Protokoll der Sitzung vom 19.11.2010

Aber lassen Sie mich mit einem Schwerpunkt vielleicht auf Ihre Anmerkung eingehen: Anerkennung steuerrechtlicher Vorschriften im Rahmen der Berücksichtigung von Ausgaben. Und da kann ich natürlich Ihre Auffassung überhaupt nicht teilen. Dann muss man auch ganz deutlich unterscheiden, welche Zielrichtung hat das Steuerrecht bei der Behandlung von Betriebsausgaben, welche Zielrichtung hat denn tatsächlich die Angemessenheitsprüfung im Rahmen der Berechnung von Leistungen seitens der Argen beziehungsweise Optionskommunen.

Und ich will es an einem ganz einfachen Beispiel deutlich machen. Steuerrechtlich spielt es überhaupt keine Rolle, wenn ich selbstständig bin, ob ich mir ein Auto für 10.000 Euro kaufe oder ich kaufe mir eins für 100.000 Euro. Solange ich mit meinem Unternehmen nicht in den Bereich der Liebhaberei reinkomme, weil ich jedes Jahr Verluste mache, ist das dem Finanzamt erst mal egal. Ich muss meinen Eigenanteil über die Eigennutzung bezahlen, da achten die Finanzämter drauf, aber ansonsten ist das völlig belanglos, ich kann es entsprechend abschreiben, aber auf der anderen Seite zahle ich auch die Steuer, die durch die Eigennutzung kommt. Das ist die steuerrechtliche Seite.

Auf der anderen Seite haben Sie natürlich, wenn Sie Leistungen der Sozialträger bekommen, schon die Frage, ob jemand, der sich selbstständig macht – und das ist jetzt ein Extrembeispiel, das ist mir durchaus schon klar, Frau Borchardt –,

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

ob jemand tatsächlich in einem Pkw, den er für seine betriebliche Ausübung braucht, für 10.000 oder für 100.000 Euro kommt, und dann zu sagen, das ist erst mal völlig egal, ich nehme die finanzrechtliche oder steuer rechtliche Grundlage dafür, das kann es dann ja wohl nicht allen Ernstes sein. Und was Sie dann machen wollen …

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Jahre vorher hat es doch gut geklappt.)

Ja, gut, man muss auch manchmal sehen,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das muss man sich mal angucken.)

ob solche Regelungen dann tatsächlich noch sinnvoll sind.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Und da gab’s keinen Missbrauch.)

Frau Borchardt, und was Sie dann tatsächlich wollen, ist ja letztendlich, denjenigen, die in den Behörden für die Bemessung der Sozialleistungen zuständig sind, zusätzlich noch die Aufgabe aufzubürden, ob das, was durch die Finanzämter vom Grundsatz her ohne Angemessenheitsprüfung im Rahmen der Steuerbescheide so abgenickt wird, dass das dann noch mal gemacht wird.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Und das im Zeitalter von Deregulierung und Verwaltungsaufwand?! Das glauben Sie doch selber nicht.)

Ja, natürlich. Frau Borchardt, Sie müssen doch auch für einen verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern sein.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Natürlich nicht. Dem wollen Sie sich ja auch nicht stellen.)

Ich meine, da hat, Frau Borchardt, da hat …

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Und das jeden Monat extra.)

Frau Borchardt, da hat Herr Minister Seidel doch völlig recht gehabt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Also doch erster und zweiter Klasse.)

Es sind Leistungen, die die Allgemeinheit aufbringt, um jemand zu unterstützen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Bei den anderen auch.)

Frau Abgeordnete Borchardt,

(Angelika Peters, SPD: Richtig.)

die Fraktion DIE LINKE hat noch Redezeit. Ich denke, Zwischenrufe sind in Ordnung, aber es kann nicht dazu führen, dass der Redner seine Sätze nicht einmal zu Ende bekommt.

Bitte schön, Herr Schulte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Frau Borchardt, wenn die Allgemeinheit diese Leistungen aufbringt, dann hat sie auch einen Anspruch darauf, dass diejenigen,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Aber Steuern sind Steuern.)

die für die Auskehrung der Mittel zuständig sind,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Auch beim Finanzamt.)

dass sie dann tatsächlich auch eine Angemessenheitsprüfung machen. Und dass diese Angemessenheitsprüfung durchaus nicht so ausfällt nach dem Motto, wir gucken mal, dass wir alles zusammenstreichen, das müsste Ihnen eigentlich auch klar sein, wenn Sie tatsächlich in die Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim ALG-II-Sozialgeld in den Paragrafen 3 reinschauen. Da wird nämlich tatsächlich ganz deutlich, welche Ausgaben da nicht angemessen sind. Und wenn ich dann in Paragraf 3 Absatz 3 lese: „Tatsächliche Ausgaben …“

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Zum Beispiel ein 10.000-Euro-Auto.)

Frau Borchardt, hören Sie einfach mal an der Stelle auch zu!

„Tatsächliche Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen“ – das ist nämlich der springende Punkt an der Sache – „zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen.“ Dann halte ich das für angemessen. Weil das, was Sie für einen Arbeitnehmer berücksichtigen wollen, warum soll das nicht für jemanden gelten, der sich tatsächlich dann selbstständig macht?

Und vor diesem Hintergrund, sehr geehrte Kollegin, sehr geehrte Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, kann man diesen Antrag nur ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD – Egbert Liskow, CDU: Sehr gut, Herr Kollege.)

Danke schön, Herr Abgeordneter Schulte.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Andrejewski. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ungeachtet der gerade in Kraft befindlichen aktuellen einzelnen gesetzlichen Bestimmungen ist Hartz IV von Grund auf selbstständigenfeindlich. Wer sich selbstständig gemacht hat, wünscht sich, er hätte das unterlassen, sobald er Arbeitslosengeld II beantragen muss. Genauso wer ein Haus gebaut hat, wünscht sich, er wäre nie auf diese Idee gekommen, wer gespart hat, ärgert sich darüber, dass er nicht alles verjubelt hat. Und wer Kinder hat, wird die Härten von Hartz IV viel intensiver empfinden als ein Alleinstehender.

Nun kann ein Land nicht nur von Gedenk feiern am 30. Januar, am 20. Juli oder am 9. November leben, so politisch korrekt das auch sein mag, auch das Murmeln von Beschwörungsformeln aus dem heiligen Grundgesetz bringt nicht viel und macht nicht satt, ein Land braucht produktiv lebende Menschen mit Kindern, Häusern, Ersparnissen und Geschäften. Der Staat betrachtet all dies nicht als Verdienst, sondern als Angriffsfläche. Er fördert solche Menschen nicht etwa, er schikaniert sie, wo er nur kann, auf allen Ebenen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ein Blödsinn!)

besonders im Bereich von Arbeitslosengeld II.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ein fürchterlicher Blödsinn!)

Das sagt der Hartz-IV-Erfinder.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Genau, das sagt er.)

Dort machen diejenigen Erwerbslosen den Bürokraten am wenigsten Arbeit, die allein leben und weder ein Geschäft betreiben noch ein Haus oder Ersparnisse haben. Für die ist der Bescheid schnell geschrieben. Man kommt so am besten mit Hartz IV zurecht, wenn man genauso dasteht, bevor man Leistungen beantragt. Als Hauseigentümer oder Ladenbesitzer hingegen kommt man aus dem Ärger gar nicht mehr heraus. Die Selbstständigen müssen mit den Ämtern um jeden Cent kämpfen.

In den einschlägigen rechtlichen Vorschriften ist festgelegt, dass nur notwendige betriebliche Aufwendungen als Betriebsausgaben anerkannt werden, wobei, so heißt es schwammig und unklar, nicht berücksichtigt wird, was ganz oder teilweise zu vermeiden gewesen wäre oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Leistungsbezugs entspräche. Sachbearbeiter in den Arbeitsgemeinschaften entscheiden also in allen Geschäftssparten, auch denen, wo sie keine Ahnung haben, welche Betriebsausgaben nun vermeidbar gewesen wären und welche nicht. Und danach richtet sich, wie der anrechenbare Gewinn des Selbstständigen ermittelt wird und was diesem letztendlich zum Leben übrig bleibt.

Wenn ein Geschäft eröffnet wird, wird man nicht umhinkommen, auch Werbung zu machen. Wie viel davon ist notwendig? Wo beginnt das Vermeidbare? Das bestimmt der Sachbearbeiter.

(Egbert Liskow, CDU: Da gibt’s doch Benchmarking.)

Ob der Klempner ein Werkzeug wirklich benötigt, ob der Internethändler vielleicht eine Domäne zu viel betreibt und auch beim günstigsten Server – all das weiß der Sachbearbeiter besser. Selbst die Einzelheiten der Lebensumstände werden unter die Lupe genommen. Ist das Firmenfahrzeug angemessen? Ist die Mobilfunkrechnung zu hoch? Das alles kontrolliert und bewertet die Behörde, die aber nicht annähernd über das Fachwissen verfügt, um das zu beurteilen. Macht ohne Fachwissen ist aber die reinste Willkür.

Deshalb ist es in der Tat notwendig, dass die Betreuung der Selbstständigen in Hartz IV auf eine neue Grundlage gestellt wird. Das ist nämlich das Hauptproblem, dass die Leistungsabteilung, die einfach nur berechnet, wie viel der Betreffende zu kriegen hat, darüber entscheidet, ob die Betriebsausgaben notwendig sind oder vermeidbar gewesen wären, und damit hineinregiert bis in jede Einzelheit der Betriebsführung. Und gerade die Leistungs abteilung hat naturgemäß davon keine Ahnung.

Und was es an Selbstständigenförderungs programmen gibt, da gibt es keine Verbindung zwischen der Leistungsabteilung und diesen Förderprogrammen. Und an dieser mangelnden Koordination scheitert die Betreuung der Selbstständigen, die in der Tat reiner Willkür ausgesetzt sind, und man macht sich besser nicht selbstständig in diesem Land, solange Hartz IV existiert.