Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

neuen Arbeitsministerin des Bundes, von Frau von der Leyen. Herr Heinrich Alt, den vielleicht einige von Ihnen noch kennen durch sein Wirken hier im Land Mecklenburg-Vorpommern, der jetzt im Verwaltungsrat der BA sitzt, hat ohne Zweifel angemahnt und in der Öffentlichkeit davon gesprochen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den BAs nicht richtig qualifiziert sind. Damit gebe ich hier keine Schelte an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit möchte ich sagen, das ist ein hausgemachtes Problem, denn auch wir bekommen zu erfahren, welche Art von Arbeitshinweisen, Durchführungsbestimmungen, Arbeitsanweisungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichen, um Geld zu sparen.

Wir wissen auch – und das war sogar in der Zeitung –, dass ein ständiger Personalwechsel gemacht wird, um angeblich Filz zu verhindern. Ein ständiger Personalwechsel bedeutet aber bei dieser komplizierten Angelegenheit SGB II, dass eigentlich niemals die Rechte weiß, was die Linke macht.

Wir sehen einen Riesenwulst an Klagen, an Widersprüchen. Und wenn wir uns ansehen, auf welche Art und Weise die Klagen und Widersprüche Erfolg haben, Erfolg für die Betroffenen, für die, die klagen, dann ist, glaube ich, bewiesen, dass das Gesetz schlecht ist, dass es mit heißer Nadel genäht ist. Denn wenn ein Betroffener klagt, klagt er deshalb, weil er falsche Bescheide bekommt, weil er falsch berechnete Summen ausgezahlt bekommt, weil er falsche Sanktionen kriegt und, und, und.

Zu den falschen Arten und Weisen in der Arbeitsmarktpolitik wird Frau Kollegin Regine Lück sprechen, ich beziehe mich hier noch mal auf die Umsetzung. Die Umsetzung, die aufgrund der verkehrten Qualifizierung, falschen Qualifizierung, fehlenden Qualifizierung in den Argen, in den BAs gestaltet wird, ist schlimm. Sie ist aber nicht nur schlimm und belastet die Betroffenen, also die Antragsteller, diejenigen, die Leistungen bekommen, sie belastet auch unsere Gesellschaft. Und zwar belastet sie unsere Gesellschaft derart, dass die Schere zwischen Arm und Reich – zwischen für die Gesellschaft „angesehen“, für die Gesellschaft „Nichtsnutz“, für die Gesellschaft „Kind förderbedürftig oder auch nicht“, weil bildungsferne Schichten – schlimm ist, sehr schlimm. Auf diese Art und Weise, muss ich sagen, um die Menschenwürde zu erhalten, muss Hartz IV weg.

Von Ihnen möchte ich aber wissen, weil viele Urteile bis zum Bundesverfassungsgericht unsere Meinung bestätigen: Was wollen Sie tun, um umzubauen? Denn Sie sprechen ständig vom Umbau dieses Gesetzes.

Frau Müller, in einer Minute ist Ihre Redezeit um.

Ich hoffe, dass dieser Umbau des Gesetzes für die betroffenen Menschen schon was bringt. Ich hoffe auch, dass das Bundesverfassungsgericht derartig argumentiert, Recht spricht, dass die Regelsätze für Kinder sich ändern. Insgesamt sollten die Akteure für dieses Gesetz dazu gebracht werden, dass Hartz IV tatsächlich wegkommt.

Der geistige Vater Herr Hartz wurde, wie wir wissen, kurz nachdem er das alles verzapft hatte, verurteilt.

(Michael Andrejewski, NPD: Aber nicht deswegen, leider.)

Er wurde verurteilt, weil er mit seiner Gedankenwelt völlig verkehrte Grundsätze angegeben hat. Und mit diesen völlig verkehrten Ansätzen verursachen wir heute Armut,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Wir verursachen die nicht.)

Armut per Gesetz von Jung bis Alt.

Ich bitte, dass Sie sich Frau Regine Lücks Ausführungen noch anhören und unseren Antrag annehmen. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Herr Schulte von der Fraktion der SPD.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Frau Kollegin Müller, der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE hätte die Chance eröffnet, über gravierende Probleme unserer heutigen Gesellschaft und die sicher unterschiedlichen Lösungsansätze zwischen den verschiedenen demokratischen Fraktionen auch in diesem Parlament zu diskutieren.

(Irene Müller, DIE LINKE: Dann tun wir es!)

Materielle Armut, soziale Nöte und die Fragen einer chancengleichen Entwicklung für alle Kinder von Geburt an, so, wie es Ihr Antrag formuliert, sind Punkte, auf die – und da bin ich dann ganz bei Ihnen und Ihrer Fraktion – die Menschen gerade in einem grundsätzlich reichen Land, wie es die Bundesrepublik Deutschland ist, eine Antwort erwarten können.

Gerade in einer Gesellschaft, die zu den reichsten der Welt gehört, ist die Frage, wie wir mit den Menschen umgehen, denen es wirtschaftlich und finanziell schlechter geht, auch eine Frage nach der Dimension der sozialen Gerechtigkeit in einer Gesellschaft.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist eigentlich ein Spiegelbild dafür.)

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gerade dann sollte man eine solche Debatte sachlich und nicht vor dem Hintergrund, in dem Getöne irgendwelcher Landtagswahlen führen.

Meine Damen …

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Ja, Frau Müller, ich komme noch dazu.

Meine Damen und Herren, Hartz IV ist weder Armut per Gesetz, noch ist es die Erfolgsgeschichte, die der eine oder andere gerade in der SPD zu Beginn der Reform erhofft hatte. Hartz IV ist, zumindest aus Sicht meiner Fraktion, die unzureichende finanzielle Absicherung einer Vielzahl von Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Also doch Armut per Gesetz.)

Hartz IV ist, unter dem Gesichtspunkt des Förderns und Forderns, der Anspruch an den Einzelnen, aber doch auch an die Gesellschaft, den Einzelnen schnellstmöglich wieder in Arbeit zu bringen. Und, meine Damen und Herren, bevor Sie sich jetzt vorschnell aufregen, Frau Kollegin Müller,

(Irene Müller, DIE LINKE: Was ist der Unterschied zwischen unzureichender Ausstattung und Armut? – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

warten Sie noch einen Moment! Ich werde auf diesen Punkt auch noch näher eingehen.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Hartz IV ist auch – die gestrige Aktuelle Stunde hat es noch einmal verdeutlicht – der in der Ausrichtung richtige Ansatz gewesen, die zu betreuenden Langzeitarbeitslosen aus einem Dschungel der verschiedenen Zuständigkeiten zu befreien und einen einzigen Ansprechpartner einzusetzen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen: Wir müssen gemeinsam alle unsere Anstrengungen darauf richten, eine echte Leistungserbringung aus einer Hand zu erhalten. Wer jetzt das Rad der Geschichte zurückdrehen und trotz aller wohlmeinenden Verschleierung zu einer getrennten Aufgabenwahrnehmung zurückzwingen will,

(Irene Müller, DIE LINKE: Das habe ich nicht gesagt.)

der macht Politik auf dem Rücken der Arbeitslosen, ihrer Angehörigen und der Tausenden von Mitarbeitern in den Argen und auch in den Optionskommunen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Das steht in unserem Antrag auch nicht drin.)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor ich mich insbesondere der Situation von Kindern und Jugendlichen zuwende, erlauben Sie mir, wie ich das eben ja auch schon angekündigt habe, noch mal auf den Gesichtspunkt „Fördern und fordern“, also die Vermittlung in Arbeit einzugehen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Ja, da hat Frau von der Leyen recht.)

Meine Damen und Herren, „Fördern und fordern“, so wurde einmal zu Beginn der Reform das Herzstück der Reform genannt. Und Menschen so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, daran ist auch heute noch nichts Falsches. Aber …

(Irene Müller, DIE LINKE: Ja, ja, der Herzinfarkt ist aber deutlich. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen – und ich will da jetzt auch gar nicht auf irgendwelche Stammtischparolen aus den letzten Tagen und Wochen eingehen –, wir müssen auch konstatieren fünf Jahre nach der Reform, dass der eine oder andere mit dem Fordern gegenüber den Arbeitslosen relativ schnell bei der Hand ist, dass Fördern aber immer noch, und das will ich mal freundlich ausdrücken, verbesserungsbedürftig ist.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Sehr verbesserungsbedürftig.)

Meine Damen und Herren, wer arbeitslos ist und insbesondere wer länger arbeitslos ist, braucht eine verlässliche Betreuung, eine gute und effektive Beratung und vor allem doch realistische Angebote, die erst eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Dort, wo es erforderlich ist, muss die Betreuung der Arbeitslosen bei Umschulung und Fortbildung besser und die Vermittlung effizienter auf den einzelnen Arbeitslosen zugeschnitten werden. Und das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist vielleicht auch eines der ersten Ziele, die man bei einer Reform der Hartz-IV-Gesetzgebung dann aufgreifen muss. Das bedeutet natürlich auch, dass man die Beschäftigten in den Jobcentern tatsächlich in die Lage versetzen muss, sich so um ihre Kunden zu kümmern, dass überhaupt die Chance für eine erfolgreiche Integration besteht.

Das bedeutet aber auch – und Sie wissen, dass ich diese Auffassung in diesem Hohen Haus in der Vergangenheit schon wiederholt geäußert habe –, dass dort, wo in der Perspektive keine Chance auf eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt besteht, Alternativen geschaffen werden müssen. Das ist übrigens nicht nur im Interesse der Arbeitsuchenden, denn Menschen, die arbeiten dürfen, sind nachweisbar glücklicher als Menschen, die ohne Arbeit dastehen. Es ist auch im Interesse der Gesellschaft, wenn diejenigen, die mit der Hilfe der Gesellschaft ihr finanzielles Auskommen sichern, im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Gesellschaft eine sinnvolle Gegenleistung erbringen.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen den Anfängen wehren und gerade Kindern von Langzeitarbeitslosen bereits frühzeitig eine angemessene Unterstützung zukommen lassen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Wo denn?)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zwar dreht sich soziale Gerechtigkeit nicht nur um Einkommen, sondern auch um Zugang zu Bildung, um Gesundheit und um ein verlässliches soziales Netz, aber ausreichende finanzielle Mittel, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sind häufig jeweils die erste Zugangsvoraussetzung dafür. Und deswegen dürfen wir Jugendliche, die beim Übergang von der Schule in den Beruf Schwierigkeiten haben, gerade in dieser besonderen Situation nicht allein lassen, sondern müssen ihnen vielmehr dort, wo es nötig ist, rechtzeitig unter die Arme greifen. Ich nenne zum Beispiel das, was wir hier im Land machen, das Beispiel der Produktionsschulen. Und wir müssen natürlich auch für eine angemessene finanzielle Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in den sogenannten Hartz-IVFamilien Sorge tragen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser Stelle nicht dem Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Berechnung der Regelsätze für Kinder vorgreifen, aber ich bin mir sicher, dass wir in absehbarer Zeit eine grundlegende Veränderung sowohl im Hinblick auf die Höhe als auch die Berechnung der Regelsätze für Kinder haben werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon entsprechende Signale gegeben. Und jeder, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der jetzt, nur weil er im Landtagswahlkampf steht, laut aufschreit und diesbezügliche Änderungen einfordert, zeigt damit nur eins, nämlich dass der Zug längst schon an ihm vorbeigerauscht ist.

Dass ich darüber hinaus im Zusammenhang mit der Unterstützung von Kindern die klare Auffassung vertrete,

dass zum Beispiel Kindergeldzahlung grundsätzlich nicht als Einkommen bei Leistungsempfängern zur Anrechnung kommen sollte,