Protokoll der Sitzung vom 10.11.2023

(Beifall Dr. Harald Terpe, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn nicht, wenn nicht Kinder und Sport in diesem Antrag missbraucht werden sollen, um die fragwürdige Erzählung der Leistungsgesellschaft zu goutieren.

Aus der Sicht meiner Fraktion ist dieses Modell auch längst überholt. Jedenfalls spielen für uns auch Qualitäten wie soziale Wertschätzung, Beteiligung am Gemeinwohl oder sogar Selbstverwirklichung eine gleichwertige Rolle. Aber das, meine sehr geehrten Damen und Herren, wäre wieder eine andere Debatte. Es bleibt dabei, wir werden uns enthalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Abgeordnete David Wulff.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Debatte ist, denke ich, hinreichend spannend. Viele Argumente wurden ausgetragen. Und die einen beschäftigen sich ein bisschen intensiver mit dem Antrag, die anderen sehen das Ganze etwas allgemeiner. Aber ich glaube, man kann durchaus sagen, diese ganze Debatte hier, das ist doch tatsächlich eher so eine Art Parabel auf die tatsächliche aktuelle Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft.

Und wir haben auch an anderer Stelle oftmals über das Thema Fehlerkultur gesprochen, wir haben darüber gesprochen, wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit Scheitern um, nicht nur beim Sport, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Und natürlich kann man das Ganze jetzt mit einem neuen, modernen, modischen Konzept sagen, wir verzichten im Zweifel auf Medaillen und alles Mögliche oder jeder kriegt eine Medaille, das kann man sich ja überlegen, aber ich glaube, dass auch eine negative Erfahrung bei einem Wettkampf, ein Scheitern etwas ist, was man durchaus anders hätte lösen können. Es geht nämlich darum, wie gehe ich denn damit um, mit einer solchen Niederlage, wie motiviere ich Kinder, eventuell weiterzumachen. Oder vielleicht führt das ja sogar dazu, dass man feststellt, okay, Sport ist vielleicht doch nicht das für mich. Das muss auch okay sein, ja, es darf keine Stigmatisierung sein. Das ist doch etwas, worum es am Ende halt geht.

(Beifall vonseiten der Fraktion der FDP und Ann Christin von Allwörden, CDU)

Es gibt viele Formate, mit denen man arbeiten kann. Ja, also wenn man Teilhabe ermöglichen möchte, sportliche Möglichkeiten hat, dann haben wir zum Beispiel die Special Olympics, die ja gerade auch für Menschen auch mit geistiger Behinderung die Möglichkeit eröffnen, ohne diesen Wettkampfgedanken jetzt so komplett nach vorne zu schieben, sondern halt diese Teilhabe auch zu ermöglichen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der FDP und Dr. Harald Terpe, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind alles Formate, die es möglich machen. Aber von vornherein das Ganze auszuschließen, finde ich halt schon etwas schwierig.

Und Olympia und Co wurden ja schon mal angesprochen. Da kam gerade jetzt am Montag, am 06.11., bei „Wer wird Millionär?“ die 4.000-Euro-Frage. Ja, vielleicht hat das der eine oder andere ja gesehen.

(Sebastian Ehlers, CDU: Keine Zeit.)

So, nehmen wir mal den Publikumsjoker. Das gab es noch nie. Wie viele Medaillen holte das deutsche Team bei der Leichtathletik bei der WM 2023?

(Sebastian Ehlers, CDU: Wenig. Wenig.)

A: keine, B: ein Dutzend, C: jede zweite, oder D: alle.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der SPD)

Jetzt darf mal jeder drücken. Was kommt raus? Das gab es noch nie, die deutsche Mannschaft hat keine einzige Medaille bei der Leichtathletik-WM in diesem Jahr geholt.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der SPD – Zuruf von Christian Brade, SPD)

So, und das macht doch etwas mit der Gesellschaft. Natürlich, wir reden hier von der Spitze beim Leistungssport, aber beim Leistungssport muss ja auch etwas ankommen, was unten in der Breite erst mal geschaffen werden muss. Und unten, die Breite in der Pyramide, die muss richtig breit sein, damit die Spitze tatsächlich auch Leistungen bei solchen internationalen Wettbewerben

abrufen kann. Und hier geht es um das Leistungsprinzip, was ein liberaler Kerngedanke ist.

Und wenn wir jetzt sagen, wir lassen das Ganze oder wir schieben das ein bisschen weg, oder im Zweifel sagen wir, na ja, die Teilnahme, also jeder bekommt irgendwie eine nette Teilnahmeurkunde, und wenn jeder aber irgendwie eine Teilnahmeurkunde bekommt, dann ist das am Ende auch relativ wenig wert. Und wir können ja auch nicht für jede noch so tolle Leistung irgendwie einen Pokal vergeben. Dann machen wir irgendwie die meisten Popel an der Schlafzimmerwand, da werden dafür jetzt Trophäen verliehen.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der AfD und CDU – Heiterkeit bei Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Wie sieht das denn bei Ihnen aus? – Zuruf aus dem Plenum: Iiii!)

So, aber wer hier im Landtag tatsächlich sagt, er hat zum Beispiel sein Direktmandat aus komplett eigener Leistung errungen – ja, da gibt es bestimmt einige, die da völlig überzeugt von sind, dass nur durch eigene harte Leistung so ein Direktmandat errungen wurde –, da kann ich nur sagen, na ja, Trophäen lügen nicht.

(Beifall und Heiterkeit bei Ann Christin von Allwörden, CDU)

Ich glaube, ich glaube tatsächlich, zu viel Lob erschafft am Ende Millennials. Das ist jetzt irgendwie ein neumodernes Konzept. Und wenn wir sagen, was ist, wenn noch ein Experte kommt, der wieder eine völlig neue Theorie über das Selbstwertgefühl parat hat, was machen wir dann, laufen wir dem auch wieder blindlings hinterher.

Ich finde, meine Fraktion findet, Leistung, das ist ein Prinzip, was in dieser Gesellschaft fest verankert sein sollte. Wir sollten auch in jungen Jahren die Möglichkeit geben, Leistung zu erbringen, sich zu messen, besser zu werden, und einen vernünftigen Umgang mit Niederlagen und Scheitern ermöglichen, ohne dass Traumata entstehen. Und so können wir auch insgesamt wieder gesellschaftliche Leistungsfähigkeit und sportpolitische oder sportliche Spitzenleistung im internationalen Wettbewerb erringen. Und deswegen stimmen wir dem CDU-Antrag auch zu. – Danke schön!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Für die Fraktion DIE LINKE hat das Wort die Abgeordnete Steffi Pulz-Debler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleg/-innen! Ich verlese erneut eine Rede meines Kollegen Christian Albrecht.

Mit dem vorliegenden Antrag möchte die CDU sich dafür einsetzen, dass bei den Bundesjugendspielen wieder häufiger die Wettkampfform in den Klassenstufen 1 bis 4 zum Tragen kommt. Sie begründen das damit, dass der Leistungsgedanke ein fester Bestandteil in allen Bereichen der Gesellschaft und eine wesentliche Grundlage für den Wohlstand sei. Diese Behauptung ist empirisch

kaum zu belegen, fußt unser Wohlstand doch auf ganz vielen unterschiedlichen Faktoren. Aber, wie hier suggeriert, eine direkte Linie zwischen sportlichem Wettkampf von Grundschüler/-innen zur kapitalistischen Verwertungslogik im Arbeitsleben zu ziehen,

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD)

ist abenteuerlich. Es ist auch durch nichts zu belegen, vertreten Kinderpsycholog/-innen,

(Zuruf von Jens Schulze-Wiehenbrauk, AfD)

es ist durch nichts zu belegen, vertreten Kinderpsycholog/-innen und Sportdidaktiker/-innen doch eine diametral andere Auffassung, als sie Ihrem Antrag innewohnt.

Zunächst ist noch einmal wichtig, daran zu erinnern, woher die Änderung stammt. Ihr vorausgegangen,

(allgemeine Unruhe – Torsten Koplin, DIE LINKE: Was ist denn nun los?)

ihr vorausgegangen war die Petition einer Mutter im Jahre 2015 an das damals von Frau Schwesig geführte Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die immerhin 21.000 Unterschriften erreichte. Ihr Anliegen war, dass diese verpflichtenden Wettkämpfe eben nicht positiv auf Kinder einwirken. Ganz im Gegenteil, die Erfahrung sei für viele Kinder demütigend, demotivierend und es bestünde ein hoher sozialer Druck. In einer Zeit, in der wir mit Adipositas und Bewegungsmangel bei vielen Jugendlichen zu kämpfen haben, fördert dieses eben nicht die Freude und Bereitschaft zur Bewegung. Ganz im Gegenteil, viele Kinder verknüpfen mit dem Sportunterricht und solchen Events nur Negatives und machen lieber einen Bogen um Sportereignisse.

(Zuruf von Jan-Phillip Tadsen, AfD)

Die Aussage, dass Kinder so früh schon das Verlieren lernen müssten, ist zynisch. Jetzt könnten Sie sagen, das ist die Meinung einer Mutter, die schlechte Erfahrungen gemacht hat. Ihre Einschätzung deckt sich aber mit Erkenntnissen der Sportpädagogik und Entwicklungspsychologie. Professor Dr. Tim Bindel, Sportpädagoge und geschäftsführender Leiter des Instituts für Sportwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, sagt Folgendes:

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD)

„Eines steht fest – es ist nie die Idee der Bundesjugendspiele gewesen, dass sie ein kapitalistischer Test für Kinder sein sollen, ob diese wettkampftauglich für die Arbeitswelt sind“,

(Zuruf von Jan-Phillip Tadsen, AfD)

„wie es zuletzt in vielen Meinungsbeiträgen zu der Reform“ dargestellt „wurde. Außerdem, wenn das der Plan gewesen wäre, dass Kinder das Verlieren lernen sollen, muss ich sagen: Ich habe selten“

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD – Glocke der Vizepräsidentin)

„etwas Traurigeres gehört. Kinder, die bei den Bundesjugendspielen verlieren, das kann man empirisch gut

nachweisen, haben schon längst in vielen anderen Bereichen das Verlieren gelernt.“