Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

Das wäre nun ja nicht so schlimm, wenn Sie sich wenigstens vernünftig beraten ließen und auch Argumente hören würden. Doch dem ist leider nicht so. Bei der CDU-Fraktion und bei der FDP-Fraktion ist die Konzeptlosigkeit nämlich auch mit der Arroganz der Macht gepaart.

(David McAllister [CDU]: Auch das noch!)

Argumente werden einfach weggestimmt. Eine grundlegende, wirklich differenzierende Argumentation hat da wenig Sinn. Deshalb will ich mich auch auf zwei Argumente beschränken.

(David McAllister [CDU]: Das würde ich Ihnen auch empfehlen!)

Erstens. Im Landeshaushalt sollen bei den Lernmitteln von den veranschlagten 22,5 Millionen Euro 12,8 Millionen Euro gekürzt werden. Wir haben in Niedersachsen rund eine Million Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen. Schulbücher kosten bei Neukauf pro Jahr und Kind zwischen 100 und 250 Euro. Das macht also eine Summe zwischen 100 und 250 Millionen Euro Kosten für die Eltern aus, und das nur, um 12 Millionen Euro im Landeshaushalt einzusparen. Ist das, meine Damen und Herren von den Fraktionen der CDU und der FDP, etwa Ihr neues Wirtschaftsförderungsprogramm für Verlage und Buchläden, und das auf dem Rücken der Eltern?

(Ursula Körtner [CDU]: Das haben Sie in der ersten Beratung auch schon gesagt!)

Und nun kommen Sie mir nicht mit den Schulbuchflohmärkten, auf denen man angeblich billig gebrauchte Schulbücher einkaufen kann. Sie können damit nämlich nicht argumentieren; denn Sie wollen die Lernmittelfreiheit ja u. a. deshalb abschaffen, damit die Schülerinnen und Schüler in die Bücher hineinschreiben können und die Bücher für die späteren Jahre zum Nachschlagen behalten. Dann kann man sie eben nicht mehr verkaufen.

Schon bei der ersten Beratung haben Sie, Frau Bertholdes-Sandrock, völlig unlogisch argumentiert.

(David McAllister [CDU]: Ich dachte, das tun Sie gerade!)

Einerseits sollen die Kinder die Bücher wie Arbeitsmaterialien behandeln. Sie sollen hineinschreiben, Randbemerkungen machen, unterstreichen und Kommentare hineinschreiben. Andererseits sollen die Bücher aber sauber und ordentlich weiter verkauft werden, um Kosten zu senken.

Ein zweites Argument gegen die Abschaffung der Lernmittelfreiheit: Bei der ersten Beratung haben sowohl die Kollegen von der CDU-Fraktion und FDP-Fraktion als leider auch die Kollegen von der Fraktion der Grünen argumentiert, dass sie es für sozial gerechter halten, wenn reiche Familien stärker finanziell belastet werden. Nach dieser Logik ist der Vorschlag von Herrn Schünemann eigentlich nur konsequent, auch den Schulbusverkehr für reichere Eltern kostenpflichtig zu machen. Konsequent wäre es dann auch, reiche Eltern an den Kosten für die Lehrkräfte zu beteiligen. Solchen Vorschlägen müssten Sie nach Ihrer Logik zustimmen und sie nicht voller Empörung zurückweisen.

Wir sehen das anders. Nach Ihrer Meinung sollen demnächst nur noch Sozialhilfeempfänger oder Bezieher von Wohngeld Unterstützung für die Anschaffung von Schulbüchern erhalten. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion und von der FDP-Fraktion, scheinen alle Eltern, die über dem Sozialhilfesatz liegen, schon gleich zu den Reichen zu gehören. Mir war es bisher unbekannt, dass der Reichtum gleich über dem Sozialhilfesatz anfängt. Wir von der SPD-Fraktion wissen, dass dem nicht so ist. Wir wissen, wie sehr tausende und abertausende von Familien rechnen, sich einschränken und knausern müssen, um Miete, Lebensmittel, Telefon, Versicherungen und Kleidung - kurz: den täglichen Lebensunterhalt bezahlen zu können.

(Zuruf von Ursula Körtner [CDU])

- Frau Körtner, Sie beweisen gerade wieder, dass Sie eben nicht zuhören und Argumenten gegenüber nicht aufgeschlossen sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen, dass es bei diesen Familien auf jeden Euro ankommt und dass 150 bis 250 Euro pro Kind und Jahr da erheblich ins Gewicht fallen. Das ist z. B. die Summe für die Geburtstagsgeschenke oder Weihnachtsgeschenke für die Kinder, oder das ist das Geld für einen Wochenendausflug oder für neue Winterstiefel. Auch diese Eltern wollen ihren Kindern gerne einmal etwas schenken, was

nicht nützlich, aber bei ihren gleichaltrigen Kameradinnen und Kameraden eben „in“ ist - z. B. ein Handy oder die neuesten Computerspiele.

Wir von der SPD-Fraktion haben Verständnis für diese Familien und sagen deshalb Nein zu einer zusätzlichen Belastung von Eltern. Wir wissen, dass es eben nicht nur die reichen Eltern auf der einen Seite und die Sozialhilfe- und Wohngeldempfänger auf der anderen Seite gibt. Zwischen diesen beiden Extremen versuchen Millionen von Familien zurecht zu kommen mit steigenden Kosten und dem Wunsch, ihren Kindern trotzdem Musikunterricht, Sportverein, Kinobesuch oder Kindergeburtstag zu finanzieren. Diese Eltern haben Probleme, zusätzliche Kosten - wie z. B. für Schulbücher - aufzufangen, die neben Klassenfahrten, Ausflügen, Materialien usw. entstehen.

Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen von CDU und FDP, wischen diese Probleme vom Tisch und kommen gebetsmühlenartig mit der Haushaltslage des Landes. Diese war und ist allen bekannt.

(Jörg Bode [FDP]: Von Interesse ist, wer sie verursacht hat!)

Wir wollen die Eltern trotz der desolaten Haushaltslage nicht zusätzlich belasten. Damit stehen wir im Landtag zwar alleine da, sodass der Antrag auf Beibehaltung der Lernmittelfreiheit gleich abgelehnt wird. Aber dann sind wir eben die einzige Fraktion, die die Lage der meisten Eltern versteht. Hier geht es eben nicht um die reichen, sondern um die vielen normalen Eltern, die gerade so mit ihrem Geld auskommen.

(Heinz Rolfes [CDU]: Das ist aber na- iv! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie ha- ben gerade die Sozialpädagogen ab- gelehnt! Wissen Sie das?)

Jetzt zitiere ich aus der Unterschriftensammlung der Eltern. Die Eltern schreiben:

„Die Kosten für die Bildung von Kindern sollen nach Vorstellung der Landesregierung zu einem weit größeren Teil als bisher allein aus dem Einkommen der Eltern bezahlt werden, während der Nutzen, den die Gesellschaft davon hat, gern von der Gesamtgesellschaft, insbesondere auch von den Kinderlosen, angenommen wird. Dass es zu Einsparungen, zur

Konsolidierung des Landeshaushaltes kommen muss, ist unstrittig. Hier wird aber nicht gespart, sondern umverteilt. Hier werden die Kosten für Lernmittel, die bisher steuerfinanziert waren, allein Eltern und Familien mit schulpflichtigen Kindern aufgebürdet. Uns sind keine Sparpläne bekannt, bei denen die Landesregierung nur und ausschließlich Kinderlose zur Kasse bitten will, die, weil sie keine Kinder haben, in der Regel ohnehin über ein höheres Pro-Kopf-Einkommen verfügen. Jede Form der finanziellen Mehrbelastung, die einzig und allein die Familien trifft, ist in bildungsund familienpolitischer Hinsicht völlig kontraproduktiv.“

Dem ist überhaupt nichts mehr hinzuzufügen. - Ich danke für Ihr Zuhören.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächstes hat sich Frau Bertholdes-Sandrock für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Beratung dieses Antrags vor sechs Wochen hatte bereits deutliche Gemeinsamkeiten in der Kritik an der Lernmittelfreiheit ergeben. Auch Sie, Frau Seeler, haben dies - auch wenn es Ihnen nicht gefällt – zugegeben, nämlich die unbefriedigende Lernsituation, der Verlust von Unterrichtszeit und ein hoher Umlauf von letztlich veralteten Lehrwerken. All dies konterkariert effektiven Schulunterricht. Darüber sind sich alle einig, wenn ich auch verstehe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, dass Ihnen diese Einsicht schwer fällt. Deshalb möchte ich gerade Sie daran erinnern, wie drastisch Sie selbst den Lernmitteletat in den letzten Jahren gekürzt haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Genau daran hat sich doch gezeigt, dass Lernmittelfreiheit für alle für den Staat schon lange nicht mehr zu bezahlen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich werfe Ihnen das nicht vor, aber ich bitte Sie: Bestreiten Sie jetzt nicht, wofür Ihre eigene Regierung jahrelang den Beweis angetreten hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Seeler, Sie sind eben wieder auf die Belastungen für die Familien eingegangen. Ich frage Sie umgekehrt - bitte lassen Sie sich diese Frage auch von Ihrer eigenen Klientel stellen -: Wie sozial ist es, wenn diejenigen, die es nötig haben, dasselbe bekommen wie diejenigen, die es nicht brauchen und dann von jemandem, der kaum etwas hat?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Jörg Bode [FDP]: Das ist gar nicht sozial!)

Ich gebe Ihnen die Antwort darauf, Frau Seeler: Die Bedürftigen selbst - das sind Leute, die rechnen können, weil sie es müssen; das waren im Übrigen auch einmal Ihre Wähler - würden so Handelnden den politischen Verstand absprechen. Diesen Vorwurf möchten wir uns gern ersparen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, im Übrigen sind es im Moment nicht die Reichen, die der SPD scharenweise davon laufen, sondern gerade die traditionellen Wählergruppen der SPD zweifeln daran, dass die SPD auf die entscheidenden Zukunftsfragen überhaupt noch Antworten hat. Genau das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der CDU)

Ich versichere Ihnen: Auch nach dem Fall der Lernmittelfreiheit wird Bildung nicht auf der Strecke bleiben - im Gegenteil. Ich sage nicht defensiv: Obwohl wir sparen, machen wir das und das.

(Jacques Voigtländer [SPD]: Optimie- ren!)

Ich sage ganz offensiv: Indem wir sparen - und zwar an den richtigen Stellen -, treffen wir wichtige Strukturentscheidungen. Damit ermöglichen wir mehr Bildung.

(Beifall bei der CDU)

Das ist gestern übrigens auch beim Hochschuloptimierungskonzept sehr deutlich geworden. Das ist die Leitlinie dieser Landesregierung. Dazu gibt es keine Alternative.

(Beifall bei der CDU)

Bei der Bildung hat die Landesregierung bereits deutliche Zeichen gesetzt. Der Anteil des Bildungshaushalts am Gesamthaushalt ist prozentual gestiegen, und zwar von 16,5 auf gut 17,5 % - um die Kita-Mittel bereits bereinigt. Aber ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Nach der anteiligen Erhöhung des Kultusetats am gesamten Haushalt geht es jetzt auch um die Effektivierung der Mittel innerhalb des eigenen Haushalts. Auch das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen dies ganz energisch anpacken, und wir tun das auch. Denn die besondere Struktur des Kultushaushalts macht diese Aufgabe an sich recht schwierig. Der Anteil der Personalkosten ist in keinem Haushalt so hoch wie im Kultushaushalt. Da kommt man sehr leicht auf weit über die Hälfte, sodass nur geringer Spielraum zum Handeln bleibt. Daraus folgt, dass die vorhandenen Ressourcen - gerade im Personalbereich - verstärkt genutzt werden müssen. Die Alternative zu Kürzung und Optimierung der vorhandenen Mittel wäre: Alles laufen lassen, wie es ist - wohlwissend, dass das gar nicht geht. Wo wären wir dann? - Dann wären wir da, wo Ihr Antrag steht. Da kommen wir aber nicht weiter.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese Landesregierung hat die Frage nach den Prioritäten in der Bildung bereits klar beantwortet, und zwar mit voller Unterrichtsversorgung. Die Eltern im gesamten Land merken es am Stundenplan ihrer Kinder. Der Minister hat soeben angekündigt, dass weitere Maßnahmen in dieser Richtung greifen werden. Es ist also nicht nur von der Spezifik eines Kultushaushalts her nötig, dass nahezu alle Gelder in Personal fließen. Das ist auch gewollt und zur Steigerung von Bildungsqualität unverzichtbar. Die Mittel müssen aber richtig eingesetzt werden.

Mit der Sprachförderung und dem Ausbau der Hochbegabtenförderung haben wir diesen Weg konsequent fortgesetzt. Wie wichtig und richtig das war, konnte man in den vergangenen Tagen in den Zeitungen lesen. Dort wurde darauf hingewiesen, dass 11 % der künftigen Schulanfänger diese Sprachförderung brauchen und ab Februar in Anspruch nehmen werden. Genau dafür muss man Mittel einsetzen. Ich sage es noch einmal: Den Mehrbedarf dessen, was wir in Zukunft noch brauchen, müssen wir selbst erwirtschaften. Und man