Protokoll der Sitzung vom 23.09.2009

Sie hingegen überlassen sie dem Markt und verlassen sich auf den Markt, und was der regelt, zeigt ja die gegenwärtige Krise. Sie machen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu einer persönlichen Angelegenheit für jeden Einzelnen. Ich frage: Der Werftarbeiter, der keine Chance erhält, ist der zu faul und will nicht arbeiten? Ist es gerechtfertigt, ihm gegenüber Zwang auszuüben, Sanktionen anzuwenden? So ist nämlich das übliche Vorgehen vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an. Und was hat es gebracht seit Hartz IV? Eine geschönte Arbeitslosenstatistik, bisher zumindest. Das sind zunächst erst mal nur Zahlen, die aber dazu auch noch manipuliert werden.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Immer mehr Tricks werden angewendet, um weitere Gruppen aus der Statistik nehmen zu können. Wesentlich schlimmer ist allerdings,

(Udo Pastörs, NPD: Mitmachen.)

dass ein großer Teil der 40.000 neuen Jobs seit 2006, Herr Glawe,

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

unwürdige, prekäre Bedingungen bereithält. Das haben Sie nämlich in Ihrem Redebeitrag heute Vormittag vergessen zu sagen. Die Schere zwischen Arm und Reich ist immer weiter aufgegangen. Das kann so nicht weitergehen.

(Udo Pastörs, NPD: Das wird so weitergehen.)

Das meinen inzwischen auch Vereine, Verbände, Wissenschaftler und vor allem auch die Gewerkschaften.

(Harry Glawe, CDU: Die Zahlen können Sie nicht wegwischen, die Zahlen stimmen.)

Dieses Herangehen ist gescheitert.

(allgemeine Unruhe)

Ansonsten hätten wir nicht so viel Armut in unserem reichen Land, ansonsten hätten wir nicht so viele Kinder, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen. Es muss

Schluss sein mit der Politik sozialer Ausgrenzung und Demütigung. Politik muss steuern und agieren,

(Hans Kreher, FDP: Ja, genau.)

und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist,

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

sozusagen Reparaturbetrieb, oder nur so lange, bis Renditen der Wirtschaft wieder lohnend sind.

(Hans Kreher, FDP: Sie können es doch in Berlin beweisen. – Zuruf von Burkhard Lenz, CDU)

Alle sprechen von der Wissensgesellschaft, in der wir angeblich leben, dabei wissen wir ganz genau, dass die Bildungschancen für unsere Kinder vom sozialen Status der Eltern abhängen, dabei wissen wir, dass die Bildungsausgaben in Deutschland gerade in den prägenden Jahren von 0 bis 16 weit unter dem Durchschnitt der OECD-Länder liegen, und dabei wissen wir, dass Weiterbildung in vielen Unternehmen im Argen liegt. Das sagt die Statistik eindeutig in Deutschland. Nicht mal 30 Prozent der Arbeitnehmer machen Weiterbildung, in anderen Ländern sind es 50 bis 60 Prozent. Das sind Fakten, die sind einfach da, auch für Mecklenburg-Vorpommern.

(Reinhard Dankert, SPD: Das ist nicht staatlich verordnet, das sind Unternehmensinteressen.)

Bildung ist aber eine Aufgabe des Staates. Deshalb ist es mit Blick auf die Zukunft unseres Landes nicht länger hinnehmbar, dass die soziale, die kulturelle und die Bildungsinfrastruktur immer weiter den Bach runtergeht. Wir haben zu wenig Lehrer, zu wenig Sozialarbeiter, zu wenig kulturelle Bildungsmöglichkeiten. Ich sage es noch mal: Investition in die Köpfe muss Vorrang haben,

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

das heißt, der öffentliche Sektor darf nicht weiter abgebaut werden, im Gegenteil, er muss ausgebaut werden.

(Udo Pastörs, NPD: Ja, ja.)

Sie alle wissen so gut wie ich, dass Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Trainerinnen und Trainer, Pflegekräfte, ich könnte fortsetzen, Krankenschwestern, Künstler, Kulturschaffende, Landschaftspfleger, Naturschützer und viele andere eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen haben. Sie erwirtschaften keine in der Kasse klingende Rendite, aber die Gesellschaft braucht sie. Ihre Jobs immer mehr dem Sparzwang zu opfern, macht aus einem Gemeinwesen eine Ansammlung von Anhängern von „Jeder ist sich selbst der Nächste“.

(Renate Holznagel, CDU: Wer macht denn das?)

Und das wollen wir doch wohl alle nicht. Wo soll das eigentlich noch hinführen, frage ich Sie.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist das Prinzip des Systems.)

Frau Merkel wirbt mit der Losung „Für ein neues Miteinander“.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Das und Ähnliches sind Sprüche, solange nicht auch Taten folgen. Dass wir mehr Arbeitsplätze in den von mir genannten Bereichen schaffen und eine gute Arbeit

natürlich auch gute Löhne braucht, Ausbau und nicht Abbau von Daseinsvorsorge,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ausbau und nicht Abbau von sozialen und anderen Dienstleistungen,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

das verstehen wir unter sozialer Innovation.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vereine und Verbände haben versucht, den Rückzug des Staates auszugleichen, ganz einfach, weil sie immer begriffen haben, dass der Bedarf groß ist, ja, immer weiter wächst. Im Grunde ist es auch gleichgültig, ob der Staat seine Verantwortung direkt wahrnimmt oder er Vereine und Verbände damit beauftragt. Wichtig ist aber, dass die Erfüllung der Aufgaben ausfinanziert wird. Wenn also Vereine diese Aufgaben übernehmen sollen, dann müssen sie davon befreit werden, sich alle Nase lang ein neues Projekt ausdenken zu müssen, um einige wenige Euro zu bekommen, mal abgesehen davon, dass bei den wenigen geplanten Mitteln im Landeshaushalt die Chancen, etwas zu bekommen, übrigens auch sehr gering sind. Und gucken wir uns die Finanzierung der Kommunen an, da sieht es ja auch nicht anders aus.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Deshalb ist die Erfüllung unserer Forderung, einen stabilen, ausfinanzierten, öffentlich geförderten Beschäftigungssektor

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

als Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes zu schaffen, überfällig.

(Reinhard Dankert, SPD: Das ist nicht zu fassen!)

Soziale Innovation heißt auch zu begreifen, dass jeder Mensch gebraucht wird und seinen Beitrag für sich selbst, für seine Familie und natürlich für die Gesellschaft leisten kann, auch diejenigen, die besonders viel Unterstützung brauchen, um sich im Arbeitsleben zurechtzufinden. Dass es sie gibt, ist klar. Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor ist gut geeignet, auch für diese Menschen einen Platz zu finden zu einem Lohn, von dem sie leben können. Ich sage bewusst „Lohn“, weil Bedürftigkeitsprüfung, Sanktionen, ständig wechselnde Maßnahmen niemandes Selbstwertgefühl stärken. Im Gegenteil, immer mehr der Betroffenen fühlen sich nicht gebraucht und außerhalb der Gesellschaft stehend. Es sind weite Teile des Systems, die nichts taugen, die zu Armut, Ausgrenzung, Chancenungleichheit bereits bei Kindern führen.

(Udo Pastörs, NPD: Sehr richtig.)

Und Ihr Verweis auf die ungeheuren Ausgaben der Arbeitsagentur und Argen und dass Sie deshalb nichts für die Menschen tun müssten, Herr Wirtschaftsminister, zeigt, dass Sie keine Ahnung davon haben, was Hartz IV für die Menschen bedeutet. Vielleicht sind Ihnen die davon Betroffenen nicht egal, so, wie Sie es ja auch formuliert haben. Sie sind Ihnen nicht egal, aber Sie streichen sie aus Ihrer Verantwortung, und das ist meiner Meinung nach auch nicht besser.

(Zurufe von Reinhard Dankert, SPD, und Harry Glawe, CDU)

Auf dem Weg zu einer sich selbst tragenden Wirtschaft kann man einen Großteil der Landesbevölkerung nicht einfach ausblenden. Insgesamt brauchen wir eine deutliche Erhöhung der Innovationskraft auf technischem, technologischem und sozialem Gebiet. Hier besteht die Chance für Mecklenburg-Vorpommern und für die Zukunft.

(Reinhard Dankert, SPD: Wir haben 80.000 Beschäftigte.)

Ein „Weiter so“ verspielt die Chancen, deshalb brauchen wir ein sofortiges Umsteuern der Landesregierung. Verabschieden Sie sich also von einseitigen Lösungsansätzen!