Protokoll der Sitzung vom 24.04.2002

wirklich nicht aus dem Auge verlieren sollte – aus der Nazizeit. Und bei allen Einschränkungen und rechtsstaatlichen Bremsen, die der Gesetzgeber wohlwissend um die Problembehaftetheit inzwischen eingezogen hat, bleibt Sicherheitsverwahrung auch weiterhin problematisch. Man kann aus unserer Sicht, wenn überhaupt, ihre Existenzberechtigung nur bei engster Anwendungsbedingung begründen und wenn die sichere Verwahrung des Täters und Therapierung dabei eine Einheit bilden. Letzteres, die Therapierung, ist nach dem Strafvollzugsgesetz in Ausfüll u n g des verfassungsmäßigen Würdegebots auch ausdrücklich vorgesehen, denn das Resozialisierungsgebot gilt auch für den Maßregelvollzug. Jeder weiß allerdings, wo diesbezüglich in der Praxis der Schuh drückt und dass andere Länder, beispielsweise die Niederlande und die skandinavischen Länder, für einen therapeutischen Strafvollzug viel mehr tun als die reiche Bundesrepublik. Und ich denke, zu dieser einheitlichen Gestaltung von Sicherung und Therapie gibt es keine ernsthafte Alternative, gerade auch, wenn über Sicherheitsverwahrung nachgedacht wird. Das zum Allerersten.

Die Vorschläge, die man von der CDU-Seite dagegen hört, sind letzten Endes nichts anderes – nur sagen Sie es nicht laut, sagen Sie es doch mal laut! –, als, wenn schon die Todesstrafe nicht wieder eingeführt werden kann, wenigstens den lebenslangen Wegschluss entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bis zur biologischen Endlösung auszudehnen. Darum geht es. Bis zur biologischen Endlösung! Derartige Denkrichtungen in der CDU sind offenbar nicht gar so weit entfernt von Lösungen, die, wie man weiß, im Übrigen bereits versucht worden sind. Sie sind heutzutage allerdings nur möglich um den Preis einer anderen Republik.

(Wolfgang Riemann, CDU: In welche Ecke wol- len Sie uns denn stellen, Herr Dr. Schoenenburg?!)

Es sollten uns jedenfalls heute, ich sage es noch deutlicher, Herr Riemann,

(Wolfgang Riemann, CDU: In welche Ecke wollen Sie uns denn stellen?!)

die faschistische Konstruktion des Gewohnheitsverbrechens und die Methoden zu seiner Unschädlichmachung,

(Wolfgang Riemann, CDU: Das ist ja wohl ungeheuerlich, Herr Dr. Schoenenburg! – Zuruf von Bärbel Nehring-Kleedehn, CDU)

wozu eben auch Sicherheitsverwahrung im KZ gehörte, für immer Warnung und Mahnung sein. Ich will Ihnen nur sagen, in welche Nähe Sie sich begeben.

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

So viel zunächst, warum wir sagen, dass die Zielstellung des CDU-Gesetzentwurfes abenteuerlich ist.

Aber Entwicklung bleibt nicht stehen. Inzwischen hat nun dieser Tage auf Bundesebene ein Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Grünen

(Jörg Vierkant, CDU: Das darf ja wohl nicht wahr sein!)

zur Sicherheitsverwahrung das Licht der Öffentlichkeit erreicht.

Ja, was Ihnen nicht passt, da können Sie gehen, können Sie bleiben, aber anhören müssen Sie es sich trotzdem.

(Jörg Vierkant, CDU: Nee, das müssen wir uns nicht anhören. – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU – Jörg Vierkant, CDU: In welche Ecke haben Sie uns gestellt, Herr Dr. Schoenenburg?)

Genau in die Ecke, in die Sie gehören.

(Jörg Vierkant, CDU: Das ist ein starkes Stück. Das könnte Konsequenzen haben. – Glocke der Vizepräsidentin)

Ich denke, auch das ist Wahlspeck,

(Reinhardt Thomas, CDU: Das ist ein starker Tobak.)

denn es ist kaum noch möglich so kurz vor Toresschluss – ich rede jetzt über das von der SPD, falls Sie es nicht bemerkt haben in Ihrer Erregung, meine Herren und Damen von der CDU, ich rede jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Grünen, der das Licht der Öffentlichkeit erreicht hat –, ich denke, dieser Gesetzentwurf ist Wahlspeck, er ist vorgestellt worden im Rechtsausschuss des Bundestages, denn es ist kaum noch möglich, so kurz vor Toresschluss, vor Ende der Legislaturperiode im Juli das Gesetz durch die Mühlen der Gesetzgebung zu drehen. Allerdings die Lösung, die wir jetzt aus Berlin hören, erstaunt uns schon, denn sie spitzt in gewisser Weise das, was die CDU unterbreitet hat, noch zu. Denn während die CDU eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung will, wenn sich im Knast die Gefährlichkeit aufgrund bestimmter Tatsachen und Verhaltensweisen des Täters erst zeigt, was bereits unsicher genug ist, soll nach diesem Gesetzentwurf Sicherheitsverwahrung nicht als Nachschlag, sondern bereits sicherheitshalber als Vorbehalt festgelegt werden. Es geht also um die Vorspeise. Wann immer das Gericht bei der Urteilsfindung nicht schlüssig von einer Gefährlichkeit des Täters ausgehen kann, soll der Vorbehalt ausgesprochen werden. Wie in der Anhörung des Berliner Entwurfs von den meisten Experten gesagt wurde, ist das noch mehr eine Abkehrung von ehernen verfassungsmäßigen Grundsätzen des Strafrechtes. Ich finde, das ist schon eine ganz erstaunliche Wende. Ein Korkenzieher ist dagegen gar nichts.

Aber nun zurück zum CDU-Antrag: Sie erzählen uns, meine Damen und Herren von der CDU, die Räuberpistole, es würden gefährliche Leute mir nichts dir nichts einfach entlassen. Nur ganz so einfach ist dann doch die Sicherheitsverwahrung nicht, sie funktioniert eben nicht wie am Fließband. Die Crux der Sicherheitsverwahrung ist doch vor allem, meine Damen und Herren von der CDU, die Fragwürdigkeit ihrer juristischen Konstruktion – und danach sollten Sie mal fragen und sich das mal anschauen –, nämlich dass ein Hang zum Verbrecher festgestellt werden muss, worin eben die von den Faschisten erfundene Konstruktion des Gewohnheitsverbrechers nur umgestanzt wird. Wo ist der Hang zum Verbrechen sozusagen definiert und wo kommt dieser Begriff her?

Wie aber, meine Damen und Herren, soll man einen Hang zum Verbrecher mit einiger Sicherheit feststellen?

(Siegfried Friese, SPD: Medizinisch.)

Das Problem, es geht in dem Fall nicht um sozusagen kranke Leute, psychisch kranke Leute, sondern um gesunde. Das Problem ist eben, dass auch der erfahrenste Richter im konkreten Fall bei der Urteilsfindung

nicht mit Sicherheit die Prognose stellen kann, wie gefährlich ein Täter für die Zukunft ist, ob der Hang zum gefährlichen Rückfalltäter da ist oder nicht.

(Herbert Helmrich, CDU: Und deshalb soll’s später noch möglich sein.)

Und diesbezüglich ist die CDU-Initiative eben überhaupt nicht hilfreich. Wenn dies, meine Damen und Herren, bei der Urteilsfindung schon schwierig genug ist, Herr Helmrich, wie soll sich dann im Strafvollzug nachträglich die Gefährlichkeit zeigen,

(Herbert Helmrich, CDU: Weil dann schon zehn Jahre vergangen sind. Die hat er ja schon gesessen.)

also unter den …

Warten Sie doch mal!

… komplizierten, teilweise extremen Bedingungen des Wegschlusses? Praktiker weisen darauf hin, dass renitentes Verhalten im Vollzug, beispielsweise die Verweigerung einer Therapie, noch nicht die Gefährlichkeit beweist, andererseits unauffälliges Wohlverhalten oder Anpassung wie im Fall Schmökel noch nicht die Ungefährlichkeit belegt.

(Wolfgang Riemann, CDU: Deshalb ist der Zaun in Ueckermünde auch immer noch nicht fertig.)

Herr Riemann, denken Sie doch mal ein bisschen mit und denken Sie mal ein bisschen nach, anstatt nur laut hier herumzutönen!

(Wolfgang Riemann, CDU: Sind ja alles Ihre Intentionen. Kuschelpädagogik.)

Es geht nach meiner Überzeugung um Grundpfeiler des Strafrechts, Herr Riemann, nicht um Pädagogik.

(Wolfgang Riemann, CDU: Kuschelstrafrecht.)

Aber Sie haben davon sowieso keine Ahnung.

(Wolfgang Riemann, CDU: Aber Sie! Sie haben da Erfahrungen.)

Also sollten Sie lieber schweigen.

Wenn man einen Straftäter, selbst wenn er das schlimmste Verbrechen begangen hat, neben der Strafe einfach später als Draufschlag noch zur Sicherheitsverwahrung verdonnert, das ist gegen das Grundgesetz. Das ist doch wohl ein Unding! Was halten Sie denn, meine Damen und Herren von der CDU, vom Verbot der doppelten Bestrafung? Und vom Gebot der Bestimmtheit der Strafe? Das sind doch immerhin Verfassungsgebote, nicht Kuschelpädagogik, Herr Riemann.

(Wolfgang Riemann, CDU: Kuschelstrafrecht.)

Und darum besagt die gegenwärtige Rechtslage doch auch, an die wir uns halten sollten, ganz klipp und klar – und auch die höchstrichterliche Rechtsprechung kommt zu keinem anderen Schluss –, maßgebend für die Sicherheitsverwahrung ist überhaupt nur die gesamte Beurteilung des Täters und der Tat zum Zeitpunkt der Verurteilung. Zu Recht!

(Herbert Helmrich, CDU: So ist das heute. Deshalb wollen wir das Gesetz ändern.)

Ja eben. Und das ist genau der Punkt, den ich Ihnen vorwerfe.

(Heiterkeit bei Herbert Helmrich, CDU)

Und auch nur zu diesem Zeitpunkt und nicht später kann der Richter Erwägungen über die mögliche Prognose des Täters anstellen. Das hat doch einen guten Grund, warum die Gesamtbeurteilung des Täters und der Tat zum Zeitpunkt der Verurteilung eine Rolle spielt. Sie können anders, wie ich schon sagte, einen Täter sozusagen so lange im Gefängnis halten, wie er lebt. Das ist die Konstruktion und das kann in einem Rechtsstaat nicht sein – wenn er sozusagen geistig nicht krank ist, das ist eine ganz andere Frage. Und auch nur zu diesem Zeitpunkt und nicht später kann der Richter Erwägungen über mögliche Prognosen des Täters anstellen. Er hat darum seine Entscheidung über Sicherheitsverwahrung zu diesem Zeitpunkt anzustellen, und zwar als Schlussfolgerung aus den Tatsachen, die ermittelt wurden – aus Tatsachen! –, und die dem Gericht unterbreitet worden sind. Es geht, ich sage es noch einmal, um die sorgfältige Gesamtbeurteilung zu diesem Zeitpunkt. Blauer Dunst und rein hypothetische zukünftige Erwägungen zählen nicht.

Und ebenso können auch keine späteren Erkenntnisse zu einem Nachschlag mit Sicherheitsverwahrung führen. Wollte man das, würde man nämlich auch noch gleich einen weiteren ehernen Grundsatz des Strafrechts, das Tatprinzip, um die Ecke bringen. Das nämlich besagt, dass ein Urteil stets nur an die konkrete Tat anknüpfen darf und die Strafe dem Verbrechen adäquat und verhältnismäßig sein muss.

Und dies wird selbst dann nicht anders, wenn man in die Betrachtung die Interessen des Opfers einbringt. Ich will die Frage, wie dem Opfer Rehabilitation und Zuwendung gewährt werden kann, ganz und gar nicht als nebensächlich vom Tisch fegen, aber es ist auch im Opferinteresse unangebracht, das Strafrecht zum Instrument von Rachenahme umzuformen. Was die Opfer betrifft, sind viele andere Wege nötig als die möglichst immerwährende Wegschließung von Tätern. Sofern nicht ein Tötungsverbrechen vorliegt, bei dem das Opfer sowieso keine eigenen Interessen mehr geltend machen kann, geht es um weitgehende Rehabilitation und Entschädigung, geht es beispielsweise auch um schonende Verfahren, und es geht schließlich darum, dass sie in den Verfahren schnell und zügig ihre Ansprüche auf Wiedergutmachung und Schadenersatz durchsetzen können. Darum geht es, wenn man die Opfer sieht. In diese Richtung muss man vor allem denken, wenn man die Interessen der Opfer besser berücksichtigen möchte. Man kann feststellen, dass diesbezüglich in den letzten Jahren einiges bewegt worden ist, aber es ist andererseits beispielsweise kaum begreiflich, warum es so große Schwierigkeiten gibt, mit dem Strafverfahren auch gleich das so genannte Adhäsionsverfahren durchzuführen, das übrigens – sage ich auch mal so, Herr Riemann, da lernen Sie wieder was – in der DDR in jedem Fall, immer wenn es ein Opfer gab, obligatorisch war. Die entsprechende Vorschrift im Strafgesetzbuch heute, sie läuft im Wesentlichen leer.

Schließlich, meine Damen und Herren, liegen die Bedenken natürlich beim eigentlichen Anliegen des Gesetzentwurfes. Neben der Schwierigkeit, selbst wenn bereits Rückfall vorliegt, eine sichere Prognose abzugeben, kommt hinzu, dass überhaupt nur ein geringer Täterkreis unter die Einsitzenden käme. Man hat 20 als Prognose vorgesehen und es passieren, wie gesagt, gravierende Fehler.

Ich kann nicht erkennen, dass der Gesetzentwurf der CDU ein ernst zu nehmendes juristisches Problem lösen kann. Ich kann nicht erkennen, wie wir auf diesem Wege zu neuen Lösungen kommen wollen, und ich denke, dass es ganz und gar verkehrt ist, wenn wir für die Stärkung des Rechtsstaates sind, auf diesem Wege weiterzugehen, so, wie die CDU es will. Und es wird fatale Folgen haben, wenn bei anderen politischen Mehrheiten solche Lösungen dann gesetzt werden. Solange wir das verhindern können, werden wir das tun. – Danke schön.

(Beifall Peter Ritter, PDS)