Protokoll der Sitzung vom 10.11.2023

Frau Präsidentin! Liebe Kolleg/-innen! Um über Anreize zu diskutieren, weshalb Geflüchtete zu uns kommen, braucht es eines, die Stimme der Geflüchteten, denn die Diskussionen der letzten Woche lassen oftmals vergessen, dass wir immer noch über Menschen reden, die wir nicht nach unserem Ermessen wahllos hin und her schieben sollten.

Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis: „Ich habe Frauen vor der Sittenpolizei gerettet. Daraufhin wurde ich verhaftet, verprügelt, und mir wurde die Hinrichtung angedroht.“ Amir aus dem Iran.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: War das in Köln?)

„Ich war eine Privatlehrerin im Iran und unterrichtete in den Fächern Physik, Chemie, Mathematik und Englisch. Nach persönlicher Entscheidung wurde ich vor vier Jahren Christin. Ich teilte dieses meinen Schüler/-innen und meiner Familie mit. Ein Familienmitglied, welches bis dahin bei der Regierung arbeitete, verlor seinen Job und meiner Familie und mir wurde in Folge mit Gefängnisstrafen und dem Tod gedroht.“ Sahar aus dem Iran.

„Am Morgen des 24. Februar wurde mein Leben wie das von Millionen von Ukrainern in ein Davor und ein Danach geteilt. Um sechs Uhr hörte ich die ersten Sirenen in meiner Stadt und in meinem Leben. Wenn man in einem Land, das sich im Krieg befindet, Sirenen hört, kann man nicht anders, als Angst zu haben, dass gleich Bomben fallen werden. Man sitzt im Keller und scherzt mit seiner Familie, um sich gegenseitig irgendwie aufzumuntern, aber die Angst lässt einen nicht los. Du hörst Sirenen, wenn keine Sirenen zu hören sind. Du wachst bei jedem Rascheln auf und denkst, dass ein Flugzeug fliegt, ein Flugzeug, welches dir den Tod bringt. In diesem Zustand blieb ich eine Woche lang. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen, und mein Kopf spielte ständig die schlimmsten Szenarien durch, die mir und meiner Familie zustoßen könnten. Ich beschloss zu fliehen. Ich brauchte Ruhe. Ich wollte Sicherheit.“ Anzelika aus der Ukraine.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleg/-innen! Dies sind keine Einzelfälle. Sie stehen exemplarisch für alle, die vor Leid, Krieg, Elend und Verfolgung ihre Heimat verlassen müssen. Niemand flieht freiwillig. Abschottungs- und Abwehrdiskussionen helfen nicht und halten Menschen nicht davon ab, ein Leben in Sicherheit zu suchen. Statt Geflüchtete gesellschaftlich und rechtlich auszugrenzen, sind pragmatische Ideen für eine gute Aufnahme nötig und Kommunen, die diese Wege trotz aller Herausforderungen erfolgreich gehen, immer noch in den Vordergrund zu stellen.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Schwerin schafft das, sagte kürzlich die Sozialdezernentin aus Schwerin. Lassen Sie uns diese Haltung als Vorbild nehmen! – Herzlichen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete! Einen Moment, Frau Abgeordnete! Wir haben einen Antrag auf Kurzintervention.

Herr Tadsen, bitte!

(Philipp da Cunha, SPD: Sie haben doch noch Redezeit oder nicht?! – Thore Stein, AfD: Das haben Sie doch nicht zu kommentieren! – Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Frau Pulz-Debler, ich möchte Ihnen einfach nur mal, weil ich ja jetzt selber auch Erfahrungen sammeln durfte, als ich in Italien unterwegs war, drei Fakten zu der Frage der Zusammenarbeit zwischen NGOs und Schlepperstrukturen hier vortragen.

Zum einen, es gibt 650 Seiten juristische Erkenntnisse von italienischen Gerichten, die einmal darstellen, wie diese Zusammenarbeit funktioniert. Es gibt viele dokumentierte Quellen, die eindeutig zeigen, wie man sich quasi abgrüßt vom Boot zu Schlepperschiff, man sich quasi die Hand gibt. Es gibt ehemalige Mitarbeiter der NGOs, die als Kronzeugen auftreten, was diese Zusammenarbeit angeht. Und da sagen Sie, das wäre einfach alles gar kein Thema.

Das kann ich mitnichten so hier stehen lassen. Und da bitte ich Sie natürlich auch darum, sich mit dieser juristischen Frage, mit dieser Gerichtsbarkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union einmal bitte auseinanderzusetzen.

Und dann die andere Frage. Sie sagen, es ist eine Frage der Nachfrage sozusagen, wie viele Menschen da sich auf den Weg machen, wie viele kommen. Herr Barlen hat ja selber jetzt diesen Spruch gebracht, dass man die Spreu vom Weizen trennen soll. Ich frage mich, wie Sie als Koalitionspartner der SPD die Spreu vom Weizen trennen wollen und wie groß …

(Zuruf von Julian Barlen, SPD)

Die sinnvollen guten Argumente, inwieweit wir Kontrolle, Ordnung und auch Begrenzungen organisieren können, genau das ist der Punkt, Herr Barlen.

(Julian Barlen, SPD: Nee, das war gar nicht mein Punkt, das war Ihr Punkt.)

Und ich frage Sie: Wollen Sie offene Grenzen? Wollen Sie, dass jeder kommen kann, der sich auf den Weg macht?

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Wollen Sie, wie einer der Kapitäne der NGO-Schiffe, das T-Shirt anziehen, wo „Team Umvolkung“ draufsteht? Ist das Ihre Ideologie und Ihre Politik?!

(Jeannine Rösler, DIE LINKE: Darum geht es gar nicht. – Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Dann bitte einmal ein Statement dazu! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Möchten Sie darauf reagieren, Frau Abgeordnete?

Ich habe alles gesagt und bleibe dabei, der AfD keinen Raum zu geben. – Danke schön!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD – Jens-Holger Schneider, AfD: Armselig, armselig!)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

An dieser Stelle noch mal und letztmalig der Hinweis, nicht zu kommentieren, wenn hier Instrumente unserer Geschäftsordnung genutzt werden.

(Jens-Holger Schneider, AfD: Herr da Cunha!)

Ansonsten muss ich hier noch mal anders eingreifen.

(Zuruf von Jan-Phillip Tadsen, AfD)

So, wir gehen jetzt weiter in der Redner/-innenliste. Als Nächstes hat ums Wort gebeten die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte gerne den Tagesordnungspunkt nutzen, um über die Beratungen aus der Ministerpräsidentenkonferenz zu berichten.

Es geht um das Thema Migration, was auch die Menschen in unserem Land sehr bewegt. Und das hat damit zu tun, dass unser Land so wie ganz Deutschland insbesondere in den letzten Monaten eine hohe Aufnahmebereitschaft zeigt und mit dieser Aufnahmebereitschaft an seine Grenzen gerät.

Deutschland hat in den letzten und in diesem Jahr mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen, 24.000 davon in unserem Bundesland, und 8.000 weitere Flüchtlinge aus Asylverfahren haben wir auch noch aufgenommen. Und ich bin Frau Pulz-Debler sehr dankbar, dass Sie eben an drei exemplarischen Beispielen deutlich gemacht hat, dass hinter diesen Zahlen Menschen stehen, die, wenn man sich in die Lage versetzt, dass sie aus dem Iran davor fliehen, dass ihre Kinder, ihre Mädchen Bildung bekommen und sich nicht verschleiern müssen, dass sie vor dem Krieg aus der Ukraine fliehen, dass sie aus Syrien fliehen, dass sie aus anderen Ländern kommen, die arm sind, dass man das menschlich, humanitär grundsätzlich gut nachvollziehen kann.

Und gleichzeitig wissen wir – und das müssen wir ehrlich und realistisch aussprechen –, dass wir nicht allen, die aus humanitärer Sicht einen guten Grund haben zu fliehen, nicht allen helfen können und nicht alle aufnehmen können. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Und ich will hier ganz klar sagen, dass es nicht stimmt, dass unser Asylrecht vorsieht – und so habe ich auch hier keinen Einzigen, der fürs Asylrecht spricht, verstanden –, dass jeder, der sich auf den Weg macht, auch kommen kann. Das sieht unser Asylrecht nicht vor. Unser Asylrecht hat,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

unser Asylrecht hat ganz klar als Grundrecht verbrieft, unterscheidet zwischen den Gründen, wo jemand Schutz bekommt, und es gibt Gründe, wo es auch menschlich schwer ist zu sagen, nein, du kannst nicht kommen, du kannst nicht bleiben. Wenn man ein Fünkchen Anstand hat, dann ist das schwer, denen zu sagen, das geht nicht, das sieht unser Asylrecht vor und was wir schaffen müssen.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Und da muss man kritisch sagen, da müssen wir besser werden, es zu leisten,

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

dass die, die Schutz haben, sie aufzunehmen, aber die, die eben nach unserem grundrechtlich verbrieften Asylrecht keinen Grund haben, hier zu bleiben, das auch schnell zu entscheiden und diese Menschen dann auch zurückzuführen. Das sind zwei Seiten einer Medaille, und das müssen wir hinbekommen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und FDP)

Und ich will an dieser Stelle vorweg unseren Kommunen danken, den Landräten, den Oberbürgermeistern, vor allem den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, dass sie diese große Aufnahmebereitschaft haben, die unser Land zeigt. Das sollte nicht kleingeredet werden. Und gleichzeitig sollte es auch nicht benutzt werden, um gegen Flüchtlinge und Migranten zu hetzen. Beides ist nicht richtig. Ich will diesen Kommunalverantwortlichen danken und auch der Bevölkerung.

Und ich will ein Beispiel nennen, was mich beeindruckt, wie es gerade versucht wird, vor Ort zu schaffen, das Projekt in Demen „Dorf im Dorf“, wo der Landkreis zwei Wohnblocks angemietet hat für 30 und dann 60 Wohnungen aus privater Hand für fünf Jahre. Es geht um 450 Plätze für Erwachsene und 25 Kleinstkinder. Dort ist nicht nur die Unterkunft gewährleistet, sondern auch ein Sozialgebäude, sodass das Sozialleben vor Ort stattfinden kann. Es wird Kinderbetreuung bereitgestellt, dass die Kinderbetreuung, die schon da ist, eben nicht zusätzlich belastet wird. Natürlich wird die Grundschule angesteuert, aber zwei zusätzliche DaZ-Lehrkräfte für Beschulung vor Ort wurden eingestellt. Wir haben dort Gemeinschaftsräume, zum Beispiel für Hausaufgaben, und die Verwaltung bietet vor Ort Beratungsleistungen an.

Und auch im Klinikum Crivitz sind ärztliche Sprechstunden verabredet, damit eben nicht die niedergelassenen Ärzte zusätzlich belastet werden und es sich ballt in Wartezimmern. Es werden Impftage vor Ort angeboten, und es gibt vor allem eine sehr gute Kommunikation mit der Gemeinde, mit den Bürgerinnen und Bürgern und eine frühzeitige Einbindung. Die Gemeindevertretung, Bürger, Kirche, Unternehmen wurden eingebunden, und sie bieten selber Hilfe an. Eine E-Mail-Kommunikation wurde angeboten auch für Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Und die Hilfsangebote gehen von Hebamme über Lehrtätigkeiten für Englisch, Deutsch, Schwimmen oder auch Sachspenden von Unternehmen.

Ich berichte das, weil das für mich eines von vielen guten Beispielen ist, wie die kommunale Ebene sich vor Ort Mühe gibt, dieser großen Herausforderung gerecht zu