Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 5/2789. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke. Die Gegenprobe. – Danke. Enthaltungen? – Danke. Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 5/2789 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, der SPD und der CDU, Ablehnung der Fraktion der NPD und Enthaltung der Fraktion der FDP angenommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern ermöglichen, Drucksache 5/2787.
Antrag der Fraktion DIE LINKE: Sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung in MecklenburgVorpommern ermöglichen – Drucksache 5/2787 –
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Herr Holter von der Fraktion DIE LINKE.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute früh bei der Einführung des neuen Beauftragten der evangelischen Kirchen war die Rede vom Dialog. Es war wohl Herr Sellering, der dieses in die Debatte einbrachte. Ich will diesen Vorschlag aufgreifen und mit Ihnen, meine Damen und Herren, über die Zukunft unseres Landes sprechen.
Seit 20 Jahren werden Studien erstellt und veröffentlicht, die sich mit der Entwicklung in den neuen Bundesländern in Ostdeutschland beschäftigen. Es ging immer und geht nach wie vor um die Fragen: Was ist in der Entwicklung in den neuen Ländern passiert? Was ist in den letzten 20 Jahren im Osten anders geworden? Welche Erwartungen haben sich erfüllt und welche nicht?
Gerade jetzt zu den verschiedenen Jubiläen, auch zum 3. Oktober 2009, sind in der Vergangenheit eine Vielzahl von Studien veröffentlicht worden. Je nach Urheberschaft kommen die Studien zu unterschiedlichen Aussagen und Schlussfolgerungen. Ein Ergebnis ist allerdings immer gleich: Die versprochenen blühenden Landschaften sind im Osten Deutschlands nicht Wahrheit geworden. Wir müssen aufpassen, dass nicht, wie kürzlich im „Tagesspiegel“ zu lesen war, „verblühende Landschaften“ Realität werden.
Eine erste mir wichtige Feststellung in diesem Zusammenhang ist, das, was hier im Osten in den neuen Ländern entstanden ist und vorangebracht wurde – das ist nicht gering zu schätzen –, ist in erster Linie eine Leistung der Bürgerinnen und Bürger der neuen Länder. Dabei wurden wir natürlich durch die westdeutschen Länder unterstützt. Das unterscheidet uns von den Transformationsprozessen in allen anderen mittel- und osteuropäischen Ländern, die einst mal zu dem sogenannten sozialistischen Lager gehörten.
Ich will das mit einigen Fakten untersetzen: Nur zwei Drittel von dem, was in Ostdeutschland konsumiert und
investiert wird, wird auch in Ostdeutschland produziert. Im Osten erreicht das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner nur rund zwei Drittel und die Produktivität nur drei Viertel des westdeutschen Niveaus. Auch in den nächsten 20 Jahren werden jährlich 100 Milliarden Euro in die neuen Bundesländer fließen müssen. Der Osten wird also weiterhin am Tropf hängen. Von einer selbsttragenden Wirtschaft sind wir weiter entfernt.
Ich will die durchaus vorhandenen wirtschaftlichen Erfolge nicht schlechtreden, im Gegenteil, ich will sie auch würdigen. Gut entwickelt hat sich zum Beispiel der Life-Science-Bereich, das breite Feld der Biowissenschaften mit erheblichem Ausbaupotenzial. Wir haben dieser Tage und auch heute wieder über die maritime Wirtschaft gesprochen und ich bin der Überzeugung, trotz der großen Probleme genießt sie Weltruf.
Der Tourismus boomt nicht zuletzt wegen sehr guter Angebote rund um Wellness, Freizeit und unserer wunderbaren Natur. Unstrittig ist – und darüber sind wir uns sicher alle einig –, es haben sich auch die Haushalte verändert. Die Ausstattung mit Konsumgütern ist besser geworden und die Wohnsituation insgesamt ist zufriedenstellend. Natürlich kann man auch hier über Qualitätsverbesserung reden.
Aber über all das kann nicht hinwegtäuschen, dass wir auch Probleme haben. So ist in Vorpommern das Armutsrisiko bei 27 Prozent bedeutend höher als in allen anderen Regionen Deutschlands und damit viermal so hoch wie im Schwarzwald. In Mecklenburg-Vorpommern leben rund 60.000 Kinder bis 15 Jahre in Hartz-IV-Familien. Damit ist jedes dritte Kind arm. Bundesweit haben wir leider die geringsten Löhne und Gehälter und verfügen damit über die geringste Kaufkraft. Jährlich kommen 18 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss aus der Schule und sie haben damit fast gar keine Chance für eine menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Das sind Fakten, die, glaube ich, niemand wegdiskutieren kann, weil sie in den verschiedenen Studien und Untersuchungen immer wieder erwähnt werden. Viele Ostdeutsche fühlen sich nach wie vor als Menschen zweiter Klasse. Das sind nicht nur Menschen, die seit 20 Jahren von Erwerbslosigkeit betroffen und ausgegrenzt sind. Tatsache ist, es bestehen 20 Jahre nach der Einheit erhebliche wirtschaftliche, soziale und mentale Unterschiede zwischen Ost und West. Und das Alarmierende an dieser Tatsache ist, dass der Abstand leider wieder größer wird.
Mir geht es heute um folgende Fragestellung: Wie geht es weiter mit der Einheit Deutschlands? Noch ist nicht zusammengewachsen, was zusammengehört, wie es einst Willy Brandt einmal formulierte. Wir als Gesellschaft haben die Wahl zwischen drei Entwicklungsszenarien. Entweder wir werden das Mezzogiorno des Nordens oder wir sind zweitens weiter von Transfers abhängig oder wir wählen drittens einen eigenen Weg, der auf Innovation und Modernisierung setzt.
Meine Fraktion, auch DIE LINKE in Deutschland, will die Unterschiede zwischen Ost und West überwinden und die Einheit wirtschaftlich, sozial und kulturell vollenden. Dazu haben die LINKEN im Bundestag und in den Landtagen ein eigenes Leitbild für Ostdeutschland 2020 vorgelegt.
Uns geht es, meine Damen und Herren, um neue Wege, die wir beschreiten wollen, wenn der Osten, und ganz konkret Mecklenburg-Vorpommern, zukunftsfähig und zukunftssicher gemacht werden soll. Mir geht es dabei weniger um Kritik. Uns und mir geht es um Alternativen und mir geht es, wie eingangs erwähnt, um einen Streit, um eine Diskussion über die besten Ideen ohne parteipolitische Scheuklappen.
Denn, davon bin ich überzeugt, die gesamte Diskussion über die Entwicklung in Ostdeutschland der vergangenen Jahre, und ich war maßgeblich daran beteiligt, hatte …
Ja, ich war maßgeblich daran beteiligt an der Diskussion und auch an der Gestaltung des Aufbaus Ost. Und das will ich gar nicht kleinreden, darauf bin ich auch stolz.
Es ging immer darum, was ist der bessere Weg. Aber leider wurden die unterschiedlichen Vorschläge, weil sie aus unterschiedlichen politischen Lagern kamen, glattweg abgelehnt. Ich bin der Überzeugung, dass wir jetzt an einer Stelle sind, wo wir auch einfach mal den Mut haben sollten. Schauen wir uns mal an, wer welchen Vorschlag unterbreitet und welcher Vorschlag aus der Fülle der Ideen der beste, der vernünftigste für die zukünftige Entwicklung ist.
Wir sind davon überzeugt, dass wir einen Paradigmenwechsel in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik brauchen. In diesem Zusammenhang brauchen wir ein neues Verständnis von Wachstum und Erwerbstätigkeit. Wir haben heute Morgen sehr emotional darüber gesprochen. Ich will das hier etwas untersetzen. Wir müssen uns lösen von der Idee des Aufholens und des Anpassens an das, was Nachbau West ganz konkret bedeutet. Wenn wir Zukunft gestalten wollen, brauchen wir eine Strategie der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit. Uns geht es um ein qualitatives Wirtschaftswachstum, das die natürlichen Ressourcen schont und auf Beschäftigung in einzigartigen Zukunftsbranchen für Mecklenburg-Vorpommern setzt.
Denn, meine Damen und Herren, wir werden den Verdrängungswettbewerb mit anderen Produkten und Technologien kaum gewinnen können. Deswegen meine ich, Umwelttechnik, regenerative Energien, Dienstleistungen, Informations- und Kommunikationstechnologien, auch die Kreativwirtschaft, das sind Felder, auf die Mecklenburg-Vorpommern konkret setzen kann. Qualitatives Wachstum – und das unterscheidet uns, glaube
ich, von vielen anderen hier in diesem Hause – bedeutet, Ressourceneffizienz muss vor Arbeitsproduktivität stehen, und das bedeutet ein grundsätzlich anderes Herangehen an die Wirtschaftspolitik.
Ich will noch etwas sagen zu einem anderen Verständnis der Erwerbsarbeit. Wir reden viel über Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wir reden viel darüber, dass die Kinder mehr Betreuung brauchen,
wir reden viel darüber, dass auch die ältere Generation angesichts der Bevölkerungsentwicklung die Fürsorge, die Dienstleistung am Menschen, wie es dann heißt, tatsächlich durch die Gesellschaft braucht. Wir sind also aufgefordert, auch unseren Begriff der Erwerbsarbeit neu zu definieren und das, was gemeinwohlorientierte Dienstleistungen sind, gemeinwohlorientierte Arbeit ist,
Deswegen reden wir ganz bewusst von sozialökologischem Umbau. Und das, was ich eben beschrieben habe, soll diesen sozialökologischen Umbau ausmachen, und dieser ist die Voraussetzung für mehr Beschäftigung und für mehr Bildungschancen.
Wir haben, meine Damen und Herren, eine einzigartige Chance. Wir können Modellregion sein für ein völlig neuartiges, kreatives Entwicklungsmodell für Regionen mit zurückgehender Bevölkerungszahl. Wir, DIE LINKE, setzen dabei auf Eigenständigkeit. Wir wollen die Potenziale der einzelnen Regionen nutzen in dem Sinne, wie ich und auch Herr Seidel es heute formuliert haben. Wir wollen tatsächlich die Stärken stärken