Protokoll der Sitzung vom 19.01.2022

lungsintensität eventuell auch. Deswegen brauchen wir uns in derlei Debatte überhaupt nicht zu flüchten,

(Zuruf)

sondern es gilt weiterhin: Ein vollständiger Impfschutz ist wichtig. Insbesondere schützt er vor schwerer Erkrankung. Das gilt jetzt mehr denn je. Wir brauchen ihn perspektivisch alle, um die Pandemie miteinander gut zu überwinden.

(Beifall)

Weil das so ist, macht der Senat in allen Bereichen der Stadt niedrigschwellige Impfangebote. Das Spektrum reicht von den terminfreien Impfstellen in den Bezirken über Impfangebote bei Arbeitsmarktprojekten und Elternberatungsstellen bis hin zum Hochzeitssaal; größere Varianten gibt es kaum irgendwo. Wir werden das weitermachen, jeden Tag, und wenn wir nur einzelne Menschen damit erreichen. Jede Impfung ist eine gute Impfung. Wir verurteilen nicht, wir motivieren und wollen überzeugen: Entscheiden Sie sich, nutzen Sie eine der Gelegenheiten, zum Beispiel einen der vielen im Moment freien 1 000 Impftermine. Bitte lassen Sie sich an dieser Stelle impfen. Sie helfen sich, aber auch uns allen dabei, die Pandemie zu überwinden.

(Beifall)

Weil das so ist, wundere ich mich schon sehr, dass in dem Moment, wo die CDU nicht mehr in der Bundesregierung vertreten ist, plötzlich aus einigen Ländern nicht nur die allgemeine Impfpflicht infrage gestellt wird – diese Debatte ist ja im Parlament zu führen; ich hatte Sie alle so verstanden, dass Sie das auch wollten und nicht par ordre du mufti vom Kanzler irgendwie verhängt,

(Beifall)

wir brauchen ja eine gesellschaftliche Akzeptanz –, sondern dass die ersten CDU-regierten Länder die Impfpflicht in Einrichtungen infrage stellen und ein Moratorium fordern, bis wir die allgemeine Impfpflicht haben. Das ist in einer Weise hasardeurhaft, dass es einem die Sprache verschlägt. Es hat kaum sechs Wochen gedauert, bis man hier die Seiten gewechselt hat – sehr, sehr bitter, gerade wenn man um Vertrauen in der Gesellschaft ringt. Sehr, sehr bitter, muss ich sagen.

(Beifall)

Insofern nehmen wir das Angebot gern an. Streiten Sie mit uns dafür, dass die Debatte im Bundestag in Gang kommt. Auch und gerade Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben für sich eingefordert, dass die Debatte genau dort zu führen ist und nicht in den Regierungen, dass wir einen Beschluss kriegen, der auch trägt. Helfen Sie dabei gern mit und überzeugen Sie gleichzeitig die Landesregierungen einer jeden Farbe davon, dass wir

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP)

das, was wir schon erreicht haben – nämlich die einrichtungsbezogene Impfpflicht für die Gruppen, die besonders verletzlich sind, denen auch ein Virus wie Omikron etwas anhaben kann, wenn sie nicht geimpft sind –, in vollem Umfang ausüben als unsere gesellschaftliche Solidarität. Damit gewinnen wir auch diejenigen, die sich vielleicht nicht im ersten Schritt überzeugen lassen, für eine Impfung. – Vielen Dank.

(Beifall)

Für die GRÜNE Fraktion bekommt Frau Block für nunmehr drei Minuten das Wort.

Liebes Präsidium, liebe Kolleg:innen, liebe Öffentlichkeit! Nur mit wissenschaftsbasierter solidarischer Politik kommen wir raus aus den multiplen Krisen unserer Zeit. Das heißt für uns: recherchieren, informieren und ethisch-moralisch im Sinne der Solidarität abwägen.

Wissenschaftsbasierte Politik heißt auch, Fehler einzugestehen, neue Sachlagen zu erklären und keine falschen Versprechungen zu machen. Es war falsch zu sagen, wer doppelt geimpft sei, werde nie wieder Kontaktbeschränkungen erleben oder eine Impfpflicht werde nie nötig werden. Wenn solche falschen Versprechungen passiert sind, ist es wichtig zu erklären, wie es zu einer neuen Einschätzung kommt. Das kann unangenehm sein, und es ist auch verdammt anstrengend, sich immer und immer wieder auf einen neuen Wissensstand zu bringen und Handlungsoptionen abzuwägen, aber es ist notwendig.

(Beifall)

Es schadet unserer Demokratie, wenn wissenschaftlicher Streit als persönlicher Streit von zwei Wissenschaftlern dargestellt wird. Es schadet unserer Demokratie, wenn nicht klar getrennt wird zwischen der persönlich-politischen Meinung und den aus der eigenen Fachexpertise abgeleiteten wissenschaftlichen Empfehlungen. Leider müssen wir auch erleben, dass durch Fehlinformationen und Verleumdung versucht wird, die Grenze zwischen wahr und unwahr aufzulösen. Wir haben es heute eben wieder von der AfD so erlebt. Verschwörungsmythen als solches sind perfide.

(Zuruf)

Sie greifen die Erfahrungswelt ihrer Adressat:innen auf, zum Beispiel bezüglich Krisenerfahrung oder abstrakter Herrschaftsverhältnisse, und bieten ihnen dann ein unwahres Deutungsangebot, getränkt mit Antisemitismus, antiasiatischem Rassismus und fehlender wissenschaftlicher Methodik.

(Beifall)

So wird versucht, das Vertrauen in unsere Demokratie zu erschüttern. Es bedroht Menschen im Hier und Jetzt. Immer noch zu unsichtbar sind die durch diese Erzählungen befeuerten, real existierenden Angriffe. Es muss endlich aufhören, dass aus der Mitte der Gesellschaft rassistische, antisemitische und unwissenschaftliche Erzählungen weitergetragen werden.

(Beifall)

In der Coronapandemie erleben laut einer "Nature"-Umfrage die Hälfte der befragten Wissenschaftler:innen nach Medienauftritten Angriffe. Weltweit lassen sich Angriffe auf Bildung und Wissenschaft von rechtsradikalen Kräften beobachten. Es ist Hass gegen das Denken, welches hergebrachte Privilegien oder Herrschaftsverhältnisse infrage stellt. Es geht denen darum, all jenes Wissen zu verbieten, das nicht in ihr eigenes Weltbild passt. Das weisen wir entschieden zurück.

(Beifall)

Wir stehen für Wissenschaftsfreiheit in Verantwortung, wir stehen solidarisch mit allen von Rechten angegriffenen Wissenschaftler:innnen, wir sagen der Wissenschaft Danke für ihre Arbeit.

(Beifall – Zurufe)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Hansen das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Titel der heutigen Aktuellen Stunde ragt für mich besonders das Wort Solidarität hervor. Ich habe gestern in der Vorbereitung auf die heutige Sitzung in einem Jugendlexikon unter diesem Schlagwort nachgeschlagen und dort diesen schönen Satz gefunden:

"Jemand handelt dann solidarisch, wenn sie oder er sich für andere Menschen beziehungsweise deren Anliegen einsetzt."

Ich finde, dieses Einsetzen für andere Menschen gilt vor allem gegenüber denjenigen, die in der Pandemie besonders gelitten haben; da denke ich an Kinder und Jugendliche. Denn sie waren es, die Schulschließungen ertragen haben, die auf vermeintlich Selbstverständliches wie Klassenreisen oder Abschlussfeiern verzichtet haben und die zeitweise ihre Zeit im öffentlichen Raum und mit Freunden nicht frei gestalten konnten. Weil wir das anerkennen, gilt dieser Gruppe der Kinder und Jugendlichen unsere ausdrückliche Solidarität.

(Beifall)

Wenn man mit ihnen spricht, hört man immer wieder auch Sätze wie: Aber bitte nicht wieder die Schulen schließen. Deshalb haben wir in den letzten Wochen und Monaten umfassende Maßnahmen ergriffen, um trotz dieser Pandemie ein gewis

(Senatorin Dr. Melanie Leonhard)

ses Maß an Normalität durch Schulbesuche zu ermöglichen. Ich denke an die Erhöhung der Testfrequenzen, an die Anpassung der Maskenpflicht zur jeweiligen Situation, an die Impfangebote und an die über 10 000 Unterrichtsräume, die inzwischen mit Luftfiltern ausgestattet sind.

Zur Wahrheit gehört aber auch eins, nämlich: Es kann kein Versprechen geben, dass es nie wieder Einschränkungen im Schulbetrieb geben wird. Zu sehr hat uns diese Pandemie schon oft mit neuen Varianten und Mutationen überrascht, zu sehr erfüllen uns die aktuellen Entwicklungen mit Sorge. Jeden Tag beobachten und bewerten wir die Situation neu und gucken, was zu tun ist. Schulen sind deshalb bereits unmittelbar nach dem ersten Lockdown aufgefordert worden, Pläne für mögliche weitere Distanz- und Wechselunterrichte vorzubereiten. Trotzdem wollen wir so lange wie irgendwie möglich einen regelmäßigen Schulbesuch sicherstellen, um die größtmögliche Normalität für Kinder und Jugendliche zu erhalten.

Solidarität gilt besonders den Kindern und Familien, die es schwer haben, in der öffentlichen Debatte zu Wort zu kommen und wahrgenommen zu werden. Deshalb haben wir große Anstrengungen unternommen, gerade diese Kinder und Jugendlichen besonders zu unterstützen. Wir beraten später einen Antrag zur psychosozialen Unterstützung, der hier noch einmal mehr auf den Weg bringt, mehr Stellen an den ReBBZ für psychosoziale Unterstützung, Erhöhung der Ressource für Schulsozialarbeit, Einrichten weiterer besonderer Lerngruppen.

Ich persönlich bin dankbar für die zustimmenden, aber genauso auch für die kontroversen und kritischen Anmerkungen, die wir aktuell aus der Hamburger Schullandschaft bekommen, denn sie zeigen eins, und das ist wichtig in diesen Zeiten: Wir haben hier eine gute Gesprächskultur, wir haben hier kreative Ideen, eine hohe Belastbarkeit und eben Menschen, die solidarisch an der Seite von Kindern und Jugendlichen stehen. Das ist doch das, was uns alle, Rot-Grün, die Hamburger Schullandschaft und alle anderen, die mit Kindern und Jugendlichen in dieser schweren Zeit arbeiten, eint: das Ziel, diese Kinder und Jugendlichen sozial, menschlich, pädagogisch kind- und altersgerecht durch diese schwere Zeit zu begleiten und sie nach Kräften zu unterstützen. Und das können wir schaffen, gemeinsam und solidarisch. – Herzlichen Dank.

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erhält jetzt Herr Gamm das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was in der ganzen Debatte oftmals vergessen

wird, ist, dass die zur Bekämpfung von COVID-19 entwickelten Impfstoffe ein Riesengeschenk sind. Niemals zuvor in der Geschichte ist es gelungen, in so kurzer Zeit hochwirksame Impfstoffe zu entwickeln, die dabei geholfen haben, einen Pandemieverlauf so stark einzudämmen und die Anzahl schwerer Krankheitsverläufe signifikant zu vermindern. Und man mag sich kaum vorstellen, was passiert wäre, wenn wir bis heute schutzlos dieser Pandemie ausgesetzt wären. Die Staaten, so wie wir sie heute kennen, würden wir kaum wiedererkennen. Und mit der Entwicklung von ersten wirksamen Medikamenten wie beispielsweise Paxlovid können schwere Krankheitsverläufe bei rechtzeitiger Einnahme um fast 90 Prozent verringert werden, das haben aktuelle Studien belegt. Dies eröffnet eine neue, wichtige Perspektive, dass wir in diesem Jahr die echte Chance haben, ein paar Schritte zurück in die Normalität zu kommen. Diese Erfolgsgeschichten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gefahr zu erkranken allgegenwärtig ist. Dabei sind die Impfung und auch das Boostern kein Freifahrtschein, der uns von allen Gefahren befreit. Und dies ist sicher eine der zentralen Aussagen, die in der Vergangenheit nicht immer optimal kommuniziert wurden. Doch was sind die Gründe dafür? Das wird relativ schnell klar, wenn man sich die Historie der Pandemie anschaut.

Noch zu Beginn des Jahres 2021 wurde erwartet, dass eine Impfquote von rund 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ausreichen würde, um die Pandemie mit der damals vorherrschenden AlphaVariante einzudämmen. Mittlerweile hat man diesen Wert auf 85 bis 90 Prozent erhöht durch die Delta-Variante und Omikron. Daher ist es wichtig, sich einmal insgesamt den Verlauf der öffentlichen Debatte anzuschauen. Die veränderten Pandemielagen haben eben sehr viele Aussagen und Positionen von politisch relevanten Entscheidern hinfällig gemacht, wie eben die Aussage zu den gerade von mir erwähnten Impfquoten. Und es wurde nicht klar genug kommuniziert, dass die Impfung trotz aller Vorteile keinen vollständigen und dauerhaften Schutz bietet. Beide Aspekte zahlen eben ein auf die Position der Impfskeptiker und Impfgegner. Doch wie sollte man nun mit den Impfgegnern umgehen?

Nach meiner Einschätzung ist die Darstellung, wie sie hier teilweise vorgenommen wurde, alle Demonstranten und Menschen, die eine skeptische Haltung gegenüber dem Impfen haben, in die Ecke der Verschwörungstheoretiker zu stellen, eindeutig unterkomplex. Natürlich gibt es einen kleinen Anteil von verlorenen Menschen, die ohnehin unseren Staat ablehnen, aber der größere Anteil ist zumindest nach meiner Einschätzung eine Gruppe von Menschen, die Angst haben. Und Angst zu begegnen, das gelingt nur über Vertrauen, und für

(Nils Hansen)

Vertrauen ist eben eine bedingungslose Transparenz und Klarheit erforderlich.

(Beifall)

Das beinhaltet aber auch einen ehrlichen Umgang mit Informationen und Erkenntnissen, die sich vielleicht nicht so schön verkaufen lassen. Und dort gibt es natürlich erheblichen Nachholbedarf.

Meine Zeit ist abgelaufen, deshalb freue ich mich auf die nächste Runde. – Danke sehr.

(Beifall)