Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Diese Familienbetreuer verschaffen sich vor Ort einen Überblick, der sicher in den meisten Fällen zeigt, dass die Kinder ein gutes Zuhause haben. Bei Problemfällen allerdings können sofort Hilfsangebote unterbreitet und gegebenenfalls darüber hinausgehende Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden.

Mit den Maßnahmen, die Teilnahme an den turnusmäßigen Kinderuntersuchungen verbindlicher zu gestalten, dem engen Zusammenspiel zwischen Betreuungseinrichtung, Schulen, Gesundheits- und Jugendämtern können wir ein sehr engmaschiges Netz zur Vorbeugung von Kindesvernachlässigung knüpfen. Innerhalb dieses Netzes kann man Problemfälle sehr schnell ermitteln, um dann zielgenau und intensiv einzusteigen.

Was aber – und das ist eine der Kernfragen zu diesem Problem – geschieht in dem Fall, da bislang unauffällige Eltern alle Hilfsangebote ablehnen und sich den gut gemeinten Bemühungen der Behörden und Institutionen beharrlich entziehen? Ist die Verweigerung zur Teilnahme an den U’s in Verbindung mit dem Abweisen von Hilfsangeboten schon als gewichtiger Anhaltspunkt für die Gefährdung des Wohles eines Kindes im Sinne des Paragrafen 8 a SGB VIII zu werten? Ich meine, eindeutig Ja. In solchen Fällen muss der Staat die Möglichkeit haben, seiner Wächterfunktion nachzukommen, und zumindest eine Inaugenscheinnahme des Kindes und seines unmittelbaren Umfeldes auch gegen den Willen der Eltern durchsetzen können.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Richtig, richtig.)

Lassen Sie uns gemeinsam nach geeigneten und verhältnismäßigen Instrumenten suchen und lassen Sie uns diese gemeinsam verbindlich festschreiben zum Wohle der Kinder! Es kann doch nicht sein, und ich sage es bewusst überspitzt, dass wir mit unseren Autos alle zwei Jahre zum TÜV fahren müssen und bei Nichteinhaltung dieser Regel das Auto stillgelegt wird oder wir ein erhebliches Bußgeld zu erwarten haben, andererseits aber nicht in der Lage sein sollen, im Zweifelsfall den Allgemeinzustand eines Kindes zu überprüfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allem, was wir im anstehenden Gesetzgebungsverfahren und bei der Optimierung der Gesundheitsvorsorge für Kinder oder der Jugendhilfestrukturen auch tun werden, sollten wir uns einer Tatsache immer bewusst sein: Wie in allen Sicherheitsfragen wird es einen hundertprozentigen Schutz vor derartigen Grausamkeiten, wie wir sie hier in Schwerin erleben mussten, leider niemals geben können. Dennoch sollten wir in dem vom Minister angekündigten Gesetzgebungsverfahren, in das wir natürlich Ihr Gesetz mit einbeziehen werden,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dafür ist es ja da, das Gesetz.)

alles tun, um die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung einer derartigen Tragödie zu minimieren, ohne dabei in einen hysterischen Kontrollzwang abzugleiten.

(Irene Müller, DIE LINKE: Haben Sie schon einmal die Intention unseres Gesetzes richtig gelesen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses zutiefst erschütternde Thema ist keines, mit dem man sich parteipolitisch zu profi lieren versuchen sollte.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Es ist ein Thema, das geradezu danach schreit, dass die demokratischen Parteien gemeinsam ein Zeichen gegen die zunehmende soziale Kälte in unserer Gesellschaft setzen. Das Miteinander hält eine Familie und unsere Gesellschaft zusammen. In diesem Sinne beantrage ich namens meiner Fraktion die Überweisung des Gesetzentwurfes zur federführenden Beratung in den Sozialausschuss, auch wenn er mit heißer Nadel gestrickt ist

(Dr. Marianne Linke, DIE LINKE: Oh, oh, oh!)

und im Wesentlichen zu kurz greift. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Wollen mal sehen, wie lange Sie greifen.)

Danke schön, Herr Abgeordneter.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Herr Grabow. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch bewegen uns in diesen Tagen wie kein anderes Thema.

(Zuruf von Tino Müller, NPD)

Auf tragische Weise wird uns allen vor Augen geführt, unter welchen katastrophalen Umständen Kinder in Deutschland heute aufwachsen müssen. Von uns, die in politischer Verantwortung stehen, verlangt man nun kluge und umsichtige Entscheidungen. Was wir und die Menschen im Land jetzt nicht brauchen können, das sind hastige Entscheidungen, die womöglich allein aus der Motivation heraus entstehen, als Erster etwas für den Kinderschutz getan zu haben. Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist nicht frei von diesem Verdacht.

Meine Damen und Herren von der LINKEN, Sie waren die Ersten, aber ich glaube nicht, dass Ihr Entwurf der beste ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Faktion der FDP – Udo Pastörs, NPD: Die NPD war schneller.)

Lassen Sie mich auch erklären, warum das so ist. Ihr Änderungsgesetz zielt in erster Linie auf die Verbindlichkeit von Frühuntersuchungen ab. Damit sollen Kindesgefährdungen frühzeitig und effektiv abgewehrt werden.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Richtig.)

Ähnliche Initiativen sind bereits in anderen Bundesländern umgesetzt worden, und zwar aktuell in Schleswig-Holstein. Im Rahmen der dort stattgefundenen Anhörungen ist sehr deutlich geworden, dass die U-Untersuchung nicht das richtige Instrument ist, um Kindesmisshandlungen oder Vernachlässigungen zuverlässig zu erkennen. Diese Untersuchungen …

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Es gibt überhaupt kein zuverlässiges Instrument.)

Das gibt es auch nicht. Ich empfehle an dieser Stelle, sich wirklich einmal die Anhörungsprotokolle des Landtages Schleswig-Holstein zu besorgen, denn die sind sehr sachlich.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig, richtig.)

Diese Untersuchungen beim Kinderarzt zielen als Erstes auf die Erkrankung von Krankheiten ab, …

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Erkennung!)

Richtig.

… sind aber nicht für eine sichere Erkennung von Kindesmisshandlungen gemacht. Über 90 Prozent der Fälle von Kindesmisshandlungen und Vernachlässigungen liegen jedoch im Bereich der seelischen Entwicklungsstörungen. Lesen Sie bitte dazu die Stellungnahmen von Experten der Kinder- und Jugendpsychiatrien. Sie haben heute alle etwas von Psychologen der Universität Rostock in der Pressemappe, die dies bestätigen.

Zum jetzigen Zeitpunkt verfügen viele Kinder- und Jugendärzte beziehungsweise Hausärzte – denn viele Kindern können in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern nicht von einem Facharzt betreut werden – nicht über die notwendigen Qualifi kationen, um diese Störungen festzustellen. Ich weiß, dass ich damit ein heißes Thema anspreche, denn ich habe in den letzten Tagen oft mit Ärzten diskutiert. Ich glaube aber, keiner kann überall Fachmann sein.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ob ein Kind geschlagen wurde, das kann jeder erkennen.)

Die sogenannten Kinderrichtlinien der U-Untersuchungen vom April 2005 beinhalten jedoch keinerlei Standards zur Erkennung von seelischen Entwicklungsstörungen. Der gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat, wie Sie wissen, diesbezüglich bislang noch kein tragfähiges Ergebnis vorlegen können.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Bevor Sie also die U-Untersuchungen für entsprechende Kontrollzwecke gebrauchen wollen, müssen Sie die qualitative Verbesserung der U-Untersuchungen aufzeigen.

In Ihrer Initiative führen Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, weiterhin die hohe Akzeptanz der U-Untersuchungen an. 95 Prozent Teilnahme sind ein deutliches Signal für die Akzeptanz der U-Unter

suchungen und insbesondere ein Zeichen für die Wichtigkeit der Freiwilligkeit und des Vertrauens gegenüber dem Kinderarzt. Die von Ihnen geforderte Verpfl ichtung gibt dieser Sache jedoch keinen anderen Beigeschmack. Ein bewährtes System, die Gesundheitsfürsorge,

(Udo Pastörs, NPD: Och, och, och!)

wird damit in nicht geeigneter Weise für Kontrollzwecke missbraucht.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Was hat das mit Missbrauch zu tun?)

Das bisherige Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und den Eltern wird so in erheblicher Weise beeinträchtigt. Wird das Freiwilligkeitsprinzip durch ein Verpfl ichtungsprinzip abgelöst, kann genau der gegenteilige Effekt eintreten.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Nach Auffassung der FDP-Fraktion ist der hier aufgezeigte Lösungsansatz sehr trügerisch.

(Udo Pastörs, NPD: Mein Gott! Oh nee!)

Ich sage an dieser Stelle, dass wir das Gesetz auch überweisen wollen. Ich hoffe, dass wir es im Ausschuss inhaltlich diskutieren können, denn es unterstellt ein Gefühl absoluter Sicherheit.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Sehr eigenartige Ausführungen, Herr Grabow.)

Die Jugendämter würden zudem zusätzlich unter Druck gesetzt. Der jüngste Schweriner Fall hat gerade gezeigt, mit welch vielfältigen Problemen die Jugendämter gegenwärtig schon zu kämpfen haben. Die verunsichernde und durch unrealistische Verantwortungszuweisung überfrachtete Jugendhilfe wird nicht umsichtiger, sondern gehemmter in ihrer konstruktiven Arbeit.

(Udo Pastörs, NPD: Machen Sie mal einen Vorschlag, wie man das besser lösen kann! – Raimund Borrmann, NPD: Ich verstehe das nicht mehr. – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Wir kommen noch dazu.