Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

Wie genau sollte nun diese Beteiligung erfolgen? Wie gesagt, bis zum 31.01.2010 soll die Landesregierung zu den verschiedenen Fragen, die in dem Grünbuch der Europäischen Bürgerinitiative enthalten sind, Stellung nehmen. Dabei kann sie unserer Ansicht nach insbesondere Erfahrungen, die wir in Mecklenburg-Vorpommern mit Bürgerinitiativen gesammelt haben, in diese Stellungnahme einfließen lassen.

Aber weitere interessante Fragen sind zu diskutieren. So muss zum Beispiel die Rechtsnatur der Europäischen Bürgerinitiative definiert werden. Offensichtlich ist wohl, dass die Europäische Bürgerinitiative nicht bindend für die Kommission ist. Aber wie muss die Europäische Kommission mit der Europäischen Bürgerinitiative umgehen, wenn sie für zulässig erklärt wurde? Dazu ist es notwendig, dass aus unserer Sicht im Ergebnis einer Bürgerinitiative eine Befassung der Kommission mit den Vorschlägen der Bürgerinitiativen zu erfolgen hat, so, wie dies etwa in unserer Landesverfassung für eine Volksinitiative niedergeschrieben ist.

In dem Gesetzestext des Artikels 11 Absatz 4 des Europäischen Vertrages ist bisher nur vorgesehen, dass EU-Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, der Kommission Vorschläge zu unterbreiten. Was dann aber im Ergebnis weiter mit dem Vorschlag geschieht, ist nicht geregelt. Dies sollte es aber, denn – darüber sind wir uns doch hoffentlich alle einig – wenn wir die Europäische Bürgerinitiative ernst nehmen, und davon gehe ich aus, ist auch zu klären, wie mit der Europäischen Bürgerinitiative umgegangen werden muss. Welches Gewicht hat dann noch eine solche Bürgerinitiative, wenn sie nicht bindend ist für die Kommission, wenn sie sie nicht einmal beraten muss, also das zwingend vorgeschrieben sein sollte? Und es wäre nach unserer Auffassung eine Verschwendung der Ressourcen der europäischen Bürger, wenn das Sammeln von einer Million Unterschriften keine Konsequenzen für die Kommission hätte. Auch ist zu klären, ob eine Bürgerinitiative das Recht haben sollte, eine negative Entscheidung der Kommission anzufechten.

Die zweite Frage, die geklärt werden sollte, die leider nicht im Grünbuch aufgeworfen wurde, aber trotzdem aus unserer Sicht bedeutsam ist, ist, ob wir meinen, dass Veränderungen des Vertragsrechtes möglich sein sollten. Schließlich ist es in Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages möglich, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament die Möglichkeit haben, den Rat dazu aufzufordern, eine Vertragsänderung vorzunehmen. Warum, wieso und weshalb sollte dies nicht den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union auch zugestanden werden? Dies bleibt weiterhin und aus jetziger Sicht in der Kompetenz des Rates. Es geht um die Frage, ob eine Vertragsänderung angeregt werden darf.

Drittens. Es gibt viele andere Fragen, zum Beispiel wie viele Bürgerinnen und Bürger sich an der Bürgerinitiative beteiligen sollten, welche Anzahl von Mitgliedsstaaten für die Bürgerinitiative erforderlich ist, wie hoch eine Mindestanzahl an Unterschriften sein sollte, die in jedem Land gesammelt werden sollen, oder ob die Unterschriftensammlung per Mail möglich ist, ob die Initiatoren angehört werden sollten.

Sie merken also, Fragen über Fragen, an dessen Beantwortung sich das Land Mecklenburg-Vorpommern beteiligen sollte.

Dass der zuständige Ausschuss über die Vorschläge der Landesregierung unterrichtet werden sollte, liegt meiner Meinung nach in der Natur der Sache. Und auch das, das will ich an der Stelle sagen, könnte ein Beitrag zur Stärkung der Europafähigkeit unseres Landes sein, an der wir, die demokratischen Fraktionen des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, wohl sehr interessiert sind. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beilfall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Borchardt.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Herr Renz von der Fraktion der CDU.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, hier meinen Kollegen Vincent Kokert zu vertreten,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Oh, der Generalsekretär wird vertreten.)

der einen dienstlichen Termin hat beziehungsweise im Anschluss seine Kinder zu betreuen hat. Mehrere von denen sind nämlich krank

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

und ich denke, Sie haben dafür auch in dem Sinne Verständnis. Ich als familienpolitischer Sprecher a. D., Herr Koplin, unterstütze das vollends.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Egbert Liskow, CDU: Jawohl.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Europäischen Bürgerinitiative erhält zum ersten Mal in der Geschichte der EU eine qualifizierte Minderheit das Recht, die Kommission zur Vorlage eines Gesetzgebungsvorschlages aufzufordern. Die Europäische Bürgerinitiative ist als erstes direktes demokratisches Instrument eine wirkliche Neuerung des Vertrages von Lissabon und für das EU-System eine Bereicherung. Bei den Kernmerkmalen der Demokratie, Bürgerpartizipation und Machtkontrolle, lässt sich innerhalb der EU ein Defizit feststellen. Wenn die Regierungen im Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, ist die indirekte Legitimation aller Regierungen über die Kontrolle durch ihre jeweiligen nationalen Parlamente nicht gewährleistet.

Da in den letzten Jahren die Anwendung der qualifizierten Mehrheit erheblich ausgeweitet wurde, ohne dass zum Beispiel dem Europäischen Parlament eine Mitentscheidungsbefugnis eingeräumt worden wäre, gibt es unstreitig eine Lücke in der Legitimationskette. Außerdem ist die Kontrollfunktion, die Wahlen in dem nationalen System erfüllen, in der Europäischen Union weniger ausgeprägt. Während nationale Regierungen von den Bürgern abgewählt werden können, wird die Politik des Ministerrates durch Wahlen in einem Mitgliedsstaat nicht beeinflusst, vor allem, wenn Entscheidungen nicht einstimmig getroffen werden müssen. Die Kontrollfunktion von Wahlen ist also in der Europäischen Union deutlich geschwächt.

Insofern macht es Sinn, hier Korrektive zuzulassen. Daher ist die Europäische Bürgerinitiative auch in den Vertrag von Lissabon eingefügt worden. Der LissabonVertrag gibt den Unionsbürgern ein Mittel an die Hand, mit dem sie sich äußern und die EU-Politik direkt beeinflussen können. Die EU hat ein Grünbuch veröffentlicht, in dem praktische Fragen zur bestmöglichen Umsetzung der Initiative in der Praxis gestellt werden. Es soll darüber diskutiert werden, aus wie vielen Ländern die Bürger kommen müssen, wie überprüft werden kann, ob die Unterschriften echt sind, in welcher Form eine Petition abgegeben werden soll oder ob Fristen vorgegeben werden. Einsendeschluss für die Antworten ist Ende Januar 2010. Danach wird die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Vorschlag für eine entsprechende Verordnung vorlegen.

Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, ist es unbenommen, sich gegenüber der EU zur Ausgestaltung der Bürgerinitiative zu äußern.

(Egbert Liskow, CDU: Hört, hört!)

Eine Stellungnahme der Landesregierung ist an dieser Stelle aber nicht angezeigt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ach so?)

Seit Inkrafttreten der Verfassung von MecklenburgVorpommern sind insgesamt 13 Volksinitiativen zustande gekommen und haben den Landtag beschäftigt. Häufig haben parlamentarische oder außerparlamentarische politische Minderheiten mit dem Instrument der Volksinitiative eine Beratung des Landtages über den Gegenstand der Initiative erzwungen. Die Zahl der Volksinitiativen hat sich nach einer anfänglichen, ich sage einmal, Blütezeit in späteren Legislaturperioden deutlich vermindert. Die Erwartung, die Volksinitiative werde ein Ventil sein für ein spontanes Partizipationsbedürfnis des Volkes, hat sich wohl nicht erfüllt.

Volksbegehren und Volksentscheide nach Artikel 60 unserer Landesverfassung hat es in MecklenburgVorpommern überhaupt noch nicht gegeben. Kein einziges Volksbegehren ist in unserem Lande zustande gekommen, sodass es auch nie einen Volksentscheid gab. Der vorläufig letzte Versuch eines Volksbegehrens, eine Initiative gegen die Schulreform, erreichte nicht das Unterstützungsquorum.

Ich möchte konstatieren: Zwar hat es in MecklenburgVorpommern einige Volksinitiativen gegeben, dass hieraus jedoch Erfahrungen für die Europäische Bürgerinitiative abgeleitet werden können, wie Sie von der Fraktion DIE LINKE in Ihrem Antrag suggerieren, vermag ich nicht zu erkennen. Insbesondere für die im Grünbuch aufgeworfenen Fragen lassen sich aus den Erfahrungen mit Volksinitiativen in Mecklenburg-Vorpommern keine Rückschlüsse ziehen.

Im Übrigen entlarvt sich der Populismus Ihres Antrages darin, dass die Landesregierung ja gerade nicht Adressat der Volksinitiativen nach Artikel 59 unserer Landesverfassung gewesen ist, sondern wir selber, der Landtag. Insofern wäre es näherliegend gewesen, wenn Sie eine Stellungnahme des Landtages eingefordert hätten. Hier sind die Erfahrungen mit der Volksinitiative in Mecklenburg-Vorpommern gesammelt worden und hier ist darüber befunden worden, nicht in der Landesregierung.

Insofern schlage ich Ihnen auch im Namen der Koalitionäre vor, den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf der Drucksache 5/3019 abzulehnen. Und Ihnen, meine Kollegen und Kolleginnen von der LINKEN, bleibt es unbenommen, sich bis Ende Januar 2010 gegenüber der Europäischen Kommission mit Ihren Vorschlägen und Vorstellungen zur Europäischen Bürgerinitiative zu äußern. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Danke, Herr Renz.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Leonhard von der Fraktion der FDP.

(Egbert Liskow, CDU: Der auch noch in die gleiche Kerbe schlägt!)

In die gleiche, lieber Kollege!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kollegen der LINKEN, liebe Kollegin Borchardt, als wir Ihren Antrag gelesen haben in der Fraktion, hatten wir durchaus ein Déjà-vu. Das passiert jetzt im Übrigen des Öfteren gerade bei den Anträgen, die sich mit diesen Themen befassen. Ich hatte also die Wahl, meine Rede vom April 2009 noch einmal vorzutragen, aber anders als DIE LINKE möchte ich keinen Déjà-vu-Effekt auslösen. Wir wollen hier doch einen eigenen Beitrag bringen.

Liebe Kollegen, Ihnen scheint Europa ja richtig wichtig zu sein, sozusagen am Herzen zu liegen, wenn man sich den Antrag ansieht,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Haben Sie es endlich begriffen?)

oder eben etwa doch nicht?! Wie nennt man jemanden, der auf der einen Seite den Vertrag von Lissabon als nicht zukunftsfähig bezeichnet und auf der anderen Seite sich doch die Rosinen aus diesem doch so zukunftsunfähigen Vertrag herauspickt und hier sozusagen in zwei Anträgen abhandelt? Man könnte durchaus sagen, dass das auch als verlogen gelten könnte.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Aber das ist unparlamentarisch.)

Dass DIE LINKE, meine Damen und Herren, ein Problem mit Europa hat, das ist länger bekannt. Man weiß eben in Ihren Reihen nicht ganz genau, wie man mit diesem großartigen Projekt umgehen soll. Heute hüh, morgen hott und die Frage ist, Sie müssen sich irgendwann entscheiden.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Aber die Europaliebe der Linkspartei geht noch weiter.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist unter Ihrem Niveau, Herr Leonhard.)

Abgeordnete wie Ihre geschätzte Kollegin Sylvia-Yvonne Kaufmann hatten sich so sehr für eine Verbesserung des Verständnisses für die Arbeit der Europäischen Union und die Bürgerinitiative eingesetzt, dass sie sich auf der Liste für die Europawahl nicht mehr wiederfanden, sozusagen als Belohnung für ihr Handeln. Sie ist offensichtlich zu europafreundlich gewesen.

Europa gilt in den Reihen der Linkspartei als „Chiffre für Ausbeutung, Umweltzerstörung, Krieg und soziale Spaltung“. Und das lasse nicht ich mir oder die FDP-Fraktion sich einfallen, sondern das steht im Europawahlprogramm der Linkspartei, meine Damen und Herren.

(Egbert Liskow, CDU: Oh, oh, oh!)

Sie geben sich hier als Robin Hood, als Retter der Europäischen Union aus und sind im wahrsten Sinne dann doch nur Opportunisten in dieser Frage. Das beweist eben gerade in diesem Antrag auch diese Scheinheiligkeit, denn, meine Damen und Herren, DIE LINKE ist es, die sich den Fortschritten auf europäischer Ebene im Grunde vollständig verweigert. Und obwohl Sie den Lissabonner Vertrag ablehnen, ziehen Sie sich nun einen einzelnen Punkt aus diesem heraus und versuchen, damit zu punkten.

Wenn Sie den Vertrag von Lissabon ablehnen, meine Damen und Herren, und das tun Sie, dann lehnen Sie auch die darin enthaltenen Bürgerinitiativen ab, meine Damen und Herren. Und das sollten die Menschen gerade hier auch in unserem Land MecklenburgVorpommern wissen. Der Anwalt für das legitime Ziel, Europa den Menschen näherzubringen, sind Sie jedenfalls nicht.

Und damit kein Irrtum entsteht: Die FDP steht für den Vertrag von Lissabon und damit auch für weitere Fortschritte im Hinblick auf Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung. Europa, meine Damen und Herren, muss den Menschen weiter nähergebracht werden und deshalb werden wir auch die weiteren Bemühungen um mehr direkte Demokratie konstruktiv und kritisch begleiten.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: So, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben.)