Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Ich möchte darauf hinweisen, wir haben darauf früher auch schon mal hingewiesen, dass das auf jeden Fall notwendig ist. An dem Ergebnis der Auszählung würde sich aber nichts ändern und wir haben hier festgestellt, dass wir das Ergebnis so als Präsidium anerkennen. Das ist auch hier unser Recht.

Ich möchte allerdings auch noch mal darauf hinweisen, Herr Abgeordneter Reinhardt, ich schätze Ihre musikalischen Fähigkeiten, aber es entspricht nicht unserer Geschäftsordnung, wenn Sie ab und zu mal pfeifen.

(Udo Pastörs, NPD: Ein Liedchen pfeifen.)

Also bitte unterlassen Sie das! Wenn Sie uns draußen ein Liedchen vorpfeifen können, dann sollten Sie das draußen tun.

(Zuruf von Minister Dr. Till Backhaus)

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 33: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Direkte Demokratie endlich auch auf Bundesebene einführen, Drucksache 5/2920.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Direkte Demokratie endlich auch auf Bundesebene einführen – Drucksache 5/2920 –

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „In der gewachsenen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland“ ist es „nun an der Zeit …, dem Volk das notwendige Maß an direkten Mitbestimmungsmöglichkeiten einzuräumen.“ Diese Worte stammen leider nicht von mir und meiner Fraktion, sondern sie wurden seitens der Fraktion der SPD im Bundestag im Jahre 2002 geäußert. Bereits damals gab es auf Bundesebene das Bestreben, ein Gesetz, welches Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide im Grundgesetz verankern soll, auf den Weg zu bringen. Im Rahmen der Behandlung dieses Anliegens wurde das gemeinsame Bestreben eben im Sinne des oben genannten Zitates deutlich.

Es ist bedauerlich, dass es zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Annahme des entsprechenden Gesetzes kam, aber nicht weil die Mehrheit der im Bundestag vertretenen Parteien es nicht wollte, nein, im Gegenteil. In der öffentlichen Debatte gab es so gut wie keine Vorbehalte gegenüber der Stärkung der direkten Demokratie. Leider war die Zeit bis zur Bundestagswahl im September 2002 zu kurz, um wesentliche Veränderungen des Grundgesetzes vorzunehmen, so die Meinung der Fraktion der CDU/CSU.

Zwischen 2002 und 2009 sind nun neun Jahre vergangen. Der aktuelle Stand diesbezüglich ist leider immer noch derselbe. Die direkte Demokratie bildet auf Bundesebene lediglich die Ausnahme. Nur für den Fall von Neugliederungen des Bundes ist nach Artikel 29 Absatz 2 Grundgesetz vorgesehen, einen Volksentscheid durchzuführen. Darüber hinaus finden sich nach Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz Elemente, die die Teilnahme an Wahlen bestimmen. Das ist uns zu wenig, ich hoffe, Ihnen auch – daraus haben wir nie einen Hehl gemacht –, so zum Beispiel bei der Frage der Ratifizie

rung des Lissabonner Vertrages. Dass wir mit diesem Anspruch nicht alleine dastehen, und zwar weder parlamentarisch noch außerparlamentarisch, möchte ich an dieser Stelle kurz darstellen.

Hinsichtlich der SPD hatte ich bereits mit den Worten einer Abgeordneten der Bundestagsfraktion aus dem Jahre 2002 begonnen. Aber auch in diesem Jahr konnte ich Gleiches in der Bundestagsdebatte vom 23. April 2009 vernehmen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann führte in seiner Rede aus: „Wer will, dass Demokratie... lebt und lebendig bleibt, der muss wie eh und je bereit sein, Entwicklungen und Veränderungen zuzulassen. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Dieses Grundgesetz lässt es nicht nur zu, sondern hat es verdient, dass wir die parlamentarische Demokratie weiterentwickeln, im Vertrauen auf die Entwicklungen der letzten 60 Jahre. Das heißt, wir Sozialdemokraten sind für Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide.“ Recht hat er, kann ich nur sagen.

Sie, meine Damen und Herren von der CDU, „sind … die Hüter und die Wächter der Demokratie“. So zumindest die Aussage von Herrn Kuhn in der 34. Sitzung des Landtages. Und auch im Bundestag meinte Ihre Fraktion im Jahr 2002, dass Sie keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen mehr unmittelbare Mitbestimmungsmöglichkeiten haben. Dann kann ich Sie nur auffordern, sich an Ihre eigenen Worte zu halten und unseren Antrag zu unterstützen!

Selbstverständlich haben wir auch bei der FDP nur Zustimmung gefunden. So zum Beispiel im Bundestagswahlprogramm aus diesem Jahr, wo es heißt, ich zitiere: „Die FDP will mehr Freiheit wagen, indem mehr Menschen an der Gestaltung des Gemeinwesens mitwirken können. … Der Bürger muss sich vor allem in seinem unmittelbaren Umfeld stärker an Entscheidungen beteiligen können. Deshalb setzen wir uns für Bürgerentscheide, Bürgerbegehren und Bürgerbefragungen auf Landes- und Bundesebene ein.“ Dann kann ich mich auch bei Ihnen bedanken, dass Sie die direkte Demokratie einführen wollen und somit unseren Antrag sicherlich unterstützen.

Aber eines will ich an dieser Stelle auch noch bemerken: Es ist schon sehr beschämend, was Sie im Koalitionsvertrag auf Bundesebene diesbezüglich vereinbaren konnten,

(Michael Roolf, FDP: Wir wollten nett sein. Jetzt überlegen Sie genau, was Sie sagen!)

nicht ein Wort zur Stärkung beziehungsweise den Ausbau direkter Demokratie, nicht ein einziges Wort. Floskeln über Floskeln sind zu lesen wie: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und eine marktwirtschaftliche Ordnung bestimmen unser Handeln für Deutschland in der Welt. Doch dazu, wie genau die Demokratie auszugestalten ist, kein Wort. Die FDP trägt ihren Anspruch als Bürgerrechtspartei auf dem silbernen Tablett scheinbar vor sich her, aber ohne es mit Inhalten zu füllen.

Gestern in der Debatte hat Herr Roolf sehr großen Wert darauf gelegt, den Unterschied zwischen seiner Partei und der LINKEN deutlich zu machen.

(Michael Roolf, FDP: Ja.)

Vielleicht für Ihre Sammlung, Herr Roolf, auch das ist ein Unterschied zwischen uns beiden, nicht zwischen uns beiden, sondern zwischen den Fraktionen: Wir fordern

nicht nur direkte Demokratie ein, wir setzen uns auch dafür ein.

(Michael Roolf, FDP: Das sieht die direkte Demokratie vor, wir aber nicht.)

Und wenn wir die Möglichkeit haben, dann versuchen wir, auch Elemente der direkten Demokratie gesetzlich zu verankern. Unmittelbar haben wir das getan, als wir gemeinsam in der rot-roten Landesregierung, in der Koalition, in der Wahlperiode 2002 bis 2006 die Frage der Wählbarkeit, also der Wahlen, für 16-Jährige in die Kommunalverfassung schreiben lassen haben. Das waren unsere Möglichkeiten. Sie haben Ihre Möglichkeiten nicht genutzt. Und, auch das will ich an dieser Stelle sagen, wir leben sie auch. Wir untersetzen sie mit konkreten Anträgen sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene. Selbstverständlich unterstützen wir die Bürgerinnen und Bürger bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beziehungsweise initiieren Volksinitiativen in unserem Land.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Ausführungen zeigen doch, dass wir, die Vertreter der demokratischen Parteien und Fraktionen, uns diesbezüglich eigentlich einig sind. Aber nicht nur die demokratischen Parteien fordern direkte Demokratie, auch das Bundesverfassungsgericht traf in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon vom 30. Juni 2009 klare Aussagen dahin gehend, dass der Kernbestand der direkten Demokratie bei Wahlen und Abstimmungen durch plebiszitäre Rechte in Sachfragen ergänzt werden kann. Sie sehen, auch rechtlich bestehen keine Bedenken gegen die Einführung von Elementen direkter Demokratie und von den Parteien ist sie gewollt. Warum handeln wir dann nicht auch entsprechend?

Und noch etwas sollte man bedenken: Auf allen Ebenen, bis auf die Bundesebene, sind Elemente direkter Demokratie vorhanden. Schaue ich mir zum Beispiel die Gemeindeebene an, so sind auch dort die Elemente fester Bestandteil der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommerns. Im Paragrafen 20 sind die Möglichkeiten des Bürgerentscheides und des Bürgerbegehrens vorgesehen. Gleiches gilt für die Landkreise, wo in Paragraf 102 der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern auf die Möglichkeiten des Bürgerentscheides verwiesen wird. Auch unsere eigene Landesverfassung sieht in den Artikeln 59 und 60 die Elemente Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid vor. Auf kommunaler und auf Landesebene sind plebiszitäre Elemente feste Bestandteile unseres Staatsgefüges, die sich immer wieder bewährt haben. Selbst auf der europäischen Ebene sind inzwischen Elemente direkter Demokratie zu finden.

Verweisen möchte ich nur auf den von Ihnen so hochgelobten Vertrag von Lissabon, dort insbesondere auf den neu gefassten Artikel 11 Absatz 4 des Vertrages über die Europäische Union. Nach dieser Regelung haben Unionsbürger das Recht, Initiative zu ergreifen, und können die Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsaktes in der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen. Sie sehen, auf allen Ebenen, bis auf die Bundesebene, sind Elemente direkter Demokratie zu finden.

Und ich denke auch, dass das Grundgesetz insofern geändert werden sollte. Direkte Demokratie sollte nicht

nur in Ausnahmefällen und bei Wahlen und Abstimmungen Anwendung finden. Nein, direkte Demokratie soll immer dann Anwendung finden, wenn es um wichtige Sachfragen geht. Insofern sollte das Grundgesetz nach 60-jährigem Bestehen angepasst werden und sich nicht Elementen direkter Demokratie verwehren.

Ich denke, es ist an der Zeit, dass sich das Grundgesetz an dieser Stelle weiterentwickelt. Denn was war 1949 der Gedanke des Verfassungsgebers? Dass es die Demokratie als repräsentative Demokratie ausgestaltet. Es waren die Erfahrungen aus der Weimarer Republik und dem folgenden Naziregime, die dem Verfassungsgeber damals noch allzu vertraut waren. Er traute den Bürgerinnen und Bürgern schlichtweg zu viel Demokratie zu. Man kann diese Gedanken dem damaligen Verfassungsgesetzgeber auch nicht verdenken. Aber ich bitte Sie, nach 60 Jahren sollten wir durchaus bewiesen haben, dass wir der Demokratie und echter Teilhabe am Entscheidungsprozess würdig sind. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Borchardt.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Herr Dankert von der Fraktion der SPD.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 40 Jahren hat Willy Brandt gefordert: „Mehr Demokratie wagen“. „Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglichen und dabei die Erfahrungen in den Ländern berücksichtigen.“ So steht es im Bundestagswahlprogramm der SPD, im aktuellen.

Ich darf aus einem anderen Programm zitieren, aber ich glaube, das hat Frau Borchardt schon getan: „Deshalb setzen wir uns für Bürgerentscheide, Bürgerbegehren und Bürgerbefragungen auf Landes- und Bundesebene ein“, so die FDP, aber auch Sie sagten das schon, Frau Borchardt, nichts im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP.

Übrigens, Herr Roolf, Sie hatten gestern gesagt, Sie haben das Gefühl, dass die SPD fast froh wäre, nicht zu regieren. Ich kann Sie beruhigen, das ist nicht so.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ich war das. Ich war das. – Michael Roolf, FDP: Ich war das nicht. Da bin ich nicht für verantwortlich.)

Na gut, dann beruhige ich jetzt Herrn Ritter. Aber zu Ihnen komme ich auch noch.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Selbst die CSU will – und da füge ich so kleine Klammern ein – „angeblich“ Volksabstimmungen, allerdings zu europäischen Themen. Na ja, ganz so doll scheint das nicht zu sein. Nur die CDU will – und ich zitiere aus Ihrem Regierungsprogramm, meine lieben Kollegen, den „Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern“, also keine plebiszitären Elemente.

(Vincent Kokert, CDU: Genau.)

Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE wollen das Gleiche wie SPD und FDP, nur die Worte sind gelegentlich etwas anders. Aber im Grunde wollen sie alle das Gleiche. Es gibt also eine politische Mehrheit in Deutschland, es gibt aber eben keine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes. Immer wieder hat die SPDBundestagsfraktion versucht, diese Zweidrittelmehrheit zu erreichen,

(Zuruf von Michael Roolf, FDP)

1994 schon, 2002 ist erwähnt worden. Ich sage hier, es ist ein inhaltlich guter Antrag, Herr Ritter. Sie haben ja gestern versäumt oder vermisst, dass wir das auch mal tun. Inhaltlich ist er in Ordnung, die ersten drei Punkte sind okay.

Zu Punkt 4 eine ganz nüchterne Feststellung: Im Bundestag gibt es 622 Abgeordnete.

(Vincent Kokert, CDU: Jetzt sind es ein paar mehr.)

Für eine Zweidrittelmehrheit sind demzufolge 415 Abgeordnete notwendig. Die CDU/CSU hat 239, die übrigen Fraktionen, ich darf sie mal alle zusammenfassen, wenn es recht ist, 383 Abgeordnete. Es fehlen also zu Ihrem Ziel, liebe Kollegen von den LINKEN, 32 Abgeordnete. Das sind die Fakten.

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Und wenn es überhaupt zu einer Reform – ich wage mal eine leichte Prognose – des Grundgesetzes kommen sollte, dann glaube ich nur an eine Paketlösung im Rahmen einer gesamten Handlung. Dazu müssen auch alle bereit sein – ich sagte, wie gesagt, wenn überhaupt.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Ja, ja! „Mehr Demokratie wagen“! – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)