Protokoll der Sitzung vom 18.02.2004

Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich begrüße Sie zur 30. Sitzung des Landtages. Die Fraktionen der SPD und PDS haben gemäß Paragraph 72 Absatz 4 unserer Geschäftsordnung diese Dringlichkeitssitzung beantragt. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 30. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 30. Sitzung gemäß Paragraph 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Ich rufe auf den einzigen Tagesordnungspunkt: Zweite Lesung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003, Drucksache 4/945, hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, Drucksache 4/1010, einschließlich der Berichtigung, Drucksache 4/1040.

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2003) (Zweite Lesung und Schlussabstimmung) – Drucksache 4/945 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – Drucksache 4/1010 –

Berichtigung – Drucksache 4/1040 –

Das Wort zur Berichterstattung hat der Ausschussvorsitzende Herr Riemann.

(Wolfgang Riemann, CDU: Wird nicht gewünscht.)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Finanzministerin Frau Keler.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Heiterkeit bei Wolfgang Riemann, CDU: Jetzt aber nicht die falsche Rede! – Ministerin Sigrid Keler: Moment mal, ich bin doch nicht die Erste. – Unruhe im Präsidium – Wolfgang Riemann, CDU: Wollen Sie nicht reden, Frau Keler?)

Meine Damen und Herren Abgeordnete, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Borchert von der Fraktion der SPD.

(Wolfgang Riemann, CDU: Rudi, willst du noch was sagen dazu?)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Landtag beschließt das erste Mal einen Zweiten Nachtragshaushalt, und zwar am 18. Februar diesen Jahres, für das vorhergehende Jahr, insofern durchaus ein Novum. Allerdings bleibt festzustellen, dass dies in anderen Bundesländern durchaus

seit längerem schon gängige Praxis ist und, ich glaube, auch völlig angemessen und notwendig war angesichts der dramatischen Steuerausfälle, die uns am 6. November letzten Jahres bekannt wurden.

Ein Minus von 190 Millionen Euro, dazu noch weitere Einnahmeverluste durch den nicht erfolgten Verkauf von Darlehensforderungen beziehungsweise die Mindereinnahmen durch EU-Förderung, Größenordnung von 8 0 Millionen Euro, brachten uns insgesamt einen Handlungsbedarf von circa 225 Millionen Euro. Daraus ergab sich logischerweise die Notwendigkeit – in dieser Größenordnung ist es logisch –, einen Nachtragshaushalt zu erstellen. Und so haben wir – das liegt Ihnen vor – die Kreditermächtigungen um 225 Millionen Euro von 826 Millionen Euro auf 1 Milliarde 51 Millionen Euro erhöhen müssen und haben somit die insgesamt dritthöchste Verschuldungsrate in einem Jahr seit 1990. Desgleichen ist damit verbunden die Überschreitung der Kreditobergrenze um 167 Millionen Euro.

Ich möchte an dieser Stelle nur einen Punkt konkret ansprechen, der in den Beratungen des Finanzausschusses, aber auch des Bildungsausschusses eine ganz entscheidende Rolle spielte. Wir haben uns noch einmal mit der Frage befasst: Wie können wir konkret einen Beitrag leisten zur Stärkung der Autonomie der Universitäten, der Hochschulen und Fachhochschulen? Wir haben schließlich – Sie finden das in der Vorlage – im Finanzausschuss durch einen Haushaltsvermerk beschlossen, dass die Bildung von Rücklagen zum Jahresende möglich ist und deren eigenverantwortliche Bewirtschaftung in den darauf folgenden Jahren an den Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen umgesetzt werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zum Zweiten Nachtragshaushalt des Jahres 2003. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Gabriele Schulz, PDS)

Danke schön, Herr Borchert.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. von Storch von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2003 ihre Zustimmung versagen. Wir halten diesen Nachtragshaushalt für verfassungswidrig. Er überschreitet mit seinen Festlegungen die Regelkreditobergrenze. Die Begründung, dass eine Überschreitung nach dem Urteil des Berliner Bundesverfassungsgerichts vorliegen muss – die Kriterien dazu –, ist hier nicht eingehalten. Die Landesregierung hat zwar darauf hingewiesen, dass die Überschreitung im Jahr 2003 zur Überwindung einer ernsthaften und nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts notwendig sei und der Bedrohung der Wirtschafts- und Beschäftigungslage des Landes entgegenwirken soll. Wir widersprechen dieser Begründung. Es mag richtig sein, dass wir heute von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts werden sprechen müssen, aber das Zahlenwerk macht nicht deutlich, dass das, was uns vorgelegt worden ist, zur Überwindung dieses Zustandes geeignet ist.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Deshalb sind wir der Auffassung, dass dieser Nachtragshaushalt verfassungswidrig ist.

Wir glauben, meine Kolleginnen und Kollegen, dass es bereits nach der Maisteuerschätzung im vergangenen Jahr angezeigt war, mit besonderer Sorgfalt der steuerlichen Einnahmesituation entgegenzusehen. Niemand konnte ganz ernsthaft glauben, dass die Novembersteuerschätzung besser ausfallen würde als die Maisteuerschätzung. Darauf hätten wir uns einstellen müssen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: So ist es.)

Das hat niemand getan. Die dann ergriffenen Maßnahmen kamen zu spät. Auch das ist der Landesregierung anzulasten.

Meine Kolleginnen und Kollegen, ich will mich kurz fassen, weil wir den Doppelhaushalt nachher noch vor uns haben. Dazu wird im Detail zu diskutieren sein. Wir lehnen diesen Nachtragshaushalt ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr von Storch.

Das Wort hat jetzt die Fraktionsvorsitzende Frau Gramkow von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die finanzpolitische Situation des Landes – und das haben heute Morgen wieder Demonstrierende vor dem Schloss bewiesen – ist sehr problematisch. Ich will sie dramatisch nennen. Wir haben bei der Einbringungsrede zum Nachtragshaushalt auch auf diese Situation aufmerksam gemacht. Zwei Daten machen diese dramatische Situation deutlich:

Erstens werden wir mit der Nettokreditaufnahme, das heißt mit den neuen Schulden in der Größenordnung von 1 Milliarde Euro, einen Schuldenstand pro Jahr erreichen, wie er nur 1994 gewesen ist. Und das war ja wohl bekanntlich ein Wahljahr.

Zweitens ist die Einnahmesituation des Landes davon gekennzeichnet, dass wir heute trotz gestiegener Ausgaben, vor allen Dingen in Bereichen der Investitionsförderung, in Bereichen der Personal- und Sachkostenausstattung, aber auch bei vielen sozialen Leistungen, dass die Einnahmen das Niveau von 1995 erreicht haben, um nicht zu sagen, sie sind auf das Niveau heruntergerutscht. Die Ursachen dafür will ich kurz noch einmal beschreiben, weil es zur Ehrlichkeit dazugehört, Herr von Storch, zu sagen, dass diese Situation eben keine hausgemachte Situation in Mecklenburg-Vorpommern ist, dass wir also nicht daran aktiv beteiligt gewesen sind, den Konsolidierungskurs, der seit 1996, verstärkt seit 1998, hier gefahren worden ist, aufzugeben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Karsten Neumann, PDS)

De facto mussten wir ihn aber aufgeben. Die Ursache liegt doch im Stagnieren des Wirtschaftswachstums aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Gesamtdeutschland und eben auch in Mecklenburg-Vorpommern.

(Wolfgang Riemann, CDU: Besonders, Frau Gramkow, besonders.)

Die Situation liegt an hoher Arbeitslosigkeit und an dem Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit. Die Situation liegt daran, dass wir es mit einem Rückgang des Konsums zu

tun haben aufgrund von Einkaufsverhalten, von sozialen Ängsten, von Existenznot, die auch mit den so genannten Reformen über uns gekommen sind. Letztendlich sind dieses alles bundespolitische Auswirkungen und Entscheidungen, die wir landespolitisch eben nicht kompensieren können. Und nicht nur Mecklenburg-Vorpommern, sondern allen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland geht es inzwischen so, ob sie reicher oder ärmer sind.

Deshalb ist festzustellen – Herr von Storch, ich habe das sehr wohl aufgenommen –, dass auch Sie sagen, ja, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist gestört. Ich sage, zumindest haben wir eine schwerwiegende Störung zu verzeichnen und eine unmittelbare Bedrohung für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik des Landes. Das sagt uns ja die Landesverfassung im Artikel 65 Absatz 2, dass es unter diesen Bedingungen auch notwendig und möglich ist, höhere Kredite aufzunehmen, als wir sie in eigenfinanzierte Investitionen stecken. Ich glaube, dass dies einer ernsthaften Prüfung standhält, denn wer dieser Störung begegnen will, muss dafür sorgen – und ich denke, dass wir mit dem Nachtragshaushalt als auch mit dem Doppelhaushalt dafür sorgen werden –, dass es ein hohes Investitionsniveau gibt, welches wir fortführen können, dass damit wichtige Entwicklungen in der Infrastruktur, in der Verbesserung der Wirtschaftsförderung für kleine und mittelständische Unternehmen bis hin zur Existenzgründung möglich gemacht werden, auch was die Unterstützung von Finanzierungsmöglichkeiten und Liquiditätsengpässen in Unternehmen betrifft.

Wer Schwerpunktsetzung auf Bildung gibt, der sagt Ja zu einem Standortfaktor, wie er sich in Mecklenburg-Vorpommern bisher positiv und weiter positiv entwickeln wird. 200 Millionen Euro mehr seit 1998 im Bildungsbereich sind keine Peanuts, meine Damen und Herren. Auch darüber müssen wir reden, wenn wir mit Demonstrantinnen und Demonstranten vor diesem Schloss reden,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

denn es geht in erster Linie um Bildung für Kinder, Jugendliche und Studenten in diesem Land und daran sind die Maßnahmen auszurichten.

Drittens. Seit 1998 und trotz der schwierigen Entscheidungen zum Doppelhaushalt gibt es hier einen fairen Umgang zur Ausstattung der Kommunen mit notwendigen Finanzmitteln über den kommunalen Finanzausgleich. Ich bin froh, dass auch mal ein Bürgermeister nickt, der hier im Hause sitzt, trotz der schwierigen Entscheidungen. Es bleibt Mecklenburg-Vorpommern das einzige Land in der Größenordnung der wegbrechenden Einnahmen, die es nicht an die kommunale Ebene weitergegeben hat, und das soll auch so bleiben.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Wir sichern soziale Standards. Wir werden heute Nachmittag im Sozialausschuss dafür sorgen, dass mehr Geld in den Bereich der frühkindlichen Bildung geht.

(Beifall Karsten Neumann, PDS)

Die nachhaltige Entwicklung im Land, die ökologische Ausrichtung und die Naturschutzentwicklung – da habe ich ja gehört, bis zur letzten Kröte – sind doch aber ein Ausschlag dafür, dass wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen, auch und eben Tourismusland Nummer eins in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben.

(Wolfgang Riemann, CDU: Die letzte Kröte haben Sie doch schon geschluckt in dieser Koalition!)

Und deshalb glaube ich, dass die Maßnahmen, so, wie Sie tun – wir werden beim Doppelhaushalt nachher darauf eingehen –, dazu dienen, dafür zu sorgen, dass wir finanzpolitisch wieder ins Lot kommen. Ob das mit 2005 tatsächlich gelingt und welche Bedingungen wir dazu brauchen, darauf werde ich nachher eingehen. Ich glaube, dass wir die Voraussetzungen geschaffen haben,

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

füge aber hinzu, dass ich hoffe, dass wir als Land Mecklenburg-Vorpommern uns daran beteiligen, auch über die Einnahmeseite der Länder und Kommunen weiter zu reden. Und da sage ich, faire Unternehmenssteuerreform, da sage ich natürlich Erbschaftssteuerreform, die auch etwas bringt, und erwarte, dass wir als Land Mecklenburg-Vorpommern die Initiative von Schleswig-Holstein unterstützen. Ich sage auch, wir brauchen endlich eine Ostlobby in der Frage der Reformen der Bundesrepublik Deutschland.