Ihrer Sicht alles falsch gelaufen ist, wenn Sie gleichzeitig fordern, dass man etwas aufarbeiten soll. Das passt nicht zusammen. Von daher werden wir uns enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ovens. – Als Nächste erhält das Wort Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Ich freue mich, Betroffene von Berufsverboten hier begrüßen zu dürfen; ich freue mich, dass Sie an der Diskussion als Zuhörer teilnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Am 3. Februar 1979 wurde in Hamburg die Richtlinie zur Umsetzung des Radikalenerlasses aufgehoben. Seit fast 40 Jahren also ist die Aufarbeitung des sogenannten Radikalenerlasses von 1972 überfällig. Hamburg war vorgeprescht und hatte schon Ende 1971 eine entsprechende Weisung erlassen. In einer Bürgerschaftsdebatte im Dezember 1971 sprach sich allein der Abgeordnete Weber, FDP, dagegen aus, immer wieder von Zurufen aus SPD und CDU unterbrochen. Er warnte vor einer Hexenjagd, vor Denunziantentum, vor Erziehung zur Kritiklosigkeit durch zur Anpassung gezwungene Lehrer. Ich zitiere:

"[…] Demokratie wagen sollte für uns bedeuten permanente Auseinandersetzung, sollte bedeuten, die Freiheit, auch die Freiheit der Berufswahl, die Freiheit auch für den politisch Andersdenkenden so lange, bis er das Gegenteil durch seine Handlungen bewiesen und gezeigt hat, dass er diese Freiheit missbraucht. – Zuruf von der SPD: Dann ist es zu spät!"

Zwar ging es beim Radikalenerlass formal auch um Mitglieder rechter Organisationen, aber de facto waren sie fast nicht betroffen – nicht in Hamburg, nicht bundesweit, nicht in einer Zeit, in der ein Nazijurist es noch zum Ministerpräsidenten

(Carsten Ovens)

bringen konnte. Mit dem folgenschweren Erlass reagierte ausgerechnet die SPD auf den Aufbruch größerer Teile der jungen Generation in den 1960ern, auf die Auseinandersetzung in vielen gesellschaftlichen Bereichen, auf den Anspruch, die durch und durch verknöcherte Gesellschaft verändern zu wollen – ein Anspruch, den auf ihre Weise ja eigentlich auch die SPD hatte; ich erinnere an sozialliberale Reformprojekte, an "mehr Demokratie wagen".

Die Zahlen haben die Vorrednerinnen schon genannt. In Hamburg hat die Historikerin Alexandra Jaeger in ihrer Dissertation 200 Akten von Berufsverbotsverfahren untersucht. Betroffen waren vor allem Lehrerinnen und Lehrer oder Menschen, die es werden wollten, aber auch Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, Ärztinnen und Ärzte an öffentlichen Krankenhäusern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Einige Verfahren wurden schnell eingestellt, andere zogen sich lange hin. 88 Personen sollen demnach schließlich abgelehnt beziehungsweise entlassen worden sein. Es hieß, dass jeder Fall einzeln geprüft werde, aber de facto gab es kaum Einzelfallprüfungen. Konkrete Aktivitäten oder politische Einstellungen, Engagement oder Befähigung, das alles interessierte nicht. Im Zweifelsfall reichte zwar nicht unbedingt die Mitgliedschaft, aber bereits eine Funktion wie Leiterin einer Wohngebietsgruppe in der DKP, also einer legalen Partei, um Menschen als Verfassungsfeinde abzustempeln. Manchmal reichte schon die Teilnahme an einer Demonstration oder die Wohngemeinschaft mit einer nicht vertrauenswürdigen Person.

Der Eingriff in das Leben, den die BerufsverbotePraxis bedeutete, hatte für die Betroffenen meist schwerwiegende Folgen: Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung – könnten Sie bitte ein bisschen leiser reden, Herr Kienscherf? –, Auseinanderbrechen von Freundschaften, psychische Einschränkung bis hin zu Depressionen, die manchmal bis heute nachwirken. Auch unter finanziellen Folgen leiden Betroffene bis heute.

Aber auch die gesellschaftlichen Auswirkungen waren einschneidend. Der Radikalenerlass erzeugte, wie es im Bericht der niedersächsischen Landesbeauftragten für die Aufarbeitung heißt,

"ein gesellschaftliches Klima der Angst vor dem Verlust der sozialen Existenz".

Sie entpolitisierte und beförderte Duckmäusertum. Der Radikalenerlass war ein Angriff auf vom Grundgesetz verbürgte Rechte, auf die Meinungsfreiheit, die Berufsfreiheit, das Diskriminierungsverbot. Die Verantwortung für die damalige Hamburger Praxis trugen Senat und Bürgerschaft. Sie tragen deshalb heute die Verantwortung für eine Frieden stiftende Aufarbeitung, für die Rehabilitierung

der von staatlichem Unrecht Betroffenen, auch für eine Entschuldigung.

Beides sieht der rot-grüne Antrag nicht vor. Er bleibt halbherzig, auch weil er die Möglichkeit einer finanziellen Härtefallregelung ausdrücklich nicht erwähnt. Betroffene haben einen Fonds gebildet, in den sie einzahlen, um anderen Betroffenen, die unter niedrigen Renten und Not leiden, zu helfen. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass das die Betroffenen sozusagen selbst machen müssen. Wir brauchen eine Härtefallregelung.

(Beifall bei der LINKEN)

Und schließlich muss die Aufarbeitung zusammen mit den Betroffenen erfolgen. Das fordern die Betroffenen. Der rot-grüne Antrag schweigt dazu.

Wir hätten den Antrag gern unterstützt. Wir waren zu Kompromissen bereit. Leider gab es vor allem aufseiten der SPD keine Kompromissbereitschaft. Deshalb werden wir uns enthalten beziehungsweise bei der von der FDP gewünschten punktweisen Abstimmung differenziert abstimmen. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Schneider. – Als Nächster erhält das Wort Herr Jarchow von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei der Behandlung dieses Themas müssen wir uns sicherlich in die Zeit versetzen, in der diese Entscheidungen getroffen wurden. Anfang der Siebzigerjahre verfolgte die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien während des Kalten Kriegs mit der Umsetzung der neuen Ostpolitik ein ambitioniertes Ziel für Frieden und Freiheit in Europa. Dazu gehörte auch, dass man mögliche Verbotsverfahren gegen zum Beispiel kommunistische Parteien aktiv zu vermeiden suchte. Gleichzeitig stand die Bundesrepublik und auch Hamburg innenpolitisch unter Druck. Einerseits durch die militante RAF und deren Umfeld und andererseits durch die Kräfte, die nach eigenen Aussagen die freiheitliche demokratische Grundordnung durch einen Marsch durch die Institutionen zu Fall bringen wollten. Vielfach wurde bei diesen Bewegungen eine Unterstützung oder gar Steuerung durch staatliche Kräfte aus dem Machtbereich des Warschauer Pakts vermutet. Nach dem Fall der DDR und dem Ende der Sowjetunion und des Ostblocks konnte aus den Aktenbeständen und Aussagen von ehemaligen Akteuren wie zum Beispiel Markus Wolf mittlerweile viel rekonstruiert werden. Dazu gehören die vonseiten des Ostblocks und insbesondere der Auslandsabteilung der Stasi in Westdeutschland in dieser Zeit betriebenen Infiltrationsaktivitäten in den öffentlichen Dienst genauso wie die praktische oder finan

(Christiane Schneider)

zielle Unterstützung sowie auch steuernde Beeinflussung von systemkritischen und feindlichen Kräften.

Dieses Gefühl der Bedrohung führte in der damaligen Zeit zu einem gewissen Aktionismus. Damals wie heute führt Aktionismus leider oft zu Maßnahmen, die nützlicher erscheinen, als sie bei näherer Betrachtung sind. Der Radikalenerlass gehörte zweifellos dazu und stellte sich dann auch sehr schnell als wenig zielführend und bisweilen kontraproduktiv heraus. Hinzu kam, dass die Gerichte zunehmend verfassungsrechtliche Bedenken, verfassungsrechtliche Probleme bei Ausgestaltung und Ausführung feststellten.

Während die damalige Bundesregierung sich hier zum Ende der sozialliberalen Zeit mit dem Thema schwertat, hat der Hamburger Senat unter dem Bürgermeister Klose – es wurde bereits erwähnt – 1979 reagiert und das Beste gemacht, was man in einer solchen Situation tun konnte: Wenn Sie merken, dass man einen Fehler gemacht hat, den Fehler umgehend abstellen.

(Beifall bei der FDP)

Dass man politisch in bester Absicht erst einen Fehler gemacht und die nicht zielführenden Maßnahmen dann zügig abgeschafft oder durch geeignetere ersetzt hat, macht diese Angelegenheit aber nun wirklich noch nicht zu einem unrühmlichen oder dunklen Kapitel der deutschen Geschichte. Das scheint mir übertrieben. Das im Antrag gewählte Wording rückt diese als solche rechtsstaatlichen Vorgänge in die Nähe von staatlichem Unrechtshandeln, wie es im Dritten Reich oder in der DDR üblich war. So muss uns als Rechtsstaatspartei auch schon angesichts der Begründung eine Zustimmung zu den Petiten schwerfallen.

Dazu kommen noch konkrete Mängel. Bereits der Wortlaut des ersten Spiegelstrichs des Petitums ist falsch gewählt, denn existent ist ein aufgehobener Erlass in jedem Fall noch und auch wirksam für den früheren Geltungszeitraum. Etwas anderes zu beschließen wäre unwirksam. Da Sie aber anscheinend mit Ihren unklaren Formulierungen lediglich eine Deklaration zu einem objektiven Faktum treffen würden, das wir inhaltlich teilen, werden wir hier zustimmen.

Das gilt allerdings weniger für die Spiegelstriche 2 und 3 des Petitums. Zu Unrecht von Handlungen der Staatsgewalt Betroffene sollten aus freidemokratischer Sicht natürlich immer den Respekt aller rechtsstaatlichen Institutionen genießen. Das ist zwar leider nicht der Regelfall, aber hier kann man durchaus einmal eine Gruppe von Betroffenen privilegiert herausgreifen, da es hier um Adressaten systematischen Handelns über Jahre hinweg aufgrund eines exekutiven Erlasses ging.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung, die Sie des Weiteren vom Senat fordern, begrüßen wir grundsätzlich. Allerdings sollte eine wissenschaftliche Aufarbeitung aus unserer Sicht ergebnisoffen sein. Die von Ihnen im übrigen Petitum enthaltenen unwissenschaftlichen Ergebnisvorfeststellungen und -vorgaben sind hier nicht dienlich und deswegen werden wir dem nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Zum Ersetzungsantrag der LINKEN muss ich zunächst einmal konstatieren, dass dieser methodisch wie sprachlich mindestens eine Liga über dem zugrundeliegenden Antrag der Koalition spielt. Zustimmen können wir leider trotzdem nicht, da er aus unserer Sicht die falsche Tendenz des Koalitionsantrags noch viel konsequenter verfolgt.

Zum Schluss erlauben Sie mir noch eine allgemeine Bemerkung. Die politische Linke muss diese Causa dringend einmal zum Anlass nehmen, um die Konsistenz ihrer Linien im Umgang mit Radikalen im öffentlichen Dienst und in staatsnahen oder öffentlichen Unternehmen zu klären. Wenn Akteure gerade aus Ihren Reihen im Hinblick auf die Berufstätigkeiten von Rechtsradikalen und Extremisten heute gern oft und vielerorts genau das propagieren und fordern, was Sie in der Causa Radikalenerlass Siebzigerjahre hinsichtlich linksradikaler Extremisten politisch verurteilen, machen Sie sich in beiden Dingen unglaubwürdig und schaden letztendlich nur dem Ansehen unseres Systems. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Ludwig Flo- cken fraktionslos)

Schönen Dank, Herr Jarchow. – Als Nächster erhält das Wort Herr Nockemann von der AfD-Fraktion.