Protokoll der Sitzung vom 18.10.2007

Wir brauchen heute angesichts der Herausforderungen durch Globalisierung und demografischen Wandel mehr Teilnahme am Arbeitsmarkt, nicht weniger. Das beginnt mit dem Berufseintrittsalter, besonders nach dem Studium, und endet in einer längeren Lebensarbeitszeit. Mehr Geld für Aus- und Weiterbildung, besonders für Ältere - ja! Aber kein Cent für teure und nutzlose Altersteilzeit und Frühverrentung! Dies ist ein Irrweg und führt nicht in die Zukunft, die wir uns wünschen, weil die jüngere Gesellschaft dafür noch lange bezahlen müsste.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Hirche das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich darüber, dass die SPD jetzt von dem abgerückt ist, was im letzten Landtagswahlkampf noch eine Rolle spielte. Damals gab es so etwa einen Vorwurf gegen den damaligen Spitzenkandidaten der FDP, der als Altersrassismus gedeutet werden konnte. Ich freue mich, dass Sie es heute positiv betrachten, dass man für ältere Arbeitnehmer etwas tun muss und tun kann und dass das sinnvoll ist, meine Damen und Herren. Aber ich staune doch darüber, in welcher Weise Sie sich von den Positionen Ihrer früheren Vorsitzenden Gerhard Schröder und Franz Müntefering entfernen.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Das ma- chen die täglich!)

Wir freuen uns sehr - Frau König hat es eben schon gesagt -, dass Sie die Landesregierung zum Beispiel dafür loben - natürlich nicht direkt, sondern nur indirekt -, dass sie die Initiative „50 Plus“ ergriffen hat. Aber - da schließe ich mich Herrn Böhlke an - ich lehne den schlichten Fortbestand der geförderten Altersteilzeit, den Sie fordern, entschieden ab, weil sich diese Altersteilzeit de facto als Blockmodell als weiteres Instrument der Frühverrentung erwiesen hat. Ich finde es bemerkenswert, dass Vizekanzler Franz Müntefering in diesem Zusammenhang davor warnt.

Dagegen haben wir als Landesregierung die von Ihnen geforderte Qualifizierungsinitiative für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer längst gestartet. Ich nenne als Beispiel eine große Fachtagung zum Thema „Strategien für den Fachkräftebedarf heute und morgen unter besonderer Berücksichtigung der älteren Beschäftigten“, die Anfang dieser Woche hier in Hannover stattgefunden hat und auf der ein Förderwettbewerb gestartet wurde. Arbeitsmarktexperten aus Unternehmen, Verbänden, Kammern und Gewerkschaften haben teilgenommen, an der Podiumsdiskussion zum Beispiel der Landesvorsitzende des DGB. Dabei ist unter anderem folgende wesentliche Erkenntnis gewonnen worden: Wenn man etwas für die älteren Arbeitnehmer tun will, dann darf man nicht erst bei den über 55-Jährigen anfangen, sondern man muss schon bei den 45-Jährigen anfangen. Eine Tagung, die am vergangenen Dienstag in Loccum stattgefunden hat und an der ich als Diskussionsteilnehmer beteiligt war, hat zu dem Ergebnis geführt, dass es richtig ist, dass in Niedersachsen auch etwas für die Inhaber kleiner und mittlerer Unternehmen getan wird. Es hängt nämlich oft auch von den Betriebsinhabern ab, ob die Arbeitnehmer überhaupt an Weiterbildungsveranstaltungen teilnehmen.

Meine Damen und Herren, Sie möchten den Rentenzugang flexibler gestalten. Das ist ein lobenswertes Anliegen. Dabei müssen insgesamt aber auch die versicherungsmathematischen Grundsätze beachtet werden. Wer früher in Rente gehen kann und will, der darf nicht bevorzugt werden. Zu Bismarcks Zeiten - jeder weiß das - lebten die Leute nach dem Eintritt in die Rente noch zwei Jahre, während es heute im Schnitt 17 Jahre sind. Deshalb müssen Änderungen vorgenommen werden. Diese Fakten kann man doch nicht leugnen. Ich wundere mich, dass wir in manchen Debatten die Positionen Ihres Vizekanzlers Franz Müntefering verteidigen müssen und die SPD davon abrückt. Die Rente mit 67 ist von CDU und SPD in Berlin gemeinsam beschlossen worden. Das, meine Damen und Herren, sage ich überhaupt nicht süffisant. Meiner Meinung nach war es notwendig, diese Maßnahme zu ergreifen. Man muss sie jetzt auch durchhalten. Es ist eine der merkwürdigsten Argumentationen, wenn gesagt wird, dass sich irgendwo Geld in der Kasse befinde und man deshalb bestimmte Maßnahmen wieder laufen lassen könne.

(Beifall bei der CDU)

Herr Hagenah, ich nehme in diesem Zusammenhang auch einen von Ihnen angesprochenen Punkt mit auf. Mit der Forderung nach Einführung der alten Berufsunfähigkeitsrente nährt die SPD wieder die Hoffnung, dass das alles nicht so schlimm sei und wir ruhig wieder in diesen Topf hineinfassen könnten. Meiner Meinung nach kann man es sogar dahingestellt sein lassen, ob das wirklich links ist, was Sie hier versuchen. Auf jeden Fall aber ist es nicht unbedingt sozial; denn sozial ist das - in diesem Punkt hat Franz Müntefering recht -, was in Deutschland Arbeitsplätze schafft. Die von Ihnen geforderten Maßnahmen führen davon aber weg.

(Beifall bei der FDP)

Sie befinden sich mit Ihrem Antrag nicht auf dem Weg des Fortschritts, sondern auf dem Weg des Rückschritts. Damit, meine Damen und Herren, lässt sich Zukunft nicht gewinnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit tätig werden. Mitberaten sollen den Antrag der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen worden.

Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung: Mehr Migrantinnen und Migranten in den öffentlichen Dienst - Konzept für interkulturelle Öffnung entwickeln! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/4111

Dieser Antrag wird eingebracht durch die Abgeordnete Langhans. Frau Langhans, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Nationalen Integrationsplan „Gemeinsam für mehr Integration“ erklären die Länder übereinstimmend: Integration kann nur gelingen, wenn sich auch die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen den Zugewanderten öffnen und der Zuwanderungsrealität Rechnung tragen. Deshalb streben die Länder die interkulturelle Öffnung ihrer Verwaltung an, zu der sowohl Qualifizierungsmaßnahmen für alle öffentlichen Bediensteten als auch Bemühungen zur Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund gehören. - So weit die Selbstverpflichtung der Länder.

Meine Damen und Herren, wie sieht die Situation in Niedersachsen aus? - Ca. 1,2 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben derzeit in Niedersachsen. Das ist ein Anteil von ca. 16 % an der Gesamtbevölkerung. Alle Prognosen gehen davon aus, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund weiter steigen wird. Allerdings stellen wir fest, dass sich diese kulturelle Vielfalt bisher in nur unzureichendem Maße in den staatlichen Institutionen widerspiegelt. Das hat aber auch damit zu tun - zumindest hier in Niedersachsen -, dass diese Landesregierung in erster Linie auf Sprachförderung als Integrationsmaßnahme setzt. Natürlich sind Sprachkenntnisse eine wichtige Voraussetzung für Integration, beileibe aber nicht die einzige. Inzwischen hat aber auch unser Innenminister das erkannt.

Meine Damen und Herren, vor zwei Jahren hat meine Fraktion eine Integrationsbeauftragte des Landes Niedersachsen, die Ausbildung von Integrationslotsen und die Hochschulausbildung muslimischer Religionslehrerinnen gefordert. Sie haben diesen Antrag damals jedoch abgelehnt. Heute sind diese Forderungen mindestens erfüllt worden. Es freut uns im Nachhinein, dass wir Ideengeber für den Innenminister geworden sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Forderung nach mehr Migranten im öffentlichen Dienst ist bundesweit Konsens. Von daher reicht es eben nicht mehr aus, sich nur um eine verstärkte Öffnung im Polizeidienst zu bemühen. Wir brauchen einen konkreten Handlungsrahmen, um diese Forderungen auch in die Praxis umsetzen zu können. Wir brauchen Migrantinnen als Erzieherinnen in den Kindertagesstätten. Wir brauchen sie als Lehrerinnen an den Schulen. Ich darf noch einmal daran erin

nern: Bereits im Jahr 1996 gab es einen Beschluss der Kultusministerkonferenz zur interkulturellen Bildung und Erziehung in den Schulen.

Meine Damen und Herren, Pädagoginnen sind für Kinder ein Vorbild. Sie sind Beispiel dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund gleichberechtigt sind und hoch qualifiziert und erfolgreich arbeiten können. Das macht Jugendlichen Mut und stärkt ihr Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Wir brauchen Richter und Staatsanwälte mit Migrationshintergrund, und wir brauchen in der Verwaltung, in den Ausländerbehörden, Menschen, die mehr als einen kulturellen Hintergrund haben. Sie kennen die Probleme Ihres Gegenübers. Sie können sich besser in sie hineinversetzen und ihnen zur Seite stehen.

Meine Damen und Herren, da kulturelle Vielfalt und die damit verbundene interkulturelle Kompetenz inzwischen ein entscheidender Wettbewerbsvorteil und ein Standortfaktor geworden sind, müssen im öffentlichen Dienst die Zugangschancen für Ausbildung und Einstellung von Migrantinnen und Migranten erheblich verbessert werden. Die Wirtschaft ist da schon einen großen Schritt weiter. Diversity und Vielfalt sind für die Wirtschaft keine Fremdworte mehr. Sie hat es längst erkannt und hat einen Paradigmenwechsel dahin gehend vorgenommen, nicht mehr auf die Defizite von Migrantinnen und Migranten zu sehen und diese in den Vordergrund zu stellen, sondern sich ihrer Stärken zu bedienen. Die Vodafone-Stiftung beispielsweise unterstützt mit ihrem Stipendienprogramm ausschließlich junge Migrantinnen und Migranten. Das tut sie sehr erfolgreich.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich gern meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, dass die FDP-Fraktion ausweislich der Redezeitliste zu diesem für uns, für die Migranten und auch für die Zukunft unser gesellschaftlichen Entwicklung wichtigen Thema überhaupt kein Wort zu sagen hat. Sie wird hierzu nicht reden. Das spricht, ehrlich gesagt, nicht für die FDP. Ja, so ist das.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE] - Zuruf von der CDU)

- Ja, vor allem bei diesem Thema scheint mir das bei der FDP der Fall zu sein.

Meine Damen und Herren, wir müssen von der Verlautbarungsebene auf die Handlungsebene kommen. Wir müssen mit einer gezielten Informa

tionskampagne junge Menschen auf Ausbildungsberufe im öffentlichen Dienst aufmerksam machen. Wir brauchen ein Handlungskonzept, dessen Ziel es sein muss, die Ausbildungs- und Beschäftigungsquote von Migranten im öffentlichen Dienst unter Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit und interkultureller Kompetenz bei den Einstellungen langfristig zu erhöhen. Dieser Ansatz ist meines Erachtens dringend erforderlich, um den Kommunen, die von der Landesregierung aufgerufen wurden, Integration zur Chefsache zu machen, als gutes Beispiel auf Landesebene voranzugehen; denn Chefsache ist die Integrationspolitik in Niedersachsen eben leider noch nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Bachmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegin Georgia Langhans hat im Einzelnen klar gemacht, aus welchen Gründen es nötig ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, aber auch vorhandene Hürden, die zum Teil unüberwindbar sind, abzureißen, um den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst des Landes Niedersachsen deutlich zu verbessern, ja Normalität herzustellen. Auch in der Ausländerbehörde muss sozusagen das Gegenüber jemand sein, der weiß, worum es geht. Das gilt nicht für alle, und ich rede auch nicht für eine Quote, aber es muss sehr deutlich werden: Zu allen Regeldiensten unserer Gesellschaft haben Migrantinnen und Migranten wie selbstverständlich Zugang.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall von Ina Korter [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wir wären heute deutlich weiter, wenn das Konzept, das die damalige Landesregierung Gabriel im Jahr 2002 beschlossen hat und das hier im Parlament mit einem Entschließungsantrag im November 2002 begrüßt wurde und genau, dezidiert Möglichkeiten beinhaltete, den Zugang von Migrantinnen und Migranten in den öffentlichen Dienst des Landes Niedersachsen deutlich zu verbessern, zum Tragen gekommen wäre. Das war bereits einmal Beschluss einer niedersächsischen Landesregierung, und das war

bereits einmal auf Antrag der SPD-Landtagsfraktion Beschlusslage im Niedersächsischen Landtag.

Bedauerlicherweise sind diese damaligen Beschlüsse Anfang 2003 durch eine Unterrichtungsvorlage der jetzigen Landesregierung als „nicht weiter zu verfolgen“ kassiert worden.

Das sind die Realitäten.

Das, was in dem neuen Handlungskonzept Integration enthalten ist, geht bei Weitem nicht so weit und ist bei Weitem nicht so stringent, was die Zielsetzung angeht, wie es damals bereits erklärtes Regierungshandeln war.

Ich darf einmal das zitieren, was der Landtag im November 2002 darüber hinaus beschlossen hatte. Er hatte beschlossen:

„Der Landtag appelliert auch an die übrigen Träger der Regeldienste, die vom Land vorgesehene interkulturelle Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und die Strategie der Öffnung von Institutionen und Diensten ebenfalls verstärkt zu betreiben. Dabei sollen die eigenen Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung hieran ausgerichtet und stärker als bisher auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in den Regeldiensten eingesetzt werden.“

Meine Damen und Herren, das war ein Beschluss, der sich auch an gesellschaftliche Organisationen und die Privatwirtschaft richtete. Es war auch das Ziel von Frau Dr. Trauernicht, die damals für diese Konzeption Verantwortung trug, das im Forum Integration mit allen gesellschaftlichen Kräften mit Vehemenz so gemeinsam weiter zu vertreten.

Viereinhalb Jahre herrschte das Motto „still ruht der See“, viereinhalb Jahre habe ich in den Sitzungen der Ausländerkommission regelmäßig daran erinnert, dass diese damalige Beschlusslage des Parlaments, die Sie mit Ihrer Mehrheit kassiert haben, in der praktischen Politik Niedersachsens umgesetzt werden muss.

Jetzt, kurz vor der Landtagswahl, ein begrüßenswerter - ich habe das begrüßt - Fortschritt bei der Polizei. Aber das kann nicht alles sein. Spät kommt dieser Fortschritt, aber er kommt.

Meine Damen und Herren, wir brauchen die Normalität in allen Bereichen. Das, was die Kollegin

Langhans hier gesagt hat, möchte ich um zwei Dinge ergänzen, die Ihnen deutlich machen, wo noch Widersprüche liegen.

Wir hatten im Bereich der Schulen muttersprachliche Lehrkräfte. Anstatt dieses Potenzial, diese Lehrkräfte, die schon vorhanden waren, in vollem Umfang zu nutzen und es möglicherweise auch bei einer Neuausrichtung des muttersprachlichen Angebots sozusagen als fremdsprachliches Angebot allen zugänglich zu machen, haben Sie reihenweise abgebaut, und die Lehrkräfte sind heute nicht mehr im öffentlichen Dienst. Das war kontraproduktiv. Die muttersprachlichen Lehrkräfte, die an den Schulen waren, sind zum Teil verschwunden und stehen heute nicht mehr zur Verfügung.

Gott sei Dank haben Sie auch hier mittlerweile den Stopp des Abbaus verfügt, weil Sie wohl gemerkt haben: Das war der falsche Weg.

Es gibt einen weiteren Widerspruch. Wir haben hier sehr streitig darüber debattiert, ob es richtig ist, Polizeinachwuchskräfte - im Gegensatz zur Entwicklung auf Bundesebene, wo die Ausbildungsstätten für die Führungslaufbahnen des höheren Dienstes gerade zur Fachhochschule aufgewertet wurden -, an einer Polizeiakademie auszubilden. Aber immerhin haben die sich dort bewerbenden Migrantinnen und Migranten die Chance, wenn sie denn die Zugangsvoraussetzungen erfüllen - daran müssen wir alle gemeinsam arbeiten -, in einem gebührenfreien Studium den Beruf des Polizeibeamten zu erlernen.

Jetzt der Widerspruch zu denen, die wir im Lehramt brauchen: Die müssen an unseren Regeluniversitäten, um die Voraussetzungen zu erfüllen, um ins Lehramt des Landes Niedersachsen zu kommen, in Zukunft Studiengebühren bezahlen.