Protokoll der Sitzung vom 15.09.2004

Dies zeigt eines: Die intensive öffentliche Debatte hat auch einen aufklärenden Faktor. Es werden immer mehr sachliche Informationen bekannt. Die Menschen bekommen Informationen und nicht nur Polemiken von der jeweils interessierten politischen Seite.

Meine Damen und Herren, Ziel der neuen Arbeitsmarktpolitik war und ist es selbstverständlich, Arbeitssuchende so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen. Zusammengefasst steht diese neue Arbeitsmarktpolitik unter der Maxime „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ und selbstverständlich Arbeitssuchende zu fördern und zu fordern. Zu den erwähnten sachlichen Punkten gehört, auch wenn es nicht alle hören wollen, weil es denen nicht in den politischen Kram passt, alle Erwerbstätigen erhalten einen Anspruch auf Förderung, insbesondere die Vermittlungsangebote der Job-Center, Qualifizierungsmaßnahmen, ABM und Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung. Dazu gehört auch – ich hatte das heute Morgen im Rahmen der Aktuellen Stunde angesprochen – Arbeit und Ausbildung für alle Jugendlichen unter 25 Jahren. Jeder junge Arbeitssuchende unter 25 Jahren wird sofort nach Antragstellung auf Arbeitslosengeld II in Arbeit, in eine Ausbildungsstelle oder in eine Arbeitsgelegenheit vermittelt. Das ist etwas ganz Neues, eine neue Qualität, wie ich eingangs ja schon sagte.

Ich bin mir nicht sicher, ob insbesondere die jungen Demonstranten sich darüber im Klaren sind, dass sie die eigentlichen Gewinner dieser Arbeitsmarktreform sind

und sie sozusagen gegen ihre eigenen Interessen demonstrieren.

Der nächste Punkt: Es gibt zukünftig Hilfe aus einer Hand. Jeder Arbeitssuchende soll einen zentralen Ansprechpartner bekommen. Es wird zukünftig einen verbindlichen Fahrplan in Richtung eines neuen Arbeitsplatzes geben und es gibt neue Hinzuverdienstmöglichkeiten, zum Beispiel auch benannt in Paragraph 29 Sozialgesetzbuch II als Einstiegsgeld, welches befristet über zwei Jahre gewährt werden kann.

Meine Damen und Herren, es darf nicht verhehlt werden, dass bei dieser Arbeitsmarktreform es nicht nur die berühmt-berüchtigten Vermittlungsprobleme sind, warum die Menschen zunächst einmal skeptisch bis ablehnend sind. Ohne Zweifel, es gibt diese Vermittlungsdefizite, aber umso erstaunter ist man über so manches Ergebnis von Umfragen, die ja vielfach gemacht werden.

Interessanterweise finden nach einer Umfrage des Politbarometers vom Juli 51 Prozent der Befragten es richtig, dass es zu einer Kürzung der bisherigen Arbeitslosenhilfe kommt. Und das zweite überraschende Ergebnis: Nach einer in der Zeitung „Die Welt“ ebenfalls im Juli veröffentlichten Umfrage finden es 68 Prozent der Befragten richtig, dass Langzeitarbeitslose zukünftig dazu verpflichtet werden können, auch einfache Arbeiten, die vielleicht dem einen oder anderen schwer zumutbar erscheinen, anzunehmen. Das wird laut dieser Umfrage übrigens auch von der Mehrheit der in Ostdeutschland Befragten unterstützt, nämlich von immerhin 57 Prozent.

Halten wir fest, mit der Arbeitsmarktreform wird es für einen Teil der Betroffenen finanzielle Verbesserungen geben.

(Karsten Neumann, PDS: 1,5 Millionen weniger!)

Aber, und auch das gehört zur Wahrheit, es gibt etliche, für die damit finanzielle handfeste materielle Nachteile verbunden sind.

(Karsten Neumann, PDS: 1,5 Millionen!)

Da braucht man auch gar nicht drum herumzureden. Davon gibt es in Ostdeutschland, und insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern, mehr als in Westdeutschland, das ist klar. Das hängt damit zusammen, dass es hier weniger Sozialhilfeempfänger und dafür mehr Bezieher von Arbeitslosengeld gibt. Was bislang für die Menschen hier ein Vorteil war, wendet sich jetzt zum Nachteil. Aber genau das ist es auch, warum es durch die Arbeitsmarktreform für die kommunale Ebene im Land weniger Entlastung gibt als zum Beispiel in Bremen oder in Nordrhein-Westfalen, wo der Anteil der Sozialhilfeempfänger von jeher höher war.

Aber, meine Damen und Herren, das Folgende sage ich mit großem Ernst: Wer in diesem Zusammenhang von Armut oder gar von Armut per Gesetz redet, der weiß entweder nicht, wovon er redet, weiß nicht, was Armut wirklich ist,

(Zuruf von Karsten Neumann, PDS)

oder er weiß es und benutzt diesen Begriff bewusst, um damit Stimmung zu machen,

(Angelika Gramkow, PDS: Oder er suggeriert in der Öffentlichkeit so wie Sie, was nicht richtig ist.)

Stimmung gegen die Politik von da oben, und sägt damit heftig am Ast, auf dem er selbst sitzt. Beides, denke ich, ist unverantwortlich. Ich finde es fast unanständig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ebenso unanständig sind wahlkämpfende Politiker, die ihren Verstand an der Garderobe abgeben und glauben, mit ominösen Verbesserungsvorschlägen Wählerstimmen einfangen zu können.

(Angelika Gramkow, PDS: Ach, Herr Backhaus hat aber auch welche gemacht.)

Pikanterweise kommen solche Vorschläge auch von denen, die im Bundesrat gerade für erhebliche Verschärfung gekämpft haben, wie zum Beispiel der sächsische Ministerpräsident Herr Milbradt.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Das hätten Sie nicht machen sollen, Herr Mohr. Ich habe zu viele SPD-Kollegen im Wahlkreis.)

Und, sehr geehrter Herr Kollege Rehberg, ein Wort vielleicht zu Ihnen: Wenn Sie sich hinstellen und, ich denke, in einem Anflug von Großspurigkeit Ihr Verständnis für die Demonstranten hervorheben, dann ist das, wie ich finde, eine gewisse Doppelzüngigkeit,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

denn es war Ihre CDU, Herr Rehberg, Ihre CDU-Bundesspitze, Ihre CDU-Bundestagsfraktion und die von Ihrer CDU geführte Landesregierung, die den Gesetzesvorhaben bekanntlich zugestimmt haben, sogar erhebliche Verschärfung durchgesetzt haben.

(Angelika Gramkow, PDS: Haben Sie denn kein Verständnis für die Demonstranten und Demonstrantinnen?!)

Beispiele sind die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien, die verspätete Auszahlung von Arbeitslosengeld II et cetera, et cetera.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Was Sie da machen, Herr Mohr, ist nicht clever. – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Das könnten wir fortsetzen, Herr Rehberg. Dafür führen wir hier die Debatte. Sie sind ja vielleicht noch dran.

(Eckhardt Rehberg, CDU: Jaja, kommt noch. – Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Meine Damen und Herren, ich sehe, dass der Zug rollt und jetzt auch nicht mehr aufgehalten werden kann. Es wird keine nennenswerten Nachbesserungen geben. Öffentliche Forderungen für die Galerie zu erheben, davon halte ich nichts. Das Gesetz ist bekanntlich im Bundestag so beschlossen worden.

(Zuruf von Karsten Neumann, PDS)

Welche Möglichkeiten sehe ich für mögliche Korrekturen, wenn sie notwendig sein werden?

(Angelika Gramkow, PDS: Sie haben doch gerade welche abgelehnt. Was denn nun?)

Meine Damen und Herren, ich stehe dafür, im Rahmen der ersten Zwischenbilanz, die man sicherlich machen muss – zunächst einmal fangen wir am 1. Januar 2005 an mit diesem großen Projekt –,

(Karsten Neumann, PDS: Und 1,5 Millionen haben weniger Geld am 1. Januar.)

für Korrekturen einzutreten oder zumindest einmal zu gucken, was passiert. Lassen Sie uns doch einfach einmal anfangen und schauen, wo gegebenenfalls Probleme auftauchen, wo möglicherweise Defizite sind, die dann auch entsprechend korrigiert werden müssen. Das ist doch selbstverständlich. Ich halte das für ein vernünftiges und angemessenes Verfahren.

Das ist auf jeden Fall, denke ich, auch allemal effektiver, als jetzt Forderungen zu erheben, von denen klar ist, dass sie ohnehin nicht mehr durchzusetzen sind.

(Zuruf von Karsten Neumann, PDS)

Das sage ich, wenngleich ich sehe, dass es auch die massive, zum Teil öffentlich, wie ich aber meine, sehr viel effektiver vorgetragene Kritik innerhalb der SPD zum Auszahlungszeitpunkt war, die zu einer Änderung geführt hat.

(Torsten Renz, CDU: Die gibt’s auch.)

Hier ist eine notwendige Korrektur vorgenommen worden.

(Torsten Renz, CDU: Bloß wo? Wo ist die?)

Meine Damen und Herren, ein Punkt meiner Kritik wäre ganz sicher auch, dass das Arbeitslosengeld II im Osten 331 Euro beträgt, hingegen im Westen 345 Euro. Dazu ließe sich sicherlich unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten einiges sagen. An dieser Stelle verzichte ich darauf. Was mich allerdings aufbringt, ist die Kampagne, die so tut, als ob die Betroffenen allein von diesen 331 Euro leben müssten.

Ich habe ganz bewusst das Wort Kampagne benutzt, denn nichts anderes ist das.

(Torsten Koplin, PDS: Wollen Sie Ihren Mietzuschuss einsetzen?)

Diejenigen, die immer wieder verbreiten, dass die Menschen zukünftig im Osten mit 331 Euro auskommen müssen,

(Angelika Gramkow, PDS: Nur der Haus- haltsvorstand, das haben Sie vergessen.)

belügen die Menschen, um daraus für sich Kapital zu schlagen.

(Karsten Neumann, PDS: Im Gegensatz zu Ihnen.)

denn dabei wird verschwiegen, meine Damen und Herren,