Der vor uns liegende Antrag der CDU-Fraktion klingt zunächst – bei oberflächlichem Lesen und für nicht informierte Leser – überdenkenswert. Anerkennung und Gerechtigkeit gegenüber politisch Verfolgten, dies ist ein Anliegen, dem sich die SPD bereits seit 1990 verschrieben hat, und zwar wesentlich konkreter als mit blumigen Absichtserklärungen, wie ich im Folgenden noch herausstellen werde. Da jedoch weder das oberflächliche Lesen noch die Desinformiertheit über den komplexen Sachverhalt unseren Umgang mit diesem Antrag auszeichnen, tritt eine Reihe von Fragen und Widersprüchen auf, die ich in die Bewertung des CDU-Anliegens zwingend einfließen lassen muss:
1. Welche Härtefälle von Verfolgungen fasst die CDU bei ihrem Antrag ins Auge und wie soll hier ein konkreter Nachteil nachgezeichnet werden?
Aus der Antragsbegründung wird deutlich, dass die Voraussetzung für eine Einmalzahlung der Anerkennungsstatus als verfolgte Person im Sinne des Paragraphen 3 Berufliches Rehabilitierungsgesetz ist. Da diese Gruppe einschließlich verfolgter Schüler schon aufgrund der geltenden Rechtslage mit Rechtsansprüchen geschützt ist, die Genugtuung und materielle Wiedergutmachung für zugefügte gewichtige Beeinträchtigungen schaffen – zu
nennen wären hier vor allem Ansprüche auf bevorzugte berufliche Fortbildung, Umschulung sowie Ansprüche auf Ausbildungsförderung –, kann es also im Antrag in der Tat nur um Menschen gehen, die aus politischen Gründen nicht zum Abitur zugelassen waren oder denen aus eben diesen Gründen ein Studium verwehrt wurde.
So wünschenswert eine grundsätzliche Einbeziehung dieses Verfolgungssachverhaltes auch ist, gab es in den letzten Jahren bekanntermaßen jedoch fundierte Ablehnungsgründe. Einen davon möchte ich besonders Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, in Erinnerung rufen, er stammt aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung von 1993 zum Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Dort findet man unter den Erläuterungstexten des Paragraphen 1, Punkt 19: „Mangels hinreichender Konkretisierung des Berufswunsches reicht dagegen der Schulverweis oder das Verwehren des Zugangs zu einer höheren Schulbildung nicht aus. Das Nachzeichnen hypothetischer Kausalverläufe ohne Anhaltspunkt für das Einschlagen einer bestimmten beruflichen Richtung über einen Zeitraum von bis zu 40 Jahren ist nicht durchführbar.“ Dies klingt für mich insofern plausibel, als ein nicht erreichter Abitur- oder Studienabschluss nicht zwangsläufig gleichzusetzen war mit nachhaltiger Beeinträchtigung der DDRBiographie, und zieht für mich die nächste Frage nach sich:
Da die Zulassung oder Delegierung zur Erweiterten Oberschule streng quotiert war, wurde nicht nur politisch unbequemen Schülern der Abiturzugang verwehrt, sondern auch leistungsstarken Schülern, die nicht ins soziale Raster passten. Primär galt die Förderung den Arbeiterund Bauernkindern. Kinder aus der so genannten Intelligenzschicht oder dem Selbständigenbereich hatten da häufig das Nachsehen, wenn die Quote erfüllt war. Von Rechts wegen müsste auch diese Ungleichbehandlung analog zu bewerten sein. Könnten Sie sich die Konsequenzen ausmalen?
Außerdem wird die Betrachtung des Sachverhaltes aus heutiger Sicht den Gegebenheiten des DDR-Alltags keinesfalls gerecht. So stand eine Entlohnung der Studienberufe in ganz anderem Verhältnis zur Bezahlung in Ausbildungsberufen als heute. Zwei kleine, persönliche Beispiele mögen dies ansatzweise verdeutlichen: Ein Schulkamerad von mir verließ nach der 8. Klasse die Schule freiwillig (null Bock mehr). Nach seiner Berufsausbildung, drei Jahre, im Tiefbau verdiente er fünf Jahre früher erheblich mehr als ich mit meinem Abitur und vierjährigem Lehrerstudium. Er nahm dies bei Klassentreffen großzügig zum Anlass, mir mal ordentlich einen auszugeben.
Zweites Beispiel: Mein Schwiegervater, gelernter Schlosser und Lokfahrer, ließ sich überreden, ein Fachschulstudium nachzuholen.
(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Da hat er aber einen Fehler gemacht. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Dr. Gerhard Bartels, PDS)
Mit dem Ingenieurabschluss und als frisch eingesetzter Leiter der Parchimer Dienststelle durfte er als Belohnung 200 Mark monatlich Gehaltseinbuße entgegennehmen.
DDR-Alltag hieß also keinesfalls, dass ein nicht absolviertes Studium zwangsläufig eine gravierende Schlechterstellung nach sich ziehen musste.
Es ist also nahezu unmöglich, hypothetisch nachzuzeichnen, worin die gravierende Beeinträchtigung bestand, wenn der Verfolgungstatbestand ausschließlich in teilweiser Bildungsverwehrung liegt. Alle anderen Verfolgungssachverhalte werden bereits gesetzlich geregelt. Dies führt zu meiner dritten Frage:
Die Diskussion und die Rechtsprechung um die Wiedergutmachung von DDR-Unrecht umfasst viele Kapitel. Acht Jahre lang hatte die CDU die Möglichkeit, diese entscheidend mitzuschreiben. Die politische Auseinandersetzung zeugte dabei vom gemeinsamen Willen, der sich jedoch in den Gesetzestexten nur teilweise niederschlug. Bis zum Ende der Kohl-Ära waren Kardinalfragen nicht gelöst, so zum Beispiel die einheitliche Kapitalentschädigung sowie eine Aufstockung, die Einbeziehung von Hinterbliebenen ohne Ansehen ihrer wirtschaftlichen Situation, die Verlängerung der Antragsfristen für Opfer und die Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden. Diese Probleme wurden durch die jetzige Bundesregierung 1999 zügig im Zweiten Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR gelöst. Dieses war und ist das richtige Signal gegenüber den Opfern und bringt ein Stück mehr Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.
Nun jedoch starten die einstigen Ausbremser durch und überholen die Karawane flugs, um zu rufen: Jetzt wollen wir aber noch mehr! Dies führt mich zur nächsten Frage:
4. Was, bitte schön, hat zu diesem Umdenkungsprozess geführt, gegen eigene Begründungen, ich zitierte sie vorhin, zu argumentieren? Neue Sachverhalte oder gar eine üppigere Haushaltsausstattung, die eine solche Kehrtwendung gestatten?
Ich denke, diese Frage kann ich rhetorisch so stehen lassen, da jeder die Antworten sehr genau kennt. Damit komme ich zu meiner abschließenden Frage:
5. Welchen Sinn macht eine Landesregelung, die neben der stark verbesserten Bundesgesetzgebung eine zusätzliche freiwillige Aufgabe übernimmt und ergo auch finanzieren muss?
Hier müssen wir klar und deutlich sagen, dass die Haushaltslage uns eine solche Zusatzregelung nicht gestattet. Wie immer und wohl in Kenntnis der Situation fehlt im Antrag jeglicher Hinweis auf Möglichkeiten der Kompensierung, selbst eine vorstellbare Größenordnung sucht man dort vergeblich, aber, ich korrigiere, Herr Helmrich hat das ja in seiner Einbringung formuliert.
Sehr geehrter Herr Riemann, wenn ich Herrn Helmrich jetzt schon mal abblitzen lasse, dann Sie erst recht. Bitte hinten anstellen!
um nötige Mittel zu erschließen? Ich möchte nicht falsch verstanden werden, wir alle tragen die moralische und gesellschaftliche Verantwortung gegenüber dem Schicksal der Opfer des SED-Regimes.
Auch das Land stellt sich dieser Verantwortung durch die Beteiligung an der verbesserten Situation für die Opfer.
Darüber hinaus sehen wir in der von der CDU thematisierten Erweiterung nicht den richtigen Weg und lehnen den Antrag ab.
bin ich jetzt auch gerne bereit, die Fragen in der Reihenfolge zu beantworten, wenn die Frau Präsidentin es denn zulässt.
Sowohl der Herr Minister als auch Sie haben darauf hingewiesen, dass es Fälle gibt, in denen man im Grunde genommen die Schädigung kaum berechnen kann. Hierin sind wir uns auch in unserer Antragsbegründung einig. Und deshalb muss ich die etwas provozierende Frage stellen: Haben Sie nicht verstanden, dass wir gerade solche Fälle meinen und deshalb eine kleine pauschalierte Zahlung von 10.000 DM beantragt haben? Geht das nicht deutlich genug aus unserem Antrag hervor oder wollten Sie bloß an unserem Antrag vorbeireden?
Herr Helmrich, nun kam zum Schluss ja tatsächlich noch die Frage. Ich könnte genauso gegenfragen: Haben Sie meiner Rede nicht zugehört?
Wenn ich mal rübergeguckt habe, war das offensichtlich nicht so durchgängig der Fall. Ich meine schon, dass ich sehr genau verstanden habe, welchen Personenkreis Sie meinten. Das steht ja in der Antragsbegründung,
dieses habe ich sogar erwähnt. Und dennoch meine ich, wenn es sich ausschließlich um den Tatbestand der Schulbildungsverweigerung in diesem Moment handelt, ist das ganz, ganz schwierig festzustellen, das Ganze hypothetisch über Jahrzehnte teilweise nachzuverfolgen und wirklich nach dem Motto: Was wäre, wenn?