Protokoll der Sitzung vom 27.06.2002

(Beifall Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)

Spätestens seit der DDR wissen wir, dass es niemandem in der Politik gelingt, ökonomische Gesetze auszuhebeln.

(Heiterkeit und Beifall bei einzelnen Abge- ordneten der PDS – Nils Albrecht, CDU: Sie produzieren Widersprüche!)

Sie wollen, und das ist der Weisheit letzter Schluss an dieser Stelle, Sie wollen die kleinen Leute bluten lassen und den Sozialstaat unterhöhlen!

Das Tragische ist nur, und jetzt muss ich meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die ich sehr schätze, ansprechen, dass nicht nur die CDU, sondern auch die

SPD/Bündnis90-Bundesregierung am Szenario einer Abschaffung des Sozialstaates arbeitet. Ich habe das sehr wohl vernommen, was Frau Beyer hier sagte, die Verschlechterung der Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird es mit den Sozialdemokraten nicht geben.

(Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff: So ist es!)

Ich möchte Ihnen gerne an dieser Stelle den Rücken stärken. Ich frage mich nur, wie sich diese Aussage verträgt zum Beispiel mit den Angriffen auf das Rentenversicherungssystem, da sind die Messen gesungen, wie es sich verträgt mit einigen Szenarien, die ich erlebe in Bezug auf die Gesundheitsreform. Da freue ich mich, dass die Gesundheitsministerin Frau Schmidt diese Ausführung tätigt. Da hat sie unsere Unterstützung. Ich nehme aber sehr wohl aufmerksam zur Kenntnis, dass auf die Frage an den Bundeskanzler Schröder, wen er denn in seinem nächsten Kabinett gerne wiedersehen möchte, gerade diese Ministerin nicht namentlich erwähnt wird.

(Annegrit Koburger, PDS: Ja.)

Ist da die Tür einen Spalt weit offen?

(Sylvia Bretschneider, SPD: Na, nun machen Sie hier mal keine Kaffeesatzleserei, Herr Koplin!)

Das ist etwas, was mich sehr wohl beschäftigt,...

(Nils Albrecht, CDU: Kommen Sie mal wieder zum Thema zurück!)

Aber das ist der tiefe Sinn des Themas.

(Zuruf von Nils Albrecht, CDU)

Selbstverständlich.

... die sozialstaatlichen Sicherungssysteme Rente, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung.

(Unruhe bei Sylvia Bretschneider, SPD – Harry Glawe, CDU: Das wackelt doch, das wissen Sie ganz genau.)

Die Verantwortung zum sozialen Bereich hat sich keine Regierung großzügigerweise selbst auferlegt, sondern diese Verantwortung ist im allerersten und obersten Gesetz diesen Staates und da gleich in seinem ersten Artikel fixiert, der da lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Diese Verantwortung ist auch nicht nur per Wählervotum, unter anderem auch von mehr als zwei Millionen Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern und mehr als vier Millionen Arbeitssuchenden in diesem Land, der Bundesrepublik Deutschland übertragen worden, sondern wird eben auch in Form von Steuern und Sozialabgaben dieser Wählerinnen und Wähler finanziert. Die Transferleistungen aus dem Sozialversicherungssystem sind eben keine Almosen, sondern erworbene Ansprüche. Statt durch gesetzliche Regelung, Begünstigung und Unterlassung die Zahl der Reichen, die Zahl derer, die Mechanismen, die bewirken, dass die Reichen immer reicher werden, sozusagen zu begrenzen beziehungsweise abzuschaffen, sollte diese Regierung etwas dafür tun, um Sozialhilfe überflüssig und Existenzangst und Armut in diesem Land, einem der reichsten Länder der Erde, zu beseitigen.

Und nun also kommt aus unserer Sicht – und da sind wir in großer Sorge – der Angriff auf das dritte Element des Sozialstaates, die Arbeitslosenversicherung, hinzu. Sie beinhaltet nicht nur die unternehmerische Ausrichtung der Bundesanstalt für Arbeit, sondern mehr auch den Wettbewerb. Und da stelle ich mal die Frage – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, diesen offenkundigen Widerspruch: Eine Bundesbehörde soll in den Wettbewerb mit der freien Wirtschaft treten. Auch die geplante Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – der Minister Holter hat darüber gesprochen –, die faktisch auf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Absenkung der Leistung für die Betroffenen auf Sozialhilfeniveau hinausläuft, sind ein weiterer Schritt zur mittel- oder langfristigen Demontage der Arbeitslosenversicherung.

Und nun möchte ich etwas sagen zu den Erkenntnissen aus der Hartz-Kommission. Noch am 18. Januar diesen Jahres ließ Bundesminister Riester verlauten: „Eine Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld wird nicht in Erwägung gezogen.“ Nunmehr heißt es, und ich beziehe mich auf Veröffentlichungen der jüngsten Tage: „Das Arbeitslosengeld wird künftig während der ersten sechs Monate in drei Pauschalbeträgen ausgezahlt, die in etwa die bisherige Einkommenssituation widerspiegeln.“ Und nun sage ich mir, abgesehen davon, dass es sich hier um einen Eingriff in die Eigentumsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern handelt, haben wir dann wieder diese Situation, die darauf hinausläuft, dass die sozial Benachteiligten im System noch zu den Schuldigen werden. Und an ihrem Schicksal werden sie sozusagen abgestempelt und obendrauf noch sozial schlechter gestellt. Und das kann nicht sein! Das kann beim besten Willen nicht sein!

Das Schärfste aus meiner Sicht ist jedoch folgende Vorstellung, und da möchte ich einmal zitieren aus dem bereits erwähnten „Spiegel“, Nummer 26/2002: „Die Arbeitsämter, die bisher die Erwerbslosigkeit mehr verwaltet als bekämpft haben, werden nach modernen Managementmethoden zu Beschäftigungsagenturen umgebaut, die mit erfolgreicher Stellenvermittlung sogar Geld verdienen und womöglich später an die Börse gehen könnten.“ Das möge man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Hier soll offenbar den bestehenden Verhältnissen die Krone aufgesetzt werden. Nicht nur, dass die Arbeitskraft eine Ware ist, nun soll ein Teil des erschufteten Geldes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum staatlich sanktionierten Zocken verwendet werden. Und das kann nicht sein!

(Beifall Annegrit Koburger, PDS)

Auf uns wirken die Vorschläge der Hartz-Kommission. Wir nehmen sie sachlich zur Kenntnis und wir prüfen. Da gibt es positive Ansätze, aber es gibt auch Ansätze, die uns hochgradig beunruhigen. Auf uns wirken sie. Aber Herr Holter sagte, es ist vernünftig, darauf zu schauen, sie vom Ergebnis her zu betrachten. Wenn ich aber die Betrachtungen und die Optik habe, das Ergebnis heißt, ich bereinige die Arbeitslosenstatistik, hat das ganz andere Auswirkungen auf die davor geschaltete Reform, als wenn ich sage, ich vermittele in Arbeit. Und dieses Vermitteln in Arbeit vermisse ich. In allen bisherigen Ausführungen ist nicht gesagt worden, wohin vermittelt wird, mit einer kleinen Ausnahme, mit einer kleinen Andeutung von Herrn Hartz selber in dem Interview im „Spiegel“, in dem er sagt: Fensterputzer, Gartenpfleger und Hausmeister. Das ist aus meiner Sicht auch nicht logisch, weil es nur

der konsumtive Bereich ist. Auf mich persönlich wirkt das wie das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Der Kaiser ist nackt, die Arbeitslosenstatistik wird bereinigt. Wohin werden die Arbeitslosen aber vermittelt? Die Logik stimmt nicht und ich sage Ihnen, wohin die Arbeitslosen vermittelt werden, wenn nicht andere Ideen auf den Tisch kommen. Die Arbeitslosen stehen dann auf dem Verschiebebahnhof und der Zug fährt in Richtung Kommunen.

Ich möchte an Sie alle, insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, appellieren und Frau Beyer hat ja angedeutet, dass dieser Appell auf fruchtbaren Boden fällt: Nehmen Sie diese Pläne nicht widerspruchslos hin, die dort geboren werden! Tun Sie es nicht im Interesse der Menschen in diesem Land, im Interesse des sozialen Friedens und im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens!

Als PDS wollen wir uns da einbringen. Wir haben am 5. Juni dieses Jahres eine Broschüre aufgelegt „Beschäftigungspolitisches Programm der PDS“. Da haben wir unsere alternativen Überlegungen mit schlüssigem Finanzierungskonzept aufgelistet. Zu denen gehört, die öffentliche Investition vorzuziehen und auszuweiten, kleinere und mittlere Unternehmen gezielt und effizient zu stärken, den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, Herr Glawe, auszubauen, daran halten wir fest, gar keine Frage,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

die Bildung zu verbessern, Arbeit umzuverteilen und den Aufbau Ost voranzubringen. Das ist, denke ich mal, aber unsere gemeinsame Sache. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Koplin.

Durch die Landesregierung wurde die vereinbarte Redezeit überschritten,

(Unruhe bei Norbert Baunach, SPD, und Peter Ritter, PDS)

so dass nach Paragraph 85 unserer Geschäftsordnung die CDU noch Redezeit hat. Ums Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Born gebeten. Bitte, Herr Dr. Born.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Keine Sorge, Herr Kollege Baunach, das Thema ist zu ernst, als dass es sich hier lohnt, darauf eine Wahlkampfrede zu halten, zumal wir ja hier fast unter uns sind, und deshalb sollten wir das auch mal aufgreifen, was insbesondere hier vom Minister Holter gesagt worden ist.

Herr Minister Holter, wenn diese Rede jemand gehalten hätte, der in keinerlei politischen Verantwortungen steht, dann hätte man ihr sicherlich über weite Strecken zustimmen können. Denn Sie haben gesagt, es kann nicht sein, dass es nur darum geht, die Bundesanstalt für Arbeit auf den Prüfstand zu stellen, sondern der Ansatz der HartzKommission ist völlig richtig, dass sie sagt, wir müssen vor allen Dingen die gesetzlichen Grundlagen überprüfen. Da kann ich nur vollkommen zustimmen.

Aber, Herr Minister Holter, es ist umso eigenartiger, wenn das jemand sagt, der seit vier Jahren die politische Verantwortung hat und sich das auf die Fahnen geschrieben hat.

(Harry Glawe, CDU: Arbeit, Arbeit, Arbeit.)

Und hier erinnere ich an Ihre Aussagen im Wahlkampf 1998.

(Harry Glawe, CDU: Ja, was haben Sie gemacht?! Nichts!)

Die Aussage war ganz schlicht: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Ihre Bilanz sieht so aus, dass die Arbeitslosigkeit nicht gesunken und insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit nicht zurückgegangen ist.

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist falsch! – Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Nein, das ist überhaupt nicht falsch. Herr Ministerpräsident, Sie wissen es besser

(Torsten Koplin, PDS: 14.000 Arbeitslose weniger als vor vier Jahren. 14.000 Arbeits- lose weniger. – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

und es nützt überhaupt nichts, wenn Sie hier immer die Sache schönzureden versuchen. Sie haben es versäumt zu handeln und es ist eine Bilanz, die verheerend ist.

(Peter Ritter, PDS: Herr Born, Sie wollten keine Wahlkampfrede halten.)

Herr Ritter, ich greife das auf, vielen Dank. Deshalb auch zurück zu dem, was Kollege Koplin eben gesagt hat.

Sie haben nun gemerkt, gesetzliche Änderungen sind unabdingbar, und da die politisch derzeit Verantwortlichen zu schwach sind, entsprechende Gesetzesänderungen auf den Weg zu bringen, denn schließlich ist es Aufgabe des Gesetzgebers, entsprechende Gesetze einzubringen, haben Sie eine Kommission auf Bundesebene berufen und Sie begrüßen das ja.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Helmrich?