Protokoll der Sitzung vom 14.03.2024

Für die Landesregierung hat ums Wort gebeten der Innenminister Herr Christian Pegel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! So ein Tagesordnungspunkt atmet ja immer ein bisschen die große Überschrift von Kulturkampf. Ich würde versuchen, erst mal zu rationalisieren. Ich bin der Abgeordnetenkollegin dankbar,

(Sebastian Ehlers, CDU: Waren Sie bei der Innenministerkonferenz nicht dabei?)

dass sie zum Schluss den Punkt angegriffen hat. Ich würde ihn trotzdem noch mal zuspitzen, weil ja die Frage im Raum steht, was können die Länder eigentlich ganz konkret, selbst wenn man es denn wollte, bis zum Ende durchdacht tun.

(Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU)

Katy Hoffmeister hat es angesprochen, ich würde es noch mal zuspitzen, in der Tat ist es „nur“ – in Anführungszeichen – ein Einspruchsgesetz. Was heißt das rein technisch? Das heißt, dass wir in der Tat den Vermittlungsausschuss anrufen können, wenn er zu keinem Ergebnis kommt, oder ob wir uns hinterher im Bundesrat selbst mehrheitlich, und die Mehrheit muss dann erst mal stehen – im Übrigen auch bei unionsgeführten Ländern, die ja eine Vielfalt von unterschiedlichen Koalitionen ihr eigen wissen, genau wie die sozialdemokratischen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, keine Frage –, wir müssen dann eine Einspruchsmehrheit hinbekommen. Und das Wesentliche ist, Einspruchsgesetz heißt, ich kann es eben nicht hindern, sondern der Bundestag kann mit seiner qualifizierten Mehrheit,

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

die er schon einmal für die Gesetzesbeschlussfassung hatte, überstimmen. Also um vielleicht auch ein bisschen einen Blick hineinzubringen, was sind die echten Handlungsmöglichkeiten der Länder.

In der Tat, und da hatte die Kollegin mich angesprochen und auch andere Beteiligte, ja, wir gucken kritisch auf dieses Gesetz. Ich gucke vor allen Dingen auf die Regelungsinhalte kritisch. Wir gucken kritisch darauf, was das an Belastungen für Polizei, und vielleicht ist es gar nicht nur oder in erster Linie Polizei, sondern in irgendeiner Art neu zu schaffende Behörden oder neu zu schaffende Zuständigkeiten sind.

Dieses Gesetz versucht einen Spagat zwischen ganz viel Kontrolle und trotzdem Freigabe. Und dieser Spagat wird in einer sehr deutschen Variante mit einer Vielzahl von sehr detaillierten Regelungen gelöst. Könnte man jetzt Stück für Stück in der Tat durch das Gesetz durchgehen und würde an vielen Stellen in die Überlegung verfallen, gelingt es uns eigentlich wirklich wirksam, das umzusetzen. Das ist aber kein Spezifikum, offen eingestanden, des Cannabisgesetzes, sondern – und auch das ist kein Spezifikum einer Ampel-Bundesregierung – auch ver

gangene Bundesregierungen haben immer wieder Themenvielfalt, vor allen Dingen, wenn man Koalitionsfrieden hergestellt hat, durch sehr komplexe Lösungen gelöst. Und wir Deutschen sind da gut darin, das mit ganz viel Detailliebe zu tun.

Detailliebe hat uns im Übrigen inhaltlich umgetrieben, und deshalb haben wir inhaltliche Kritik geübt, auch in dem Brief der Innenministerinnen und Innenminister, der Innensenatorinnen und Innensenatoren an die Bundestagsfraktion.

Erster Punkt ist angesprochen, uns treibt – da die Justizministerin, die Justiz viel stärker als mich, natürlich dann nur als Annex unsererseits im Innenministerium – die Frage um, wie in der Tat eine Amnestieregelung in sehr kurzer Zeit, denn der Gesetzesinkrafttretenszeitpunkt ist der 1. April, kein Aprilscherz, sondern der 1. April dieses Jahres, in welcher Zeit es eigentlich tatsächlich gelingt, es umzusetzen. Ich bin nicht ganz so groß in der Besorgnis, dass lauter in Haft Sitzende an der Stelle nun deswegen sofort aus der Haft entlassen werden müssen, weil der Strafrahmen des reinen Konsumenten, und um diese Straftaten geht es hier, auch heute schon verhältnismäßig gering ist. Und wenn die in einer Gesamtstrafenbildung tatsächlich in den Justizvollzug einfahren, dann spricht vieles dafür, dass der Konsum von Cannabis offen eingestanden dann nur das Salz auf einer sehr großen Portion von viel, viel schwereren Straftaten war. Ich freue mich, dass wir uns da gemeinsam einig sind.

Gleichwohl, selbst wenn es nicht um Haftstrafen geht, sondern um andere zusammengefasste Strafen, da kann also ein bisschen Diebstahl drin sein, ein bisschen Körperverletzung und dieses und jenes, und dann auch eine Betäubungsmittelstraftat, da wird eine Gesamtstrafe daraus gebildet und ich muss hinterher diesen Teil rausbröckeln. Und da das keine mathematische Übung ist, drei Monate plus drei Monate plus zwei Tage, sondern das Strafgesetzbuch das etwas differenzierter vorgibt, ist das Auseinandernehmen so einer Gesamtstrafe im Nachgang nicht ganz ohne. Und in der Tat ist das einer der Punkte, der uns umtreibt, mit welchen Zeitpunkten, rein pragmatisch betrachtet mit welchen Zeitpunkten man dort auf die Justiz zugeht. Da gibt es vor allen Dingen aus der Justizministerkonferenz heraus sehr breit getragen deutliche Hinweise. Das ist ein Punkt, der uns innerlich umtreibt und den wir auch weiterhin und intensiv auch in den Punkten verfolgen.

Zweite Überschrift war angesprochen, der Abstand zu entsprechenden Kinder- und Jugendeinrichtungen mit Sichtweite, bei 100 Metern Überschreiten soll die Sichtweite auf jeden Fall vorbei sein. Ich habe auch eine gewisse Grundsorge, wie ich das mit Kolleginnen und Kollegen der Landespolizei umsetze, ob die jetzt alle GPS-Instrumente in die Hand bekommen, um das genau abzustimmen.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Sie müssen das auch von einer Zigarette unterscheiden.)

Viel wesentlicher für uns ist allerdings, dass wir erhebliche Kontrollpflichten haben. Das Bundesgesetz geht davon aus, dass wir einmal im Jahr jeden der künftigen Anbauvereine persönlich aufzusuchen haben, nicht wir als Polizei, sondern wir als Behörden, egal ob kreislich oder Land. Ich glaube, auch an der Stelle ist das Gesetz

in einer Intensität unterwegs, die nicht im Vollzug so leicht zu leisten sein wird.

Und zu guter Letzt müssen wir achtgeben, dass nicht Einzelne, die sich wirtschaftlich interessieren – das Gesetz will ganz ausdrücklich die Anbauvereinigung als nicht wirtschaftstätige Einheit haben, quasi Vereine, Genossenschaften, will keine Kommerzialisierung dieses Konsums betreiben –, müssen wir achtgeben, dass das Gesetz eben der Kommerzialisierung nicht Vorschub leistet. Deshalb muss man achtgeben, dass nicht einzelne Firmen daraus wiederum Geschäftsmodelle machen, indem sie Anbauvereinigungen, indem sie Genossenschaften Angebote machen. All das bringen wir ein in Diskussionsprozesse. Da ist das Treiben noch bunt.

Wir sind überzeugt, dass es noch gar nicht klar absehbar ist, was genau nächste Woche sowohl seitens der Bundesregierung als auch im Bundesrat eine Rolle spielen wird. Gerade gestern Abend hat es noch intensive mehrstündige Diskussionen mit verschiedenen Ländern seitens der Bundesregierung gegeben. Wir erwarten vor allen Dingen auf die Detailfragen Antworten. Und davon werden wir dann gemeinsam mit vielen anderen Ländern im Bundesrat abhängig machen müssen, wie man damit umgeht, immer im Wissen, dass im Zweifel wir es wegen des Einspruchsgesetzes eben nicht sicher verhindern oder anders beeinflussen können. Von daher geht es vor allen Dingen darum, inhaltlich Einfluss auf die Punkte zu nehmen. Und das treibt uns zurzeit um. – Herzlichen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Herr Innenminister!

Der Minister hat die angemeldete Redezeit um eine Minute überschritten.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort die Abgeordnete Constanze Oehlrich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleg/-innen! Vor ziemlich genau 30 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht in seiner berühmten Cannabisentscheidung vom 9. März 1994 entschieden, dass Paragraf 29 Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes nur deswegen verfassungsgemäß ist, weil der Gesetzgeber es den Strafverfolgungsorganen ermöglicht, durch das Absehen von Strafverfolgung dem geringen individuellen Unrechtsgehalt eines gelegentlichen Eigenkonsums geringer Mengen von Cannabisprodukten Rechnung zu tragen. Und um genau diese Fälle geht es im kürzlich beschlossenen Cannabisgesetz.

(Torsten Renz, CDU: 25 Gramm.)

Das Absehen von Strafverfolgung in diesen Fällen ist in Paragraf 31a Betäubungsmittelgesetz geregelt. Danach kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge besitzt.

Beim Umgang mit Cannabisprodukten beträgt diese geringe Menge in Baden-Württemberg, Bayern, Bran

denburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein bis zu 6 Gramm, in NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen bis zu 10 Gramm sowie in Berlin und Bremen bis zu 15 Gramm. Entsprechend stark differiert die Einstellungspraxis in den verschiedenen Bundesländern. Das aber ist verfassungsrechtlich bedenklich. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts hätte hier die Länder die Pflicht getroffen, ich zitiere, „für eine im Wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen..., zumal es sich um das den Einzelnen besonders belastende Gebiet der Strafverfolgung handelt“, Zitatende.

Das ist jedoch 30 Jahre lang nicht gelungen. Deswegen ist es gut, dass der Deutsche Bundestag am 23. Februar 2024 das Cannabisgesetz verabschiedet hat.

(Beifall vonseiten der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ab dem 1. April soll der Besitz von 50 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum im privaten Raum und das Mitsichführen von 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum erlaubt sein. Ermöglicht wird der private Eigenanbau und ab dem 1. Juli 2024 der gemeinschaftliche nicht gewerbliche Eigenanbau sowie die kontrollierte Weitergabe durch Anbauvereinigungen.

Die Ziele des Gesetzes und die zu erwartenden positiven Auswirkungen der Entkriminalisierung – denn es geht hier gar nicht um eine vollständige Legalisierung – sind weitreichend.

Erstens. Der illegale Handel mit Cannabis wird wirksam eingedämmt, der Schwarzmarkt verdrängt und der Konsum von auf dem Schwarzmarkt erworbenem Cannabis mit giftigen Beimengungen, Verunreinigungen sowie synthetischen Cannabinoiden reduziert.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Der Gesundheitsschutz wird verbessert. Auf dem Schwarzmarkt erworbenes Cannabis enthält oft zu viel THC. Zudem weist auf dem Schwarzmarkt erworbenes Cannabis mitunter gefährliche Beimengungen, Verunreinigungen und synthetische Cannabinoide auf, deren Wirkstärke von den Konsument/-innen nicht abgeschätzt werden kann. Die Weitergabe von Cannabis durch die im Gesetz vorgesehenen Anbauvereinigungen unterliegt demgegenüber strengen Qualitätsanforderungen und behördlicher Kontrolle.

Drittens. Die Strafverfolgung wird entlastet. Das Gesetz wird durch die Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis unterm Strich zu Entlastungen bei der Polizei, bei den Staatsanwaltschaften und bei den Gerichten führen.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Entlastung dürfte vor allem durch das Wegfallen der Erstellung und Bearbeitung von Strafanzeigen entstehen. Wenn man einen Zeitaufwand von 60 Minuten pro Strafanzeige zugrunde legt, kommt da bei bundesweit rund 180.000 konsumnahen Cannabisdelikten pro Jahr einiges zusammen.

Viertens. Aufklärung, Prävention sowie Kinder- und Jugendschutz werden verbessert. Der Gesetzentwurf sieht umfangreiche Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche vor. Insbesondere ist die Ausgabe von Cannabis durch eine Anbauvereinigung an junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren auf 30 Gramm pro Monat mit einem THC-Gehalt von 10 Prozent begrenzt,

(Zuruf aus dem Plenum: Wer kontrolliert das?)

da für diese Personengruppe der Konsum von Cannabis besondere gesundheitliche Risiken mit sich bringen kann.

Zu der Kritik an der im Cannabisgesetz vorgesehenen Amnestieregelung und dem damit verbundenen erhöhten Arbeitsaufwand für die Justiz ist zu sagen, dass Regelungen über die Straffreiheit von Altfällen nichts Neues, sondern eine Selbstverständlichkeit sind. Nach Artikel 313 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch werden Strafen für Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen, sofern sie noch nicht vollstreckt wurden. Dass diese Regelung auch für Taten gelten soll, die nach dem neuen Cannabisgesetz nicht mehr strafbar sind, halte ich für vollkommen angemessen.

(Sebastian Ehlers, CDU: Das sagen Sie der Justiz im Land!)

Eine Zustimmung des Bundesrates zum Cannabisgesetz ist nicht erforderlich, allerdings kann der Bundesrat binnen drei Wochen nach Eingang des Gesetzesbeschlusses verlangen, dass der Vermittlungsausschuss einberufen wird. Bislang sind es drei Bundesratsausschüsse, die eine Einberufung des Vermittlungsausschusses empfehlen. Das könnte das Inkrafttreten des Gesetzes zwar deutlich verzögern, aber nicht verhindern.

Vergessen wir nicht, wegen Eigenkonsum von Cannabis sind Hunderte, wenn nicht Tausende erwachsene Menschen in unserem Land mit Geld- und Gefängnisstrafen überzogen worden. Sie sind vorbestraft, Berufsbiografien wurden zerstört, ohne dass diese Strafen den Cannabiskonsum insgesamt eingeschränkt hätten. Das ist absolut unverhältnismäßig

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und muss und wird ein Ende haben, meine sehr geehrten Kolleg/-innen. Den Antrag der CDU „Cannabis-Legalisierung im Bundesrat stoppen“ lehnen wir daher ab, den Antrag der AfD ganz genauso. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete! Es gibt einen Antrag auf Kurzintervention durch Herrn Ehlers.

Bitte schön!