Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Kollege Dr. Born, erlauben Sie mir vorab eine Anmerkung: Herr Dr. Born, die Schärfe und die Polemik, die Sie hier in Ihrer Einbringung an den Tag gelegt haben,

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

wird dem sehr ernsten Anlass unserer heutigen Sitzung nicht gerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Erwarten Sie nicht, Herr Dr. Born, dass ich Ihren Ausführungen Gleichartiges entgegenstelle.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, zunächst einmal ist es mir wichtig zu betonen, dass es natürlich das gute Recht der Opposition ist, die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu beantragen. Ein solcher Untersuchungsausschuss muss dabei immer verbunden sein mit dem Ziel, einen Sachverhalt oder, wie es im einschlägigen Gesetz auch heißt, Tatbestände im öffentlichen Interesse aufzuklären.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag definiert zwei Themenkomplexe, die hier von der CDU zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden: Zum einen handelt es sich um den Mord an der 16-jährigen Carolin aus Graal-Müritz am 15. Juli des vergangenen Jahres, und hier konkret um den Umgang der Justizbehörden mit dem Täter Maik S., zum anderen geht es um die Arbeitsfähigkeit der Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg, hier konkret bezogen auf die strafrechtlichen Verfehlungen des Staatsanwalts F. und das Dienstverhältnis zwischen Staatsanwälten und Behördenleitungen dort.

Hierzu möchte ich feststellen, dass sich der Rechtsausschuss, dessen Mitglied ich bin, mit beiden oben genannten Themenkomplexen intensiv in den vergangenen Wochen und Monaten beschäftigt hat. Und wie Sie wissen, ist der Rechtsausschuss, wie die Bezeichnung auch schon sagt, der zuständige Ausschuss für alle die Justiz betreffenden Fragen. Insofern obliegt es diesem Ausschuss natürlich auch, alle strittigen Fragen im Zusammenhang mit dem Handeln der Justizbehörden in unserem Land zu klären. Dieser Aufgabe und dieser Pflicht, meine Damen und Herren, zur Aufklärung ist der Rechtsausschuss auch hinsichtlich der hier streitgegenständli

chen Themen bislang sehr umfangreich und verantwortungsvoll nachgekommen. Dies möchte ich kurz näher erläutern:

Bereits am 25. August des vergangenen Jahres hat der Justizminister dem Rechtsausschuss zum Mordfall Carolin ausführlich Bericht erstattet. Ich halte fest, nach dieser Sitzung des Rechtsausschusses hat die CDU keine weiteren Fragen gestellt und auch keine weitere Ausschusssitzung zu diesem Thema beantragt. Nachdem aber von Abgeordneten der CDU, wohlgemerkt in den Medien, schwere Vorwürfe gegen die Justizbehörden erhoben wurden, entsprach der Rechtsausschuss der Bitte des Justizministers, am 8. Dezember nochmals zum Thema zu berichten und zu den Anschuldigungen Stellung nehmen zu können. Am 8. Dezember 2005 informierten dann der Minister und die Generalstaatsanwaltschaft den Ausschuss nochmals ausführlich über den Mordfall Carolin und die Situation an der Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg. Angesichts eines in dieser Sitzung nunmehr von Abgeordneten der CDU vorgelegten sehr weitgehenden Fragenkatalogs einigten sich die Ausschussmitglieder auf die Einberufung einer zusätzlichen Sondersitzung des Rechtsausschusses am 4. Januar dieses Jahres, um wirklich die Beantwortung aller Fragen der Kollegen der CDU abschließend zu ermöglichen.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Armin Jäger, CDU: Abschließend, ja.)

Um eine angemessene Vorbereitung der Sitzung zu gewährleisten, erhielten auch alle Mitglieder des Rechtsausschusses die Gelegenheit, Akteneinsicht im Ministerium zu nehmen. Davon ist Gebrauch gemacht worden.

Meine Damen und Herren, am 4. Januar fand die dritte Sitzung des Rechtsausschusses zum Thema Mordfall Carolin statt. Im Rahmen dieser Sitzung beantworteten der Minister, dessen Vollzugsabteilungsleiter und der Generalstaatsanwalt detailliert alle die von der Opposition zuvor gestellten schriftlichen Fragen. Nachdem dieser Komplex abgeschlossen war, wurden seitens der CDUAbgeordneten weitere Fragen gestellt, Fragen – und das möchte ich betonen –, die jedoch nicht darauf gerichtet waren, für die Bewertung der Sachverhalte weitere erhebliche Informationen zu erlangen,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Aha!)

sondern Fragen, die eher allgemeiner Natur waren. So wurde beispielsweise – ich glaube, das kann ich sagen – der Minister gebeten, allgemeine Ausführungen zu Zuständigkeiten bei der Führungsaufsicht zu machen oder diese Führungsaufsicht zu erklären,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig, ja. – Siegfried Friese, SPD: Sehr ausführlich. – Heike Polzin, SPD: Richtig. – Zurufe von Michael Ankermann, CDU, und Ilka Lochner-Borst, CDU)

dieses Instrument sehr ausführlich zu erklären. So weit zunächst zur dritten Sitzung des Ausschusses.

Meine Damen und Herren, nach drei Sitzungen einer insgesamt über zehnstündigen Beratung der beiden streitgegenständlichen Themen sind die Vertreter der SPD-Fraktion im Rechtsausschuss zu der Auffassung gelangt, dass alle für die Bewertung der Sachverhalte relevanten Themen auf dem Tisch liegen. Um es klar zu sagen: Die gegen die Justizbehörden im Fall Carolin erho

benen Vorwürfe halten wir demnach für nicht begründet. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung

(Dr. Armin Jäger, CDU: Die der Minister offenbar nicht kennt.)

im Sinne von Paragraf 66 b Strafgesetzbuch im Urteil vom 25. November 2005 gelangen wir zu der Auffassung, dass die Justizbehörden hier keine rechtlichen Möglichkeiten hatten, den Täter Maik S. über die Haftzeit hinaus festzuhalten. Und weiterhin ergaben sich aus unserer Sicht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es hier zu Versäumnissen bei den Strafvollzugsbehörden gekommen wäre.

Da die Abgeordneten der CDU aber offensichtlich eine andere Rechtsauffassung zur Anwendbarkeit des Paragrafen 66b StGB im vorliegenden Fall haben und die CDU darüber hinaus auch mangelnde oder falsche Therapie für den Täter während seiner Haft behauptet, schien es uns angezeigt, im zuständigen Ausschuss, im Rechtsausschuss, eine Anhörung von unabhängigen Sachverständigen zu genau diesen Fragen durchzuführen.

(Beifall Heike Polzin, SPD)

Entsprechend habe ich noch in der besagten Sitzung am 4. Januar eine solche Expertenanhörung beantragt. Die Abgeordneten der CDU haben daraufhin die Sitzung verlassen. Dessen ungeachtet haben die Mitglieder der Koalitionsfraktionen den gestellten Antrag angenommen. Für die SPD, meine Damen und Herren, kann ich sagen, dass wir im Rechtsausschuss auf der Grundlage von unabhängigen Expertenbefragungen klären möchten und auch klären werden, ob unsere Bewertung der Dinge zutreffend ist oder nicht. Oder mit anderen Worten: Wir wollen, dass uns die Gutachter erklären, ob aus ihrer Sicht Fehler begangen wurden. Sollte dies der Fall sein, dann sind selbstverständlich alle notwendigen Konsequenzen zu ziehen, meine Damen und Herren, ohne Ansehen von Personen.

Der Rechtsausschuss hat zu den Umständen des Haftvollzuges, der Minister hatte das gesagt, bereits in der vergangenen Woche den Gutachter und Psychiater Dr. Stefan Orlob angehört. Dieser hat, ich muss das an der Stelle auch noch einmal sagen, bekräftigt, dass der Täter Maik S. für eine Therapie praktisch nicht erreichbar war, nicht erreichbar ist. Die CDU, meine Damen und Herren, war diesem Termin auch ferngeblieben.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das war so.)

Die Anhörung weiterer Sachverständiger zur Frage der rechtlichen Würdigung von Paragraf 66b StGB, also der Frage nach dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, werden wir am 2. Februar fortsetzen. Hierzu werden wir die Vorsitzende Richterin am 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, Frau Dr. Rissing-van Saan, und den Rechtsgelehrten Herrn Professor Dr. Joecks aus Greifswald in den Ausschuss kommen lassen und anhören.

(Zurufe von Dr. Armin Jäger, CDU, und Ilka Lochner-Borst, CDU)

Auch an dieser Sitzung wird die CDU – das hat sie bereits angekündigt – nicht teilnehmen.

Meine Damen und Herren, es steht nun jedem frei, das Verhalten der CDU zu würdigen. Festhalten möchte ich

aber an dieser Stelle eines ganz unmissverständlich: Der CDU wird es nicht gelingen, mit ihrem Einsetzungsantrag dem Rechtsausschuss, der für sämtliche Justizbelange zuständig war und immer noch ist, vorzuschreiben, wie er zu arbeiten hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, wer also gemeint hat oder vielleicht immer noch meint, der Rechtsausschuss habe, nur weil heute voraussichtlich ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird, seine Arbeitsberechtigung und seine Kompetenz zur Klärung der Sachverhalte verloren, der irrt ganz gewaltig.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sie machen jetzt parallel Ausschüsse.)

Meine Damen und Herren, ich denke, es ist deutlich geworden, dass der Rechtsausschuss alles getan hat und alles Notwendige auch noch veranlassen wird, um das schreckliche Verbrechen an Carolin restlos zu klären.

Was die Fragen nach der Arbeitsfähigkeit der STA Neubrandenburg betrifft, sehen wir diesen Themenkomplex als abgearbeitet an.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Oh Gott!)

Es hat hier offene Fragen gegeben. Diese sind aber rückhaltlos vom Generalstaatsanwalt und auch vom Minister beantwortet worden. Die Behörde steht mit dem vorstehenden Ausscheiden ihres Leiters vor einem Neuanfang.

Meine Damen und Herren, vor dem aufgezeichneten Hintergrund erschließt sich mir zwar nicht so recht der Sinn der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, die SPD will und wird die Einsetzung eines solchen Gremiums aber nicht verhindern. Nach geltendem Recht könnte sie es auch gar nicht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist so, eben, eben.)

Es ist aber absehbar, meine Damen und Herren, dass sich die Arbeit des Ausschusses in einem äußerst engen Zeitrahmen bewegen wird. Paragraf 39 des PUA-Gesetzes schreibt grundsätzlich vor, dass der Ausschuss dem Landtag spätestens zu seiner letzten Sitzung in der Legislatur –

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

also bei uns wäre das im kommenden Juni – einen abschließenden schriftlichen Bericht zu erstatten hat.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Das heißt, bis dahin müsste die Untersuchung abgeschlossen sein. In Anbetracht der knappen Zeit haben wir unsere Bedenken hinsichtlich der ausreichenden Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes, die wir insbesondere mit Schreiben unseres Fraktionsvorsitzenden Volker Schlotmann an den Kollegen Dr. Jäger vom 20.01.2006 geäußert haben, zurückgestellt, damit der Ausschuss nunmehr zügig seine Arbeit aufnehmen kann.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Meine Damen und Herren, wir, die Mitglieder der SPDFraktion, gehen davon aus, dass der Untersuchungsausschuss die Erkenntnisse, die wir bei der Befassung im Rechtsausschuss gewonnen haben und auch noch gewinnen werden, bestätigen wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Linkspartei.PDS)

Danke schön, Herr Mohr.