Protokoll der Sitzung vom 18.10.2007

Nun sind wir uns sicherlich einig, Herr Briese, dass ein Entschließungsantrag der Grünen kein singuläres Ereignis von überragender Bedeutung ist, das das Desinteresse aller Parteien an der Einführung von Richterwahlausschüssen überlagern könnte.

(Heiterkeit bei Karl-Heinz Klare [CDU])

Der Antrag selbst ist übrigens in seiner Überschrift verräterisch: Stärkung der Unabhängigkeit in der Justiz, also nicht Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. In diese Richtung zielen Reformbestrebungen des Richterbundes, die aber noch in der Phase der Formulierung sind und mit denen wir uns nach ihrem Vorliegen eingehend befassen werden.

Die Mitglieder unseres Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen wissen, dass ich im Einklang mit den Ausschussmitgliedern bei unseren häufigen Bereisungen der Gerichtsstandorte stets herausgestellt habe: Aus unserem demokratischen Grundverständnis der Gewaltenteilung resultiert, dass es einen Kernbereich der Rechtsprechung geben muss, der dem Zugriff und der Gestaltung durch die Exekutive als zweiter Gewalt entzogen sein muss.

Gerade die Auswahl von neuen Richterinnen und Richtern ist derzeit in Niedersachsen so gestaltet, dass zunächst bei einer Vorauswahl und dann bei den sehr eingehenden Bewerbergesprächen Mitglieder der Justiz, Herr Briese, die entscheidende Funktion haben. Die Vorauswahl wird in den Mittelbehörden des Gerichtsaufbaus getroffen. Die Bewerbergespräche führen drei Personen - ein

Vertreter des Oberlandesgerichts, ein Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft sowie ein Vertreter des Justizministeriums.

Richterwahlausschüsse nach den Vorstellungen der Grünen sollen von Landtagsabgeordneten dominiert werden. Sie sollen die Hälfte der Sitze erhalten, nämlich sieben, wohingegen nur fünf Richterinnen und Richter sowie zwei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte teilnehmen sollen. Bei etwa 80 Auswahlverfahren im Jahr, dem notwendigen Studium der Bewerbungsunterlagen, der Durchführung der mehrstündigen Bewerbungsgespräche und der notwendigen Fortbildung wären wir Landtagsabgeordnete mit ganz anderem Pflichtenkreis unseres Mandats über Gebühr gefordert, ja, überfordert, zumal uns die notwendigen Detailkenntnisse der richterlichen Anforderungsprofile im Regelfall fehlen - in diesem Hause vielleicht mit Ausnahme des Kollegen Helberg sowie des Kollegen Möllring, beides frühere Richter. Dabei gehe ich davon aus, dass der Kollege Helberg eine ehrenvolle Berufung in einen solchen Richterwahlausschuss dankend ablehnen würde und der Kollege Möllring andere wichtige Aufgaben zu erfüllen hat und diese zumindest zum ungeteilten Beifall der Regierungsfraktionen auch wahrnimmt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Kurzum: Neben der von keiner wichtigen Organisation oder einer mehrheitsbeteiligten Partei im Bund und im Land Niedersachsen aufgestellten Forderung nach Einführung von Richterwahlausschüssen steht dem Projekt auch die offenkundige Verschlechterung des Auswahlverfahrens, dessen Politisierung durch die vorgesehene dominante Beteiligung von Landtagsabgeordneten und die ebenso deutliche Qualitätsverschlechterung des Verfahrens gegenüber.

Bei aller von mir geschätzten Sponaneität der Grünen und ihrem Hang zu radikal-demokratisch motivierten Änderungsversuchen an sich bewährter Verfahren, bei gleichzeitiger Fähigkeit zur Selbstironie wie dem kollektiven Blöken beim Hammelsprung: Dieser Antrag gehört in die parlamentarische Tonne! - Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Herr Kollege Dr. Noack. - Jetzt folgt eine Kurzintervention. Herr Kollege Briese, Sie haben das Wort.

Ich möchte noch zwei Punkte erwidern.

Lieber Kollege Noack, wie muss es nur an den Bundesgerichten aussehen, wo es bereits Richterwahlausschüsse gibt? - Nach dem, was Sie hier vorgetragen haben, muss an unseren höchsten Gerichten Sodom und Gomorrha herrschen.

Ein Argument: Fast ganz Europa hat dieses Prinzip schon. Viele europäische Länder sagen: Wir wollen nicht, dass Richterinnen und Richter durch die Exekutive ernannt werden. Wir wollen mehr Unabhängigkeit.

Ich gebe Ihnen ja recht: Natürlich besteht die Gefahr der Politisierung. Das Problem ist, dass das Grundgesetz davor steht, dass die Richter das mehrheitlich in einem Richterwahlausschuss machen. Der Souverän, die Parlamentarier müssen in einem solchen Gremium die Mehrheit haben. Das ist Verfassungsrecht.

Ich habe kein Problem damit, den Richterinnen und Richtern die Mehrheit zu geben. Aber das geht grundgesetzlich leider nicht. - Deswegen wäre das, was wir vorschlagen, ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.

Ich garantiere Ihnen: Wir werden das Thema „mehr Selbstverwaltung und mehr Autonomie“ definitiv wieder auf den Tisch bekommen. Aber wir sind unserer Zeit anscheinend wieder einmal etwas voraus.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Eine Antwort wird nicht gegeben. - Für die SPD-Fraktion hat sich Herr Kollege Schneck zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD-Fraktion begrüßt das Anliegen der Grünen - Herr Briese, hören Sie zu! -,

(Lothar Koch [CDU]: Oh! Das ist ganz überraschend!)

eine Debatte um die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz anzustoßen. Wir sehen die Einrichtung von Richterwahlausschüssen als einen grundsätzlich möglichen Schritt an. Ich glaube aber, dass solch eine grundsätzliche Frage nicht übers Knie gebrochen werden darf.

Das Prinzip der Gewaltenteilung geht aus dem Artikel 20 des Grundgesetzes hervor und gehört somit zu den wichtigsten Eckpfeilern unserer demokratischen Verfassung. Gerade auf die reale Teilung der Gewalten legten die Mütter und Väter des Grundgesetzes viel Wert.

Die Richterinnen und Richter tragen in unserem Land eine große Verantwortung, der sie hervorragend nachgehen. Dabei ist völlig klar: Wer zu richten hat, muss unabhängig sein. Die Frage ist: Wie kann man diese Unabhängigkeit weiter stärken?

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Grüne, wenn man Ihren Antrag, insbesondere die Begründung, liest, dann könnte man meinen, von der Unabhängigkeit der Justiz sei heutzutage nicht mehr viel übrig geblieben. Sie gehen sehr grundsätzlich an die Frage heran und beziehen sich auf die Forderung des Deutschen Richterbundes nach einer selbstständigen Justiz. Das ist aber etwas ganz anderes und wesentlich mehr als das, was die Richterwahlausschüsse angeht. Ich frage mich: Warum beschränken Sie sich dann auf die Einführung von Richterwahlausschüssen? Vor allem frage ich mich: Warum kommen Sie gerade jetzt mit einem so grundsätzlichen Anliegen?

(Joachim Albrecht [CDU]: Weil Wahl ist!)

Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, eine solche Reform noch in den wenigen verbleibenden Monaten bis zum Ende der Legislaturperiode anzugehen.

Bereits zu früheren Zeiten gab es Bestrebungen, einen Richterwahlausschuss einzurichten. Bisher wurde allerdings kein überzeugender Anlass dazu gesehen, von dem bisherigen Einstellungsverfahren abzurücken. Das Einstellungsverfahren verläuft in Niedersachsen in mehreren Schritten. Herr Dr. Noack ist schon darauf eingegangen; ich möchte es deshalb nicht wiederholen. Die Justiz, die Richter und auch das Justizministerium sind beteiligt.

Die Art des Auswahlverfahrens ist sehr qualifiziert. Wir haben gestern Abend in dem Gespräch mit dem Niedersächsischen Richterbund mit auf den Weg bekommen, dass es keine wesentliche Kritik am Verfahren selbst gibt.

Viel bedeutender ist, dass die niedersächsischen Richterinnen und Richter Probleme haben, ihrer eigentlichen Arbeit nachzukommen. Dies liegt an ganz anderen Dingen, die wir nicht theoretisch debattieren dürfen, Frau Justizministerin, sondern die wir heute und in den Haushaltsberatungen behandeln müssen.

Aufgrund der personellen und sachlichen Ausstattung der Justiz in Niedersachsen sind an den Gerichten sehr lange Wartezeiten zu verzeichnen. Richterinnen und Richter haben sehr hohe Pensen zu erfüllen und können somit ihren Aufgaben an vielen Stellen nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen. Das beklagen sie auch. Sie haben deutlich gesagt, dass in der niedersächsischen Justiz jetzt etwa 300 Stellen gebraucht werden, um den Berg an Verfahren abzuarbeiten und damit den Rechtsbegehren der Bürgerinnen und Bürgern entsprechen zu können.

Sehr verehrte Damen und Herren, nichtsdestotrotz halte ich das Anliegen der Grünen für bedenkenswert. Ich bin mir aber nicht sicher, ob der vorliegende Antrag die beste Antwort auf die Frage ist, wie man eine von der Exekutive unabhängige Auswahl der Richterinnen und Richter gewährleisten kann.

Bei solchen Fragen schaue ich immer gern auf die Erfahrungswerte in anderen Bundesländern. In 9 der 16 Bundesländer gibt es Richterwahlausschüsse. Niedersachsen gehört zu den Ländern, die keine Richterwahlausschüsse haben. Einmal ist das Justizministerium entscheidend bei den anderen Länderkammern dabei, dann wieder sind es die Richter selbst, oder diese Kammern sind nur mit Mitgliedern des Landtages besetzt. In den deutschen Bundesländern gibt es also unterschiedlichste Erfahrungen. Wir gehören eben zu den Ländern, die keinen Richterwahlausschuss haben.

Aus meiner Sicht kann ich zurzeit keinen dringlichen Anlass erkennen, der uns dazu bringen muss, eine solche grundsätzliche Frage übereilt zu entscheiden. Ich vermag nicht zu sagen, in welchem Bundesland die Justiz am unabhängigsten ist. Lassen Sie uns diese grundsätzliche Frage und

dieses bedeutende Thema nach der Landtagswahl in aller Ruhe beraten. Lassen Sie uns dieses Thema weiter fassen. Es geht um die Selbstverwaltung der Justiz als wichtiges Thema.

Ich möchte für unsere Fraktion sagen: Wir lehnen Ihren Antrag in dieser Form heute ab, freuen uns aber auf die Beratung zu der Unabhängigkeit der Justiz in der nächsten Legislaturperiode. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Schneck. - Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Peters das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Briese, ich muss schon sagen: Hut ab! Das Wort „brisant“ erhält eine neue Bedeutung. Wir sind drei Monate vor der Landtagswahl, und Sie bringen ein derart brisantes, brandaktuelles und nach rascher Umsetzung schreiendes Thema ein und packen den Stier auch gleich bei den Hörnern. Das ist schon beachtlich!

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das geht über die Wahl hinaus, Frau Peters!)

In Hessen ist bald Landtagswahl. Dort haben die Grünen die Richterwahlausschüsse bereits im Sommer „verwurstelt“. Aber Timing ist alles. Es ist ja keine Schande, Ideen anderer Landesverbände zu recyceln, selbst wenn sie dort vor Ort schon gescheitert sind.

Inspiriert wurden die hessischen Grünen vor allem von einer Reise des Rechtsausschusses des Hessischen Landtages nach Spanien im Februar 2007 und dem Besuch beim Consejo General del Poder Judicial, einem 20-Personen-Gremium, das für Ausbildung, Auswahl, Ernennung, Beförderung und Zuweisung der Richter an die einzelnen Gerichte in ganz Spanien zuständig ist. Aber gerade Rechtsordnungen haben die Eigenart, dass sie gewachsene, von Traditionen geprägte Systeme sind. Das unterstützt auch ihr Ansehen in der Gesellschaft und trägt zu der relativen Unangreifbarkeit bei. An solchen Strukturen sollte man nur dann drehen, wenn offensichtliche Mängel oder Auswüchse erkennbar sind.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben hier selber dargestellt, dass selbst die Betroffenen in Niedersachsen - und wir sind hier im Niedersächsischen Landtag; wir machen Vorschriften für Niedersachsen; uns interessieren im Moment die Betroffenen in Niedersachsen -, also dass selbst die Betroffenen Ihren Vorstellungen nicht wirklich offen gegenüberzustehen scheinen.

Wenn man aber so präzise Vorschläge für die Ausgestaltung der Wahlausschüsse wie Sie in Ihrem Antrag macht, sollten diese Vorschläge allerdings auch durchdacht sein. Unter Nr. 7 des Antrages schreiben Sie:

„Der Richterwahlausschuss kann die Bewerberinnen und Bewerber persönlich anhören.“

Sie schreiben weiter:

„Auf Antrag einer Bewerberin oder eines Bewerbers... ist die Anhörung zwingend.“

Das ist absurd. Stellen Sie sich vor, für eine freie Stelle gibt es 200 Bewerber. So etwas ist keineswegs ausgeschlossen oder ungewöhnlich. Sollen alle diese Bewerber persönlich eingeladen und auf Wunsch gehört werden? - Sonst haben Sie an alles gedacht, sogar daran, dass der Richterwahlausschuss sich eine Geschäftsordnung geben soll. Entzückend!

Zurück zur Kernfrage. Wie unabweisbar ist der Bedarf nach Änderung des bisherigen Systems der Richterauswahl in Niedersachsen tatsächlich? Wo sind die gravierenden Mängel, die politisch motivierten krassen Fehlbesetzungen? Ich vermag sie nicht zu erkennen. In der Presseerklärung sagen Sie zur Begründung, in der niedersächsischen Justiz herrsche zu viel Untertanengeist und sie sei zu verwaltungshörig. Ich glaube, die niedersächsischen Richterinnen und Richter empfinden eine solche Aussage zu Recht als das, was sie ist, nämlich als eine bodenlose Unverschämtheit.