Protokoll der Sitzung vom 11.05.2023

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Domke, FDP: Die Statistik ist ein Fakt.)

Die Statistik!

(René Domke, FDP: Die Statistik ist ein Fakt.)

Herr Fraktionsvorsitzender,

(Zuruf von Anne Shepley, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Fraktionsvorsitzender, selbst das BKA, der Ersteller dieser Statistik, rät in diesem Zusammenhang, die Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Wörtlich heißt es, ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin, diese Daten dürfen „nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichge

setzt werden. Sie lassen auch keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu.“ Zitatende.

Und ich bemühe hier auch gern noch mal Grundlagenwissen der Bundeszentrale für politische Bildung, wenn es denn hilft, Ihr Zerrbild zur polizeilichen Tatverdachts- und nicht Täterstatistik aufzulösen. Einziges Kriterium für die Unterscheidung zwischen deutschen und nicht deutschen Tatverdächtigen ist die Staatsangehörigkeit. Erfasst werden somit beispielsweise auch Italiener, Franzosen, andere Europäerinnen und Europäer, die gar nicht im klassischen Sinne abgeschoben werden können.

Hierzu heißt es auf der Homepage der Bundeszentrale, ich zitiere erneut mit Erlaubnis der Präsidentin: „Für die Erhebung ist es unerheblich, seit wann oder aus welchem Grund sich jemand in Deutschland aufhält. Daher fasst diese Kategorie die ausländische Wohnbevölkerung mit Personen zusammen, die sich nur temporär in Deutschland aufhalten. Unter letzteren finden sich neben Urlaubern und Geschäftsreisenden insbesondere auch Personen, deren Aufenthalt gesetzlich nicht geregelt ist oder deren Einreise kriminellen Zwecken dient, wie etwa dem internationalen Menschen- oder Drogenhandel.“

Und weiter: „Aussagen wie ‚22 Prozent der Straftaten werden von Ausländern begangen, obwohl sie nur neun Prozent der Bevölkerung ausmachen‘ entbehren daher der Seriosität. Die Tatsache, dass prozentual mehr durchreisende Ausländer auffällig werden als Sesshafte, verzerrt eine solche Aussage zu Lasten der nichtdeutschen Wohnbevölkerung.“ Zitatende.

Ihre Zahlenbeispiele, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, die Sie in der derzeitigen Debatte betreiben, sind gefährlich.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es passt jedoch in Ihre Argumentation, es passt jedoch in Ihre Argumentation, wenn Sie das Recht auf Asyl zu einer Ideologie verklären wollen. Vielleicht müssen wir Sie daran erinnern, dass die meisten Menschen, auf die Sie hier im Antrag abstellen, genau unter einem Asylbegehren einreisen. Für uns sind Menschenrechte jedoch nicht ideologisch motiviert, sondern zivilisatorische Errungenschaften, die erkämpft wurden und vor allen Dingen bewahrt werden müssen, meine Damen und Herren.

(Zuruf von René Domke, FDP)

Wie ich eingangs erwähnt habe, halte ich diesen Antrag nicht für geeignet, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir unzweifelhaft stehen. Er reiht sich ein in eine Debatte, die sich immer mehr auf Abschottung fokussiert, in der weitere Asylrechtsverschärfungen gefordert werden und die Bundes-FDP offenbar die neue Mauerbaupartei werden will.

(Heiterkeit bei Jan-Phillip Tadsen, AfD)

Ich halte es für eine gefährliche Entwicklung, auch weil wir 2022 einen neuen Negativrekord feststellen mussten. Die Politisch motivierte Kriminalität -rechts- hat einen neuen Höchststand erreicht. Rechte Gewalttaten sind laut dem Verband der Beratungsstellen um 15 Prozent gestiegen, wozu auch eine erhebliche Steigerung der

Fallzahlen in Mecklenburg-Vorpommern beigetragen hat. Rassistisch motivierte Angriffe gegen Kinder und Jugendliche haben sich innerhalb von einem Jahr verdoppelt, und wir stellen vielerorts eine Normalisierung von rassistischen und antisemitischen Positionen fest.

(Zuruf von Sandy van Baal, FDP)

Das sollte uns alarmieren und zum geschlossenen Handeln auffordern, aber stattdessen versucht die selbsternannte bürgerliche Mitte genau in dieser Zeit, in der immer mehr Menschen angegriffen werden, die hier Schutz suchen, den rechten Rand durch Zugeständnisse zu besänftigen. Ich fühle mich ein bisschen in die 1990erJahre zurückversetzt, als das Recht auf Asyl bis zur Unkenntlichkeit beschnitten wurde, nachdem Häuser brannten und Menschen durch die Straßen gejagt wurden, was wiederum dazu geführt hat, dass wir bis heute kaum anerkannte Asylbewerberinnen und -bewerber haben, aber einen riesengroßen Anteil an Menschen mit subsidiärem Schutz, also Menschen, die aufgrund der restriktiven Asylgesetzgebung zwar offiziell ausreisepflichtig sind, aber aus anerkannten humanitären, persönlichen oder sonstigen Gründen gar nicht ausreisen können.

Nicht nur im Wahlkampf 2011 hat die NPD flächendeckend „Kriminelle Ausländer raus!“ gefordert und damit versucht, den Fokus auf den kleinsten Teil der Menschen zu lenken, die zu uns kommen, um so fremdenfeindlich Stimmung zu machen. Und jetzt, meine Damen und Herren von der FDP, überlegen Sie noch mal, wem diese Debatte nützt! Ich spoilere mal: Ihnen nicht, uns nicht und den Menschen in diesem Land auch nicht. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von René Domke, FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort die Abgeordnete Anne Shepley.

(Zuruf von René Domke, FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleg/-innen der FDP-Fraktion! Ich möchte ehrlich mit Ihnen sein, mich hat dieser Antrag nicht überrascht, denn es ist ja in gewisser Weise so eine Art Auskopplung Ihres umfangreicheren Antrags, den wir im März behandelt haben. Aber ich bin doch enttäuscht darüber, dass die FDP in Mecklenburg-Vorpommern – denn ich schätze Sie alle persönlich sehr – nicht der Verlockung widerstehen kann und im eigenen Überlebenskampf mit großen Schritten nach rechts marschiert.

(Heiterkeit bei Sandy van Baal, FDP)

Diese Enttäuschung, die müssen Sie mir erlauben, denn wenngleich man im Forderungsteil noch versucht sein kann, der Idee einer Rückführungsgruppe – und ich bin immer für Zusammenarbeit zu haben – zumindest eine Chance der Abwägung zu geben,

(Christian Brade, SPD: Ich dachte, ihr seid euch einig in der Opposition?)

so ploppt dann das Narrativ des kriminellen Ausländers

(René Domke, FDP: Da müssen wir mal schauen, wer in Hamburg regiert.)

so oft in Ihrem Begründungstext auf, dass man schon zweimal schauen muss, wer hier Antragsteller/-in ist.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE und Constanze Oehlrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Domke, FDP: Wer regiert in Hamburg?)

Dort wird mit Worten wie „ungeordneter“, „kurzsichtiger“ und „ideologisch“ erfolgter Immigration umhergeworfen.

(Zurufe von Henning Foerster, DIE LINKE, und René Domke, FDP)

Herr Noetzel hat gerade schon die Kriminalstatistiken sehr trefflich formuliert, das spare ich mir jetzt. „Nicht deutscher Tatverdächtiger“ ist eben etwas, das muss man sich ganz genau anschauen.

Ganz klar, dass Sie dann auch noch Brokstedt mit hineinwerfen, vermeintlich als Beispiel – Sie haben es ja dann selber gesagt – unzulänglicher Kommunikation zwischen den Behörden und einer nicht schnell genug erfolgten Rückführung des mutmaßlichen Täters. Und ich komme jetzt an dieser Stelle leider nicht umhin, über Brokstedt noch ein paar Worte zu verlieren. Ich möchte nicht die Debatte hier aufmachen – wenn ich das richtig verstanden habe, läuft das Verfahren gerade –,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

lassen Sie mich aber ganz klar sagen, dass aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion die bessere Zusammenarbeit der Behörden in Schleswig-Holstein nicht die schreckliche Tat von Brokstedt verhindert hätte. Der mutmaßliche Täter war im Übrigen überhaupt nicht ausreisepflichtig. Insofern wäre diese Truppe, die Sie da verlangen,

(Zurufe von Jan-Phillip Tadsen, AfD, und René Domke, FDP)

überhaupt nicht zuständig gewesen. Wir haben es hier mit einem psychisch kranken Menschen zu tun, der Amok gelaufen ist.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Der Typ, der Amok läuft, ist psychisch krank. Das machen halt keine gesunden Menschen.)

Es ist eine Tatsache, dass die psychosoziale Beratung und Betreuung bis hin zur Therapie der Geflüchteten deutschlandweit unzureichend zur Verfügung gestellt wird. In M-V können wir gar von homöopathischen Dosen der Beratung und der Betreuung sprechen.

Und es ist auch eine Tatsache – und diesen Diskurs müssen Sie mir jetzt erlauben –, dass geflüchtete Menschen sehr, sehr oft mit starken Traumata und anderen psychischen Problemen zu uns kommen. Und wenn wir diese Menschen mit ihren Problemen alleinlassen und sie nicht auf ihrem Weg unterstützen, um eine erfolgreiche Integration überhaupt möglich zu machen, sondern im Gegenteil mit immer größerem Druck, mit Arbeitsverboten, mit ewig langen Wartezeiten auf Sprachkurse und so

weiter mürbe machen, dann brauchen wir uns auch nicht zu wundern, dass Geflüchtete psychisch krank bleiben oder erst werden. Verstehen Sie mich nicht falsch, und ich sage das hier in aller Klarheit, die schreckliche Tat von Brokstedt ist nicht zu entschuldigen

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Aha!)

oder kleinzureden,

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Aha!)

aber wenn wir diese Debatte ehrlich und in der gebotenen Tiefe führen wollen, dann gehört die fehlende psychosoziale Beratung und Betreuung Schutzsuchender zur Wahrheit einfach dazu.

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

Noch im vergangenen Jahr hat die Landesregierung hier Gelder in diesem Bereich gestrichen.