Protokoll der Sitzung vom 20.12.2023

(Beifall bei der CDU)

Die Leute durchschauen das mittlerweile; sie wissen, dass das meiste vielleicht nicht kommt. Das ist einfach die organisierte Verantwortungslosigkeit. Sie wollen Politik machen, Sie wollen toll dastehen, Sie fühlen sich nicht den Bürgern und Bürgerinnen unseres Landes verpflichtet in der Art und Weise, dass Sie denen einen Rahmen organisieren, innerhalb dessen sie selbst ihr Leben organisieren können und innerhalb dessen Unternehmen sicher und vorausschauend investieren können, und das ist verheerend. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Die Redezeit der Aktuellen Stunde ist erschöpft, und damit ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe auf die Punkte 2 bis 6, die Wahlen zu verschiedenen Gremien.

(Thomas Reich)

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines Mitglieds und dessen Vertreterin oder Vertreter für die Kommission für Stadtentwicklung – Drs 22/253 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines ordentlichen Mitglieds und zweier stellvertretender Mitglieder für die Härtefallkommission – Drs 22/964 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines Mitglieds für das Datenschutzgremium nach § 14 Datenschutzordnung der Hamburgischen Bürgerschaft – Drs 22/965 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines ehrenamtlichen Mitglieds und eines vertretenden Mitglieds für die Kreditkommission – Drs 22/966 –]

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl eines Mitglieds für den Beirat für politische Bildung – Drs 22/967 –]

Wie immer haben die Fraktionen vereinbart, diese fünf Wahlen in einem Wahlgang durchzuführen, und wie immer finden Sie vor sich auf den Tischen die Stimmzettel in verschiedenen Farben. Wie immer dürfen Sie nur ein Kreuz machen, und wie immer werden die Schriftführerinnen und Schriftführer, unterstützt durch Vizepräsident Schmitt, jetzt mit dem Einsammeln der Stimmzettel beginnen.

(Die Wahlhandlungen werden vorgenom- men.)

Sind noch Stimmzettel da, die abgegeben werden sollen? – Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann schließe ich wie immer die Wahlhandlung und bitte wie immer die Kolleginnen und Kollegen, die Stimmzettel auszuzählen. Und wie immer werden die Ergebnisse vereinbarungsgemäß zu Protokoll nachgereicht.1

Ich rufe auf Punkt 56, Antrag der Fraktion DIE LINKE: Demokratie und sozialen Zusammenhalt stärken – Armut bekämpfen.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Demokratie und sozialen Zusammenhalt stärken – Armut bekämpfen – Drs 22/13763 –]

Die antragstellende Fraktion möchte diesen Antrag an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen.

Frau Fritzsche von der Linksfraktion erhält zuerst das Wort.

Sie haben mir das Wort erteilt, habe ich das richtig gehört? – Ja, vielen Dank.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Hamburgerinnen und Hamburger! Auf Insta wurde mir vor ein paar Tagen die Zollstockrede von Lothar Binding auf dem SPD-Parteitag als interessanter Content angeboten; nicht die erste, sondern die, in der er beschreibt, dass hier unten, irgendwo im Millimeterbereich, die geplante Erhöhung für das Bürgergeld ist und irgendwo oben, am Ende des Zollstocks, Herr Merz mit seinem Einkommen liegt. Der ist gerade dabei, alle Minimalerfolge beim Bürgergeld unbedingt zurückdrehen zu wollen und jede populistische Sau durchs Dorf zu treiben. Die Rede kennen Sie, oder? Ich fand die toll.

(Beifall bei Sören Schumacher SPD)

Gut, ich will nicht kleinlich sein: Die Erkenntnis kam mir 20 Jahre zu spät, aber okay, das ist jetzt meine Sicht auf die Dinge. Interessant sind vor allem die Kommentare unter dieser Rede, und zwar liest man neben einigem Beifall von einigen verzweifelten SPD-Mitgliedern oft Kommentare wie

"Der Herr Merz, der geht wenigstens arbeiten"

und

"Ihr wollt immer nur unser Geld an die Faulen verschenken".

So viel Unkenntnis in einem Satz. Dass der Herr Merz für sein Geld – für dieses viele, viele Geld, das der Herr Binding dargestellt hat – arbeitet, dass er es durch Erwerbsarbeit verdient, wage ich zu bezweifeln. Aber der andere Unsinn ist die Vorstellung, dass Leute im Bürgergeldbezug immer nur faul zu Hause sitzen und Geld kassieren. Also, liebe "Bild"-Zeitungsleserinnen und -leser, ein kleiner Realitätscheck von meiner Seite: Es gab im Februar 2023 in Hamburg 188 589 Leistungsberechtigte im Bürgergeldbezug. Davon waren ungefähr 134 000 erwerbsfähig und 56 711 erwerbslos. Das heißt, 58 Prozent der Leute im Bürgergeldbezug arbeiten. Diese populistische Sau können wir also schon mal schlachten.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Warum verdienen die jetzt so wenig? Weil es zu wenig Lohnsteigerungen in den letzten 20 Jahren gab, unfreiwillige Teilzeit, Erpressbarkeit durch zu wenig Auswahl von guten Jobs und, und, und. Vor

(Vizepräsident André Trepoll)

1 Wahlergebnisse siehe Anlage 1, Seite 6229 f.

allem betroffen sind Alleinerziehende und Frauen; das wissen wir eigentlich alles.

(Zuruf)

Den Leuten, die noch knapp über der Grenze für Wohngeld oder Bürgergeld oder Kinderzuschlag liegen, geht es überhaupt nicht besser; sie können nicht mal ein Sozialticket oder eine GEZ-Befreiung beantragen. Und es betrifft massenhaft Beschäftigte in wirklich qualifizierten und wichtigen Berufen, aber zum Beispiel auch welche im öffentlichen Dienst. Herr Senator Dressel ist jetzt leider nicht da; sonst hätte ich ihm gern gesagt, dass es auch keine gute Lösung ist, denen zu sagen, dass sie mal Wohngeld beantragen sollen.

(Beifall bei der LINKEN – Dirk Kienscherf SPD: Das hat er doch gar nicht gemacht!)

Haben die Beschäftigten anders gesehen.

Der Mindestlohn in Hamburg: 14 Euro pro Stunde. 18 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger verdienen weniger als das; das ist eine Garantie für Altersarmut. Die Armutsgefährdungsquote ist 2022 auf 20,4 Prozent gestiegen, bei den unter 18-Jährigen auf 27,8 Prozent, bei den Familien mit drei und mehr Kindern oder den Alleinerziehenden auf 40,7 Prozent. 30 000 Rentner:innen leben von Grundsicherung im Alter. Das heißt, das sind Leute, die arbeiten gehen, die gearbeitet haben, und die sind verdammt arm. Und diese idiotische Erzählung von den faulen Arbeitslosen ist eine Propagandalüge, die beim Prinzip "Teile und herrsche" immer wunderbar funktioniert und großartige Dienste geleistet hat.

(Dirk Nockemann AfD: Sie sind so lebens- fremd!)

Aber die Realität sieht anders aus. Und diese soziale Hängematte, von der hier immer geschwafelt wird, gibt es gar nicht, sondern das Bürgergeld sichert das nackte Überleben, und manchmal eigentlich nicht mal das, vor allen Dingen für die Leute, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben oder jetzt auch arbeiten, 60 Prozent fast. Zahnersatz, neue Brille, neuer Staubsauger, Laptop und Drucker: Dieses Leben in Saus und Braus können Sie sich nicht leisten, wenn Sie Bürgergeld kriegen; das können Sie vergessen. Manchmal können Sie sich nicht mal satt- oder gesund essen. Das ist die Wahrheit.

So viele Leute haben so eine wahnsinnige Angst davor, dorthin abzurutschen, dass sie sich mit jeder billigen Ausrede einreden, jemand anders sei daran schuld: Dann ist es die Politik, der Arbeitslose oder bei Bedarf auch der Ausländer. So billig und falsch diese Ressentiments sind, ist auch hier ein Hauch Realität, und die Fakten sprechen auch dafür. Schauen Sie sich die Wahlbeteiligung in den Stadtteilen bei der letzten Bezirkswahl 2019 an: Nienstedten und Blankenese 74 Prozent, Volksdorf

75 Prozent, Harburg 36 Prozent, Billstedt ebenso, Wilhelmsburg 40 Prozent. Warum ist das so? Was meinen Sie denn, wie viele Runden von nicht eingelösten Wahlversprechen für soziale Verbesserungen und für ein gutes Leben für Rentner:innen und Beschäftigte wir uns noch leisten können? Wie viele Runden müssen wir noch drehen bis zum letzten Knall?

Jetzt kommen natürlich die Reden darüber, wie blöd die Anträge der LINKEN immer sind

(Ksenija Bekeris SPD: Nein, wir hatten den Müll schon mal!)

und dass Sie das alles gut machen,

(Glocke)

dieses ganze Mimimi; ich freue mich drauf.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe)

Frau Martens erhält das Wort für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Feststellung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts, dass Armut die Demokratie gefährdet, darf uns nicht gleichgültig lassen. Armut ist kein Schicksal. Menschen in Armut und Menschen, die von Armut bedroht sind, können mit unserer Unterstützung rechnen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Deutschland hat einen funktionierenden Sozialstaat, und es ist die SPD-geführte Ampelregierung, die seit der letzten Bundestagswahl mit der Wohngeldreform, dem Bürgergeld und der Kindergrundsicherung wegweisende Reformen vorantreibt.

(Beifall bei der SPD und bei Lisa Maria Otte GRÜNE)