Ohne die wird es ja wohl nicht gehen. Das stellt allerdings nicht die Ergebnisse, die mit dem Gesetzentwurf vorliegen, in Frage. Es gibt doch offensichtlich einen großen gesellschaftlichen Konsens, dass Reformen dringend notwendig sind. Nun, wir werden damit beginnen. Darum verstehe ich die Stimmen nicht, die von Experimenten oder unausgegorenen Konzepten sprechen. Ich frage Sie und all die Kritiker: Wie korrespondieren denn die Forderungen nach Ruhe an den Schulen oder nach längeren Fristen für die Einführung der Regionalen Schule mit den Forderungen, endlich mit Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen an den Schulen zu beginnen?
(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Heinz Müller, SPD: Muss alles besser werden, nur, es darf sich nichts ändern. – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Quadratur des Kreises nennt man das.)
Das ist für mich, meine Damen und Herren, eben die Quadratur des Kreises. Für die PDS-Fraktion steht fest, es ist immer besser, etwas zu verbessern, auch wenn das eine oder andere noch nicht geregelt werden kann. Nicht auszuschließen sind Fehler. Aber zu warten, dass es noch schlimmer wird, als es schon ist, das halte ich nun für den gänzlich falschen Weg.
Und mit Blick auf die bisherigen Ergebnisse von PISA kann es zudem wohl nicht mehr viel schlimmer werden oder aber denn doch, wenn wir nichts tun.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, es ist schon viel über die inhaltliche Ausgestaltung und die Verbesserung der Reformansätze gesagt worden. Ich will das hier nicht wiederholen. Für die PDS-Fraktion ist bei der Regionalschule von besonderer Bedeutung, dass natürlich die integrative Funktion der Schulen gestärkt wird,
dass es erhebliche qualitative Verbesserungen durch Stundenerhöhungen vor allem in den Kernfächern und bei der naturwissenschaftlichen Bildung gibt, dass natürlich mit diesem Gesetzentwurf und seiner Umsetzung die Chancengleichheit im Prinzip wegen der Durchlässigkeit gestärkt wird, dass gleichzeitig die Anforderungen an die Leistungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler erhöht werden und dass der berufsvorbereitende Aspekt stärker als bisher berücksichtigt wird.
Natürlich sind auch wir jetzt zufrieden, dass es möglich sein wird, zum Abitur nach zwölf Jahren zurückzukehren, erstmals – und auf diese Feststellung lege ich Wert – nicht auf Kosten der anderen Bildungsgänge,
anders gesagt, es gibt die Rückkehr zum 12-JahresAbitur nicht trotz der Regionalschule, sondern wegen ihr. Erstmals sind nun auch die Stundentafeln in der Orientierungsstufe für alle Schüler gleich. Das war bisher nicht so, sondern das Gymnasium hatte mehr. Und nur, um Missverständnissen vorzubeugen, diesmal sind in beiden Bildungsgängen die Stundenvolumina erhöht.
Es hat großer Anstrengungen der Koalitionsfraktionen und der Landesregierung bedurft, die Finanzmittel für beide Vorhaben bereitzustellen. Und unter den finanziellen Rahmenbedingungen des Landes, die wir hier gestern sehr ausführlich debattiert haben, ist das doch wohl eine nicht gering zu schätzende Leistung.
Das werten wir jedenfalls als ein klares Bekenntnis der SPD/PDS-Koalition zur Gestaltung der Bildungspolitik in unserem Land – im Gegensatz zur Opposition keine Lippenbekenntnisse oder Traumschlösser, sondern eine solide ausfinanzierte Reform im Bildungsbereich.
Es gibt nun noch einige Punkte, die aus unserer Sicht durchaus im parlamentarischen Verfahren zu diskutieren wären. Und auch das, was gegenwärtig vorliegt, wollen wir offensiv und natürlich im Zusammenhang mit dem Entwurf der CDU-Fraktion, der ja schon im Ausschuss ist, diskutieren, auch im Rahmen von Anhörungen mit den Betroffenen. Aber was wäre denn aus Sicht meiner Fraktion durchaus noch zu regeln? Ich nenne hier exemplarisch ja vielleicht die gesetzliche Fixierung der Klassenleiterstunde auch im Gesetz, mit dem Anspruch, nicht in der 9. Jahrgangsstufe aufzuhören mit der Klassenleiterstunde, denn die gehört natürlich auch in die 10. Klasse. Zusätzliche Förderstunden für die Klassen 5 und 6 an einzügigen Schulen sind wichtig und notwendig, um den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen zu entsprechen. Das allerdings löst das Problem von zweizügigen Schulen nicht, weil hier unterstellt wird, dass sich die beiden Klassen in gleich große Gruppen einteilen lassen. Das wird aber nicht immer möglich sein. Da ist also noch nachzudenken. Was wir nicht wollen, ist natürlich die Bildung von Schnellläuferklassen, weil die bei der Einführung des 12-Jahres-Abiturs bis 2007 eigentlich keine Daseinsberechtigung in diesem Lande haben,
wobei wir deutlich sagen, dass das Jahrgangsstufenüberspringen, so, wie es ja jetzt auch schon möglich ist, natürlich gewährleistet werden soll. Und wir denken, dass über die Rolle und Funktion der Musikschulen sowie Medienzentren und ihre Ausgestaltung im Gesetz neu geredet werden muss, diese neu bewertet und als Innovationspotential erschlossen werden sollen.
Ich habe diese Probleme aufgelistet, obwohl ich weiß, dass es unter den finanziellen Möglichkeiten des Landes auch mit Blick auf die zusätzlichen Einsparungen durch die Steuerschätzung vielleicht sogar unrealistisch erscheint, überhaupt über diese Fragen zu reden. Aber die Grenzen der Kompromissbereitschaft müssen weiter ausgelotet werden und auch mit Blick auf PISA, denke ich, ist eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Frage Bildung in Mecklenburg-Vorpommern nötig. Bildung wird auch weiterhin Geld kosten, viel Geld. Ich bin mir auch bewusst, dass es ohne Auseinandersetzungen nicht abgehen wird. Aber wir müssen mittelfristig, teilweise langfristig den Spagat zwischen Bildungspolitik in ihrer Gesamtheit als wesentlichen Standort- und Zukunftsfaktor und der chronisch defizitären Haushaltslage schaffen. Dabei habe ich natürlich auch die Folgen der demographischen Entwicklung mit all ihren Problemen noch gar nicht einbezogen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich hatte zu Beginn meiner Rede darauf verwiesen, dass mit diesem Gesetzentwurf der Beginn einer umfänglichen Bildungsreform eingeleitet wird und deshalb weiterzuführen ist. Die Ergebnisse von PISA werden uns mit Sicherheit auf schon bekannte Defizite hinweisen, sie verstärken und, ich bin mir auch sicher, sie werden neue Defizite aufzeigen. Selbst bei vorsichtiger Betrachtung der bisher bekannten Tatsachen und den Bedingungen in unserem Land lassen sich die Hauptrichtungen zukünftiger Anforderungen erkennen:
Dazu gehört unter anderem der Ausbau der Ganztagsschulangebote. Es ist doch auffällig, dass es in Europa nur noch in Deutschland, Österreich und Griechenland keine flächendeckenden Ganztagsschulangebote gibt.
Und alle drei Länder gehören nicht zu den Spitzenreitern. Wir werden nicht nur wegen der pädagogisch-didaktischen Vorzüge, sondern auch wegen der noch weiter zurückgehenden Schülerzahlen in unserem Bundesland gezwungen sein, sie flächendeckend einzuführen. Und dafür muss eine mittelfristige Konzeption auf den Tisch.
PISA zeigt auch die Notwendigkeit der Förderung von integrativen Schulen und Unterrichtsformen, das auch aus der Tatsache heraus, dass sich die Gesamtschülerzahl bei uns im Lande etwa auf 12.000 bis 13.000 einpendeln wird. Und diese Schülerzahl auf mehrere unterschiedliche Schularten verteilen zu wollen ist wohl nicht möglich, wollen wir nicht in allen Schularten zu Zwergenschulen kommen. Und gestatten Sie mir, Frau Schnoor, an dieser Stelle denn doch mal aus dem PISA-Dokument zu zitieren.
Auf Seite 43, wo es um die Leistungsunterschiede zwischen verschiedenen Schulformen geht, heißt es: „Die Überlappungen der Leistungsverteilungen weisen darauf hin, wie wichtig es ist, Schullaufbahnen im Hinblick auf Abschlüsse offen zu halten.“
Und etwas später heißt es: „Ein unerwünschter Nebeneffekt der frühen Verteilung auf institutionell getrennte Bildungsgänge ist die soziale Segregation der Jugendlichen.“
„Und die soziale Segregation scheint charakteristisch für extern differenzierende europäische Schulsysteme zu sein. Zerlegt man wiederum die Varianz der Sozialschichtzugehörigkeit in Komponenten, die zwischen und innerhalb der Einzelschule liegen, kommt man sowohl in Deutschland als auch in Österreich auf einen Varianzanteil von 22 Prozent zwischen den Schulen. Im ungegliederten schwedischen Schulsystem beträgt der entsprechende Anteil lediglich 13 Prozent.“ Nun, was sagt uns das? Deutschland und Österreich haben ein gegliedertes Schulwesen, Schweden hat sozusagen ein Einheitsschulsystem.
Aber zurück zu meinem Redekonzept und zu dem, was aus PISA heraus weiter für uns auf der Tagesordnung steht:
Zu nennen ist die Ausgestaltung eines effektiven Verhältnisses von Grundlagenwissen und Kompetenzen zur Wissensanwendung sowie zu sozialem und solidarischem Verhalten. Das schließt eine leistungsorientierte Bewertung sowohl des Wissens, seiner Anwendung und auch der Kompetenzen ein.
Die Schulentwicklungsplanung ist insbesondere im Hinblick auf die Zuständigkeit für die Planung und die Förderung kreisübergreifender Zusammenarbeit umzugestalten.
Die Reform der Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung auf Grundlage neuer pädagogisch-erzieherischer Anforderungen ist einzuleiten, natürlich auch die Erhöhung der
gesellschaftlichen Anerkennung des Lehrerberufs. Denn wer will einen Beruf in Angriff nehmen, wenn er für diese Tätigkeit keine Anerkennung findet?!
Ein weiterer Punkt ist die Erschließung und Nutzung der Potenzen im vorschulischen Bereich insbesondere durch einen Bildungs- und Erziehungsauftrag für Kindertagesstätten,
der unter Beachtung der entwicklungspsychologischen Besonderheiten dieser Altersgruppe auf den Schulbesuch vorbereitet.
Es geht auch um die gezielte Förderung von hochbegabten und benachteiligten Schülerinnen und Schülern in integrativen genauso wie in gruppentypischen Modellen.
Es gibt Überlegungen zu einer längeren gemeinsamen Schulzeit, denn die Erstplatzierten der PISA-Studie haben Schulen, an denen die Schüler mindestens bis zum 12., teilweise sogar bis zum 16. Lebensjahr gemeinsam ohne soziale Segregation unterrichtet werden.
Und es geht um die Stärkung der Autonomie und der Eigenverantwortung der Einzelschule sowohl hinsichtlich ihrer pädagogischen Konzepte als auch der Verwaltung von Personal und Finanzen, natürlich unter der Prämisse der Vergleichbarkeit der Abschlüsse.
Und es geht um neue effektive und motivierende Methoden der Zusammenarbeit von Lehrern, Schülern und Eltern sowie um die Teilnahme gesellschaftlicher Gruppen an der Gestaltung des Bildungs- und Erziehungsprozesses.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, jetzt könnten Sie mir vorwerfen, das hört sich ja an wie ein Katalog von „Wünsch dir was“, und es wird den Finanzpolitikern vielleicht den Angstschweiß auf die Stirn treiben.
Also, zum Trost für meine Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Geld umgehen müssen: Nicht alles wird Geld kosten müssen. In vielen Fällen werden innovative Lösungen möglich sein und manchmal, zum Beispiel bei der Schulentwicklungsplanung, können bei Beseitigung der jetzt vorhandenen Erbhofmentalitäten sogar Mittel eingespart werden.