Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Wo liegt nun die Lösung der von mir angesprochenen Probleme? Dazu gibt es von den Vereinen und Verbänden wie dem Richterbund, der Neuen Richtervereinigung oder der Fachgruppe ver.di unterschiedliche Konzepte, aber es gibt auch ein Konzept, das in der Landesregierung Hamburg zurzeit umgesetzt wird. Hamburg wird regiert von CDU und Bündnis 90/Die Grünen.

(Vincent Kokert, CDU: Ja.)

Alle Konzepte verbindet ein Ziel, eine enthierarchisierte und demokratische Selbstverwaltung zu schaffen. Und sie kommen zu einem Ergebnis: Nimmt man den Rechtsstaat ernst, muss man eine tatsächliche Gewaltenteilung schaffen. Das bedeutet die Schaffung einer demokratischen Justizstruktur, in welcher die richterliche Unabhängigkeit gefördert wird. Zu den Vorschlägen gehört die Schaffung von Justizräten, dem Justizverwaltungsrat und dem Obersten Richterrat, die an dieser Stelle genannt sein sollen. Und auch das sei gesagt, selbstverständlich geht es in erster Linie um die Einbeziehung der Gerichte vor Ort.

Meine Damen und Herren, wir sind fest davon überzeugt, dass wir diese Frage gemeinsam im Europa- und Rechtsausschuss verbunden mit einer Anhörung diskutieren sollten. Mit einer angemessenen Diskussion und auch gemeinsamen Festlegungen werden wir in der Lage sein, hier in Mecklenburg-Vorpommern zur Sicherung des Rechtsstaates und zur Schaffung von demokratischen Strukturen Veränderungen vorzunehmen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Borchardt.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Kuder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen und in der Pressemitteilung ist es ja auch bereits erfolgt, das wird Sie auch nicht verwundern, halte ich die bestehende Form der Justizverwaltung für die am besten geeignete Form,

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Genau, Frau Ministerin, wir auch.)

um den verfassungsrechtlich gesicherten Justizgewährleistungsanspruch zu erfüllen. Die deutsche Justiz ist in Umfragen zum Vertrauen und objektiv messbaren Erledigungsdaten auch im internationalen Vergleich konkurrenzfähig und hoch angesehen.

Die Justiz in Deutschland ist hochmodern ausgestattet, die Entscheidungen sind auf qualitativ höchstem Niveau. Wir sind im europäischen Vergleich bei allen Untersuchungen auf den Spitzenplätzen. Wir stehen keineswegs vor dem vielfach beschriebenen Kollaps. Die bestehende Form der Justizverwaltung mit einem Justizministerium als auch für die personelle und sächliche Ausstattung der Gerichte zuständige oberste Dienstbehörde mag zwar ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten an der einen oder anderen Stelle haben, ich halte es aller

dings für verfehlt, zu glauben, dass mit einer Selbstverwaltung der Gerichte alles besser würde. Die Richter müssen unabhängig sein, das ist der Grundpfeiler unseres Rechtsstaates.

Richterliche Unabhängigkeit bedeutet aber nicht, dass sich die Gerichte selbst verwalten müssen. Die Aufgabe der Richter ist vordringlich die Rechtsprechung und nicht die Verwaltung.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Als Institution würde ein sich selbst verwaltendes Gericht nach meiner Überzeugung bereits nach kurzer Zeit nicht nur Objekt, sondern – und das ist das Entscheidende – auch selbst Teilnehmer justizpolitischer Auseinandersetzungen werden, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen gegenüber den anderen Akteuren im politischen Spannungsfeld, den Parteien, Fraktionen und der Landesregierung und zum anderen wären aber auch interne Auseinandersetzungen bei der Ressourcenverwaltung, Verteilung unter den Gerichtsbarkeiten, zu befürchten.

Wer bitte, Frau Borchardt, wenn nicht die Justizministerin, soll die finanziellen Interessen der Justiz in der Landesregierung wahrnehmen? Die Entscheidung über den Haushalt und somit über die finanziellen Zuweisungen für die Justiz werden im Kabinett getroffen, in dem eine Justizministerin sitzt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Die sind an die Kabinettsdisziplin gebunden.)

Die Regierungsfraktionen entscheiden in ihren Klausurtagungen über die Haushaltsentwürfe. Und bei all diesen Gesprächen wäre kein Mitglied der Selbstverwaltungsgremien dabei, sie bekämen nicht einmal die notwendigen Informationen. Eine ordentliche Interessenvertretung kann nur am Kabinettstisch der Landesregierungen durch eine Justizministerin oder einen Justizminister erfolgen, denn diese haben aufgrund ihrer politischen Verantwortlichkeit ein vitales Interesse am Wohlergehen der gesamten Justiz.

Im Verteilungskampf um die knappen öffentlichen Mittel müsste das Selbstverwaltungsgremium praktisch neben dem vom Kabinett verabschiedeten Haushaltsplanentwurf seinen eigenen Entwurf nicht nur in die parlamentarische Beratung einbringen, da frage ich mich schon, wie das gehen soll, sondern in Abgrenzung zu den haushaltspolitischen Prioritäten des Haushaltsplanentwurfes der Landesregierung und des Parlaments – bei Gesamtausgaben mit einem Zuschussbedarf im dreistelligen Millionenbereich ein ehrgeiziges Vorhaben. Eine solche Justiz, die selbst im politischen Spannungsfeld die von ihr für notwendig erachteten Haushaltsmittel einfordern müsste, geriete zudem über kurz oder lang unter einen erheblichen politischen Erwartungsdruck. Ein solcher Druck wäre nach meiner Überzeugung der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit der Richter als dritte Gewalt dem demokratischen Rechtsstaat abträglich. Jede politische Einflussnahme von den Richtern fernzuhalten, halte ich für eine der vordringlichen Aufgaben der Justizverwaltung.

Die parlamentarische Verantwortung der Justizministerin als Mitglied der Landesregierung schützt die Justiz einerseits in ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit vor politischen Angriffen, andererseits trägt die Justizministerin die politische Verantwortung gegenüber dem Landtag für ihre Personal- und Sach

entscheidungen und schützt die Justiz auch insoweit in ihrer Unabhängigkeit. Diese Personalverantwortung ist es auch, die die Gewähr für die verfassungsrechtlich geforderte Bestenauslese bietet. Ich befürchte, dass mit der Selbstverwaltung und mit der vorgeschlagenen Gremien verantwortung justiz- und verbandspolitische Einflussnahmen auf die Personalentscheidungen zunehmen und die verfassungsrechtlich geforderte Bestenauslese auf der Strecke bleiben wird.

Während ich als Ministerin im Ernstfall persönlich für personelle Fehlentscheidungen politisch geradestehen muss, können Sie bei einer Gremiumsentscheidung niemanden zur Verantwortung ziehen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ganz richtig. – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Dies dürfte nicht im Interesse des Parlaments sein. Die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter, die bereits jetzt durch ein engmaschiges gesetzliches Netz abgesichert ist,

(Egbert Liskow, CDU: Hört, hört!)

ich denke vor allem an die Unversetzbarkeit der Richter, die Zuständigkeit der Präsidien für die Geschäftsverteilung, die Verteilung der Präsidialräte und die Einrichtung von Klagemöglichkeiten in Konkurrentenverfahren, würde durch die zur Diskussion gestellten Mitwirkungsmodelle im Ergebnis nicht gestärkt werden.

Dennoch: Sobald ich es politisch verantworten kann, bin ich bestrebt, die Eigenverantwortung der Gerichte im Rahmen des bewährten Systems zu stärken. Als Beispiel möchte ich hier die IT-Fachanwendungen nennen, über deren Einsatz maßgeblich bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften entschieden wurde und über deren Organisation vor Ort entschieden wird. Zudem bereite ich gerade eine Verwaltungsvorschrift vor, aufgrund derer die Personalverantwortung für den gehobenen Justizdienst, die bisher in meinem Hause lag, auf die Präsidenten und die Präsidentinnen der Obergerichte und den Generalstaatsanwalt übertragen wird.

Soweit Sie auf andere europäische Länder verweisen, nur Folgendes: Mir sind keine europäischen Selbstverwaltungsstrukturen bekannt, die zu einer erhöhten richterlichen Unabhängigkeit oder zu einer messbaren besseren Ausstattung der jeweiligen Justizbehörden geführt haben.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist aber eine schöne Ausrede. – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Ob zum Beispiel Italien oder Ungarn als Vorbild für eine Weiterentwicklung der auf dem Boden des Grundgesetzes entwickelten Organisation der Justiz in Deutschland dienen sollen, diese Frage muss gestellt und beantwortet werden, will man Ihren Vorschlägen folgen. Ich vermag die Notwendigkeit einer Selbstverwaltung der Gerichte nicht zu erkennen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dankert von der Fraktion der SPD.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Borchardt, ich gebe zu, dass ich wahrscheinlich unter den Sprechern hier derjenige mit der geringsten juristischen Vorbelastung bin, auch was die Zeit und dieses Thema anbelangt, aber im Lesen Ihres Antrages kam mir spontan folgende Regung: Was soll das? Nun habe ich inzwischen ja auch gelernt, dass es eine lange Diskussion ist, und zwar seit 1953, da war ich gerade erst zwei Jahre alt. Offensichtlich ist die Diskussion genauso grau wie mein Bart jetzt. Wir wollen aber versuchen, uns dieser Diskussion ernsthaft zu nähern. Frau Kuder hat dazu bereits eine ganze Menge gesagt.

In Ihrem Antrag wird behauptet, dass die Richter entgegen der Festlegungen im Grundgesetz noch nicht vollends unabhängig und nicht nur dem Gesetz unterworfen seien. Die hinter diesem Antrag stehende Diktion, dass die Justiz in Deutschland – und Sie sagten es – derzeit lediglich ein „Wurmfortsatz der Justizverwaltung“ ist, ist nach meiner Meinung genauso unsachlich wie unzutreffend.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig.)

Natürlich sind die Richter vor politischer Einflussnahme zu schützen und die Unabhängigkeit ist zu gewährleisten. Ihr Antrag suggeriert aber ein wenig das Gegenteil. Ich sage klar und deutlich: Die Justiz in Deutschland ist unabhängig, aber das war nicht immer und überall so. Die deutsche Justiz steht gut da, was Leistung und Qualität der Rechtsprechung anbelangt. Die Industrie und die Wirtschaft sehen die Justiz in der Bundesrepublik als einen wichtigen Standortfaktor.

Grundsätzlich kann man dem Gedanken der Selbstverwaltung positiv entgegenstehen. Aber warum fielen mir denn bei dem Thema gleich die Kassenärztliche Vereinigung oder die IHK ein? Alles selbstverwaltete Systeme, die durchaus mit Schwierigkeiten kämpfen, wo man gewisse Prozesse auch hinterfragen kann, insbesondere bei den Budgets bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Welche Berufsgruppe überwiegt da, welche nicht? Wer kämpft da gegen wen? Ich sage ja nur, was mir eingefallen ist. Ich will keinem zu nahe treten, aber das sind Gedanken, die mir gleich durch den Kopf gingen.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Aber eine richtige Gewaltenteilung ist es nicht.)

Wichtig ist, dass die Justiz Recht spricht, dass sie die Freiheit hat, Recht zu sprechen, dass sie sich um die Menschen kümmert, die vor Gericht Recht suchen.

Auch auf die ganzen Probleme, die dann entstehen würden, wenn sie sich selbst verwalten, ist Frau Ministerin Kuder eingegangen. Ich möchte jedoch noch einige Fragen hinzufügen: Wie werden die Budgetverantwortungen aufgeteilt werden? Wer würde für die Gerichtsbarkeit zielübergreifende Entscheidungen treffen?

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Wie würden Belastungsunterschiede bei den Gerichtsbarkeiten ausgeglichen und so weiter und so fort?

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Dann kommt noch hinzu, dass Sie möchten, dass die Staatsanwälte in die Justizverwaltung einzubeziehen sind. Gerade die unterschiedliche und besondere Stellung dieser beiden Behörden würde dann in einer zusammengeführt werden. Das ist für mich sehr schwer nachzuvollziehen, das sage ich ganz offen.

Selbstverwaltung ist eben kein Selbstzweck, bei allen Bemühungen um eine bessere Struktur und Qualitätsverbesserung in der Justiz – die Ministerin hat ja gesagt, was getan wird –, es stehen in erster Linie, und das sagte ich vorhin schon mal kurz, die Rechtsuchenden im Mittelpunkt. Eine ergebnisoffene Prüfung ist gerade daher nicht zu befürworten. Auch dem Hinweis, dass sich fast im gesamten europäischen Ausland die Justiz selber verwaltet, ist mit Skepsis zu begegnen. Eine unkritische Übernahme ausländischer Modelle verbietet sich.

Machen die Selbstverwaltungsstrukturen, die Sie andenken, die Justiz tatsächlich unabhängiger und für den Bürger qualitativ besser, schneller und effektiver? Ein Blick auf die in der Diskussion genannten vermeintlichen Vorbilder Italien und Spanien lässt deutlich Zweifel aufkommen. Den vorliegenden Antrag lehnt die SPDFraktion ab.

Danke, Herr Dankert.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Leonhard von der Fraktion der FDP.