Die Realität sah allerdings grundlegend anders aus. Denn nicht nur, dass wir im Verfahren darauf aufmerksam machen mussten, dass es zwei Entwürfe gibt, nein, die Regierungskoalition hatte, nachdem es eine Entscheidung über die Verhandlungsgrundlage gab, sogar Mühe, unseren Entwurf den Sachverständigen zur Kenntnis mitzuschicken. Aber gut, sie haben sich dann schließlich eines Besseren besonnen. Sie werden verstehen, dass ich mich dafür nicht ausdrücklich bedanke.
Meine Damen und Herren, vielleicht haben Sie auch schon geahnt, was die Sachverständigen während der Anhörung uns alles mit auf den Weg gebracht haben. Aber auch hier gibt es eine unterschiedliche Wahrnehmung, denn in der Schlussberatung stellte der Staatssekretär des Justizministeriums fest: Die Sachverständigen haben in der Anhörung den Regierungsentwurf als sehr gelungen anerkannt und bestätigt. Richtig ist, die Vertreter der Justizministerien von Thüringen und Rheinland-Pfalz lobten den Regierungsentwurf in den höchsten Tönen. Kein Wunder, haben doch beide Landesregierungen den jeweiligen Parlamenten einen nahezu identischen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie werden mir nachsehen, wenn ich darauf nicht näher eingehe.
Viel interessanter ist jedoch Folgendes: Allein von Professor Dr. Frieder Dünkel von der Universität Greifswald, der – und das möchte ich an dieser Stelle betonen – von den Regierungsfraktionen selbst als Sachverständiger geladen wurde, favorisierte über ein Dutzend Formulierungen in dem Entwurf meiner Fraktion und empfahl dringend, diese in den Entwurf der Landesregierung zu übernehmen. Insgesamt regte er 28 Änderungsvorschläge an. An dieser Tatsache änderte auch nichts, dass er sich am Schluss für den Entwurf der Regierung ausgesprochen hat, denn er war schließlich die Verhandlungsbasis.
Meine Damen und Herren, um das ganz klarzustellen: Meine Fraktion hatte von Beginn an eine ergebnisoffene und damit unvoreingenommene Debatte gefordert und auch vorgelebt. Wir hatten die Hoffnung, dass wir im Interesse eines modernen Jugendstrafvollzuges gemeinsam etwas auf den Weg bringen. Auf der Grundlage dieses Anspruches haben wir in Auswertung der Anhörung konkrete Änderungsvorschläge für den Regierungsentwurf eingebracht, haben einem Änderungsantrag der FDP zugestimmt, obwohl wir in unserem eigenen Gesetzentwurf eine andere Regelung vorgesehen hatten. Warum denn auch nicht? Wo ist denn das Problem? Das haben wir zumindest als Grundeinstellung dort gesagt. Wir wollten eine Debatte um die besten Ideen, um die besten Konzepte. Das schließt zwangsläufi g auch Änderungen am eigenen Gesetzentwurf ein.
Und eben diese Haltung haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU und SPD, in den Beratungen reichlich vermissen lassen. Die FDP-Fraktion hat recht, wenn sie nach der Abschlussberatung feststellte: Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, haben den Regierungsentwurf durchgewunken. Ja, zähneknirschend wurde die neue amtliche Überschrift akzeptiert und als formeller Kram abgetan. Gerade die Regierungsfraktionen hatten eine Klarstellung am Nötigsten, schrieben sie doch selbst in ihren Anträgen das Kürzel mal mit einem kleinen und mal mit einem großen „s“. Aber das nur am Rande.
An dieser Stelle vielleicht auch ein Gedanke an die Arbeit der NPD-Fraktion. Sie glänzte aus meiner Sicht mit Faulheit und brachte sich überhaupt nicht in die Ausschussarbeit ein.
Es war schon bezeichnend, wie Ihr Vertreter sich dort im Ausschuss einbrachte, gelangweilt an der Anhörung teilnahm. Nein, es gab nicht einen Minimalansatz von Änderungsvorschlägen, aber die Ablehnung des Gesetzentwurfes.
Sicherlich werden wir in bekannter Weise hier gleich hören, warum, wieso und weshalb man sich dort von dem parlamentarischen Verfahren verabschiedet hat.
Aber zurück zum Beschlussantrag. Wohlgemerkt, die Änderungsanträge basierten nicht auf Formulierungen aus unserem Entwurf oder wurden von durch uns benannte Sachverständige vorgetragen. Nein, im Wesentlichen waren dies Anregungen der von den Regierungsfraktionen benannten Sachverständigen und Empfehlung der beiden Landeskirchen. Es ist schon bemerkenswert, wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU, augenscheinlich auf Bedenken und Anregungen der Kirchen immer weniger Wert legen.
nicht einmal die, den Aufenthalt im Freien an arbeitsfreien Tagen von mindestens einer Stunde auf mindestens zwei Stunden zu erhöhen. Bemerkenswert ist allerdings auch die Begründung für eine Ablehnung: Der Ansatz war richtig, aber es wird eh so verfahren, daher brauche man das Gesetz nicht zu ändern.
Liebe Kollegen von der SPD und CDU, das ist eine tolle Argumentation. Da kann man sich doch eigentlich die Frage stellen: Warum legen wir überhaupt mit Gesetzen Normen fest?
Ich frage Sie: Was ist so schlimm daran, diesen Mindestanspruch gesetzlich zu fi xieren? Wenn das tatsächlich so gehandhabt wird, schadet eine Aufnahme in den Gesetzentwurf nichts, aber auch rein gar nichts. Und wenn man dann die Praxis ändert, bleibt die gesetzliche Verpfl ichtung. Oder sind wir wieder einmal realitätsfern?
(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ach nee, da kommt ein Erlass, der regelt das. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden und nur unwesentlich geänderten Gesetzentwurf der Landesregierung wird die Chance vertan, den Jugendstrafvollzug in Mecklenburg-Vorpommern auf eine fortschrittliche gesetzliche Grundlage zu stellen. Das Gesetz vermeidet Präzisierungen an den Stellen, in denen gerade Konkretisierungen hilfreich und geboten sind und wo es natürlich um Mindeststandards geht, die einzuhalten sind und die vielleicht dann auch Geld kosten. Um einiges zu nennen: Sie orientieren sich nicht am Zweidrittelzeitpunkt. Die Zusammenarbeit mit außervollzuglichen Einrichtungen soll lediglich „frühzeitig“ erfolgen, anstatt spätestens sechs Monate vor dem voraussichtlichen Entlassungstermin damit zu beginnen. Die Wohngruppengröße wird nicht näher bestimmt. Weder eine konkrete Zahl noch eine nähere Bestimmung etwa durch das Wort „klein“ waren mit SPD und CDU zu machen. Das Gleiche gilt für die Konkretisierung der Größe der Haft- und Ruheräume.
Meine Damen und Herren, auch die wesentlichen rechtlichen und fachlichen Bedenken meiner Fraktion am Gesetzentwurf der Landesregierung bleiben bestehen. Die Mehrheit der Sachverständigen hat sie auch bestätigt.
Nennen möchte ich unter anderem erstens die Vollzugsaufgabe. Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten darf mit dem Vollzugsziel, der Resozialisierung, nicht gleichgesetzt werden.
Drittens setzen Sie im Hinblick auf Erziehung und Förderung weiterhin nicht auf positive Anreizsysteme,
Viertens wollen Sie bei fehlender Mitarbeit Vollzugslockerungen versagen. Das halten wir im Hinblick auf die Resozialisierung für kontraproduktiv und aufgrund der Unbestimmtheit der Mitwirkungsverpfl ichtung auch für rechtlich bedenklich.
Fünftens können nach Ihrem Entwurf geeignete Gefangene in die Sozialtherapie verlegt werden, sie müssen aber nicht. Ein Ermessen in diesem so wichtigen Punkt lehnen wir ab.
Meine Damen und Herren, bis zum Schluss verweigern wir uns einer konstruktiven Arbeit am Jugendstrafvollzugsgesetz nicht. Daher werden wir auch vor der Schlussabstimmung Änderungsanträge einbringen, die die wesentlichen Versäumnisse beziehungsweise Irrwege heilen sollen. Dass ich um Zustimmung für unsere Anträge bitte, liegt auf der Hand.
Liebe Frau Borchardt, ich möchte Ihnen hier ausdrücklich bescheinigen, dass Sie und Ihre Fraktion sehr konstruktiv an diesem Gesetzentwurf mitgearbeitet haben, mit sehr vielen eigenen Vorstellungen gekommen sind. Das fi nde ich auch angemessen für eine Oppositionsfraktion.
Aber uns zu unterstellen, wir hätten hier keine intensive Diskussion zu diesem Thema geführt, das halte ich für einigermaßen vermessen. Und ich denke, Herr Jesse und Herr Koop – sie sitzen dort hinten in den Zuschauerreihen – können sich sicherlich noch sehr genau daran erinnern, wie wir innerhalb der Koalition hart um den einen oder anderen Punkt gestritten haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem heutigen Beschluss des Landtages zum Jugendstrafvollzugsgesetz wird ab dem 1. Januar 2008 in Mecklenburg-Vorpommern die verfassungsrechtlich erforderliche gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug geschaffen.
Wir erfüllen damit den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts. Mit dem Gesetz wird in Mecklenburg-Vorpommern wie in acht weiteren Bundesländern ein weitgehend einheitliches Gesetz gelten. Man kann natürlich an dieser Stelle treffl ich über den Sinn und Zweck einer Föderalismusreform gerade in diesem Punkte streiten, wenn man zunächst den Ländern die Hoheit zu einer Gesetzgebung gibt und dann anschließend die Länder gemeinschaftlich danach suchen müssen, einen einheitlichen Gesetzentwurf zustande zu bringen, natürlich immer unter dem Gedanken, dass hier einheitliche Regeln für alle Gefangenen im Land gelten. Aber das ist heute, glaube ich, nicht das Thema.