Aber es ging nicht nur um politische Rechte, es ging auch um die wirtschaftliche Lage. Es ist nicht nötig, statistisch die Millionen, ja, die Milliarden zu erfassen, die in den vergangenen zehn Jahren in den neuen Ländern investiert wurden. Es ist vielmehr mit den Händen zu greifen, welche Entwicklung mit diesem Geld in Gang gesetzt wurde, ob es die Straßen sind, die Wohnungen, die Hochschulen und die Kindergärten, die Schulen, Krankenhäuser und Seniorenheime, die Theater, Kinosäle, Einkaufszentren oder Marktplätze. An jeder Stelle ist zu begreifen, dass niemand sich nach den Verhältnissen der DDR zurücksehnt, weil es uns heute einfach besser geht.
Es überrascht mich deshalb nicht, dass sich 86 Prozent aller Mecklenburger und Vorpommern trotz der noch bestehenden Defizite über die Deutsche Einheit freuen. Es bleibt unsere Aufgabe, die restlichen 14 Prozent auch noch zu überzeugen.
Dabei bin ich besonders froh darüber, dass diese mehrheitlich positive Einstellung zur Einheit unseres
Vaterlandes von den Menschen im Osten wie im Westen getragen wird, denn letztendlich ist die Deutsche Einheit ein gemeinsames Projekt. Die Mauer, meine Damen und Herren, wurde von Ost nach West gestürzt, die Trümmer aber haben wir dann gemeinsam weggeräumt. Die Werkzeuge hierfür waren und sind der Aufbauwille der Menschen im Osten und die Solidarität der Menschen im Westen.
Angesichts dieses im wahrsten Sinne des Wortes gesamtdeutschen Projektes halte ich es für überflüssig, die Anteile der Beteiligten an dem historischen Prozess heute neu zu verteilen. In jedem Geschichtsbuch ist nachzulesen, wer wann und an welcher Stelle die Hand zur Abstimmung gehoben und wer wann sich negativ zur Deutschen Einheit geäußert hat.
Ich freue mich, dass Skeptiker von damals heute überzeugte Verfechter der Einheit sind, achte jedoch die besonders hoch, die damals die Kraft hatten, den Weg zur Einheit trotz oder wegen der Skeptiker politisch zu bahnen.
Ich nenne heute ausdrücklich Lothar de Maizière, Günther Krause und Richard Schröder als aktive Politiker des Neuanfangs, die urplötzlich in die Rolle der politischen Führung geradezu gespült wurden und die Einheit aus der ersten frei gewählten Volkskammer heraus organisierten. Ich nenne Willy Brandt und Walter Scheel, deren Ostpolitik eine wichtige Grundlage deutsch-deutscher Kontakte war. Die Willy-Willy-Rufe aus Erfurt sind mir bis heute eine deutliche Erinnerung. Ich meine jedoch mit dem Bundespräsidenten Johannes Rau, dass es vollkommen unangemessen wäre, die historische Leistung Helmut Kohls zur Erlangung der Einheit herunterzustufen. Was immer heute passiert, Helmut Kohl ist und bleibt der Kanzler der Einheit!
Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Öffnung des Brandenburger Tors als rein deutsche Angelegenheit zu definieren, denn die innerdeutsche Grenze war der eiserne Vorhang zwischen den politischen Blöcken, der ebenfalls von Ost nach West fiel. Ohne die Solidarnosc in Polen und die Liberalität der Ungarn wäre die Mauer in Berlin nicht gefallen. Und ohne die Einsicht Gorbatschows, dass die Forderung der Menschen in der Sowjetunion nach Glasnost und Perestroika erfüllt werden muss, säßen wir heute nicht hier.
Wenn wir allerdings den Menschen, die im Jahr 1989 mit Kerzen in den Händen zu Friedensgebeten zusammengekommen waren, um das System zu stürzen, heute sagen müssen, dass kaum neun Jahre später die Nachfolgepartei der damals bekämpften SED in MecklenburgVorpommern mitregiert, dann hätten dies die meisten nicht für möglich gehalten. Viele wären enttäuscht und hätten vielleicht nicht mehr weitergekämpft. Auch deshalb, das lassen Sie mich an dieser Stelle betonen, ist die Aufarbeitung heute noch nicht abgeschlossen. Die soeben eingetretene Verjährung vieler Taten darf nicht zu deren Vergessen führen. Eine Politik des „Schwamm drüber“ darf und wird es nicht geben!
Die Organisation der Einheit war vor allem für uns im Osten jedoch nur der erste Schritt in eine zunächst ungewohnte Zukunft. Die nächsten Schritte wurden dann schnell zu einem Lauf, der so rasant wurde, dass es aus der Rückschau fast unvorstellbar ist, was die Menschen im Osten im wiedergegründeten Mecklenburg-Vorpommern geleistet haben.
Es galt, Demokratie und soziale Marktwirtschaft gleichzeitig zu lernen und zu gestalten, wobei sich die Rahmenbedingungen schnell veränderten, wenn ich nur an die fest eingeplanten, dann jedoch wegbrechenden Absatzmärkte in Osteuropa denke. Wir haben den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten zehn Jahren vieles abverlangt. Der Umbruch war notwendig, war dramatisch. Und dieser Umbruch, darauf sind meine Freunde und ich trotz mancher Fehler stolz, trägt wesentlich auch in Mecklenburg-Vorpommern die Handschrift der CDU.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Heiterkeit und Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)
Die Mecklenburger und Vorpommern bauten ein demokratisches Gemeinwesen auf, das auf Gewaltenteilung ausgerichtet war, um die Rechte des Einzelnen für die Zukunft zu sichern. Wir schafften eine Verwaltung, die die Aufgabe bekam, den Bürger nicht als Bittsteller zu betrachten, sondern sich selbst als Dienstleister. Wir verabredeten eine kommunale Struktur, die das Engagement der Menschen für ihre unmittelbare Lebensumwelt annimmt und fordert, wie es das Subsidiaritätsprinzip vorsieht. Das System wuchs von unten nach oben: Den Gemeinden folgten die Ämter- und die Kreisgebietsreform, die trotz mancher Wunden nicht vor Gericht entschieden wurde, sondern politisch.
Wir konnten der Wahrheit nicht ausweichen. Insbesondere die Lage auf dem Arbeitsmarkt veränderte sich abrupt, das theoretische Phänomen der Arbeitslosigkeit wurde für zu viele zu harter Realität, weil die Strukturen der DDR-Wirtschaft von der Landwirtschaft bis zu den Werften einfach nicht wettbewerbsfähig waren. Der wirtschaftliche Neuanfang konnte zwar geschafft werden, aber es ging nicht schnell genug, um den Arbeitsplatzabbau anderenorts zu kompensieren.
Meine Damen und Herren! Es war zunächst notwendig, die Infrastruktur zu modernisieren, damit ein wirtschaftlicher Aufschwung langfristig unabhängig von staatlichen Subventionen vor allem durch private Investitionen erfolgen kann. Deshalb wurden die Ärmel aufgekrempelt und es wurde schnell gearbeitet. Vergessen wir nicht, dass eine Maßnahme wie der Bau der A 20 in der alten Bundesrepublik in dieser kurzen Zeit nicht möglich gewesen wäre. Erst das Investitionsmaßnahmegesetz und beschleunigtes Planungsrecht machten diese Lebensader des Landes möglich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Wahrheit gehört Folgendes: Wenn die A 20 nicht bis 1994 in der Grundsatzentscheidung gesichert worden wäre, dann frage ich mich: Wäre sie dann danach noch zu realisieren gewesen?
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: Die PDS wollte sie nicht. – Harry Glawe, CDU: Sehr richtig!)
In diesem Landtag sitzt eine Partei wie die PDS, die sich 1994 und danach gegen die A 20 ausgesprochen hat.
Und, Herr Ministerpräsident Ringstorff, natürlich werden heute mehr Mittel bereitgestellt, müssen mehr Mittel bereitgestellt werden,
aber diese Autobahn ist in Rekordzeit für Deutschland geplant und genehmigt worden. Und das ist ein Verdienst insbesondere der Bundesregierung unter Helmut Kohl und der Regierung Berndt Seite.
Sie ist nicht so unumkehrbar, Herr Ministerpräsident, wie die Schienenverbindung. Sagen Sie den Menschen in diesem Land die Wahrheit! Weder Rostock–Berlin ist gesichert und über die Fernverbindungen zwischen Berlin–Stralsund und Berlin–Schwerin reden Sie ja gar nicht mehr, die vom Bund gestrichen werden sollen. Wie wollen Sie dieses Land entwickeln ohne Fernverbindungen für die Schiene, ohne eine Anbindung für die Häfen an der Ostsee? Dann können Sie dieses Land nicht entwickeln! Setzen Sie sich endlich gegenüber dem Bundeskanzler dafür ein, dass Mecklenburg-Vorpommern nicht vom Fernnetz der Deutschen Bundesbahn abgeschnitten wird!
Wir schafften es im zweiten Anlauf, die Werftenstandorte im Küstenland Mecklenburg-Vorpommern zu retten, obwohl es viele Schwierigkeiten zu überwinden galt. Die widersinnigen Obergrenzen für die modernsten Werften Europas belegen bis heute, wie hart der Kampf damals war.
Wir entwickelten das Agrarland Mecklenburg-Vorpommern zum Lebensmittelland Mecklenburg-Vorpommern fort und müssen heute unsere Unternehmen unterstützen, gelistete Absatzmärkte zu erobern. Wir wichen dabei nicht der Debatte um die Bodenreform aus, sondern führten sie offensiv. An dieser Stelle wird bis heute die Debatte um das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit wohl besonders emotional geführt. Dabei ist eines sicher richtig: Früheres Unrecht konnten und wollten wir durch neues Unrecht nicht ungeschehen machen.
Wir schafften es, den Tourismus im ganzen Land zu einem Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung mit besonderer Perspektive auszubauen, ohne dabei der wichtigsten Erfolgsgrundlage – unserer intakten Umwelt – zu schaden. Im Gegenteil, die Luft, das Wasser, der Boden sind heute reiner als zuvor. Wenn sich heute der Ministerpräsident – sicher berechtigterweise – hinstellt und die Tourismuszahlen lobt, dann sage ich, Herr Ministerpräsident, die sind aus zwei Gründen entstanden, und zwar erstens, weil wir die letzten Jahre Glück mit dem Wetter gehabt haben,
und zweitens, weil insbesondere Jürgen Seidel eine gute Politik zur Entwicklung der touristischen Infrastruktur gemacht und Betten gefördert hat.
wenn wir nicht im Hinterland diese Kapazität im Beherbergungsgewerbe hätten. Und ich sage Ihnen eines voraus: Wenn Sie weiter Ihre restriktive Politik in diesem Bereich fortführen, werden Sie in Zukunft nicht mehr diese Zuwachsraten haben, so, wie wir sie heute zu verzeichnen haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Heidemarie Beyer, SPD – Heiterkeit bei Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja, ja, hätt’ der Jürgen nicht, … – Zuruf von Siegfried Friese, SPD)
Meine Damen und Herren, wir etablierten ein Bildungssystem, um unseren Kindern die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Zukunft im globalen Wettbewerb zu meistern. Wir schufen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu unseren Nachbarn, die es uns ermöglicht, die Rolle des Landes Mecklenburg-Vorpommern als Drehscheibe der Ostsee anzustreben und den Staaten Mittel- und Osteuropas als Tor in die Europäische Union zu dienen.
Meine Damen und Herren! In den vergangenen zwei Jahren ist Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der Politik der rot-roten Landesregierung nicht vorangekommen,
hat teilweise sogar Rückschritte hinnehmen müssen. Mecklenburg-Vorpommern – und das sind die Tatsachen – ist hinsichtlich der Wachstumsrate in den neuen Ländern 1999 hinter Brandenburg auf den vorletzten Platz zurückgefallen und hält mit dem ebenfalls rot-rot-regierten Sachsen-Anhalt die rote Laterne kräftig und fest in der Hand.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das hatten wir aber vorher auch!)
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, der wichtigste Maßstab dieser Landesregierung war die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Tatsachen sind folgende: Heute, nach zwei Jahren Rot-Rot, sind 7.600 Menschen mehr arbeitslos als im Oktober 1998. Wir haben 34.300 Menschen weniger in Beschäftigung als im Oktober 1998.