Protokoll der Sitzung vom 28.08.2002

Wir begrüßen die sehr schnellen Entscheidungen der Bundesregierung zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Dazu hat der Ministerpräsident meiner Meinung nach umfassend und sehr richtig Stellung genommen. Herr Wulff, wenn ich an die Betroffenen denke, kann ich überhaupt nicht verstehen, dass Sie die von Ihrer Partei eingeschlagene Strategie der Verunsicherung bezüglich der Finanzierung und die von Ihrer Partei gemachte Ankündigung, dass sie nach der Wahl alles anders machen wolle, heute fortgesetzt und wiederholt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben Zweifel, dass die Flut in Niedersachsen richtig eingeschätzt worden ist. Darüber werden wir noch reden müssen. Noch am 14. August hieß es, dass die Experten des Niedersächsischen Betriebs für Wasserbau und Küstenschutz nicht von einer dramatischen Hochwasserentwicklung in Niedersachsen ausgingen. Noch am 15. August meldete dpa: „Die Behörden sehen gar keine Gefährdung für die niedersächsische Elbeseite.“ Erst am Sonntag wurde alarmiert. Am Sonntag hat Umweltminister Jüttner das Wort ergriffen. Dann wurde auch der Katastrophenalarm ausgelöst. Dass die aktuelle und verbindliche Information der Leute in den wirklich bedrohten Orten über die Entwicklung der Flut gegen null lief, dass Landesgrenzen vor Ort auch Informationsgrenzen waren, dass es zwischen Hannover und Lüneburg irgendwo ein Bermudadreieck geben

muss, in dem brauchbare aktuelle Pegelstände immer wieder einmal untergegangen sind, dass z. B. erst zu dem Zeitpunkt, zu dem das Wasser schon kam, deutlich wurde, dass ein Bahndamm - nämlich der in Pisselberg - kein Deich ist, dass Sandsäcke zu Beginn der letzten Woche knapp wurden mit der Folge, dass einige Sandsackhändler unanständigerweise geradezu Wucherpreise für Sandsäcke verlangt haben - das sind meiner Meinung nach Probleme, die man bei einer vorausschauenden Lagebewertung so nicht bekommen hätte.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass der Katastrophenschutz genauso wie die Sicherheit unserer Deiche auf den Prüfstand muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Niemand darf hoffen, dass die Elbeflut ein einmaliges Ereignis war. Deshalb müssen die Erfahrungen der Krisenstäbe und der professionellen Helfer und ihrer freiwilligen Unterstützer ausgewertet werden. Die Erfahrungen der Bundeswehr müssen in die Debatte über die Neuordnung des Katastrophenschutzes einfließen. Auch für die Diskussion über Wehrpflicht oder Berufsarmee - dieser Auffassung bin ich ausdrücklich - gibt es angesichts der unverzichtbaren Leistungen der Soldaten bei der Verteidigung der Deiche neue Aspekte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Leistungen der Einsatzkräfte waren - wie gesagt, da haben alle meine Vorredner Recht - hervorragend. Allerdings sind Koordinationsmängel im Land, zwischen den Kommunen, zwischen dem Land und den Kommunen sowie zwischen den zentralen Stellen von Land und Bund deutlich geworden. Wie viele Krisenstäbe zentral und dezentral gearbeitet haben, überblicke ich nicht mehr. Dass der eine manchmal aber nicht wusste, was der andere tut, habe ich vor Ort erlebt. Das ist nicht gut. Ein Ereignis wie diese Flutkatastrophe an einem Fluss erfordert - bei jedem Bekenntnis zum Föderalismus - in Zukunft auch eine zentrale Koordinationsstelle.

Meine Damen und Herren, die Flut hat eines gezeigt: Der bisher verfolgte Ansatz bei Wasserbau und Hochwasserschutz ist gescheitert. Das gilt nicht nur für die Elbe und die großen Flüsse. Wir begrüßen sehr, dass sich die Landesregierung seit der Flut mit uns gegen den Ausbau der mittleren Elbe und die Vertiefung der Unterelbe stark macht. Die falsche Politik von Minister Bodewig ist an der

Donau bereits gestoppt worden und wird jetzt für die mittlere Elbe überprüft. Es ist falsch, die Flüsse den Schiffen grenzenlos anzupassen, sie zu vertiefen und zu beschleunigen. Das haben Sie, Herr Ministerpräsident, richtig gesagt. Ich begrüße ausdrücklich, dass Sie im Gegensatz zum gestrigen Manuskript heute zu einem klaren Nein zum Ausbau der mittleren Elbe gefunden haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nachdem jetzt auch Herr Wulff zu den Vereinbarungen der Elbeerklärung zurückkehren will, meine ich, dass aufgrund dieser Einigkeit aller Fraktionen und Parteien im Lande der verrückte Ausbau der Elbe, der überhaupt nicht notwendig ist, weil wir den Elbeseitenkanal haben, gestoppt werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Den Flüssen und dem Wasser muss wieder Raum gegeben werden. Deiche müssen neu gebaut und ausgebessert werden. Das Amt Neuhaus ist das beste Beispiel dafür, dass notwendige Maßnahmen auch noch nach der Oderflut unterblieben sind. Über die Nichtabrufung von GA-Mitteln werden wir uns noch in den Ausschüssen unterhalten. Wichtig ist einerseits, dass es jetzt mehr Geld für den Deichbau geben soll. Andererseits ist natürlich auch zu klären, wie dieses Mehr an Geld ausgegeben werden soll. Erste Ankündigungen, meine Damen und Herren, lassen mich befürchten, dass doch wieder alles nach alten Plänen aus der Feder der alten Strategen gehen soll. Wenn wir nicht jetzt dafür sorgen, dass auch Deiche zurückverlegt werden und dass Wohngebiete und Industriegebiete nicht länger in Überschwemmungsgebieten ausgewiesen werden, dann frage ich mich: Wann dann? Ich kenne die Diskussionen aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg seit Jahrzehnten. Im Prinzip scheitert jeder Versuch einer Rückdeichung im Gestrüpp der Zuständigkeiten von kleinen Deichverbänden und Interessen vor Ort.

(Zuruf von der CDU: Stimmt nicht! Es gibt andere Beispiele!)

Dass all das in den neuen Bundesländern anders läuft und sich wahrscheinlich auch im Amt Neuhaus besser machen lässt, hat einfach damit zu tun, dass dort ganz andere Strukturen für den Deichschutz vorhanden sind. Dort ist halt zentral vorgegangen worden. Dort ist nicht so viel vor Ort entschieden worden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Beispiel: Die Holtorfer Stege ist inzwischen berühmt geworden. Das war der gefährdetste Deichabschnitt bei uns an der Elbe. Gerade dort ging es nicht darum, einen Deichverteidigungsweg zu verhindern, sondern um den langjährigen Versuch, eine Rückdeichung zu ermöglichen.

Also, es muss unter vielen Aspekten über die Probleme auch an den niedersächsischen Deichen geredet werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wird es uns gelingen - um ein wachsendes Problem zu nennen -, die Neuversiegelung der Flächen zu verlangsamen? Auch in Ihrer Rede, Herr Ministerpräsident, ist diese Frage angeklungen, und das Bundesumweltministerium hat jetzt in einem sehr ehrgeizigen Programm das Ziel formuliert, den Flächenneuverbrauch auf ein Viertel zu reduzieren. In Niedersachsen werden derzeit täglich 16 Hektar neu versiegelt. Das entspricht der Fläche von 26 Fußballfeldern. Das heißt, dass alle zehn Tage die Fläche eines kompletten und beachtlich großen landwirtschaftlichen Betriebes versiegelt wird.

Wir wollen im Landes-Raumordnungsprogramm eine Umkehr herbeiführen, meine Damen und Herren. In den derzeit laufenden Beratungen beißen wir aber bisher bei beiden großen Fraktionen auf Granit. Wenn Sie in Bezug auf diese Auseinandersetzung noch einmal in sich gehen würden, würden wir das sehr begrüßen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir appellieren an Sie in den Fraktionen, dazu beizutragen, dass das Bekenntnis des Ministerpräsidenten zur Vernunft, zu einem besseren Vorgehen, tatsächlich schon mit dem Landes-Raumordnungsprogramm umgesetzt wird.

Zu Niedersachsens Klimaschutz, meine Damen und Herren, nur zwei Hinweise:

Ohne Energieeinsparung - das haben auch meine Vorredner ausgeführt - gibt es keinen Klimaschutz. Wir sind uns einig. Ich bin der Meinung, dass deshalb solch kleine, aber wirksame Programme wie NESSI, das Energiesparprogramm für Schulen, wieder aufgelegt werden müssen und nicht dem Rotstift zum Opfer fallen dürfen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es gibt überhaupt keine Begründung dafür, dass die Energiesparaktion LENI - Sie haben sie so getauft - bei den Landesbehörden schon in der Pilotphase eingestellt wurde. Wer Energieeinsparung fordert, muss mit gutem Beispiel vorangehen. Es ist deshalb sehr schade, dass z. B. das Wirtschaftsministerium vor einigen Jahren die Fassade seines Hauses saniert hat, ohne dass an Energieverbrauch oder -einsparung auch nur gedacht wurde.

Meine Damen und Herren, zurück zu der großen Debatte: Werden wir aus dem Schaden, den wir erlitten haben, klug? Der Appell des Club of Rome liegt jetzt 25 Jahre zurück; die erste Konferenz zum globalen Klimaschutz in Rio liegt zehn Jahre zurück. Auch wenn die Bundesrepublik im internationalen Vergleich nicht Schlusslicht, sondern dank Jürgen Trittin und der rot-grünen Bundesregierung inzwischen der echte Treiber ist - alle ökotechnischen Fortschritte, die wir machen, werden bisher vom Wirtschaftswachstum kompensiert. Per saldo wird mehr Energie verbraucht, werden mehr Rohstoffe beansprucht, und es wächst die Mülllawine. Die Umwandlung von Wäldern und Wiesen in Plantagen, Äcker oder Siedlungen kostet viel mehr, als sie einbringt. Der Mensch hat da ein gigantisches Experiment an den eigenen Lebensgrundlagen in Gang gesetzt, das offenkundig vor dem Scheitern steht. Die grenzenlose Pyromanie und der grenzenlose Energieverbrauch führen zu einer Erwärmung der Erde und verwandeln diese an immer mehr Orten in eine völlig unwirtliche Landschaft.

Dass die Niederschläge immer intensiver werden und gleichzeitig die Wüsten wachsen, haben uns die Experten seit der Veröffentlichung der ersten Studie des Club of Rome vorausgesagt. Warum hat man eigentlich auf die Rückversicherer, auf Klimaexperten, auf den Club of Rome, auf Greenpeace oder auch auf uns Grüne so wenig gehört?

Nachhaltige Politik, nachhaltige Wirtschaft verlangt mehr Verantwortung, verlangt, über den engen Horizont der eigenen aktuellen Interessen und Bedürfnisse hinaus für weit nach uns kommende Generationen Politik zu machen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Man muss also Politik machen, ohne dass man die positiven Folgen, die Ernte, schon selber einfahren kann.

Es ist erfreulich, dass sich Gerhard Schröder jetzt zur Ökosteuer bekennt. Es ist erfreulich, dass Jürgen Trittin gerade jetzt vor dem Gipfel in Johannesburg

(Zurufe von der CDU)

im Kabinett die Rückendeckung des Kanzlers hat; denn - auch wenn man sich angesichts der Naturgewalt des Wassers ohnmächtig fühlt - die Katastrophen sind von Menschen gemacht oder zumindest von Menschen verstärkt worden. Wer nicht will, dass sich derartige Ereignisse häufig wiederholen, darf jetzt nicht bei der Hilfe für die Betroffenen und der Finanzierung des Wiederaufbaus stehen bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Konsequente Förderung der erneuerbaren Energien, ehrgeizige Energiesparprogramme und die Steigerung der Effizienz der Kraftwerke, das sind mehr denn je die Aufgaben einer vorausschauenden Politik.

Meine Damen und Herren, wir sehen die rot-grüne Bundesregierung auf dem rechten Weg, auch wenn die Minister Müller und Bodewig immer wieder auf Kurs gebracht werden müssen. Wir haben auch die heutigen Botschaften des Ministerpräsidenten gehört und sind darüber erfreut. Aber, meine Damen und Herren, es gibt politische Kräfte in Niedersachsen und im Bund, die im Prinzip nie vernünftig werden wollen, auch wenn Herr Wulff in seiner Rede im Allgemeinen überraschende umweltpolitische Positionen bezogen hat.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN - Oh! bei der CDU)

Herr Wulff, Sie kennen dank Ihrer Kollegin sicherlich den alten friesischen Wahlspruch - ich habe ihn auch aus Ostfriesland -: Wer nicht will deichen, der muss weichen!

(Frau Pruin [CDU]: „Wer nicht will diechen, der mut wiechen!“, heißt das!)

Auf Ihre CDU - ich spreche hier hochdeutsch; Sie verstehen mich - umgemünzt, könnte man heute sagen: Wer nicht will schützen, der kann uns nichts nützen!

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Wenn ich mir diesen „Akutversuch“ des stoiberschen Deichbauplans für die Bundesrepublik anschaue, wenn ich mir den Antrag anschaue, den der Kollege Stumpf offensichtlich für dieses Plenum gestellt hat, nämlich einen Antrag zum AllerLeine-Oker-Plan, dann muss ich sagen: Das kann tatsächlich noch nicht die Antwort auf das sein, was wir in den letzten Tagen erlebt haben. Das Versagen der CDU/CSU in der Umweltpolitik ist seit Jahren bekannt und gefürchtet.

(Widerspruch bei der CDU)

Zu Recht haben die Umweltverbände im Jahr 1998 - schon vor der Ablösung durch Rot-Grün - eine Regierungsbilanz mit dem Titel „Vier schwarze Jahre für die Umwelt“ vorgelegt. Diese Bewertung galt der Arbeit der jetzigen Parteivorsitzenden und damaligen Bundesministerin Angela Merkel, die angesichts der Flutkatastrophe quasi über Nacht doch noch blitzschnell die Umweltlücke im stoiberschen Kompetenzteam füllen sollte. Herr Wulff, wir hatten den Eindruck, dass das eine Art politischer Sandsackaktion war. Gebracht hat es nicht viel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wofür Sie beim Umweltschutz stehen, ist nicht wirklich bekannt, auch nicht nach Ihrer heutigen Rede.

(Zurufe von der CDU: Haben Sie nicht zugehört? Die Rede war über- zeugend!)