Protokoll der Sitzung vom 08.03.2007

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, nun bei der Abstimmung aufzupassen.

(Heiterkeit - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das machen wir doch immer!)

Jetzt hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen noch einmal zu Wort gemeldet. Sie haben 40 Sekunden, Frau Korter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die CDU-Fraktion nun bereit ist, auf „Material“ zu plädieren, damit diese Frage tatsächlich noch einmal berücksichtigt wird und eventuell auf Bundesratsebene etwas passiert, werden wir uns diesem Antrag anschließen und auch auf „Material“ plädieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, jetzt wird es wieder einfacher. Wie mir signalisiert worden ist, sind sich alle Fraktionen einig, diese Eingabe der Landesregierung als Material zu überweisen und dem Bundestag zur Information zuzuleiten.

Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig.

Dann schließe ich diesen Tagesordnungspunkt und rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 23: Zweite Beratung: Aufruf für Europa - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3369 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien - Drs. 15/3551 Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drs. 15/3630

Der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien empfiehlt Ihnen in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag in geänderter Fassung anzunehmen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung.

Zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Plaue von der SPD-Fraktion. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Monat feiern wir den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Mit diesen Römischen Verträgen ist in Europa etwas geschaffen worden, was in der europäischen Geschichte - jedenfalls in dieser Konsequenz - einmalig gewesen ist und auch heute noch immer einmalig ist. Wir haben es erreicht, dass nach vielen Kriegen und Auseinandersetzungen, in denen sich europäische Staaten untereinander bekriegt haben, in einem Abschnitt von über 60 Jahren Frieden in Europa herrscht. Das ist ein Wert an sich, den man nicht hoch genug einschätzen kann.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mit diesen europäischen Verträgen ist es gelungen, dass die Staaten Europas aufeinander zugehen, miteinander arbeiten, einen Wirtschaftsraum geschaffen haben, fast alle Grenzen in Europa fallen gelassen und dafür gesorgt haben, dass Europa nicht auf die Gründungsstaaten und die Unterzeichnerstaaten der europäischen Verträge reduziert geblieben ist.

Europa hat sich nicht erweitert. Aber wir haben die Gemeinschaft der Staaten in Europa vergrößert,

die sich zu der Europäischen Union bekennen und deshalb auch deutlich machen, dass sie zu einer Gemeinschaft gehören, die mehr ist als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Europa, so wie wir es verstehen, ist eine starke Wirtschaftsgemeinschaft. Europa, so wie wir es verstehen, ist aber auch eine große und starke solidarische Gemeinschaft, die dafür ist, dass die Menschen in der Welt und in Europa vor großen Institutionen nicht nur Angst haben, sondern mit diesen Institutionen etwas verbinden, was ihre soziale Sicherheit stärkt, meine sehr verehrten Damen und Herren. An dieser sozialen Sicherheit mangelt es leider Gottes, jedenfalls in der politischen Interpretation des europäischen Projektes, noch sehr.

Natürlich ist mit der Verabschiedung der Europäischen Verfassung jedenfalls in den meisten europäischen Staaten etwas gelungen, was man als die Grundlage einer neuen europäischen Idee begreifen kann. Wenn wir sehen, dass heute in den europäischen Ländern mit unterschiedlichem Anspruch, aber mit dem gleichen Ziel dafür gekämpft wird, dass Bürgerrechte vor Staatsrechten etabliert werden, dann zeigt das, dass die Europäische Verfassung ein richtiger und wichtiger Meilenstein auf dem Weg dahin ist.

Leider ist diese Europäische Verfassung in ihrem Ratifizierungsprozess durch zwei Volksentscheide gestoppt worden, in denen aber - das will ich hier deutlich sagen - die europäische Leitidee keine Rolle gespielt hat. Es waren innenpolitische Probleme, die sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden dazu geführt haben, dass die Menschen Nein gesagt haben. Sie haben nicht Nein zu Europa gesagt, sie haben allerdings leider Gottes das Projekt der Verfassung mit einem Nein zu Europa verbunden. Das ist schlecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb ist es richtig, dass versucht wird, diesen Verfassungsprozess wieder auf den Weg zu bringen. Es ist aber genauso richtig, dass sich Frau Merkel als Bundeskanzlerin und Ratspräsidentin nicht ausschließlich mit diesem Thema befassen darf. Die Menschen erleben Europa in vielen Bereichen auch als eine Bedrohung ihrer wirtschaftli

chen Situation. Deshalb muss eine europäische Sozialpolitik ein wichtiger Stein der europäischen Zusammenarbeit sein, meine Damen und Herren. Aber das fehlt.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen müssen wissen, dass ihr Zusammenleben mit den anderen Völkern Europas nicht ihre wirtschaftliche Existenz bedroht, sondern die Chancen zu einem gemeinsamen Miteinander nach vorne bringt. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung und von der Landesregierung, dass sie das Projekt „Soziales Europa“ in den nächsten Jahren nach vorne bringen, damit die Menschen wieder an Europa glauben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas erwähnen, was man an dieser Stelle erwähnen muss, wenn man über Europa redet. Einer der wichtigen Gründe, aus denen sich die Bundesrepublik Deutschland als freier und sozialer Rechtsstaat hat etablieren können, war die Gesetzgebung, zu der wir nach dem Krieg die Chance hatten. Diese Gesetzgebung war darauf ausgerichtet, die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die regionale Bedeutung von Wirtschaftspolitik und die Verantwortung des Staates für Wirtschaftspolitik nach vorn zu bringen. Deshalb sagen wir eindeutig Nein zu einem wirtschaftsliberalen Ansatz, der diese Aspekte völlig außen vor lässt und versucht, über die europäischen Institutionen wirtschaftsliberales Instrumentarium als Glied der Zusammenarbeit in Europa zu definieren. Wer Europa so definieren will, der wird die Menschen nicht mitnehmen. Deswegen sagen wir Nein zu einem solchen Ansatz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Man muss etwas zu dem Volkswagen-Gesetz sagen, weil es im Moment den europäischen Institutionen vorliegt. Das Volkswagen-Gesetz hat diese Zusammenarbeit organisiert und organisiert sie noch heute. Ich darf daran erinnern, dass das Volkswagen-Werk von der Deutschen Arbeitsfront gebaut worden ist, die dafür das Geld genommen hat, das die Nationalsozialisten den Gewerkschaften geraubt haben. Das war der Beweggrund für das Volkswagen-Gesetz.

(Beifall bei der SPD)

Die Politik hat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gesagt: Wir wollen dieses Unrecht wenigstens dadurch wieder gutmachen, dass wir die Machtverhältnisse in diesem Konzern so gestalten, dass die Politik als Sachwalter der Interessen der Arbeitnehmer dort eine starke Verantwortung hat, und dass eine Stiftung dafür sorgt, dass dort nicht nur reine Kapitalinteressen verfolgt werden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn der Europäische Gerichtshof dies nicht akzeptieren würde, würde er im Nachhinein das Unrecht der Nationalsozialisten gegenüber der Gewerkschaftsbewegung sanktionieren. Das kann nicht sein. Eine solche Vorstellung von Europa haben wir nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete Kuhlo das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Fraktionen dieses Hauses waren sich im Herbst des letzten Jahres darüber einig, dass die erste Jahreshälfte 2007 für Deutschland innerhalb der EU ein besonderer Zeitraum ist, den es auch hier im Niedersächsischen Landtag zu würdigen gilt. Wir wollten die deutsche Ratspräsidentschaft und das 50-jährige Bestehen der Römischen Verträge nutzen, um die Menschen an die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union und ihre Werte zu erinnern. Wir wollten das insbesondere deshalb tun, weil wir auch in Deutschland eine Europaskepsis und eine Europamüdigkeit feststellen müssen, die nicht nur, aber in Teilen ihre Ursache in Kommunikationsproblemen hat; darauf bin ich schon einmal eingegangen.

Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, darf ich hier Roman Herzog zitieren, der in der Ausgabe der Welt am Sonntag am 13. Januar dieses Jahres schrieb:

„Die meisten Menschen stehen der europäischen Integration im Grundsatz positiv gegenüber. Gleichzeitig aber beschleicht sie das immer mächtiger werdende Gefühl, dass da etwas nicht stimmt; dass eine intransparen

te, komplexe und verflochtene Mammut-Institution entstanden ist, die losgelöst von Sachproblemen und nationalen Traditionen immer weitere Regelungsbereiche und Kompetenzen an sich zieht; dass die demokratischen Kontrollmechanismen versagen; kurz: dass es so nicht weitergehen kann.“

Meine Damen und Herren, hier hat Roman Herzog recht. Weil auch wir das Gefühl haben, dass es so nicht weitergehen kann und dass auch wir Politiker die Menschen mit dieser Skepsis gegen Europa nicht alleinlassen dürfen, und weil wir wissen, dass Europa für die Menschen auch hier in Niedersachsen gut ist, wollen CDU und FDP einen umfassenden, möglichst alle Akteure ansprechenden Aufruf für Europa. Die Koalitionsfraktionen rufen dazu auf, sich bewusst zu machen, dass der europäische Einigungsprozess dazu geführt hat, dass unsere Kinder Flucht und Vertreibung in Europa nur aus Erzählungen ihrer Groß- und Urgroßeltern oder aus Filmen wie dem in dieser Woche von der ARD ausgestrahlten hervorragenden Zweiteiler „Die Flucht“ kennen, und dass Freiheit und politische Stabilität der Lohn für über 50 Jahre währendes Bemühen und Ringen von zunächst 6 und zuletzt 27 Staaten mit fast einer halben Milliarde Menschen um Frieden und Verständigung sind.

Die Staaten Europas wachsen beständig zu einer Wertegemeinschaft zusammen, in der Toleranz und Respekt vor anderen Sitten und Traditionen eine wesentliche Klammer bilden. Wirtschaftlich profitiert aufgrund seiner geografischen Lage und der exportabhängigen Wirtschaft Niedersachsen ganz besonders von dieser Europäischen Union.

Wir appellieren aber auch an die Kommission, die sich in ihrer Regelungswut endlich beschränken und ihre Informations- und Aufklärungsarbeit noch deutlich verstärken muss. Die Europäische Union kann nur so gut sein, wie sie in der europäischen Bevölkerung Unterstützung findet.

Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der deutschen Ratspräsidentschaft sind die Medien voll mit Themen zu Europa. Das ist auch gut so. Ob in der Presse, im Internet oder im Fernsehen - die Beiträge sind vielfältig in Themen und Blickwinkeln, sodass sich jeder Bundesbürger an der einen oder anderen Stelle angesprochen fühlen müsste. Aber auch die Bundesregierung muss ganz besonders während ihrer Ratspräsidentschaft

Öffentlichkeitsarbeit nicht für sich selbst, sondern für die europäische Sache betreiben. Die Bundesregierung kann dabei aber zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wenn es ihr gelingt, die wichtigsten Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft ein ordentliches Stück voranzubringen, wird sie damit automatisch für sich selbst werben. Bisher ist dabei aber noch nicht viel Fortschritt zu sehen. Bisher sind lediglich Zielvorstellungen formuliert, auf deren Umsetzung wir mit Spannung warten. Deshalb gilt unser Aufruf auch der Bundesregierung. Sie muss den Verfassungsvertrag auf die Zielgerade bringen. Sie muss den LissabonProzess in Deutschland und in ganz Europa auf Trab bringen. Sie muss wichtige energie- und umweltpolitische Probleme einer Lösung näherbringen, und sie muss denjenigen Menschen, die noch Skepsis oder gar Angst vor Europa haben, Europa näherbringen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es ist schade, dass Sie unserem Aufruf nicht zustimmen wollen; denn unser Ziel war es, hier einen gemeinsamen Aufruf aller Fraktionen zu verabschieden. Der uns gestern Vormittag zugegangene Änderungsantrag der SPD ist aber leider für eine Einigung völlig ungeeignet. Der erste Teil ist Wort für Wort bereits Ende November vorgelegt worden und war schon damals unzureichend. Der zweite Teil beschreibt einen Blick auf Europa durch die rote Brille der Sozialdemokratie und kann bestenfalls als Versuch zur Nachbesserung dessen gelten, was die SPD in der Großen Koalition auf Bundesebene schon nicht hat durchsetzen können. Herr Plaue hat dies soeben indirekt bestätigt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)