Protokoll der Sitzung vom 06.10.2022

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

sehr geehrte Damen und Herren, Mecklenburg-Vorpommern hat sich in den vergangenen 32 Jahren gut entwickelt. 1991 betrug das Bruttoinlandsprodukt in M-V 14 Milliarden Euro, 2021 waren es mehr als 49 Milliarden Euro. Die

Arbeitslosigkeit betrug 2005 fast 26 Prozent, heute sind es 7,6 Prozent, trotz Pandemie, trotz Krise.

(Enrico Schult, AfD: Die Hartz-IV-Empfänger wurden rausgerechnet.)

Auch die Löhne sind gestiegen, wenn auch zugegebenermaßen noch nicht auf das Niveau, das wir uns, glaube ich, alle wünschen. Aber erst vor einigen Tagen ist der neue Mindestlohn in Höhe von 12 Euro in Kraft getreten, eine Untergrenze, von der ganz viele Menschen hier in Mecklenburg-Vorpommern profitieren. Rund 196.000 sind das, Berufstätige, die von dieser Untergrenze auch profitieren. Und es bleibt unser Ziel, dass es mehr Tarifbindung für bessere Löhne in M-V gibt. Der Wirtschaftsminister arbeitet gerade an einem Tariftreuegesetz. Das wird uns auch auf diesem Weg weiterbringen.

Ja, und auch bei den Renten gibt es noch Unterschiede. Das Rentenniveau liegt derzeit bei rund 97 Prozent, doch bis Juli 2024 – das ist erklärte, abgemachte Sache – wird die Angleichung erfolgen. Und wir haben die Grundrente – auch ein Thema, für das sich unsere Landesregierung sehr starkgemacht hat auf Bundesebene –, ein Instrument, die Grundrente, von der gerade wir hier in Ostdeutschland, gerade die Rentnerinnen und Rentner sehr stark auch profitieren.

Noch einmal: M-V hat sich in den letzten 32 Jahren gut entwickelt und das – auch noch mal – haben wir der Arbeit und dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu verdanken. Es darf deshalb nicht – und das war auch gestern schon das Thema –, es darf deshalb nicht sein, dass das, was die Menschen in den vergangenen 32 Jahren erarbeitet haben, erwirtschaftet haben, jetzt auf dem Spiel steht. Angesichts von Inflation und galoppierenden Energiepreisen erwarten die Menschen völlig zu Recht, dass die Politik sie in der Krise nicht alleinlässt und Lösungen dafür auch schafft.

Und – Sie haben es gestern in der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin ja alle auch gehört – die Landesregierung stellt sich dieser Aufgabe mit voller Kraft. Wir haben bereits im März und dann auch auf dem Energiegipfel die Energiepreisbremse gefordert, gemeinsam mit allen Beteiligten in diesem Bereich. Wir haben konkrete Maßnahmen vorgeschlagen auf Landesebene. Und unsere Ministerpräsidentin hat, wie Sie wissen, viele Wochen dafür gekämpft, auf Bundes-, aber auch auf europäischer Ebene, dass wir die Energiepreisbremse bekommen, und – wir wissen es seit einigen Tagen – das wird auch erfolgen. Sie hatte also Erfolg.

(Sebastian Ehlers, CDU: Klatschen!)

Dass die Menschen Sorgen haben und mit ihren Forderungen auf die Straße gehen, dafür habe auch ich großes Verständnis. Und wir als Landesregierung nehmen diese Sorgen sehr ernst. Und es ist wichtig, dass wir in diesen schwierigen Zeiten auch zuhören, auch darüber haben wir geredet. Ich sage nur, wir waren als Kabinett vor rund zwei Wochen in den Landkreisen unterwegs – Landesregierung vor Ort –, hören zu, die Ministerpräsidentin war auf den Demonstrationen. Dieser Dialog ist wichtig in diesen Zeiten. Und ja, wir müssen in diesen schwierigen Zeiten darauf aufpassen, dass unsere Gesellschaft nicht auseinanderdriftet, dass das Zutrauen zur Demokratie auch nicht weiter sinkt,

(Heiterkeit bei Michael Meister, AfD)

dass wir als Gesellschaft weiter zusammenhalten und uns eben nicht spalten lassen. Demokratie ist nicht selbstverständlich, sie muss jeden Tag neu mit Leben erfüllt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, am 22.09. wurde der Soziologe Steffen Mau in der „Zeit“ dazu befragt, ob wir seiner Meinung nach in einer gespaltenen Gesellschaft leben, und geantwortet hat er, und ich zitiere: „Wir leben in einer emotional aufgewühlten Gesellschaft mit vielen neuen Konflikten. Wir haben radikale Ränder. Aber deshalb ist unsere Gesellschaft noch nicht gespalten. Die meisten Leute gruppieren sich in der breiten Mitte.“ Unsere Demokratie ist also stabil – noch –, wenn man Steffen Mau folgt. Und so sind wir alle dafür verantwortlich, dass das auch so bleibt, gerade in dieser Zeit der Verunsicherung.

Lassen Sie uns also auf das Verbindende setzen, ohne dabei die Probleme aus dem Blick zu verlieren. Lassen Sie uns angesichts der großen Herausforderungen, die vor uns liegen, konstruktiv über Lösungen und Ziele diskutieren. Und an die Adresse des Antragstellers AfD sage ich: Hören Sie auf, aus kaltem taktischen Kalkül auf die Spaltung der Gesellschaft zu setzen!

(Thomas Krüger, SPD: So ist es.)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und Dr. Harald Terpe, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin!

Für die Fraktion der CDU hat das Wort der Abgeordnete Torsten Renz.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der AfD und CDU – Enrico Schult, AfD: Es ist eigentlich alles gesagt schon.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

(Horst Förster, AfD: Sagen Sie, dass die SPD zunächst gegen die Wiedervereinigung war!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir wird oft gesagt, man muss sich mit der AfD nicht auseinandersetzen. Meine Maxime ist immer wieder, ja, ich will mich mit Ihnen auseinandersetzen, ich will auf Ihre Argumente eingehen und ich will Sie inhaltlich in der Sache stellen. Das ist mein Anspruch, aber, Herr Förster, was Sie heute hier abgeliefert haben, das ist unsäglich, so will ich das mal formulieren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und René Domke, FDP)

Unter dem Titel „Deutsche Wiedervereinigung und gespalten – eine Bilanz“ – also zur deutschen Wiederverei

nigung haben Sie einen Alibisatz zu Beginn gesagt, ansonsten haben Sie ja schon in Ihrem Titel festgelegt, dass Ihre Zielrichtung oder Ihre Feststellung Spaltung ist und Sie daran weiterarbeiten wollen, aber an einer Bilanz haben Sie sich hier nicht beteiligt.

(Thomas Krüger, SPD: So ist es.)

Ich will Ihnen sagen, für mich ist die deutsche Einheit immer eine Herzensangelegenheit gewesen. Bei Ihnen habe ich mehr als Zweifel, dass es so ist,

(Zuruf von Jens Schulze-Wiehenbrauk, AfD)

allein schon, wie Sie hier Feststellungen getroffen haben, wie Sie argumentiert haben.

(Zuruf von Jens Schulze-Wiehenbrauk, AfD)

Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie hätten Ihren Auftritt, Ihr Thema nennen sollen „Spaltpilz Förster“ oder meinetwegen auch „Spaltpilz AfD“. Anders kann ich das, was Sie hier vorgetragen haben, nicht wahrnehmen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Dr. Harald Terpe, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin aus vollster Überzeugung aufgrund der deutschen Einheit – weil die CDU die Partei der deutschen Einheit ist – in die CDU 1998 eingetreten. Es hatte auch einen sehr persönlichen Hintergrund,

(Marc Reinhardt, CDU: Die Wahrheit gehört auf den Tisch.)

es hatte auch einen sehr persönlichen Hintergrund. Durch Flucht und Vertreibung wurde die Familie meines Vaters gespalten, und die wurde wirklich gespalten.

(Zuruf von Jens Schulze-Wiehenbrauk, AfD)

Sechs Kinder verlebten von 1945 bis 1989 ihren Teil der Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland, drei im Osten, so wie der Vater.

(Michael Meister, AfD: Das war in meiner Familie genauso.)

Unsere Familie hat immer die Kontakte gehalten über diese Zeit. Und ich habe mich ernsthaft gefragt und auch geguckt, wann sind Sie geboren, Herr Förster. 1942. Meine Onkel und Tanten, die sind etwas früher geboren, und ich habe mir die Frage gestellt, weil die meisten nicht mehr leben: Wie würden die heute so eine Rede wahrnehmen? Welche Einstellung haben die zu dem, was 1989 wiedervereint wurde? Wie würden sie Bilanz ziehen, persönlich, aber auch gesellschaftlich, wenn wir eine wirtschaftliche Bilanz ziehen? Wie haben sich Infrastruktur, Wirtschaftskraft entwickelt? Was ist mit der Arbeitslosigkeit? Sie ist gesunken. Das sind Dinge, die man aufführen kann, wenn es um Bilanz geht.

Man kann aber auch die Werte, die Einstellungen thematisieren. Und wenn Sie die Umfragen nehmen, dann ist es eben so, dass eine deutliche Mehrheit von 61 Prozent heute noch sagt, ja, die Erwartungen, die Hoffnungen mit der deutschen Einheit haben sich für mich erfüllt – 61 Prozent, im Jahre 2020 waren es 66 Prozent, dann ist

das sicherlich ein Wert, der gefallen ist. Ich selbst sage, das ist ein guter Wert, wenn man betrachtet, dass die Generation, von der ich eben gerade gesprochen habe, die Teilung erlebt hat und für die es sicherlich das Erlebnis war, das wiedervereinte Deutschland. Und das ist natürlich ganz logisch, dass viele von denen nicht mehr leben. Und dass trotzdem die Zustimmung im heutigen Deutschland mit der jungen, neuen Generation, die auch nach 1990 geboren wurde, trotzdem diesen Wert noch einnimmt, glaube ich, ist ein Wert, der gut ist und der mich positiv stimmt.

Und wenn ich jetzt aber Ihr Thema eigentlich aufgreifen will, was Sie darstellen wollen, dass wir ein gespaltenes Land sind, dann geht es doch sicherlich auch um die Tatsache, dass wir jetzt auch Zahlen haben, die uns nachdenklich stimmen sollten. Wenn nämlich im Osten von Deutschland nur noch 39 Prozent mit der Demokratie, so, wie sie hier jetzt in Deutschland stattfindet und funktioniert, sich identifizieren oder Zustimmung signalisieren – und Sie kennen die Werte, die wurden in den Zeitungen jetzt auch veröffentlicht, trotzdem, für den Zusammenhang ist es wichtig, das hier noch mal darzustellen –, wenn in Ostdeutschland die Werte von 2020 bis 2022 von 48 auf 39 Prozent gesunken sind und im Westen von 65 auf 59, dann gilt es, zumindest festzustellen, dass das ein Befund ist, dass in beiden Teilen Deutschlands die Zustimmung zu der Demokratie in dieser Art und Weise gesunken ist.

Und es ist auch klar, für mich jedenfalls, dass das was mit Biografien zu tun hat. Und wenn wir die Biografien sehen, gerade von uns, die hier gelebt haben und die auch das Alter hatten, das geistig wahrzunehmen und zu verfolgen, das heißt nicht nur sozusagen im Pionieralter bis zehn Jahre, sondern auch darüber hinaus, dass sie schon gesellschaftliche Prozesse wahrgenommen haben, dann ist es doch ganz klar, mit dem Umbruch von 1989, mit den Erwerbsbiografien, mit der Tatsache, dass viele ihre Arbeit verloren haben, dass sie aber auch geprägt waren durch ein sozialistisches System, durch eine Diktatur, auf der anderen Seite in der Bundesrepublik Deutschland eine freiheitlich-demokratische Grundordnung und nicht diese Verwerfungen, die die Leute hier in den neuen Bundesländern vollziehen mussten, dann ist es doch auch ganz klar, dass es dort Unterschiede gibt bei den heutigen Einstellungen und Einschätzungen zur Politik.

Und insofern stellt sich doch ganz klar die Frage, ob diese Reaktionen eine langfristige Ursache haben und eine Verfestigung darstellen oder ob es möglicherweise, wenn so eine Umfrage mit 4.000 Leuten – das ist ja der „Bericht zur deutschen Einheit“ – in einem Zeitraum im August stattgefunden hat, wo erneute extreme Herausforderungen auf die Menschen zugekommen sind, rückblickend vor paar Jahren, die Finanzkrise 2009, Corona in den letzten Jahren und jetzt diese Energiekrise mit Inflation et cetera, dann ist es doch ganz klar, dass diese Menschen im Osten von Deutschland andere Ängste vielleicht haben als Sie in Ihrer gesicherten Demokratie, in der Sie aufgewachsen sind, Herr Förster.

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

Und insofern habe ich ein, nicht nur ein Verständnis, sondern ich sehe das eher als eine Normalität, dass genau diese Menschen auf die Straße gehen und ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Und insofern muss man

an dieser Stelle sicherlich noch sagen, diese Herausforderungen werden nicht kleiner. Durch Abwanderung, durch die Geburtenrate, die auf 0,7 ging im Jahre 1990, werden wir weitere größere Herausforderungen, insbesondere im Osten Deutschlands, haben, was den Fachkräftebedarf betrifft. Und das hat Auswirkungen auf unser gemeinsames Zusammenleben. Und insofern wird es darauf ankommen, weil immer die Frage sich stellt, wo sind die Lösungen, es wird immer wieder darauf ankommen, die Menschen mitzunehmen, dass er sich eben nicht verfestigt, dieser Zustand, der auch möglicherweise – das weiß ich nicht genau – aufgrund des Umfragezeitraums vielleicht ein paar Prozentpunkte schlechter abgeschnitten hat oder ist.

Und insofern hat Politik die Verantwortung – auch das habe ich gestern schon mal gesagt –, zu entscheiden und zu erklären, insbesondere in der Krise, um die Menschen mitzunehmen, um eben einer Spaltung entgegenzuwirken. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Insofern, Herr Förster, sollten Sie noch mal sprechen, beantworten Sie doch mal die Frage: Wollen Sie in dieser bestehenden Demokratie mitgestalten?

(Beifall René Domke, FDP: Das ist richtig.)