Protokoll der Sitzung vom 27.06.2002

Sie sprachen von der Schwäche, Gesetze zu machen, und dass deswegen eine Kommission eingesetzt wurde. Ich darf Sie erinnern, dass ab 01.01. dieses Jahres – und nun haben wir inzwischen die Hälfte des Jahres fast herum – das Job-AQTIV-Gesetz eingesetzt hat, das einige wesentliche Verbesserungen in der Arbeitsförderung gebracht hat bis auf zwei Punkte, da gebe ich Ihnen natürlich vollkommen Recht, das kritisieren wir auch als SPD: die Qualifizierung bei ABM und SAM und die Wartefrist, die ab nächstes Jahr einsetzen soll.

Ich habe mich massiv dafür eingesetzt und nicht nur die ostdeutschen Länder, sondern auch die westdeutschen Länder,

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

die ABM fahren, kritisieren das übereinstimmend. Da kommt nicht das hervor, dass ABM nur ein Ostgeschäft ist, sondern auch die Westträger sagen, Qualifizierung bei ABM und SAM ist von den Trägern nicht leistbar. Da muss sich die Bundesregierung noch etwas einfallen lassen. Ich hoffe, dass das noch geschieht, wenn nicht dieses Mal, dann beim nächsten Mal.

Das, was an der ganzen Sache schwierig ist, Herr Born, und da nehme ich jetzt beide Bundesregierungen nicht aus, aber insbesondere unter der Kohl-Regierung und der jetzigen Bundesregierung, also beim Bundesministerium für Arbeit, ist – ich garantiere jetzt nicht für die Zahl, aber weitaus mehr als 70 Gesetzesänderungen, wesentliche Gesetzesänderungen sind passiert, die natürlich zu einer Regelungswut in der Bundesanstalt für Arbeit geführt haben –, dass bei der Berechnung von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und sonstigen Leistungen wie Unterhaltsgeld ein riesiges Potential von Mitarbeitern verbraucht oder gebraucht wurde, die sich dann weniger um die Vermittlung kümmern konnten.

Auch will ich mit einem Irrtum aufräumen. Es wird immer die Zahl der Arbeitsuchenden genommen und geteilt durch Mitarbeiter im Arbeitsamt. Ich denke, das ist auch Statistik, die ein völlig falsches Bild wiederbringt. Hinzu kommt dann noch, dass bei seinem Neuantritt der Chef der Bundesanstalt für Arbeit und jetzige Vorstandsvorsitzende nichts weiter zu tun hat, als bei Amtsantritt

90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstalt zu verunglimpfen, sie nicht weiter in der Reform mitnimmt, sondern gleich erst einmal vor den Kopf stößt. Das macht man nicht. Kritik hat es dafür auch aus der SPD gegeben. Herr Gerster sollte sich da in seiner Eigenschaft als Chef einer Behörde zurückhalten, auch dabei, was Vorschläge in Sachen Politik anbelangt.

Die Hartz-Kommission hat einen großen Vorteil. Wir sehen das gerade beim unterschiedlichen Echo in Ihrer Partei. Ich erinnere nur an die unterschiedlichen Aussagen von Späth und auch vom möglichen Kanzlerkandidaten. Wie hieß er noch gleich? – Waigel.

(Nils Albrecht, CDU: Was? Was?)

Genau das ist richtig, über diese Vorschläge muss jetzt geredet werden, und am besten, wenn sie konkret auf dem Tisch liegen. Und wir dürfen uns nicht überbieten in der Verkündung von sozialen Grausamkeiten, wie man das alles noch besser machen kann.

(Zuruf von Nils Albrecht, CDU)

Ich möchte auch mit einem Punkt endlich mal aufräumen, mit Missverständnissen, die teilweise auch bei meinen Kollegen von der PDS aufgekommen sind. Die SPD redet von einer Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe,

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

genau genommen von den Kooperationsmodellen, ähnlich wie es im Kölner Modell gewesen ist.

(Nils Albrecht, CDU: Was heute praktiziert wird.)

Es gibt keine Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe. Und übrigens, wenn man diese beiden Systeme zusammenlegen wollte – das wissen auch alle Fachleute hier im Raum und ich sage es allgemein verständlich –, muss erst eine umfangreiche Verfassungsdiskussion vorweggehen. Aufgrund dieser Sache können Sie überhaupt erst einmal nachvollziehen, dass das gar nicht so ein Schnellschuss ist. Ich bitte alle, die hier beteiligt sind – auch die auf Bundesebene –, nicht ständig diese Modelle durcheinander zu bringen. Es gibt ein Kooperationsmodell, das ist richtig. Unter anderem wird das auch in Rostock gemacht und das ist gut. Es gibt keine Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und schon gar nicht auf dem Niveau der Sozialhilfe.

(Zuruf von Nils Albrecht, CDU)

Deswegen sind auch alle Vorschläge, die in dieser Richtung die Diskussion anheizen, falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Diskussion über die Pauschale in den ersten Monaten ist genau die Antwort auf die vorhin genannten circa 70 Gesetzesänderungen der letzten acht Jahre. Es muss überlegt werden, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit von diesen verfluchten Verwaltungsakten befreit werden, ohne dass die Arbeitnehmer einen riesigen Nachteil davon bekommen. Insofern halte ich die Diskussion über die Pauschale durchaus für eine Sache, dass man überlegt, welche Gesetzeswerke wir brauchen und wie wir sie vereinfachen können.

Zum Szenario Abschaffung des Sozialstaates: Dass die PDS den Eindruck hat, bei der SPD geht das so, ist ihr gutes Recht. Ich kann nur daran erinnern, dass wir in der trauten Gemeinsamkeit mit der CDU von 1994 bis 1998

auch in Sachen Bundespolitik immer unterschiedliche Standpunkte hatten. Das ist so, wenn man auf Landesebene eine Kooperation oder Koalition hat oder auf Bundesebene in Opposition ist, dann hat man unterschiedliche Standpunkte.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Eins möchte ich nur sagen: Die Rentenreform, die sicherlich auch vielen Sozialdemokraten wehgetan hat, weil es ein Ungleichgewicht in der Ausgestaltung und Abkehr von der solidarischen Finanzierung war, war aber schlichtweg volkswirtschaftlich und ökonomisch notwendig, weil wir sonst das Rentenniveau nicht gesichert hätten. Und das Rentenniveau ist so hoch wie noch nie. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Punkt, den dieses gesamte Sozialsystem hervorgebracht hat. Denn wenn Sie das Szenario sehen, dass zurzeit drei Arbeitnehmer einen Rentner finanzieren und in Zukunft nur noch ein Arbeitnehmer einen Rentner finanziert, dann wissen Sie auch, dass das schief geht, also muss man sich da etwas einfallen lassen.

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Die ewigen Diskussionen, weil das auch ein Vorwurf vom Kollegen Koplin war oder eine Befürchtung, dass die gegenwärtige Diskussion der Hartz-Kommission dazu dienen könnte, die Bereinigung der Arbeitslosenstatistik durchzuführen, sind nicht der Weg. Und es ist auch vollkommen richtig, wenn über Instrumente der Arbeitsmarktpolitik geredet wird, dann redet man erst einmal über Instrumente der Arbeitsmarktpolitik, aber man muss g l e i c h z eitig ein Instrument schaffen, wo mehr Beschäftigung entsteht. Und das ist genau der Punkt. Deswegen wird ja auch bei den Überlegungen der Hartz-Kommission darüber nachgedacht, ob man diese Form von ABM und SAM ersetzt. Ich sage hier ganz deutlich, warum muss man ABM ersetzen, es sind Mittel der Bundesanstalt für Arbeit, hier und da kofinanziert durch Steuermittel, und das ist eine Tätigkeit, die im Großen und Ganzen – und da gibt es auch keinen Widerspruch – gesellschaftlich notwendig war, nur zurzeit von der Gesellschaft nicht bezahlt wird. Wie man dann vielleicht die Bundesanstalt entlastet über Steuerfinanzierung, das ist eine Diskussion, in die ich mich gerne einbringen will.

Meine rote Lampe kommt. Einen Schlusssatz will ich noch sagen. Gestern wurde hier fürchterlich über Herrn Holter geschimpft, sicherlich in einer anderen Angelegenheit, aber eins will ich Ihnen auch mal ganz deutlich sagen: Wir haben eins der modernsten Arbeitsmarktgesetze in Mecklenburg-Vorpommern, die es in den Bundesländern überhaupt gibt!

(Beifall bei der SPD und Andreas Bluhm, PDS)

Obwohl wir auch schon in der großen Koalition an diesem Ding ein bisschen gezerrt haben, ist es jetzt vollendet worden. Ich denke an diese ganze Frage, Herr Albrecht wies es auch auf, wie kriegt dann die Wirtschaft ihre Anforderungen an die Arbeitsämter und die aktuelle Arbeitsmarktpolitik weiter. Das passiert dann in diesen regionalen Projekten, das muss in den Beiräten signalisiert werden. Denn Fakt ist eins, wenn Herr Rehberg sagt, Herr Klinkmann behauptet, es fehlen 500 Plätze in der Biotechnologie, und man bei den Arbeitsämtern mal nachfragt, wo die Stellenangebote sind, dann ist das sicherlich ein volkswirtschaftlicher Bedarf, der von Experten eingeschätzt wird. Dieser ist im Moment nicht so defi

nierbar, dass es bei den Arbeitsämtern aufschlägt als direkte Stellenanforderung, aber trotzdem müssen die regionalen Akteure – und da gehören die Arbeitsämter dazu und alle Qualifizierungsträger – in Zukunft auf diesen Bereich umschulen und auch in den Schulen die Aufklärung so weit machen. Wir müssen unseren Jugendlichen sagen, dass alle, die in der Zukunft einen Job bekommen wollen, ihn auch kriegen werden, weil wir einen Fachkräftemangel haben werden, den es allerdings nicht mit Billiglöhnen gibt, sondern wir werden den Fachkräftemangel nur mit guter Bezahlung für gute Arbeit beseitigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat noch einmal der Abgeordnete Herr Glawe von der Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Arbeitsmarktpolitik in Mecklenburg-Vorpommern ist unter der Führung von Herrn Holter in den vier Jahren gescheitert. Ich denke, das ist völlig klar.

(Andreas Bluhm, PDS: Das ist überhaupt nicht klar. Und wenn Sie das noch hundert- mal erzählen, das wird nicht wahrer. – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Ein Blick auf die Zahlen wird es jedem verdeutlichen: Gucken Sie allein auf die Arbeitsplätze! Wir haben in den letzten Jahren über 30.000 Arbeitsplätze verloren, das heißt, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind weg und damit ist diese Regierung nicht in der Lage, die Sozialkassen zu füllen.

(Andreas Bluhm, PDS: Aha!)

Die Ersatzkasse Barmer, AOK und andere sind zurzeit gezwungen, in Größenordnungen Personal zu entlassen. Das ist auch eine Bilanz dieses Landes. Allein bei der Barmer sind es jetzt über 100 Stellen im Land und bundesweit über 1.000, meine Damen und Herren.

(Andreas Bluhm, PDS: Aha, wenn es bundesweit über 1.000 sind, dann ist es ja ganz spannend. Dann ist Meck-Pomm verantwortlich für den Bund, oder was?!)

Das ist eine Geschichte, die Sie zu verantworten haben. Sie haben auch zu verantworten, dass wir im Land Mecklenburg-Vorpommern 53.000 Sozialhilfeempfänger haben, so viel wie nie. Sie haben zu verantworten, dass wir über 50.000 Langzeitarbeitslose haben, in besonderer Weise Frauen.

(Zurufe von Nils Albrecht, CDU, Annegrit Koburger, PDS, und Torsten Koplin, PDS – Glocke der Vizepräsidentin)

Für diese Frauen mit Kindern haben Sie keine Antworten.

(Zurufe von Annegrit Koburger, PDS, und Peter Ritter, PDS)

Sie haben 1998 großmundig versprochen „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ und herausgekommen ist das Gegenteil.

(Peter Ritter, PDS: Für Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit hieß das. – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Der Mittelstand ist frustriert. Er hat keine Mittel, um Neueinstellungen und Investitionen vorzunehmen. Das ist Ihre Bilanz.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Wir haben mehr Abmeldungen als Anmeldungen.)

Sie haben das jetzt mitzuverantworten bei der Frage der ABM-Stellen. Da will ich Herrn Dankert noch mal ausdrücklich Recht geben, dass die CDU 1998 so schlecht war, noch etwas für den Arbeitsmarkt zu tun.

(Heiterkeit bei Heidemarie Beyer, SPD, und Peter Ritter, PDS)

Sie haben in diesem Jahr allein 14.000 Stellen abgebaut mit Zustimmung.

(Peter Ritter, PDS: Das hat auch Herr Holter gemacht, ja?)

Und Sie haben dafür gesorgt, dass die Träger 20 Prozent Qualifizierungsanteile ausweisen müssen, die im nächsten Jahr wahrscheinlich mit Geld zu besetzen sind. Das ist Ihre Bilanz. Und da müssten Sie mal nachsetzen, ob Sie im SGB III Änderungen schaffen wollen. Sie haben auch zugestimmt, dass Wartelisten entstehen, dass einer, der ABM hatte, jetzt drei Jahre warten muss. Das ist Ihre Politik. Das ist toll.