Protokoll der Sitzung vom 22.02.2001

Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Verantwortlichen der SPD auf Bundesund Landesebene womöglich nicht mehr ganz so ernsthaft um die Zukunft der Bundeswehr, unserer Soldaten, ihrer Familien und ihrer zivilen Mitarbeiter in Niedersachsen geht. Wir haben den Eindruck, dass es ihnen im Prinzip nur noch um Nachsorge und vermutlich insbesondere auch um das Zusammenkehren eines Scherbenhaufens geht, der die Bezeichnung „Reform der Bundeswehr“ tatsächlich nicht mehr im Ansatz verdient.

Ich will Ihnen das auch begründen. Noch bevor der Verteidigungsminister Scharping am 16. Februar offenbar endgültige Zahlen für sein in Niedersachsen angerichtetes Werk vorlegt - bevor also irgendetwas bekannt gegeben wurde -, spricht bereits der SPD-Fraktionsvorsitzende, Herr Plaue, von „ehemaligen Bundeswehrstandorten“ in Niedersachsen, und er dankt der Landesregierung für ihre vermeintlich schnelle Hilfe. In einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion zeigte er sich zudem

erfreut, dass die Landesregierung so schnell auf die politischen Absichten der Fraktion reagiert habe.

Meine Damen und Herren, wirklich hilfreich wäre es gewesen, wenn Sie sich frühzeitig in den Beratungen, die seit Sommer 2000 zu diesem Thema in Berlin und offenbar auch auf Landesebene geführt wurden, inhaltlich vernünftig mit diesem Thema auseinander gesetzt hätten, um in diesem Bereich Schlimmeres für das Land Niedersachsen abzuwenden.

(Beifall bei der CDU)

Ich kann es nicht als Ihren Erfolg erkennen, dass die Feldjägerschule aus Sonthofen nach Niedersachsen kommen soll, das Logistikzentrum womöglich nach Wilhelmshaven oder aber die Einzelkorrektur für den Standort Lingen am Ende gelungen ist. Gerade im Fall Lingen war es wahrlich nicht diese Landesregierung, die sich dort mit Ruhm bekleckert hat,

(Beifall bei der CDU)

sondern es sind diejenigen, die sich vor Ort um ihren Standort gekümmert hatten.

Ich darf nur daran erinnern, Herr Adam, da Sie sich offenbar auch zu Wort gemeldet haben: Sie haben uns im Plenum im November, im Dezember und im Januar immer wieder der Gefühlsduselei und der Panikmache bezichtigt.

(Beifall bei der CDU)

Sehen wir uns einmal die „Welt“-Liste vom 14. Dezember an. Sie werden feststellen, dass bis auf die Standorte Stadtoldendorf und Seedorf alle Standorte bereits am 14. Dezember für Niedersachsen feststanden und auch heute feststehen. Es sind die Standorte Achim, Dörverden, Osterode, Wangerland, Werlte plus die reduzierten Standorte Braunschweig, Bremervörde, Celle, Cuxhaven, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Schwanewede. Lingen habe ich dabei bereits herausgelassen.

Meine Damen und Herren, Sie haben entweder durch Unterlassen oder aber vielleicht sogar auch ein wenig bewusst daran mitgewirkt. Ich will Ihnen deutlich sagen, dass das Ganze wenig professionell auf uns gewirkt hat, wenn der Niedersächsische Ministerpräsident kurz nach der Verkündung der Standortentscheidung für Niedersachsen bereits verkündet, er, Gabriel, finde den Truppenabbau in Niedersachsen gerecht. Ja, meine Damen und Herren, wer so an ein Thema herangeht, der kann

wahrlich nicht glauben, dass er auch nur noch den Hauch einer Chance hätte, irgendetwas für Niedersachsen zu erreichen.

(Beifall bei der CDU - Möllring [CDU]: Deshalb fehlt er auch! Jetzt ist er auch wieder feige!)

Das war, schlichtweg gesagt, Feigheit vor dem Freund, meine Damen und Herren, denn Ihr Freund auf Bundesseite hat diese Landesregierung zumindest im Stich gelassen.

(Plaue [SPD]: Sie denken immer noch in den alten Kategorien!)

Es trifft alle, Herr Plaue, alle Angehörige in den Standorten. Es trifft im Übrigen auch die mittelständischen Betriebe. Es betrifft Handel und Handwerk in Niedersachsen. Herr Plaue, Sie haben es in den letzten Monaten schlichtweg versäumt, hier unmissverständlich klarzustellen, wie Sie tatsächlich zur Bundeswehr in Niedersachsen stehen. Herr Plaue, Sie hätten Grund genug dazu gehabt.

Die chaotische Informationspolitik der Bundesregierung seitens des Bundesverteidigungsministers Scharping ist nach nunmehr zwei Jahren im Amt nun wahrlich nicht mehr mit Anfängerfehlern zu begründen. Wir waren in den Ausschussberatungen, in den Unterrichtungen durch die Landesregierung zu diesem für Niedersachsen wichtigen Thema teilweise schon peinlich berührt, wenn Sie immer und immer wieder eingestehen mussten, bis heute habe das Land Niedersachsen keine offizielle Unterrichtung erhalten. Sie haben kein belastbares Zahlenmaterial, und Sie haben im Prinzip die Standorte in Niedersachsen häppchenweise präsentiert bekommen, ob es sich dabei nun um Internetlisten handelt, ob es sich dabei nun um nachgeschobene Listen handelt, ob es sich dabei um tagtäglich neue Meldungen für Niedersachsen handelt.

Die Spitze war am Ende der geradezu groteske Versuch des Ministerpräsidenten Gabriel, zu verkünden, 21 000 Posten würden in Niedersachsen wegfallen. Kein Mensch weiß, woher Sie diese Zahl haben. Sie wollten sich hier als der Retter aufspielen. Ich muss Ihnen sagen, Sie sind am Ende als Bettvorleger gelandet.

(Beifall bei der CDU)

Sie wollten lediglich die Öffentlichkeit täuschen, indem Sie ein Horrorszenario aufgebaut haben.

Ich will Ihnen mal sagen, wie so etwas in Standorten ankommt. Wenn der Ministerpräsident bei diesem Thema herausgeht, dann zeigt das natürlich auch sehr deutlich - -

(Unruhe und Zurufe)

- Nun gut, ich finde, bei diesem Thema gehört der Ministerpräsident hierher.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

- Herr Plaue, Sie können sich das jetzt mal schnell überlegen. Bringen Sie mal Ihre Fraktion auf Trab. Dann sollten wir weiter über dieses Thema reden.

Meine Damen und Herren, wie müssen sich eigentlich die Frauen und Männer der Bundeswehr in Niedersachsen, aber auch die kommunalen Vertreter vor Ort in den letzten Wochen seit dem 29. Januar gefühlt haben?

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Lass doch eben abstimmen!)

Ich will einmal daran erinnern, dass der KFOREinsatz für einige der Truppenverbände, die Sie jetzt wegkürzen wollen, bevorsteht. Die schicken Sie unter Einsatz ihres Lebens im Mai, Juni in jetzt wahrlich schwierige und gefährlichste Einsätze. Die kommen dann später zurück und erfahren, dass am Ende ihre Standorte aufgelöst werden. Meine Damen und Herren, solch ein Umgang mit diesen Menschen ist wahrlich gefährlich.

(Beifall bei der CDU)

Dramatischer Höhepunkt dieses wahrlichen Trauerspiels war dann allerdings die Anhörung der Kommunen im Landtag am Dienstag der vergangenen Woche. Ziel war es, Kräfte zu bündeln und zu sagen: Wir haben noch eine Chance, wir kämpfen für unsere Standorte. - Was ist dabei herausgekommen? - Ich will nur den Oberstadtdirektor der Stadt Celle dazu zitieren, nachzulesen in der „Celleschen Zeitung“ vom 15. Februar:

„Die Situation, die wir dort vorfanden, war einfach blamabel. Während die CDU-Ausschussmitglieder komplett erschienen seien, seien von der SPD nur zwei Abgeordnete plus die SPD-Ausschussvorsitzende Rosema

rie Tinius zur Anhörung erschienen. Die Fraktion,“

- Herr Plaue, Ihre Fraktion! –

„die aufgrund der Mehrheitsverhältnisse evtl. noch etwas für die Gemeinden hätte tun können, glänzte durch Abwesenheit und demonstrierte so ihr Desinteresse.“

Genau das war es.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Das war der Landesschatzmeister der CDU! Mir kommen die Tränen!)

- Herr Plaue, am Ende sagt er:

„Wir zogen tief enttäuscht von dannen. Man durfte noch Resolutionen abliefern! Und das wars dann.“

Nach dem Motto: Basta, das wars, liebe Kommunen, uns interessiert überhaupt nicht, was ihr denkt. Für uns sind die Entscheidungen gefällt.

Sie schreiben in Ihren SPD-Antrag, Standortschließungen und Personalreduzierungen seien unumgänglich. Dazu will ich Ihnen kurz Folgendes sagen. Die SPD-Bundesregierung hat die Entscheidung zu einer radikalen Reduzierung der Bundeswehr getroffen. Sie kommen immer wieder mit dem Argument, was 1995 war. Da waren es 6 200 Dienstposten. Wir sind heute bei über 13 000 in Niedersachsen; das nur, um die Relationen zu wahren. Wir hatten damals eine etwas andere Zeit. Wir landen jetzt im Übrigen auf einem Stand der 60er-Jahre, was den Personalumfang der Bundeswehr betrifft. Seit 1995 liegen keine wesentlichen Veränderungen oder Erkenntnisse vor außer denen, dass Kriege tatsächlich an den Rändern Europas führbar sind, dass Kriege in Jugoslawien oder Tschetschenien - man hört nichts von dem heutigen Grünen-Außenminister dazu, wenn er dorthin reist - möglich sind und dass Menschen dort auf bestialische Weise umgebracht werden.

Meine Damen und Herren, es ist auch ein falsches Signal an unsere Bündnispartner, wenn wir mit unseren Verteidigungsausgaben und den Möglichkeiten, die wir haben, immer weiter heruntergehen. Auf der anderen Seite fordern die Bündnispartner von uns einen höheren Beitrag ein. Mit einer immer kleineren Armee wird das so nicht funktionieren.

Zur fehlenden finanzpolitischen Begründung will ich Ihnen Folgendes sagen: Der heutige Verteidigungshaushalt ist mit 44 Milliarden DM angesichts mancher Großprojekte total unterfinanziert. Neue Berechnungen gehen davon aus, dass Reformkosten in einer dreistelligen Millionenhöhe entstehen und so genannte Altlasten den Verteidigungshaushalt belasten. Wir werden uns darüber unterhalten, wenn wir über Konversionsprogramme für Niedersachsen sprechen. Ich will Ihnen nur sagen: Der tatsächliche Kaufkraftverlust, der durch die Reduzierung der Bundeswehr entsteht, hat dazu geführt, dass der Verteidigungshaushalt heute kleiner ist als der Verteidigungshaushalt des Jahres 1970.

Auf Bundesebene hat Minister Scharping 1998 gefordert, dass Deutschland für seine Armee jährlich 5,2 Milliarden DM mehr ausgeben soll. Er hat am 6. Oktober 1999 messerscharf festgestellt: Seit 1990 sind jährlich etwa 4 bis 5 Milliarden DM zu wenig in eine moderne Ausrüstung der Bundeswehr gesteckt worden. Ja, wenn das womöglich Ihre richtige Analyse war, als Sie die Regierung 1998 übernommen haben, passt das doch wohl nicht in das Konzept, das Sie uns heute als richtungsweisend für die Reform der Bundeswehr verkaufen wollen!

Meine Damen und Herren, zu den fehlenden strukturpolitischen Gründen nur so viel: Sämtliche Standortkriterien, nach denen gegen oder für einen Standort in Niedersachsen entschieden wurde, waren mit den von der Schließung oder der Reduzierung betroffenen Gemeinden niemals erörtert worden. Niemand kennt bis heute die Gewichtung der Kriterien, die dafür eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben.

Irgendwann hat der Bundesverteidigungsminister mal an alle Kommunen und auch an die Abgeordneten, die sich irgendwo eingesetzt haben, geschrieben, er wolle mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und den Länderregierungen noch im ersten Quartal diesen Jahres darüber sprechen. Das war wichtig, damit man noch eine Chance hat, irgendwo zu sagen: Ihr kennt doch unsere Argumente gar nicht, warum in einer strukturschwachen Region wie Dörverden, Wangerland oder Werlte oder wo auch immer eine Reduzierung ziemlich tief schlägt, wenn man das unternimmt.

Aber das hat Sie überhaupt nicht interessiert. Kriterien wie räumliche Verwurzelung der Bundeswehr in der Fläche, Nachwuchsgewinnung, Bedeutung

der Bundeswehr für die Infrastruktur, strukturschwache Räume, Katastrophenschutz, alles das hat überhaupt keine Rolle gespielt. Die Entscheidung gegen die Bundeswehr und für eine Verkleinerung der Bundeswehr steht aus rein finanzpolitischen und ideologischen Gründen seit Mitte letzten Jahres fest. Und das ist bittere Realität.

(Beifall bei der CDU)

Richtig ist, dass die Bundeswehr nicht dazu da ist, stationiert zu sein. Dieser Satz stammt im Übrigen von Volker Rühe; der hat das damals auch so gesagt. Richtig ist aber auch, dass gewachsene Strukturen nicht unnötig zerschlagen werden sollten.

Ich will Ihnen sagen: Da Sie durch Ihre Reduzierungen ohnehin nur 0,3 bis 0,4 % des gesamten Verteidigungshaushaltes einsparen, kann das nicht so funktionieren, dass man ganze Flächen in Niedersachsen - etwa das Emsland mit über 5.500 km² - quasi von der Bundeswehr entblößt und zu bundeswehrfreien Zonen erklärt.