Protokoll der Sitzung vom 21.06.2000

Wenn Sie bedauern, dass sich der Bund aus der Verantwortung bzw. der Mitfinanzierung wahrzunehmender öffentlicher Aufgaben zurückzieht, frage ich mich schon, warum Sie in den letzten Monaten zugelassen haben, dass sich der Bund zulasten niedersächsischer Kommunen um 350 bis 400 Millionen DM entlastet und die Mittel für Gemeinschaftsaufgaben wie den Küstenschutz und die Bundesverkehrswege gekürzt hat.

(Zuruf von Frau Elsner-Solar [SPD])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eben die Frage, ob man nur Postulate verkündet oder ob man konkret handelt, wo man handeln kann, und entscheidet, wo man zum Entscheiden aufgerufen ist.

(Beifall bei der CDU – Plaue [SPD]: Sehr richtig! Man muss immer den Unterschied sehen zwischen dem, was Sie hier erzählen, und dem, was Sie politisch gemacht haben!)

Es gibt zwar den Erfolg, dass der Bund 74 % der Lasten aus der Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht tragen muss, Niedersachsen hat sich aber nicht dagegen gewehrt, dass der Bund neuerdings diese Vereinbarung nicht einhält. Das macht für Niedersachsen rund 450 Millionen DM aus.

Wir wollen, dass sich der Bund nicht permanent zulasten der Länder entlastet und unserem Land permanent in die Tasche greift. Es müssen Schritte hin zu eigenständigen Entscheidungskompetenzen für jede staatliche Ebene gemacht werden. Wir wollen auch, dass die Länder eigene Steuersätze festlegen können und dass Mischfinanzierungen abgebaut bzw. reduziert werden. Ferner wollen wir die Modernisierung des Föderalismus durch eine wirkungsvolle Neuordnung des Systems des Länderfinanzausgleichs erreichen.

Wir haben die Überzeugung, dass die Grundsätze, die hier postuliert worden sind, auch im eigenen Land zu gelten haben. Ich habe die Regierungserklärung insofern als sehr diffus empfunden. Was für das Bund-Länder-Verhältnis angekündigt und für die Bundesländer gefordert wird, muss gerade auch für die Kommunen im eigenen Land, also in

Niedersachsen, im kommunalen Finanzausgleich praktiziert werden. Dort gibt es aber einen Eklat.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann mich an keinen derartigen Eklat erinnern, dass die kommunalen Spitzenverbände gemeinschaftlich der SPD, den Grünen, der CDU und Ihnen einen Brief schreiben und Ihnen mitteilen, Sie würden wahrheitswidrig und irreführend Informationen in den Niedersächsischen Landtag tragen, und Sie hätten vorsätzlich und fortlaufend Beschlüsse und Entscheidungen des Staatsgerichtshofs in Niedersachsen missachtet. Ein solch miserables Verhältnis zwischen Ländern und Kommunen wie derzeit in Niedersachsen hat es wohl nirgendwo in Deutschland je zuvor gegeben.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Plaue [SPD])

Es ist eben wie im richtigen Leben, Herr Plaue: Wenn man anderen nassforsche Vorschläge macht, muss man sich hier und da auch einmal an die eigene Nase fassen. Das trifft Ihren Ministerpräsidenten.

(Beifall bei der CDU – Plaue [SPD]: Das ist überhaupt kein Problem!)

Ich sage Ihnen zu, dass wir in der Frage des Föderalismus und der Europapolitik mit Ihnen gemeinsam die Anliegen der Länder vertreten werden.

Was uns aber am heutigen zehnten Geburtstag der SPD-Landesregierung beschäftigen sollte, ist die Tatsache, dass wir bei allen wichtigen Daten - Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Unterrichtsversorgung – zum Schlusslicht der westdeutschen Flächenländer geworden sind.

(Frau Lau [SPD]: Das ist auch wieder Quatsch! Der erzählt immer dieselben Märchen! Das ist ja langweilig!)

Ich sage Ihnen in allem Ernst: Eine Geschichtsklitterung lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der CDU)

Bei Bildung, sozialer und innerer Sicherheit standen wir 1990 besser da als heute. 1990 bis 1994 wurde verschwendet und vergeudet, 1994 bis 1998 vertrödelt und vertagt und 1999 bis 2000 gefeiert und gereist. - Das ist die Wirklichkeit der vergangenen zehn Jahre, wenn man sie in wenigen Sätze zusammenfasst.

(Beifall bei der CDU – Meinhold [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit, was Sie da sagen!)

In den vergangenen zehn Jahren hat unser Land einen Einheitsboom ungeheuren Ausmaßes erlebt. Niedersachsen ist vom Zonenrand – Niedersachsen hatte den längsten Teil der innerdeutschen Grenze – in das Zentrum Deutschlands bzw. Europas gerückt – mit riesengroßen Auftragseingängen gerade in den Jahren nach 1990.

Ich empfinde es als unhistorisch und als ziemlich dreistes Bubenstück, wenn man diese zehn Jahre im Vergleich als zweitschwerstes Jahrzehnt nach dem Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Meine Damen und Herren, so geht es wirklich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Im Kern ging es damals darum, dass jeder ein Dach über dem Kopf hatte, dass kein Hunger mehr gelitten werden musste und dass Millionen Vertriebene in Niedersachsen integriert werden mussten. Die Situation unter Hinrich Wilhelm Kopf mit Ihrer Regierung in den vergangenen zehn Jahren zu vergleichen, als es Ihnen um Berichte, Förderpläne und Verbandsklagen ging, ist so absurd und abwegig, dass man es entschieden zurückweisen muss.

(Beifall bei der CDU)

Im Kern ist die Existenzfähigkeit des Landes Niedersachsen aufs Spiel gesetzt worden.

(Zuruf von Frau Lau [SPD])

Dafür kann man weder die Globalisierung noch die Europäisierung verantwortlich machen. Der sind Bayern und Baden-Württemberg genauso ausgesetzt wie Niedersachsen. Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Da können Sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen!

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Die einzige Ankündigung, die von 1990 noch aufrechterhalten worden ist, nämlich die Lernmittelhilfe, wollen Sie, wie wir soeben in der Regierungserklärung gehört haben, im Jahr 2003 abschaffen, und damit bleibt von Ihren zehn und dann 13 Jahren Sozialdemokratie in Niedersachsen gar nichts übrig.

(Frau Lau [SPD]: Das hat er gar nicht gesagt! Sie haben auch da nicht zuge- hört!)

- Wenn Sie sagen, dass das sozusagen nicht das autorisierte Redemanuskript des Ministerpräsidenten war und er diese Passage nicht vorgetragen hat, was vorkommen kann, dann lassen Sie uns doch abwarten, ob das, was darin stand, oder das gesprochene Wort gilt.

(Zuruf von Frau Lau [SPD])

- Frau Lau, bevor Sie hier als Nachfolgerin in Erscheinung treten, wollen wir das hier einmal kurz festhalten: Es gilt das gesprochene Wort. Wenn die Lernmittelhilfe hier noch nicht thematisiert werden soll, so stelle ich doch fest, dass im Redemanuskript von der Abschaffung die Rede ist.

(Meinhold [SPD]: Wir haben Lern- mittelfreiheit! - Lachen bei der CDU - Möllring [CDU]: Was?)

- Wenn Sie die im vierten Jahr hintereinander zu benutzenden Bücher, die meine Tochter im August in die Hände gedrückt bekommt, als Lernmittelfreiheit bezeichnen, dann haben Sie einen Freiheitsbegriff, den ich nicht unterschreiben kann.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Es ist eben wahr, dass Sie aus einem jahrelang ausgehobenen Schuldenloch keinen Berg von Golddukaten machen können und Sie für das gerade stehen müssen, was Sie zu verantworten haben, was Sie getan und was Sie unterlassen haben.

Es gab aus Ihrem Bereich so manche Offensive, die mit schönen Worten und schillernden Begriffen unterlegt war, aber bereits am Strafraumrand gescheitert oder in der eigenen Hälfte abgebrochen worden ist. Sie sind gut im Entschuldigen Ihrer Versäumnisse und im Erfinden neuer Begriffe. Aber wenn man sich die verbrauchte Ministerriege ansieht, dann fühlt man sich eben - -

(Frau Lau [SPD]: Das ist persönlich! Unmöglich!)

- Wenn man eben bei der Rede des Ministerpräsidenten in Ihre Gesichter geschaut hat, dann hat man sich an die deutsche Kabine gestern nach Spielschluss erinnert gefühlt.

(Heiterkeit und starker, anhaltender Beifall bei der CDU)

Natürlich drängen sich die Ähnlichkeiten auf. Das ist ja ein trauriges Thema. Ich bin wirklich leidenschaftlicher Fußballfan. Aber es drängen sich schon Parallelen auf. Sie haben sogar einen Minister, der sein Aufhören für 2003 angekündigt hat, aber trotzdem Minister bleiben will. Es ist bei Ihnen im Kabinett möglich, dass man sozusagen den Abschied einreicht und trotzdem bleibt, weil es nämlich niemand bemerken würde. Aber das wird der Wähler schon in die Hand nehmen.

(Möhrmann [SPD]: Was haben Sie denn eigentlich vor, Herr Wulff?)

Ich will hier aber keinen Vergleich zu Lothar Matthäus anstellen, weil wir Lothar Matthäus das nun wirklich nicht antun können. Der hat große Verdienste um Deutschland. Deshalb weise ich das hier entschieden zurück.

(Beifall bei der CDU)

Hans-Ulrich Klose, ein guter Sozialdemokrat, hat gesagt, die SPD habe ein Problem mit der Wirklichkeit. Das ist hier überdeutlich geworden. Es ist überdeutlich geworden, dass man nicht mehr die Show abziehen kann, über Jahre hinweg so zu tun, als wenn da etwas wäre, sondern dass man irgendwann einmal Bilanz ziehen und sich ansehen muss, was aus der Aufbruchstimmung geworden ist. Die Aufbruchstimmung heute Morgen war ja wirklich phänomenal. Wir sind hier heute Morgen auf dem Weg in die Zukunft gemeinsam richtig aufgebrochen.

Wir haben Ihnen, nachdem Sie in den ersten vier Jahren bereits 15 Milliarden DM an Schulden draufgesattelt hatten, trotzdem das Angebot zur Mitarbeit unterbreitet

(Minister Aller: Das wäre etwas ge- worden, Herr Wulff!)

und sind heute noch traurig darüber, dass Sie dieses Angebot arrogant und überheblich stets zurückgewiesen haben. Heute holt Sie ein, dass Sie unsere Vorschläge verhöhnt und schnöde abgelehnt zu haben. Wir bleiben aber dabei, dass man nicht weiterkommt, wenn man die Probleme mit einer Vogel-Strauß-Politik ignorieren will.

(Möhrmann [SPD]: Was Sie in jedem Haushaltsantrag unterstreichen!)