Meine Damen und Herren, seit dem 1. Januar 2007 sind Aufwendungen von Arbeitnehmern für die Fahrt vom Wohnort zum Arbeitsort nur noch ab dem 21. Kilometer steuerlich absetzbar. Diese Regelung war Teil eines breit angelegten Programms zum Abbau von Steuersubventionen. Inzwischen haben verschiedene Gerichte, auch der Bundesfinanzhof, Zweifel geäußert, ob dies mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Im Kern sind es drei Argumente, die hier ins Feld geführt werden. Erstens heißt es, dass es sich bei den Wegen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz um ausschließlich beruflich veranlasste Fahrten handeln würde, die steuerlich anerkannt werden müssten.
Zweitens argumentieren die Richter, dass die Neuregelung gegen den im Grundgesetz festgeschriebenen Schutz von Ehe und Familie verstoßen würde, weil berufstätige Ehepartner gezwungen wären, auseinanderzuziehen.
Drittens heißt es, das Gleichheitsgebot würde verletzt werden, weil die Nahpendler gegenüber den Fernpendlern benachteiligt würden.
Meine Damen und Herren, ich kann diese Rechtsauffassung nicht teilen. Gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium und mit den Finanzgerichten in MecklenburgVorpommern, Baden-Württemberg und Köln halte ich die jetzige Regelung für verfassungsgemäß. Ich bin zuversichtlich, dass auch das Bundesverfassungsgericht dies bestätigen wird, denn erstens sehe ich das Gleichheitsprinzip in keiner Weise ausgehebelt. Die Tatsache, dass Fahrten ab dem 21. Entfernungskilometer steuermindernd geltend gemacht werden können, ist vom Gesetzgeber ausdrücklich als Härtefallregelung aus sozialen Gründen eingeführt worden. Der Gesetzgeber hat seit jeher das anerkannte Recht, bestimmte Grenzen festzulegen, und praktiziert dies auch in allen Politikfeldern.
Zweitens stellt die genannte Härtefallregelung ab dem 21. Kilometer sicher, dass die Besonderheiten auch von Doppelverdienern berücksichtigt werden. Von einer Unvereinbarkeit von Ehe und Berufstätigkeit bei Ehegatten kann also nicht die Rede sein.
Drittens, und jetzt komme ich zum Hauptargument der Gegner, sind die Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz durchaus nicht nur beruflich veranlasste Kosten, denn die Entscheidung, beispiels
weise ein Häuschen im Grünen vor den Toren der Stadt zu bauen und nicht in einer Wohnung im Stadtkern zu leben, ist ganz sicher auch privat begründet.
Dies hat im Übrigen das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2002 bestätigt. Insofern handelt es sich um gemischte Aufwendungen. Hier hat der Gesetzgeber weiten Spielraum, ob und wie er dies berücksichtigt.
Neben den rechtlichen Argumenten wird von den Antragstellern jedoch einhellig auf die vermeintlich besondere Situation des Flächenlandes Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. Anders, als es häufig behauptet wird, ist jedoch die Zahl der Fernpendler in unserem Land nicht überdurchschnittlich hoch. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat im Jahr 2003 hierzu aufschlussreiche Berechnungen durchgeführt, aktuellere Zahlen liegen uns leider nicht vor. Hier dürfte sich aber innerhalb von fünf Jahren keine gravierende Verschiebung ergeben haben. Danach müssen nur rund 23 Prozent der Pendler im Land eine Wegstrecke von über 20 Kilometern zurücklegen, davon rund 5 Prozent über 50 Kilometer. Damit liegen wir ziemlich genau im Bundesdurchschnitt, überdurchschnittlich ist jedoch bei uns die Zahl der im Nahbereich des Arbeitsplatzes Wohnenden. 21 Prozent aller Berufstätigen wohnen nicht mehr als einen Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt. In keinem anderen Bundesland in Deutschland lebt ein so hoher Anteil der Menschen so nah am Berufsort. Von einer besonderen Belastung unseres Bundeslandes kann daher sicher nicht die Rede sein.
Aber führen wir uns noch einmal vor Augen, was passieren würde, wenn die Bundesregierung zur alten Regelung zurückkehren oder das Bundesverfassungsgericht die jetzige Regelung für verfassungswidrig erklären würde.
Angela Merkel hat dies Ende des letzten Jahres schon einmal verkünden lassen: Falls es zu einer Neuregelung kommen sollte, bleibt für sie das Ziel bestehen, 2,5 Milliarden Euro einzusparen. Die Konsequenz wäre eine deutliche Senkung der Pauschale auf unter 20 Cent pro Kilometer oder eine Reduzierung des Arbeitnehmerpauschbetrages. Eine Senkung der Entfernungspauschale würde allerdings die Nahpendler mit dem Häuschen im Grünen gegenüber den Fernpendlern deutlich bevorzugen. Von einer Senkung des Arbeitnehmerpauschbetrages wären zudem sehr viele Bürgerinnen und Bürger zusätzlich negativ betroffen. Das wäre ganz sicher die ungerechtere Alternative.
Im Kern reiht sich die Forderung nach Wiedereinführung der alten Entfernungspauschale jedoch ein in eine diffuse Steuersenkungsdebatte, die derzeit die Republik beschäftigt. Ich halte derartige Forderungen für unverantwortlich und auch sozialpolitisch für falsch. Denn würden wir ihnen nachgeben, würden wir erneut einen schwerwiegenden finanzpolitischen Fehler wiederholen: in Aufschwungphasen Mehreinnahmen für neue Ausgaben und/oder Steuersenkungen zu verwenden, die dann zu explodierenden Neuschulden im Abschwung führen. Bei einem Schuldenberg des Bundes von über 1.000 Milliarden Euro, der täglich weiter anwächst, muss ein ausgeglichener Haushalt Priorität haben.
Besonders falsch ist die Behauptung, Steuersenkungen wären sozialpolitisch der richtige Weg, um insbesondere die kleinen Einkommen stärker am Aufschwung zu beteiligen. Viele Kleinverdiener und Rentner zahlen so wenig Steuern, dass sich steuerliche Entlastungen kaum spürbar bemerkbar machen würden.
Das gilt im Übrigen auch für die Entfernungspauschale. Von Steuersenkungen profitieren Besserverdienende immer überdurchschnittlich.
Aber andersherum wird ein Schuh daraus: Gravierende Steuersenkungen hätten negative sozialpolitische Auswirkungen, weil der Sozialstaat finanziell weiter unter Druck geraten würde.
Wer soll denn die Kinder vom Kindergarten bis zur Universität gut ausbilden? Wer soll die Verkehrswege ausbauen? Wer soll für öffentliche Sicherheit sorgen, für eine leistungsfähige und bürgerfreundliche Verwaltung? Sind 20 oder 30 Euro netto mehr im Monat wirklich wertvoller als ein guter Kindergarten?
Meine Damen und Herren Abgeordnete, vielen ist sicher nicht aufgefallen, dass uns in Kürze durchaus eine Steuerreform bevorsteht, die die Bürger um mindestens 9 Milliarden Euro entlasten wird.
Allerdings ist dies eine gerichtlich erzwungene Reform. Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich in einem Urteil eine höhere Absetzbarkeit von Krankenkassenbeiträgen verlangt. Bei einer Mindestgesamtwirkung von 9 Milliarden Euro werden das Land Mecklenburg-Vorpommern mindestens 85 Millionen Euro und die Kommunen 13 Millionen Euro Steuerausfälle zu verkraften haben. Das entspricht im Übrigen in etwa unseren Aufwendungen für unsere Kitas. Dies hat nicht nur eine hohe zusätzliche Belastung für die öffentlichen Haushalte zur Folge, sondern auch neue Steuerungerechtigkeiten. Eine besondere Absetzbarkeit von Krankenkassenbeiträgen entlastet vor allem jene, die gut verdienen.
Daher noch einmal: Für weitere Steuersenkungen gibt es ganz offensichtlich zurzeit keinen Spielraum. Viel eher sollte man darüber nachdenken, ob neu entstandene Ungerechtigkeiten im Steuersystem durch Umverteilungen ausgeglichen werden können. So wird derzeit von vielen Seiten die sogenannte „kalte Progression“ ins Feld geführt,
also der inflationsbedingte Anstieg der realen Steuerlast, und es werden gravierende Änderungen im Steuersystem eingefordert. Auch denkbar und zu Recht derzeit diskutiert ist ein Umstieg auf eine steuerbasierte Finanzierung der Sozialsysteme. Sie sehen, es gibt momentan so viele steuerpolitische Baustellen, dass im Sinne einer stimmigen Gesamtlösung eine vorgezogene Einzellösung bei der Entfernungspauschale genau der falsche Weg wäre.
Aber eines bleibt grundsätzlich festzuhalten: Die Strategie, die Einnahmen durch Steuersenkungen zu ver
mindern und gleichzeitig mehr ausgeben zu wollen, untergräbt über kurz oder lang den Sozialstaat, und ein soziales Deutschland kann sich solch einen schwachen Staat nicht leisten.
Und übrigens, an die FDP gewandt: Ihr neues Steuermodell, was, glaube ich, auch wieder auf einen Bierdeckel passen soll, passt ganz bestimmt nicht in diese Landschaft. – Herzlichen Dank.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Löttge. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Liebe Frau Gramkow, Tatsache, wie Sie es hinkriegen, innerhalb kürzester Zeit wirklich 45 Millionen zu verteilen …
(Peter Ritter, DIE LINKE: Die Zustimmung zu den G8-Kosten ging noch schneller, Herr Löttge. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)
und ich glaube, wenn ich die letzten Debatten im Landtag verfolgt habe, dann waren es schon weit mehr als 45 Millionen. Indem wir immer wieder auf die gleichen Haushaltsstellen zurückgehen, wird das auch nicht besser. Vor allen Dingen bin ich bei aller Wertschätzung ein bisschen überrascht darüber, weil ich Sie anders kenne, dass gerade Sie Vorschläge machen, die eigentlich davon zeugen, dass Sie keine mittelfristige oder langfristige Finanzpolitik machen. Wenn ich heute 20 Millionen ausgebe, dann muss ich mir auch Gedanken darüber machen, wie ich sie in fünf Jahren noch finanzieren will.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ein Wort an die FDP: Ich finde es schon vermessen von der FDP, dass sie nun meint, sich alleine für eine Vereinfachung des Steuersystems einzusetzen. Ich glaube, das ist definitiv nicht so, das ist reine Selbstüberschätzung.