Protokoll der Sitzung vom 27.04.2007

Aus Sicht des Innenministeriums waren die angewandten Verfahrensweisen zum Zeitpunkt des jeweiligen Kenntnisstandes nicht zu beanstanden.

Somit habe ich die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Bartling beantwortet.

Allerdings hat Herr Abgeordneter Bartling in der Mündlichen Anfrage auch die von ihm zum selben Sachverhalt gestellte Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung erwähnt und weiter den Eindruck erweckt, ich würde diese Anfrage nicht zeitnah beantworten wollen. Ihr Einverständnis, Herr Bartling, vorausgesetzt, beantworte ich Ihre schriftliche Anfrage deshalb mündlich wie folgt:

Wortlaut der Kleine Anfrage des Abgeordneten Heiner Bartling (SPD), eingegangen am 14. März 2007:

„Ungereimtheiten bei der Aufklärung eines bemerkenswerten Vorgangs in der Polizeidirektion Oldenburg?

Seit Anfang des Jahres wird insbesondere in den Printmedien im Nordwesten des Landes über angebliche Suizidversuche des Leiters der Polizeiinspektion Wilhelmshaven-Friesland-Wittmund berichtet: Danach soll der Beamte, ein leitender Polizeidirektor, zunächst am Nachmittag des 22. Dezember 2006 mit einem Streifenwagen anlässlich einer Verfolgungsfahrt einen Verkehrsunfall verursacht haben, bei dem er nicht verletzt, das Fahr

zeug aber völlig zerstört wurde. Erst ca. drei Wochen später soll er selbst ausgesagt haben, in Suizidabsicht gegen den Baum gefahren zu sein. Aber auch diese Version soll angeblich aufgrund von Zeugenaussagen mittlerweile widerlegt sein.

In den späten Abendstunden des gleichen Tages soll der Beamte zusammen mit seiner Ehefrau im gemeinsamen Haus (Garage) versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Es kam jedoch zum Abbruch des Suizides, der Beamte selbst verständigte den Rettungsdienst. Hintergründe für die behaupteten Suizide sollen im privaten Bereich liegen; seit Anfang März berichten die Medien davon, dass der betroffene Beamte eine Freundin gehabt haben soll und dieses Verhältnis kurz vor Weihnachten aufzufliegen drohte.

Da es Ungereimtheiten hinsichtlich des Verkehrsunfalls, aber insbesondere hinsichtlich des Herganges im Hause des Beamten gibt - so soll z. B. er selbst laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft Oldenburg beim Eintreffen des Notarztes voll handlungsfähig gewesen sein, während bei der Ehefrau ein lebensbedrohlicher Zustand festgestellt wurde -, hat die Staatsanwaltschaft im Februar dieses Jahres ihre Ermittlungen auf das Geschehen am fraglichen Abend ausgeweitet. Angeblich soll jetzt auch wegen Verdachts des versuchten Totschlags ermittelt werden.

Ebenfalls laut Berichterstattung seit Anfang März soll es weitere Ungereimtheiten gegeben haben: So wird insbesondere mitgeteilt, dass am Vorfallstag der herbeigerufene Rettungsdienst vom Beamten ausdrücklich gebeten worden sein soll, keine Polizei zu informieren. Den dennoch vom Rettungsdienst angeforderten Beamten der Polizeidienststelle in Wittmund, deren Vorgesetzter der Beamte im Übrigen ist, soll der Zutritt in das Haus verweigert worden sein. Der Beamte soll vielmehr nach einem Polizisten seines Vertrauens, nämlich dem Leiter des Zentralen Kriminaldienstes aus Wilhelmshaven, verlangt haben. In der Nordwest-Zeitung vom 28. Februar wird unter der Überschrift „Offenbar schwere Versäumnisse in der Affäre um Polizeichef“ geschrieben, dass möglicherweise der Fall „auf kleiner Flamme gekocht“ werden sollte: „Die Beamten folgen den Anweisungen ihres Chefs. Der Leiter des Zentralen Krimi

naldienstes wurde gerufen. Ihm händigte A. Abschiedesbriefe von seiner Frau und von ihm aus. Der Fall schien klar: doppelter Suizidversuch - kein weiterer Ermittlungsbedarf. Tatsächlich finden weitere Ermittlungen, Beweisaufnahmen und Spurensicherungen an diesem Abend im Hause (…) nicht statt. Erfahrene Polizeibeamte sprechen von einem Unding. (…) So ein Vorgehen bei ungleich geringfügigeren Straftaten hätte jeden kleinen Schutzmann den Kopf gekostet, sagte ein Beamter.“

Die Gesamtsituation ist für Mitarbeiter der Polizeiinspektion Wilhelmshaven sehr belastend. Täglich müssen sie in den Zeitungen immer neue Enthüllungen lesen. Angeblich soll seitens des Personalrats in einem Schreiben an die vorgesetzte Dienststelle sehr deutlich auf die unbefriedigende Situation hingewiesen worden sein.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Trifft es zu, dass die mittlerweile erfolgte Suspendierung des betroffenen Beamten vom Innenministerium und nicht vom Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Oldenburg - wie in der Presse dargestellt wurde ausgesprochen wurde?

2. Ist es richtig, dass diese Maßnahme erst erfolgte, nachdem die Staatsanwaltschaft Oldenburg ihre Ermittlungen Mitte Februar ausgeweitet hatte? Und ist es weiter zutreffend, dass insofern das Innenministerium über den Sachverhalt umfassend informiert ist?

3. Wann wurde das Innenministerium und wann wurde der Minister selbst von dem Vorfall erstmalig in Kenntnis gesetzt?

4. Sind dem Innenministerium alle relevanten Presseartikel vorgelegt worden? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, was hat das Innenministerium selbst veranlasst, nachdem unzureichende Sachverhaltsermittlungen in der Vorfallsnacht behauptet worden sind?

5. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass der Polizeipräsident der Polizeidirektion Oldenburg in der Vorfallsnacht persönlich in Wittmund gewesen ist

und ihm insofern der Ermittlungsstand und die Bearbeitung durch den Leiter ZKD bekannt waren?

6. Hat das Innenministerium die Frage überprüft, warum nicht in der fraglichen Nacht sofort eine neutrale Polizeidienststelle - wie allgemein üblich - mit den Ermittlungen betraut wurde? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht?

7. Ist es nach Auffassung des Innenministeriums eine richtige Entscheidung gewesen, so zu verfahren? Oder wäre es nach Auffassung des Innenministeriums nicht zweckmäßiger gewesen, durch eine neutrale Dienststelle sofort die erforderlichen Maßnahmen durchführen zu lassen, um sowohl die be- als auch die entlastenden Beweismomente sicherzustellen?

8. Können nach Auffassung der Landesregierung künftig Bürger bei polizeilichen Anlässen ihre Ermittler selbst aussuchen?

9. Gegen welche Regeln ist nach derzeitigem Erkenntnisstand der Landesregierung bei den Ermittlungen verstoßen worden?

10. Beabsichtigt die Landesregierung bzw. das Innenministerium, diesen Sachverhalt zum Anlass zu nehmen, gegebenenfalls weitere Regelungen zu entwickeln, um derartige Verhaltensweisen für die Zukunft auszuschließen? Wenn nein, warum nicht?

11. Warum wurde der Verkehrsunfall am Nachmittag des Vorfallstages nicht durch eine andere, neutrale Dienststelle aufgenommen, so wie es schon bei geringen Sachschäden üblich ist? Sollen auch hier Regelungen entwickelt werden, oder sind derartige Regelungen möglicherweise bereits in Kraft, jedoch missachtet worden?

12. Wie bewertet die Landesregierung Zeitungsberichte, wonach die Polizei noch Mitte Januar „derzeit kein strafrechtlich relevantes Verhalten“ sähe? Gab es hierzu eine Pressemitteilung der Polizeidirektion Oldenburg? Wenn ja, warum? Hatte das Innenministerium hiervon Kenntnis?

13. Wann ist die Staatsanwaltschaft zum ersten Mal von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt worden?

14. Wann hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg die Ermittlungen aufgenommen, und gegen wen wird wegen welchen Vorwurfs ermittelt?

15. Gab es Veränderungen/Ausweitungen der Ermittlungen? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Begründung?

16. Ist es nach Auffassung der Landesregierung durch die Aufarbeitung des Vorfalls bereits jetzt schon zu einer Ansehensschädigung der Polizei gekommen? a) Wenn nein, warum nicht? b) Wenn ja, welche Schritte werden beabsichtigt, um den Vorwurf des Vertuschens zu entkräften?

17. Ist das Innenministerium nach Auffassung der Landesregierung seinen Aufgaben in dieser Angelegenheit voll nachgekommen? Wenn ja, sieht die Landesregierung dann Versäumnisse im nachgeordneten Bereich und, wenn ja, welche? Welche Schwachstellen insgesamt sieht die Landesregierung in diesem Vorgang?

18. Laufen bereits Disziplinarverfahren in dieser Angelegenheit? a) Wenn nein, warum nicht? b) Wenn ja, gegen wen richten sie sich, und durch wen werden sie bearbeitet?

Zu 1: Dem betroffenen Beamten wurde im Februar dieses Jahres gemäß § 67 NBG aus zwingenden dienstlichen Gründen für die Dauer von drei Monaten das Führen seiner Dienstgeschäfte verboten (Verbot der Amtsführung). Zuständig für das Verbot der Amtsführung war gemäß § 67 Abs. 1 NBG in Verbindung mit Abschnitt I Ziffer 1 des Gemeinsamen Runderlasses des MI, der Staatskanzlei und der übrigen Ministerien vom 20. Februar1998 in diesem Fall das Ministerium für Inneres und Sport. An dieser Zuständigkeit hat sich gegenüber der Amtszeit des früheren Innenministers Bartling nichts geändert. Der Polizeipräsident der Polizeidirektion Oldenburg wurde gebeten, dem betroffenen Beamten diese seitens des Landespräsidiums für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz zunächst mündlich getroffene Entscheidung im Namen des Ministeriums für Inneres und Sport mitzuteilen.

Zu 2: Das Verbot der Amtsführung wurde durch das Ministerium für Inneres und Sport nach Bekanntwerden der Ausweitung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Oldenburg im Febru

ar ausgesprochen, da ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 67 NBG vorlagen. Die Polizeidirektion Oldenburg hat dem Innenministerium seit dem 23. Dezember 2006 mehrfach mündlich, telefonisch und schriftlich im Rahmen der Zuständigkeit des Innenministeriums berichtet.

Zu 3: Der Polizeipräsident der Polizeidirektion Oldenburg hat den Innenminister und das Ministerium für Inneres und Sport am 23. Dezember 2006 über die Vorkommnisse in Kenntnis gesetzt.

Zu 4: Dem Ministerium für Inneres und Sport liegen im Zusammenhang mit den Geschehnissen rund um den betroffenen Beamten diverse Presseartikel vor, ohne dass diese Sammlung Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Die Sicherstellung zureichender Sachverhaltsermittlungen obliegt den zuständigen Ermittlungsbehörden. Der Presseberichterstattung war zu entnehmen, dass eine entsprechende Befassung durch die zuständigen Stellen zum Zeitpunkt des Erscheinens des vom Fragesteller zitierten Artikels am 28. Februar 2007 bereits erfolgt war. Die Polizeidirektion Oldenburg hat dem Innenministerium seit dem 23. Dezember 2006 im Rahmen der Zuständigkeit des Innenministeriums mehrfach zum Sachverhalt berichtet. Weitergehende Reaktionserfordernisse waren für das Ministerium für Inneres und Sport nicht gegeben.

Zu 5: Der Polizeipräsident der Polizeidirektion Oldenburg ist den ihm obliegenden Pflichten nachgekommen. Es ist auch seine Aufgabe, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ihren Angehörigen bei herausragenden Ereignissen und menschlichen Tragödien persönlich zur Seite zu stehen und die notwendige Fürsorge zu zeigen. Der Polizeipräsident der Polizeidirektion Oldenburg hat sich direkt in der Polizeidienststelle in Wittmund bei dem Leiter des ZKD der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland/Wittmund über den Sachstand des in Rede stehenden Suizidversuchs eines seiner ranghöchsten Führungskräfte und dessen Ehefrau sowie deren Befinden in Kenntnis setzen lassen. Es gab nach der Berichterstattung für ihn keinen Anlass für Zweifel an der Qualität der Aufnahme des Ereignisortes, die vom Leiter ZKD bereits durchgeführt worden war.

Zu 6: Ja. Wie dem Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Oldenburg nach seinem Eintreffen im Polizeikommissariat Wittmund am 23. Dezember 2006 mitgeteilt wurde, war die Tatortarbeit am Wohnhaus bereits abgeschlossen. Hinweise darauf,

dass erforderliche Ermittlungshandlungen nicht vorgenommen wurden, lagen ihm nicht vor. Im Übrigen avisierte der Polizeipräsident noch in der Vorfallsnacht die Ermittlungsübernahme durch eine andere Dienststelle. Diese Übernahme wurde am 27. Dezember 2006 durch Beamte des PK Wildeshausen der Polizeiinspektion Delmenhorst vollzogen.

Der Beamte und seine Ehefrau waren bis zum 10. Januar 2007 in einem Krankenhaus in stationärer Behandlung.

Die sich unmittelbar nach Weihnachten anschließenden Ermittlungen der mit den Ermittlungen beauftragten Polizeidienststelle der Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburger Land haben nach Erlangung zusätzlicher Erkenntnisse zur Ausweitung des Straftatvorwurfes im bestehenden Ermittlungsverfahren geführt.

Zu 7: Aus Sicht des Innenministeriums waren die angewandten Verfahrensweisen zum Zeitpunkt des jeweiligen Kenntnisstandes nicht zu beanstanden.

In Bezug auf den zweiten Teil der Frage verweise ich auch meine Ausführungen zu Frage 6.

Zu 8: Nein. Dem steht allerdings nicht entgegen, dass in geeigneten Fällen auf Wünsche Betroffener hinsichtlich der Gestaltung des Ermittlungsverfahrens Rücksicht genommen werden kann. Hierbei handelt es sich immer um Einzelfallentscheidungen unter Beachtung sachlicher Erfordernisse. So können z. B. weibliche Opfer von Sexualstraftaten auf Wunsch durch weibliche Polizeibeamtinnen vernommen werden.

Zu 9: Es ist nach derzeitigem Kenntnisstand im Rahmen der Ermittlungen nicht gegen Regeln verstoßen worden.

Zu 10: Nein. Die angewandten Verfahrensweisen waren zum Zeitpunkt des jeweiligen Kenntnisstandes nicht zu beanstanden. Da derartige Sachverhalte nur bezogen auf den Einzelfall und unter Berücksichtigung des jeweiligen Ermittlungsstandes betrachtet werden können, besteht im Rahmen der Zuständigkeit des Innenministeriums kein Handlungsbedarf.

Zu 11: Der Unfall ist durch die Polizeistation Schortens aufgenommen worden. Nach dem Bericht der PD Oldenburg ist gegen bestehende Regelungen zur Aufnahme von Unfällen mit Dienst

kraftfahrzeugen nicht verstoßen worden. Für eine Neufassung oder Änderung der bestehenden Regelungen wird kein Erfordernis gesehen. Die aufnehmenden Beamten mussten nach dem damaligen Erkenntnisstand auch die Fahndung nach einem flüchtigen Verkehrsgefährder betreiben.

Zu 12: In einem Zitat der Nordwest-Zeitung vom 13. Januar 2007 sieht die Polizei „derzeit kein strafrechtlich relevantes Verhalten“ des Betroffenen. Nach Mitteilung der Polizeidirektion Oldenburg wurde diese Aussage mündlich auf telefonische Anfrage der Nordwest-Zeitung getätigt und bezog sich mit damaligem Kenntnisstand allein auf den gemeinsamen Suizidversuch der Betroffenen. Eine strafrechtliche Würdigung des Verkehrsunfalls war zu diesem Zeitpunkt nicht in die Fragestellung einbezogen. Eine schriftliche Pressemitteilung durch die Polizei ist hierzu nicht erfolgt. Der Pressartikel wurde dem Ministerium für Inneres und Sport von der Polizeidirektion Oldenburg nachträglich übersandt.

Zu 13: Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ist Mitte Januar 2007 von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt worden.