Protokoll der Sitzung vom 06.10.2022

Für die Fraktion DIE LINKE hat nun das Wort der Abgeordnete Henning Foerster.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die von der CDU beantragte Aussprache zu diesem Thema ist so wenig überraschend wie originell, denn seitdem die Pläne der Ampel für ein Bürgergeld bekannt wurden, haben sich dazu ja verschiedenste Unionspolitiker zu Wort gemeldet. Und ich muss ehrlich sagen, an den Dingen, die da im Geiste schwarzer Pädagogik so zum Besten gegeben wurden, kann man sich geradezu Hände und Füße wärmen.

So forderten Vertreter des CDU-Wirtschaftsflügels unter anderem ja auch eine Arbeitspflicht für Hartz-IVEmpfänger. Der Regelsatz solle die Gegenleistung für die Verpflichtung zu kostenloser gemeinnütziger Tätigkeit sein, und wer sich weigere, dem müssten die Hartz-IVLeistungen konsequent gestrichen werden. Ferner sollten die Einschränkungen für Leiharbeit zurückgenommen und die Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn erweitert werden.

Schon diese Vorschläge sind ehrlich gesagt ein Griff in die Mottenkiste. Dahinter steckt der in den USA sehr populäre sogenannte Workfare-Ansatz, will heißen, Sozialleistungen nur gegen Arbeit. Diese Idee, importiert, hübsch verpackt und ergänzt um die auch hierzulande gern demonstrativ zur Schau getragene Sorge um die arbeitende Mitte, klingt auf den ersten Blick vielleicht

plausibel, aber wer sich mal näher damit befasst, der erkennt sehr schnell, dass dieser faktische Arbeitszwang zumindest die Gefahr birgt, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verdrängt werden, indem man die so Beschäftigten ganz legal durch zum Arbeitsdienst verpflichtete Grundsicherungsempfänger ersetzt.

(Zuruf von Daniel Peters, CDU)

Und Letztere würden dann zu Beschäftigten ohne Arbeitnehmerrechte, deren Lohn, die Grundsicherung, auch noch vom Staat bezahlt wird. Aus meiner Sicht also eine Sackgasse.

Zur tatsächlichen Wirkung der Sanktionen gibt es inzwischen übrigens die erste wissenschaftliche Langzeitstudie. Sie wurde vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung Berlin, kurz INES, durchgeführt, und demnach verfehlen die Sanktionen die von der CDU so gern behauptete Wirkung deutlich, denn anstatt Menschen nachhaltig in Arbeit zu bringen, haben Kürzungen der Grundsicherung bei Verstößen gegen Auflagen der Jobcenter einen einschüchternden Effekt und können bei den Betroffenen sogar Krankheiten verursachen. Den Kontakt mit den Jobcentern empfinden die im Rahmen der Studie „Hartz Plus“ Befragten größtenteils als hinderlich statt als unterstützend.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, besonders perfide war die von Ihrem MdB Carsten Linnemann angestoßene Debatte um eine Heizkostenobergrenze für Hartz-IV-Empfänger. Erst wollte selbiger offenbar den Eindruck erwecken, alle Grundsicherungsempfänger würden in der aktuellen Energiekrise nun die Heizungen bei offenem Fenster auf volle Pulle drehen, und dann legte er noch mal nach, indem er seinen Vorstoß tränenreich mit den Millionen Beschäftigten rechtfertigte, die täglich um 06:00 Uhr aufstehen und arbeiten gehen würden. Hier werden Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger gegen Beschäftigte ausgespielt, und das lehnen wir mit Nachdruck ab.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Realität hat das Bild vom faulen, die Energie verprassenden Hartz-IV-Bedürftigen ohnehin wenig zu tun, denn die Kolleginnen und Kollegen der CDU übersehen bei all ihrer Polemik gegen das Bürgergeld der Ampel, dass es schon heute ganz klare Grenzen gibt. Nicht nur für die Miete, sondern auch für Heizkosten gilt, dass sie nämlich angemessen sein müssen, und anders als inzwischen vielfach kolportiert, können Hartz-IV-Bedürftige ihre Heizung daher gerade nicht volle Pulle ballern lassen. Einen bundeseinheitlichen Richtwert zu den Heizkosten gibt es nicht, daher greifen die Jobcenter in der Regel auf den örtlichen Durchschnitt zurück. Leistungsempfänger, die mehr heizen und mehr Energie verbrauchen, sehen sich daher ganz schnell mit einer Kostensenkungsaufforderung konfrontiert. Augenblicklich hat man dafür dann sechs Monate Zeit, um seine Heizkosten zu reduzieren, und danach werden tatsächlich nur noch die angemessenen Kosten übernommen.

(Zuruf vonseiten der Fraktion der CDU: Das ist auch richtig so.)

Meine Damen und Herren, fallen wir also nicht auf die Polemik der CDU herein, die offensichtlich immer noch

berauscht von ihrem ersten Bundesparteitag in Präsenz nach zwei Corona-Jahren ist! Versuchen wir es besser mit einer sachlichen Einordnung des Reformvorhabens!

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Auch ich habe mir natürlich die Frage gestellt, was ist das Bürgergeld nun, einfach nur ein neues Etikett für das alte Hartz-IV-System oder etwas substanziell Neues. Eines scheint mir jedenfalls klar zu sein: Auf dem Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen, das die Arbeitsmoral untergräbt, wie es Teile der CDU und auch einige Vertreter von Arbeitgeberverbänden unken, sind wir tatsächlich nicht. Ich bin da eher bei meinen Kolleginnen und Kollegen vom DGB. Die sehen das Ganze wie folgt, und das möchte ich gern zitieren:

„Zur Bewertung des Bürgergeldes bietet es sich an, das Hartz-IV-Elend zu vergegenwärtigen. Hartz IV schürt massive Ängste vor sozialem Abstieg: Ersparnisse müssen vorab aufgebraucht werden und es droht gar der Verlust der vertrauten vier Wände. Bei dem Bürgergeld sollen in den ersten beiden Jahren des Leistungsbezugs Ersparnisse“ künftig „geschützt sein und die tatsächlichen Wohnkosten immer in voller Höhe erstattet werden. Dies stärkt das sozialstaatliche Sicherheitsversprechen substanziell. Verbesserte Förderangebote sollen die Arbeitslosigkeit beenden, bevor die schärfere Bedürftigkeitsprüfung greift.“

Dem kann ich nur zustimmen. Das gilt gleichermaßen für die Aussagen zu einem der Kernprobleme, der schon angesprochenen extremen Machtasymmetrie zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten, denn Letztere fühlen sich oft gegängelt und weitgehend entmündigt. Es fehlt an Mitspracherechten. Stattdessen überwiegt oft die Angst, dass die Jobcenter Fördermaßnahmen wie das x-te Bewerbungstraining verordnen, die nicht wirklich weiterhelfen, oder dass die Vermittler Stellenangebote ausschließlich im Helfer- und somit im Niedriglohnbereich unterbreiten.

(Zuruf aus dem Plenum: Das ist verwerflich, oder was?)

Insofern ist es ein Fortschritt, dass mit dem Bürgergeld die Eingliederungsziele künftig im Einvernehmen mit den Leistungsbeziehenden ausgehandelt werden sollen und vor allen Dingen auch, dass Weiterbildungsmaßnahmen, die tatsächlich neue Perspektiven schaffen, der schnellen Vermittlung, Herr Kollege, vorgezogen werden sollen – schnelle Vermittlung in prekäre Beschäftigungsverhältnisse, muss ich vielleicht noch präzisieren an der Stelle.

Insofern gibt es gute Ansätze, die auch aus linker Sicht in die richtige Richtung gehen, doch wo Licht ist, gibt es wie immer auch Schatten. Um das Hartz-IV-System tatsächlich zu überwinden, müssten auch die Zumutbarkeitsregelungen entschärft und an guter Arbeit ausgerichtet werden.

(Zuruf von Daniel Peters, CDU)

Sozialversicherungspflichtige und mindestens ortsüblich entlohnte Arbeit müsste zwingend stärker im Mittelpunkt stehen. Und zudem sollte wieder ein zumindest temporärer Qualifikationsschutz eingeführt werden. Dann müssten die Jobcenter ihre Klienten für einen bestimmten Zeitraum entsprechend dem Niveau des erworbenen Ab

schlusses vermitteln. Und in Verbindung mit verbesserten Weiterbildungsangeboten würde man so nämlich Aufstiegsmobilität fördern, prekäre Beschäftigung träte stärker in den Hintergrund.

Und auch wenn die CDU-Fraktion hier einen anderen Eindruck erweckt hat, gibt es zumindest nach meinem Kenntnisstand bisher keinen Konsens in der Ampel, auf die ins Existenzminimum eingreifenden Sanktionen dauerhaft und in Gänze zu verzichten. Auch die Ministerin hat dazu ausgeführt.

(Daniel Peters, CDU: Ja.)

Es gilt im Moment ein Sanktionsmoratorium,

(Zuruf von Daniel Peters, CDU)

was die Sanktionen noch bis Mitte nächsten Jahres aussetzt, und dann greifen die hier schon mehrfach thematisierten Regelungen wieder.

Die angekündigte kooperative Arbeitsweise und die von den Gewerkschaften geforderte Neugestaltung der Zumutbarkeitsfrage würden die Sanktionspraxis zwar weitgehend entschärfen, denn wenn die Teilnahme an Fördermaßnahmen freiwillig wäre und Stellenangebote passgenauer angeboten würden, entfielen natürlich viele Sanktionsanlässe, ich bleibe aber dabei, aus linker Sicht wäre die vollständige Abschaffung der Sanktionen der bessere und der konsequentere Schritt.

(Zurufe von Daniel Peters, CDU, und Marc Reinhardt, CDU)

Meine Damen und Herren,

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Mann, Mann, Mann!)

Hartz IV bedeutet für die Betroffenen bislang ein Leben in Armut und Ausgrenzung. Mit Ausnahme der Alleinerziehenden mit jungen Kindern liegt nämlich das Hartz-IVNiveau bei allen Haushaltskonstellationen unter der offiziellen Armutsrisikogrenze.

(Zuruf von Daniel Peters, CDU)

Armut wird nicht vermieden, sondern zementiert. Die materielle Not wird durch die aktuelle Inflation von zehn Prozent noch einmal deutlich verschärft. Von daher ist auch die von der CDU inszenierte Empörung über die Anhebung der Regelsätze auf künftig 502 Euro völlig unangemessen. Sozialverbände haben ebenso wie die Gewerkschaften und meine Fraktion lange vor der Energiekrise darauf hingewiesen, dass eine Neuermittlung der Regelsätze ebenso notwendig ist wie perspektivisch auch deren Erhöhung auf ein armutsfestes Niveau, denn erst, wenn das gelungen ist, dann kann man tatsächlich von einer Überwindung des Hartz-IV-Systems sprechen. Ansonsten bleibt es eine eher kleine Reform, die zwar einige Weichen richtig stellt, ohne jedoch das Problem dauerhaft zu lösen.

Und abschließend noch eine Bemerkung zum Thema Integration in Arbeit, insbesondere für Langzeitarbeitslose. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU, wollen, dass mehr Betroffene wieder am Arbeitsmarkt Fuß fassen und ihr eigenes Geld verdienen,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

dann helfen Sie doch dabei mit, dass die Ankündigungen der Ampel, die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit um 609 Millionen Euro zu kürzen, nicht Realität werden! Das wäre dann zur Abwechslung mal ein konstruktiver Ansatz. Ihre Polemik auf dem Rücken von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern, die hilft uns leider nicht weiter. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort die Abgeordnete Anne Shepley.

(Zuruf von Daniel Peters, CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Liebe CDU! Allein der Titel der Aussprache ließ erahnen, in welche Richtung die heutige Debatte gehen wird und wie Sie beharrlich an etwas festhalten, was nun endlich nach so vielen Jahren der Vergangenheit angehört.

(Marc Reinhardt, CDU: Noch nicht.)

Das System Hartz IV wird mit dem Bürgergeld überwunden und die Kultur in den Jobcentern wird sich nun endlich verändern.

(Daniel Peters, CDU: Wer hats eingeführt? Rot-Grün!)

Hartz IV als Symbol des Abgehängtseins, als Angstsystem und die Wahrnehmung des Staates als Bedrohung

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: War Ihr System, hat er doch gerade gesagt.)

und nicht als Unterstützerin kann nun endlich überwunden werden.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)