Protokoll der Sitzung vom 25.01.2023

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 8/1742 zur federführenden Beratung an den Wissenschafts- und Europaausschuss sowie zur Mitberatung an den Wirtschaftsausschuss und an den Agrarausschuss zu überweisen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Vielen Dank! Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen sehe ich dann nicht.

(Zuruf von Hannes Damm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit...

(Zuruf von Marcel Falk, SPD)

Wir sind bitte in der Abstimmung und ich bitte um Ruhe!

Damit ist der Überweisungsvorschlag, der Überweisungsantrag mit Stimmen der Fraktionen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, CDU, bei Fürstimmen der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und Gegenstimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.

Der Gesetzentwurf wird gemäß Paragraf 48 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung spätestens nach drei Monaten zur Zweiten Lesung erneut auf die Tagesordnung gesetzt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern, auf Drucksache 8/1743.

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (Erste Lesung) – Drucksache 8/1743 –

Das Wort zur Einbringung hat die Abgeordnete Constanze Oehlrich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleg/-innen! Die Kindertagespflege leistet Großartiges bei der Förderung der Jüngsten unseres Landes. Kindertagespflege bedeutet die altersgemäße Förderung sowie individuelle Wahrnehmung aller Wesenszüge und Fähigkeiten von Kleinstkindern in einem familiären Umfeld. Die Kinder werden in Kleingruppen mit maximal fünf Kindern betreut und haben anders als in einer großen Kindertageseinrichtung eine einzige verlässliche betreuende Bezugsperson.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Förderung von Kindern in Kindertagespflegeeinrichtungen finden sich im Kindertagesförderungsgesetz, kurz KiföG. In diesem Gesetz hat das Verwaltungsgericht Schwerin nun eine Regelungslücke aufgetan, die nach Auffassung meiner Fraktion dringend geschlossen werden muss. Kindertageseinrichtungen wie Krippen, Kindergärten und Horte haben nach Paragraf 2 Absatz 9 KiföG die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit zu bieten. Eine vergleichbare Vorschrift gibt es für Kindertagespflegeeinrichtungen nicht. Aktuell ist es daher rechtlich nicht möglich, Rechtsextremist/-innen und anderen Demokratiefeind/-innen eine Tätigkeit als Kindertagespflegeperson zu versagen, ihnen also die entsprechende Erlaubnis zu verweigern oder zu entziehen.

Das ist aus Sicht meiner Fraktion nicht akzeptabel. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat mit Urteil vom 24. November 2022 einen Bescheid aufgehoben, mit dem der Landkreis Ludwigslust-Parchim der Klägerin Claudia K. die Erlaubnis zur Kindertagespflege untersagt hatte. Begründet hatte der Landkreis die Versagung der Erlaubnis sowohl mit den Aktivitäten des Ehemanns der Klägerin Torgai K. in der NPD als auch mit dem eigenen Engagement der Klägerin in der örtlichen rechtsextremen Szene.

Nach Auffassung des Landkreises stehe einer Tätigkeit der Klägerin als Tagesmutter entgegen, dass eine schädliche ideologische Einflussnahme auf die zu betreuenden Kinder nicht ausgeschlossen werden könne. Das Verwaltungsgericht Schwerin entschied jedoch, dass es keine gesetzliche Grundlage dafür gebe, von Kindertagespflegepersonen die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit zu verlangen. Weil das Verwaltungsgericht Schwerin den Bescheid des Landkreises Ludwigslust-Parchim aufhob, muss dieser nun erneut über den Antrag der Klägerin entscheiden.

Ziel der Förderung von Kindern in Kindertages- und Kindertagespflegeeinrichtungen ist nach Paragraf 1 Absatz 1 KiföG „die individuelle Förderung der Entwicklung eines jeden Kindes und dessen Erziehung zu einer eigenverantwortlichen gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Nach Paragraf 1 Absatz 2 KiföG erfüllt die Förderung von Kindern in Kindertages- und Kindertagespflegeeinrichtungen „einen eigenständigen alters- und entwicklungsspezifischen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag entsprechend der grundgesetzlich verankerten Werteordnung“.

(allgemeine Unruhe – Glocke der Vizepräsidentin)

Frau Abgeordnete, Entschuldigung, ich muss doch noch mal unterbrechen.

Der Geräuschpegel ist wirklich sehr hoch. Ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. Und hören Sie doch bitte der Rednerin zu! Deshalb sind wir hier. Vielen Dank!

Zu den Aufgaben der frühkindlichen Bildung gehört nach Paragraf 3 Absatz 1 Nummer 2 KiföG unter anderem die Vermittlung von Kompetenzen in „Werteorientierung und Religiosität“ sowie von „kultursensitiven Kompetenzen“. In der verbindlichen Bildungskonzeption des Sozialministeriums für 0- bis 10-jährige Kinder, die nach dem Paragrafen 3 Absatz 3 KiföG die Grundlage der individuellen Förderung der Kinder in der Kindertagesförderung darstellt, heißt es dazu, ich zitiere: „In der Kindertagesförderung lernen Kinder Werte und Ansichten kennen, die die familiären Moral- und Weltanschauungsvorstellungen erweitern, wodurch eine wichtige Funktion für unsere Demokratie übernommen wird. Interkulturelle und interreligiöse Kompetenz bedeutet heute, dass Kinder die Gelegenheit haben, Vielfalt bewusst wahrzunehmen und Diversität als bereichernden Lernimpuls zu erfahren.“

In der verbindlichen Bildungskonzeption des Sozialministeriums werden für die Kindertagesförderung hinsichtlich der Wertebildung unter anderem die folgenden Ziele definiert, ich zitiere: „Das Kind erfährt sich als angenommen und entwickelt ein Gefühl für seinen persönlichen Wert. … Verschiedenartigkeit wird als Lernimpuls wahrgenommen; die Vielfalt von und Respekt vor anderen Individuen, Nationen und Kulturen wird vermittelt. Das Kind entwickelt ein eigenes Wertesystem, das die Achtung vor dem Leben und der Würde jedes einzelnen Menschen zum Ziel hat.“ Zitatende.

Die Grundpfeiler rechtsextremer Kindererziehung stehen dazu in diametralem Widerspruch. Rechtsextreme Kindererziehung lässt sich, so die freie Journalistin Simone Rafael, als eine Mischung aus Rassismus, Antisemitismus, Xenophobie, Nationalismus, Homophobie, völkischem

Denken, soldatischen und militaristischen Idealen, der Verherrlichung des Nationalsozialismus, dem Führerprinzip und einer ablehnenden Haltung gegenüber den USA und dem Kapitalismus beschreiben. Danach werden Kinder zu Hass auf alles erzogen, was nicht dem – in Anführungsstrichen – „deutschen Volkskörper“ dient oder dessen als zugehörig definiert wird. Sie lernen, dass Menschen unterschiedlich viel wert sind und dass es deshalb in Ordnung sei, Menschen abzuwerten und zu verletzen. Die Bandbreite dieser Erziehung reicht von einer alltäglichen Hasssprache über Teilnahme am flüchtlingsfeindlichen Nein zum Heimweh-Muss bis hin zum Verbot von Freundschaften mit Kindern mit Migrationsgeschichte oder szeneinternem Mobbing gegen behinderte Kinder.

Die Sozialwissenschaftlerin Janna Petersen vom Verein Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern weist zudem auf eine Strategie hin, die wir sehr ernst nehmen müssen. Rechtsextreme Frauen engagieren sich verstärkt im sozialen, vermeintlich unpolitischen Bereich. Das ist gerade dort besorgniserregend, wo Neonazis mit Siedlungsprojekten versuchen, unter sich zu bleiben und lokal eine geschlossene rechtsdominierte Gesellschaft aufzubauen. Diesen Prozess beschreiben die Journalist/innen Andrea Röpke und Andreas Speit in ihrem Buch „Völkische Landnahme“. Dort wird auch erwähnt, dass Claudia und Torgai K. ihre Kinder zur Heimattreuen Deutschen Jugend schickten, die 2009 wegen ihrer Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus verboten wurde.

Vor diesem Hintergrund müssen wir auch den Fall betrachten, den das Verwaltungsgericht Schwerin zu entscheiden hatte. Die Gegend um Lübtheen gehörte zu den ersten, in der sich Neonazis gezielt ansiedelten. Claudia K. ist in der rechtsextremen Szene bestens vernetzt. Ich habe große Zweifel daran, dass sie die ihr anvertrauten Kinder entsprechend der grundgesetzlich verankerten Werteordnung fördern würde. Trotz alledem können nach geltendem Recht, so das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin, auch die Nähe zur NPD oder die Zugehörigkeit zur rechtsextremen Szene eine Versagung der Erlaubnis zur Kindertagespflege nicht rechtfertigen. Das bedeutet, eine gesetzliche Regelung muss her, denn was nutzen der Bildungs- und Erziehungsauftrag des KiföG, wenn wir nicht sicherstellen, dass sie von Personen umgesetzt werden, die die dort beschriebenen Werte teilen?!

In dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf schlägt meine Fraktion vor, eine bislang nur für die Träger von Kindertageseinrichtungen geltende Formulierung aus dem Paragrafen 2 Absatz 9 KiföG nun auch für Kindertagespflegeeinrichtungen vorzusehen. Nach Paragraf 18 Absatz 1 Satz 1 KiföG bedarf Kindertagespflege im Sinne des 43 Absatz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch „einer Erlaubnis des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe“. Die beantragte neue Fassung des Paragrafen 18 Absatz 1 Satz 2 KiföG soll dann lauten: „Die Erlaubnis nach Satz 1 ist zu erteilen, wenn das Wohl des Kindes gewährleistet ist, die Tagespflegeperson pädagogisch und persönlich geeignet ist sowie die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet“

(Zuruf von Enrico Schult, AfD)

„und die räumlichen Voraussetzungen gegeben sind.“ Sowohl in Kindertages- als auch in Kindertagespflegeeinrichtungen wird eine enorm wertvolle Arbeit für unsere

Jüngsten und unsere Gesellschaft insgesamt geleistet. Eine gesetzliche Angleichung ist da nur folgerichtig.

Liebe Mitglieder der demokratischen Fraktionen, ich denke, uns allen ist eine Kindertagesförderung nach den Werten des Grundgesetzes, sei es in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflegeeinrichtungen, ein wichtiges Anliegen. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf und danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

(Zuruf von Thore Stein, AfD)

Gemäß Paragraf 84 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung ist eine Aussprachezeit von bis zu 71 Minuten vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen und ich eröffne die Aussprache.

Bevor ich die erste Rednerin aufrufe, begrüße ich auf der Besuchertribüne Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Freiwilligen Sozialen Jahr beim Deutschen Roten Kreuz. Seien Sie uns recht herzlich willkommen!

Ums Wort gebeten für die Landesregierung hat die Bildungsministerin Simone Oldenburg.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Lücke kann man nur schließen, wenn auch tatsächlich eine vorhanden ist, das schon einmal vorweg. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN glaubt, eine Regelungslücke im Kindertagesförderungsgesetz entdeckt zu haben. Sie meint, es bedarf explizit einer Aufnahme der Grundgesetztreue für Tagespflegepersonen in das KiföG, weil diese für die Kindertagesstätten, aber nicht für die Kindertagespflege enthalten ist. Ich kann darüber im Gegensatz zu den Antragstellern noch nicht abschließend urteilen. Und dafür gibt es zahlreiche Hinweise,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

von denen ich jetzt nur einige wenige auswählen möchte.

Zum Ersten kennen wir alle noch nicht die Urteilsbegründung –

(Thore Stein, AfD: Sehr richtig!)

oder kennen Sie sie schon? –, warum eben dieser Tagespflegeperson, die mutmaßlich einer rechtsextremen Szene angehört, die Betriebserlaubnis entzogen worden ist. Dafür kann es verschiedene Gründe geben,

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

denn ihr hätte vermutlich gar keine Genehmigung als Tagespflegeperson erteilt werden dürfen, da sie wahrscheinlich gar nicht über die hinreichende Qualifikation verfügt. Ist ihr eventuell deshalb die Erlaubnis entzogen worden? Ich kenne die Urteilsbegründung nicht.

Zum Zweiten ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Schwerin auch noch nicht rechtskräftig.

Drittens kann der Landkreis Ludwigslust-Parchim immer noch einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht stellen.

Viertens erfüllt wahrscheinlich der Paragraf 1 Absatz 2 des KiföGs die grundgesetzlich verankerte Werteordnung, weil er die Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege als einen eigenständigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag beschreibt.

Zum Fünften gibt es bisher keinen einzigen Hinweis darauf, dass eine Erlaubnis für Kindertagespflegepersonen, die vom örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe erteilt wird, wenn sie pädagogisch und personell geeignet sind, wie es der Paragraf 18 Absatz 1 des KiföG vorsieht, nicht die Werteordnung des Grundgesetzes umfasst.

Zum Sechsten wurde bereits im Jahr 2010 das Kindertagesförderungsgesetz so geändert, dass ein Kriterium oder das Kriterium der Eignung auch für die Träger als juristische Personen aufgenommen wurde. Somit ist auch das in der Novelle aufgeworfene Problem fachlich unzutreffend benannt. Auch die daraus abgeleitete Annahme der Alternative, dass es ohne die neu eingeführte Regelung auch weiterhin schwierig wäre, Angehörigen der rechtsextremen Szene die Erteilung einer Tagespflegeerlaubnis zu verwehren, ist vermutlich unzutreffend.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Bildungsministerium hat eine Abfrage über die JFMK initiiert, ob in den anderen Bundesländern explizit gesetzliche oder untergesetzliche Regelungen bestehen, wonach eine Kindertagespflegeperson die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit zu bieten hat. Weder in Thüringen noch in Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein, Hessen, Saarland oder Bayern gibt es eine Regelung. Die fehlenden Länder haben sich zu unserer Anfrage nicht geäußert.

Aber wie ich bereits sagte, wissen wir heute nicht, ob und wo und wie, wenn ja, welche Regelungslücke besteht. Deshalb empfehle ich die Überweisung des Gesetzentwurfs in den Ausschuss. So können wir die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann rechtssicher und ausgestattet mit gesicherten Erkenntnissen, nicht mit Vermutungen, weitere Schritte unternehmen. Wir brauchen hier keinen Aktionismus, wir brauchen Erkenntnisse, um dann zu entscheiden, denn sollte es auch nur die kleinste, die allerkleinste Regelungslücke geben, werden wir sie natürlich selbstverständlich schließen.